Nachdem wir die nordfriesische Inselwelt verlassen hatten und auf SĂŒdkurs gegangen waren, fuhren wir mit halbem Wind. Die Nacht senkte sich ĂŒber das Meer, und mehr und mehr Lichter begannen auf seinen Wellen zu tanzen. Ganz zaghaft und nur vereinzelt tauchten blau-fluoreszierende Blitze aus der Tiefe auf und verblassten in der Gischt an unserem Rumpf: Meeresleuchten.

Mehr von dieser Welt waren dagegen die weißen Lichter auf dem Wasser. An Backbord blitzten die verschiedenen Ansteuerungstonnen der Fahrwasser, die zur KĂŒste fĂŒhrten. An Steuerbord erschien schon bald – zack – der weiße Blitz des HelgolĂ€nder Leuchtfeuers. Ben entdeckte es zuerst. Weiter im Norden davon erschien das rotblinkende Meer des Windradparks, und dann nahmen zwei Fischer voraus unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Robert verfolgte sie auf dem AIS, wir starrten in die Dunkelheit. In welche Richtung waren sie unterwegs? Kreuzten sie unseren Kurs? Gehörten sie gar zusammen und zogen das Netz zwischen sich? Letztere Frage klĂ€rte sich, als einer der beiden schließlich nach Westen abdrehte. Er machte sich offenbar auf den Heimweg – vielleicht nach BĂŒsum, wie wir mutmaßten. Der andere dagegen fuhr weiter vor uns, bis Robert beschloss: wenn nicht er, dann wir – einen Bogen um ihn machen wĂŒrden. Wir Ă€nderten den Kurs nach Backbord, bis wir das unsichere GefĂ€hrt schließlich achteraus hatten.

Gegen elf erschien dann die nĂ€chste Wache an Deck. Silke löste Ben am Steuer ab, Alexander ĂŒbernahm von Robert die Navigation. Ich beschloss, noch ein wenig lĂ€nger ein weiteres Paar Augen zur VerfĂŒgung zu stellen, und blieb im Cockpit.

Auch bei diesem mitternĂ€chtlichen Wachabschnitt beschĂ€ftigten uns wieder die Fischer, aber noch eine andere Sache wurde zunehmend relevant: eigentlich sollten wir doch nun bald die Ansteuerungstonne der Norderelbe sehen. Das AIS sagte sie rechtweisend voraus, aber so sehr wir uns auch anstrengten, vor unserem Bug war nichts zu erspĂ€hen. Also nichts war jetzt auch nicht ganz richtig, denn tatsĂ€chlich konnten man mit bloßem Augen leidlich und mit Fernglas klar und deutlich rote und grĂŒne Fahrwassertonnen ausmachen. Fahrwassertonnen hier draußen? Unmöglich! Zwischen uns und dem Elbfahrwasser war immerhin noch der ganze Große Vogelsand. Unmöglich, das Fahrwasser auf dessen anderer Seite zu sehen oder etwa doch?

Zum Schluss war ich so verwirrt, dass ich selbst zwischen Kartenplotter unter Deck und Ausguck an Deck hin- und herlief. Der Plotter sagte eindeutig, dass wir auf dem richtigen Kurs waren und dass unsere Ansteuerungstonne direkt vor unserem Bug lag. Meine Augen sagten mir das Gegenteil – ein fernes Fahrwasser und garantiert keine weißblinkende Ansteuerungstonne. Nur weiter an Backbord, dort wurde ein Blinkfeuer langsam heller und heller. Und dann machte es endlich auch in meinem Kopf klick. Der Strom versetzte uns nach Backbord, fĂŒr den Plotter sah es klarerweise so aus, als hielten wir direkt auf die gewĂŒnschte Tonne zu. Taten wir ja auch, den Kurs hatten wir zusammen berechnet und steuerten ihn sauber. Die See war ruhig, keine Wellen, die uns aus der Bahn geworfen hĂ€tten. Und trotzdem – die beiden Bilder aus Beobachtung und Technik im Kopf schließlich zur Deckung gebracht zu haben, war eine faszinierende Einsicht. Gerade wegen solcher Momente waren die Nachtfahrten mit unserer Yachtschule so reizvoll. Es gab noch so viel zu lernen!

Jedenfalls hatten wir nun Gewissheit, dass wir die Norderelbe planmĂ€ĂŸig erreicht hatten. Zeit, Christian zu wecken.

Wir fielen auf westlichen Kurs ab. Der Wind hatte zwischenzeitlich nachgelassen, wehte nur noch mit knappen zwei StĂ€rken. Noch einmal raffte ich mich auf, mich ans Ruder zu stellen und unsere „Helgoland Express“ als Schmetterling vor dem Wind zu steuern. Als es dann ins LĂŒchterloch ging, der Wind wieder mehr raumschots kam, war fĂŒr mich die Zeit gekommen, die Nacht zu beenden. Ich gab das Ruder ab und ging unter Deck. Auf der Salonbank schlief ich ein – im Sitzen wie die Friesen, ĂŒber die wir witzelten.

Von den letzten Meilen bis zum Amerikahafen bekam ich kaum noch etwas mit. Alexander berichtete am nĂ€chsten Tag davon, dass ihnen kurz vor der Hafeneinfahrt der Wind völlig abhanden gekommen sei. Der Versuch, unter Segeln hineinzugelangen, musste also aufgegeben und die Maschine fĂŒr die letzten Meter doch noch angeworfen werden. Ihr GerĂ€usch ließ mich aufwachen. An Deck hörte ich die vertrauten Ansagen fĂŒrs Anlegemanöver, dann wurde der Motor ausgeschaltet, und ich verzog mich endgĂŒltig in meine Koje. Bald schlief die gesamte Mannschaft, und die Sonne wĂŒrde schon hoch am Himmel stehen, bevor wir wieder aus den Kojen gekrabbelt kamen.