„Kuchen-Deal“

Hamburg Finkenwerder, Glückstadt, Cuxhaven, Helgoland, September 2019

Inhalt

  • Raus in die Welt: Finkenwerder bis Cuxhaven
  • Das Meer: Cuxhaven bis Helgoland
  • Der Mond und andere Köstlichkeiten: Helgoland bis Rhinplatte

Die Übergabe fand elbaufwärts, kurz hinter Cuxhaven statt. Eine spannende Verfolgungsjagd war dem vorausgegangen, dann einigte man sich via Funk über die Bedingungen. Es muss ein Bild für die Götter gewesen sein, als die „Hamburg Express“ bei uns längsseits ging. Beide Boote fuhren unter Motor, beiderlei Crews hatten sich fest im Blick. Dann flog ein Stück Butter zu uns herüber (die wurde noch dringend fürs Abendessen benötigt). Quasi im selben Augenblick tauchte Christian im Niedergang auf – in der Hand, apart auf einem Teller drapiert, ein Stück selbst gebackener Apfelkuchen nebst von Hand aufgeschlagener Sahne. Das präsentierte Werk wurde hinübergereicht. Nur einen Augenblick später trennten unsere Boote schon wieder einige Meter Elbwasser, und die Regatta nahm ihren Lauf. Drei Boote flogen hier elbaufwärts – neben unserer „Helgoland Express“ und der „Hamburg Express“ befand sich auch die „Elbe Express“ bereits auf dem Rückweg von Helgoland. Im Unterschied zu den beiden größeren Booten fuhr die kleine Varianta schon eine Weile unter Motor. Letzteren brachten wir auf unserem Boot nun endlich wieder zum Schweigen und kreuzten dann mit dem Wind weiter stromaufwärts. In einiger Entfernung beobachtete ich die „Hamburg Express“, wie sie ebenfalls mit geblähten, weißen Segeln über das Wasser schoss. Sie würden wir an diesem Tag nicht mehr einholen, doch war dies ja auch noch lange nicht das Ende der Regatta…

Regatta
Regatta

Am Abend trafen wir uns dann alle wieder, als wir im Licht der untergehenden Sonne Rhinplatte erreichten. Die Dämmerung war kurz, und so lagen bald die Ankerlichter der Boote hinter der Elbinsel wie eine Perlenkette vor uns. Auch wir suchten hier ein geschütztes Plätzchen für die Nacht. Nur gut, dass es so klar war und Sterne und Mond uns sicher den Weg vorbei an einigen auch ohne Beleuchtung vor sich hindümpelnden Kähnen wiesen.

Es war ein langer Tag auf dem Wasser gewesen. Immerhin hatten wir Helgoland schon am Morgen, verlassen. Entsprechend hungrig stürzten wir uns nun auf das warme Abendessen, das wir so vollständig vertilgten, dass ein Abwaschen der Teller danach kaum vonnöten schien. Bei einem Gläschen Rum von der Insel beschlossen wir diesen Tag.

Dinner auf der "Helgoland Express"
Dinner auf der „Helgoland Express“

Doch auch, wenn wir hier hinter Rhinplatte wie in Abrahams Schoss schlummerten, war die Nacht recht bald schon wieder zu Ende. Die Tide war einfach unerbittlich…

Im Logbuch haben wir vermerkt: ‚04.20 Uhr Anker auf.‘ Aufstehen 03.45 Uhr. Haben wir überhaupt geschlafen? Wollten wir wirklich um vier schon wieder los? Es war so ruhig auf dem Schiff, dass wir uns kurzzeitig nicht mehr sicher waren, ob wir uns tatsächlich nur wenige Stunden zuvor auf diese verrückte Zeit zum Aufbruch geeinigt hatten. Doch als ich die Tür zum Salon öffnete, stellte ich gleichermaßen erstaunt und beruhigt fest, dass durchaus auch die anderen gerade dabei waren, sich den Schlaf der letzten Stunden aus den Augen zu reiben und sich für einen letzten Segelschlag zurück nach Finkenwerder bereit machten.

Wir starteten zügig, ohne Frühstück – das sollte es erst in Wedel geben, wenn wir dort auf den zuständigen Tankwart der Marina warten würden. ‚Tanken nicht vor neun Uhr‘, lautete die Ansage, so würden wir dort schließlich eine ganze Stunde Zeit für Brötchen und Kaffee haben. Doch momentan trennten uns noch gute vier Stunden von diesen Wohlgenüssen, und so bereitete ich uns wenigstens eine Kanne schwarzen Tees. Als ich mit dem ersten Becher in der Hand an Deck trat, verschlug es mir glatt die Worte – nicht dass ich sonst besonders gesprächig wäre um die Zeit… Über uns spannte sich ein wunderbarer Sternenhimmel, so klar, dass man die Plejaden und das Schwert des Orions ohne jede Probleme erkennen konnte. Orion – das Wintersternbild des Nordens, es wurde also wirklich schon Herbst. Dies würde unser letzter Segeltörn in diesem Jahr sein – wie schade. Sinnend betrachtete ich das Lichtermeer über mir, dann schüttelte ich die Gedanken ab und blickte wieder in das Hier und Jetzt des dunklen Stromes vor uns. Wo waren wir überhaupt? Ich hatte keine Ahnung – abgesehen von der groben Peilung, dass wir Rhinplatte hinter uns gelassen hatten und uns nun auf dem Weg nach Hamburg befanden. Wo genau wir unterwegs waren, konnte ich dagegen durch das Kreuzen auf dem dunklen Wasser lange nicht genau feststellen. Nur gut, dass Christian die Navigation für uns sicher im Griff hatte. Alexander stand am Ruder. Später würde er mir erzählen, welch eindrückliches Gefühl es war, das Boot im Dunkeln zu steuern. ‚Du kannst den Wind nicht sehen.‘ Der Verklicker lag weit jenseits unseres Blickfeldes in der Schwärze der Nacht. Der elektronische Windanzeiger hatte schon auf dem Hinweg seinen Geist aufgegeben und würde erst zu Hause in Finkenwerder wieder gerichtet werden können. Die Mondsichel spendete ein wenig Licht in die Segel, doch im Wesentlichen war es ein Steuern nach Gefühl – Gespür für den Wind, seine Richtung, seine Stärke, seine kleinen Kapriolen an den Abdeckungen durch Uferböschung und Vorsprünge der Elbinseln.

Wir waren alle hochkonzentriert in diesen nächtlichen Morgenstunden auf dem Wasser. Was war da vor uns unterwegs auf dem schwarzen Strom? Kurz vor Stade erblickten wir einen wahren Weihnachtsbaum: rot-weiß-rot, zwei Mal grün übereinander an Steuerbord und an Backbord, weiß am Heck – ein Bagger hatte seine Signalleuchten gesetzt, dazu seine Positionslichter und einen Teil der Decksbeleuchtung eingeschaltet – in der schwarzen Nacht verfehlte dieses bunte Lichterspiel seine Wirkung nicht.

Rote Tonne
Rote Tonne

Die Dämmerung begann, als wir auf der Höhe von Stade ankamen. Der Himmel wechselte die Farbe von schwarz in erste Blautöne. Die östliche Uferböschung fing an, sich gegen diesen aus der Nacht wachsenden Himmel abzuzeichnen. Dann erschien das erste Rot der aufgehenden Sonne. Es verzauberte den Fluss. Wie alle anderen versuchte auch ich, trotz besseren Wissens, diesen magischen Moment für die Ewigkeit auf Zelluloid zu bannen, wie man früher gesagt hätte. Schrieb sich der Himmel auch im elektronischen Bild nicht ein, malte er sich doch für eine kurze Erdenspanne in unser Gedächtnis. Nirgends ist das Himmelsschauspiel so eindrücklich wie auf dem Wasser, als wüsche es all das Fehl aus dem Horizont unserer Sinne.

Als wir Lühesand querab passierten, war der Himmel und die Welt schon in das feine Gold einer Spätsommersonne getaucht. Es sollte noch einmal ein warmer Sonnentag zum Abschluss unserer Segelsaison werden.

Morgenrot über dem Fluss
Morgenrot über dem Fluss

Nur wenig später machten wir in Wedel fest und stürzten uns regelrecht auf unser wohlverdientes Frühstück, während wir des Tankwartes harrten. Als dieser endlich erschien, hatten wir schon längst wieder klar Schiff gemacht. Da war ja noch diese Sache mit der Regatta… Zu unserer aller Erstaunen hatten wir schon auf dem Weg nach Wedel die „Hamburg Express“ wieder mit uns im Fahrwasser kreuzen gesehen. Nun lag auch sie, auf Treibstoff wartend, in Wedel. Dieses Mal hatten jedoch wir die Nase vorn. Die „Helgoland Express“ lief als erstes in Wedel aus und nach einem gefühlten Katzensprung mit engen Wenden zwischen Mühlenberger Loch und dicken Pötten im Fahrwasser dann auch wieder im Finkenwerder Hafen ein. In nur kurzen Abständen folgten die anderen beiden Eichler-Boote. Auch Roberts kleines Elektroboot, die „E-Express“, übte mit einem SBF-Kurs gerade das An und Ablegen, sodass es einem wahren Familientreffen gleichkam, als wir nun festmachten. Wieder hieß es, Abschied nehmen. Warum nur ist die Zeit auf dem Wasser immer so kurz??

Raus in die Welt: Finkenwerder bis Cuxhaven

Gerade einmal vier Tage zuvor hatten wir uns in Finkenwerder als neue Crew auf der „Helgoland Express“ zusammengefunden – wir, das waren Sylke, Stephan, Ralf, die Brüder Daniel und Jens, Alexander und ich sowie natürlich Christian, unser Skipper. Unser Törn startete mit moderaten drei bis vier Beaufort Windstärken, allerdings auch gleich mit dem Problem, das uns an allen folgenden Segeltagen beschäftigen würde – der Wind kam stetig aus der falschen Richtung, sprich, von dort, wohin wir wollten.

Unser erstes Etappenziel war Glückstadt, welches wir gegen Mittag erreichten. Das Timing sorgte für eine Überraschung der besonderen Art: Mit den letzten Ausläufern des Ebbstroms erreichten wir Rhinplatte. Dass Niedrigwasser war, war nicht mehr zu übersehen. Wenn die Möwen neben Dir im Schlick stehen, kannst Du Dir sicher sein, dass Niedrigwasser ist. Die Fahrrinne wurde hier für uns also nicht nur eng, sondern auch sehr – sehr flach. Christian kündigte es an, und wir waren gespannt – aber wenn der Skipper meint, das passt schon… Dreimal rutschte unser Kiel durch den Schlick. Dreimal hielten wir den Atem an. Deutlich merkten wir die Grundberührung. Alexander und ich erinnerten uns nur zu gut daran, wie wir beim SKS-Ausbildungstörn im letzten Jahr nur wenige Meter von der gegenwärtigen Rutschpartie entfernt auf Grund gelaufen waren. Nur gut, dass es Schlick war. Nur gut, dass wir dieses Mal nicht darin stecken blieben – wir hätten länger auf genügend Wasser unter dem Kiel gewartet.

Im Glückstädter Außenhafen angelangt erwies sich der ausgeguckte, schöne Stegplatz leider als reserviert. Wir gingen dann bei einer Motoryacht ins Päckchen. Ein kleiner Klönschnack zwischen Skippern beruhigte unseren neuen Nachbarn, denn schon in wenigen Stunden sollten wir wieder unterwegs sein, wenn der Strom erneut gekentert sein würde. Bei strahlendem Sonnenschein aßen wir dann im Cockpit das selbst gemachte Risotto zu Mittag. Dieser Törn war definitiv ein Highlight der kulinarischen Art!

Um kurz nach 19 Uhr hieß es dann wieder ‚Leinen los‘. Die folgende Nachtfahrt bis Cuxhaven war in der Tat sehr eindrücklich: all die Sterne am Firmament und vor uns der dunkle Fluss. Kurz vor Cuxhaven huschte dann ein weißer Lichtstrahl über den Himmel am Horizont. Konnte das tatsächlich schon das Leuchtfeuer von Helgoland sein? Ja, ein Blitz alle fünf Sekunden, das war die Kennung des roten Felsens. Christian bestätigte unsere Vermutung, das Leuchtfeuer war zu bestimmten Wetterlagen in der Tat als Widerschein am Himmel so weit zu erblicken. Schon verrückt, wenn man sich überlegte, dass die Insel selbst noch mehr als dreißig Seemeilen entfernt lag und somit, nicht nur von der nächtlichen Finsternis verschluckt, sondern auch ganz regulär noch weit jenseits all dessen lag, was wir mit Hilfe unseres Fernglases hätten erspähen können. Und doch strich hier ihr weißes Feuer sacht über den Himmel und erzählte uns von der fernen, roten Insel dort draußen im nächtlichen Meer. Wie wunderbar musste diese Botschaft für die Seefahrer früherer Zeiten gewesen sein.

Für uns heute hieß der Widerschein am Himmel erst einmal auch, dass unser Tagewerk beinahe vollbracht war. Es war fast Mitternacht, als Cuxhaven nun selbst als gelblich schimmerndes Lichtermeer am jenseitigen Flussufer deutlich sichtbar wurde. Wie gewohnt führte uns unser Weg in den Amerikahafen. Die Einfahrt in selbigen verpasste ich dieses Mal, denn ich saß schlotternd unterdecks. Es war unzweifelbar Herbst geworden und damit auch verdammt kalt auf dem Wasser. Leise zogen wir uns schließlich mit einer geschickt geworfenen Leine an den Steg. Dann hieß es nur noch: ‚Gute Nacht, bis gleich.‘

Das Meer: Cuxhaven bis Helgoland

Morgens um sieben verließen wir Cuxhaven schon wieder. Wäre man nicht so hundemüde, wäre dies eigentlich der schönste Teil der Reise. Am frühen Morgen hinaus aufs Meer zu fahren, in diesen Horizont, der alle morgendlichen Farbschattierungen einmal für uns durchspielte. Eben noch hatten wir an Backbord die Kugelbake gesehen und schon lag das Land weit hinter uns zurück. Eine Weile lang begleiteten uns noch die hohen Baken, die die Zufahrt zur Elbe markieren und uns an die Gewalt des Wasser erinnerten, aber auch sie lässt man bald unweigerlich hinter sich. Dort, wo sich die dicken Pötte langsam am Horizont bewegen, ist dann das Fahrwasser, doch wir hatten es mit unserer „Helgoland Express“ zu diesem Zeitpunkt schon lange verlassen. Nun gab es nur das Meer und den Horizont und das Darauf-Fiebern, irgendwann in diesem Seestück einen roten Felsen auftauchen zu sehen.

Bake
Bake

Der Weg nach Helgoland war eine lange Kreuz gegen den Wind. Mit moderaten drei Beaufort kam er uns aus Westnordwest entgegen, aber wenigstens konnten wir segeln! Auch in kulinarischer Hinsicht ging es mehr als zufriedenstellend weiter: Auf dem langen, ruhigen Schlag wurde nicht nur die Idee zu einem Pflaumenkuchen geboren, sondern auch gleich in die Tat umgesetzt. Ralf staunte nicht schlecht, als Christian nach einem lockeren Austausch entsprechender Scherze mit einem gewissen Schalk in den Augen unter Deck verschwand. ‚Er wird doch nicht etwa wirklich…?‘ Wir anderen nickten und lachten. Ja, er würde wirklich. Und es dauerte tatsächlich nicht lange und unser Boot roch gar köstlich nach frischem Backwerk.

Bis zur Tiefwasserreede lief alles gut, dann wurde es zunehmend unangenehm. Wahrscheinlich auch, weil wir alle ziemlich müde waren. Eine gefühlte Ewigkeit lang lag Helgoland dann schließlich in nahezu konstanter Größe vor uns. Der Wind blies immer noch gegenan, und so fuhren wir nicht bloß scheinbar Schleifen vor unserem ersehnten Ziel, ohne dass wir uns ihm dabei anzunähern schienen. Es war frustrierend. Alle waren müde. Der Tag hatte für uns ja schon um sechs begonnen. Nun war die Mittagszeit lange vorbei, und wir waren noch nicht mal in der Nähe des Hafens. Nicht, dass wir nicht gerne segelten. Nein, wir waren die ganze Zeit so hoch am Wind gefahren wie irgend möglich. Aber momentan hieß ‚Hoch am Wind‘, vor Helgoland Schlangenlinien zu fahren, anstatt den Hafen ansteuern zu können. Zu allem Überfluss zog sich der Himmel immer düsterer mit drohenden Regenwolken zu. Schließlich wurde es uns zu bunt oder zu grau, wie man es nahm, und wir warfen den Motor an. Doch auch dieser schien uns nur wenig bei unserem Bemühen zu helfen. ‚Noch drei Seemeilen‘, verkündete Christian, der seinen Kopf durch den Niedergang hoch streckte. Drei Seemeilen, das war doch nichts. Das sollte doch nicht so lange dauern. Und ich fuhr und fuhr… Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir den Ankerlieger – den Hochseebergungsschlepper „Nordic“, der in kurzer Distanz zur Hafeneinfahrt liegend schon eine Weile lang unsere Orientierungsmarke gebildet hatte. Jetzt mussten wir wirklich bald da sein. Mehr oder weniger im selben Augenblick öffnete dann auch der Himmel – offenbar von derselben Einsicht beseelt, uns jetzt oder gar nicht mehr zu erwischen – seine Schleusen. Es goss in Strömen. Und alles, was ich bis eben noch von der näherkommenden Hafeneinfahrt gesehen hatte, verschwand hinter einem Vorhang aus Wasser. Wieder einmal beglückwünschte ich mich zu meinem Ölzeug.

‚Du müsstest gleich zwei Fahrwassertonnen sehen‘, navigierte Daniel mich durch den Regen. ‚Da zwischen durch und danach müssten wir die Einfahrt sehen.‘ Er stand als einziger neben mir im Regen. Alle anderen hatten sich unter die Sprayhood oder unter Deck verzogen. Kein Wunder bei dem Wetter! Kurze Zeit später passierten wir die gesuchten Tonnen und dann auch endlich die Hafeneinfahrt. An Steuerbord konnte ich die „Hermann Marwede“ sehen. Das größte Schiff der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger lag in jenem Teil des Hafenbeckens, in den wir wollten, und leitete mich nun das letzte Stück, auf welchem der Sturzregen ebenso schnell wieder versiegte, wie er gekommen war.

Im Yachthafen gab es dann ein unverhofftes Wiedersehen mit den beiden anderen Booten unserer Yachtschule. Das Wetter hatte ihnen einen neuen Kurs diktiert, sodass wir uns nun hier alle auf Helgoland gemeinsam wiederfanden.

Der Hafen selbst war immer noch ein Rudiment. Im vergangenen Winter war eine Fähre außer Kontrolle geraten und in die Steganlage der Sportboote getrieben. Nun, im Herbst, war hier immer noch eine Baustelle. Trotz allem war diese „Baustelle“ nun aber mit Booten gut belebt, sodass wir nicht lange überlegen mussten, sondern schnell klar war, dass wir bei der „Hamburg Express“ – unserem Schwesterschiff – ins Päckchen gehen würden. Also alle Fender nach Steuerbord, Leinen klarmachen. Langsam – sie waren noch nicht fertig. Ich drehte ab und noch einmal eine kleine Runde. Wir hatten es ja nicht eilig. Auf dem Steg standen mittlerweile wie die Orgelpfeifen die gesamte Crew der „Hamburg Express“. Nur der Skipper fehlte, was wohl auch der Grund für ihre Unruhe war, sonst wäre ihnen klargewesen, wer wir waren und was wir vorhatten. Beim zweiten Anlauf klappte dann alles, wie gewünscht. Die Leinen waren fest, und ich konnte den Regen von meiner Brille putzen. Endlich da!

Zwischenzeitlich war es schon halbvier vorbei. Am liebsten hätten wir dann alles gleichzeitig gemacht: duschen, einkaufen, essen, schlafen. Letztlich teilten wir es aber auf: erst einkaufen – in der Nachsaison schlossen die Läden früher, und wir würden am folgenden Morgen wieder vor den Öffnungszeiten ablegen. Wie früh sie zumachten, stellten wir zu unserem Leidwesen im Ort fest: Siebzehn Uhr war für beinahe alle Ladenbesitzer das Höchste der Gefühle an diesem Freitagnachmittag. Es blieb uns also eine knappe Stunde, inklusive ins Dorf laufen. Das hatten Sylke und ich uns anders vorgestellt. Nun ja, wir waren ja auch auf einem Segeltörn und nicht auf einer Butterfahrt… Alexander entschied sich danach fürs Schlafen, wir uns fürs Duschen. Als wir durchgewärmt zurück zum Schiff trotteten, kamen uns gleich zwei Crews entgegen. Nanu, wohin des Wegs? Ziel war eines der Forschungsschiffe des Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), das gerade ebenfalls im Hafen lag, die „Solea“. Man kannte sich aus Finkenwerder, und die Crews waren neugierig auf die versprochene Führung. Also kletterten bald gute zwanzig Leute auf das Boot, dessen Besatzung nicht schlecht guckte. Ja, die Einladung war ausgesprochen worden – sicher, aber dass gleich drei Mannschaften sie angenommen hatten, das hatte man dann doch nicht erwartet. Umso sympathischer also, dass man uns trotzdem nicht nur die Brücke zeigte, sondern auch gleich noch einen Rundgang auf dem Hochseekutter ermöglichte. Hier ging es um Fisch und Fischfang, das wurde schnell klar. Welche Sorten waren in der Nordsee unterwegs, zu welchen Zeiten, in welchen Mengen? Welche Fangmethoden waren für welche Zwecke am effektivsten? Was änderte sich am bekannten Bild durch die zunehmende Erwärmung auch unseres heimischen Meeres? Zweifelsohne gab es diese, und sie war dabei, einiges aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wir waren entsprechend nachdenklich, als wir unsere Gastgeber wenig später wieder verließen.

Der Tag endete ebenfalls in Gemeinschaft in der „Bunten Kuh“, der Seglerkneipe am Hafen, in welcher unsere drei Crews das gesamte obere Stockwerk bevölkerten.

Der Mond und andere Köstlichkeiten: Helgoland bis Rhinplatte

Am nächsten Morgen mussten wir schnell noch in den Ort, bevor es wieder losgehen sollte. Wir hatten da noch ein kleines Anliegen, eine kleine Besorgung, ohne die – nein, ohne die ein Aufbruch völlig ausgeschlossen war. Hatten die Hinfahrt uns recht unerwartet einen Pflaumenkuchen beschert, hatten wir für die Rückfahrt – die mit angekündigter Mittagsflaute wieder ein ganzes Stück Strecke unter Motor erwarten ließ – den nächsten kulinarischen Höhepunkt der Reise geplant: einen Apfelkuchen. Für diesen war, so die allgemeine Meinung, aber wiederum von Hand aufgeschlagene Sahne ein Muss. Also führte uns unser Weg in aller Frühe zum lokalen Supermarkt, um zwei Becher selbiger Art zu erbeuten. An diesem Punkt stellte ich fest, dass der Felsen im Meer zwar in mancherlei Hinsicht unverwüstlich sein mochte, aber keineswegs gegen neue Technologien gefeit war. Die Supermarktkasse wurde zwar noch von einer Dame des Ortes bedient – teilweise zumindest. Denn auch wenn sie mir sagte, wie viel Geld ich ihr nun schuldig war, wollte sie es partout nicht in die Hand nehmen, sondern in den zugehörigen Automaten an ihrer Kassenbox eingeworfen wissen, aus dem mir dann auch mein Wechselgeld entgegenrollte. An dieser Stelle zögerte ich, einen Moment überlegend, wem ich denn nun für diese Leistung mein „Dankeschön“ hätte aussprechen sollen. Nun ja, das Wesentliche war erworben, also konnten wir uns wieder auf den Weg machen – immer in der Hoffnung, so wenig Technik – also Motorkraft – wie möglich zum Einsatz bringen zu müssen.

Während unseres Rückwegs übers Meer – an der Tiefwasserreede vorbei und dann durch die Norderelbe – bot uns Christian dann die Möglichkeit, noch eine weitere, im Zeitalter von Elektronik und Automatisierung längst vergessen geglaubte Fertigkeit zu erproben. Er hatten seinen Sextanten mitgebracht und wies uns in dessen Handhabung ein. An diesem Tag stand, für eine Weile deutlich sichtbar auch der Halbmond hoch am Himmel, mit welchem wir das ungewohnte Instrument sicher erproben konnten. Einmal mehr fühlte ich mich wie ein Abenteurer längst vergangener Tage oder wie Pippi Langstrumpf auf dem Weg ins Taka-Tuka-Land. Das war sicher etwas, womit ich mich noch weiter würde beschäftigen wollen.

Den Apfelkuchen speisten wir dann zum Mittag. Er schmeckte wunderbar nach Zimt und frischem Obst. Die Sahne durfte natürlich nicht fehlen. Doch musste ein Stückchen unbedingt aufgespart werden, hatten wir doch noch ein wichtiges Tauschgeschäft zu erledigen…