Glen Sannox führt in die Bergkronen der Insel: Cir Mhor – der große Kamm – im Süden, den wir so malerisch von unserem B&B in Brodick aus der Ferne betrachten konnten. Im Westen Caisteal Abhail zusammen mit der schon erwähnte Wicht‘s Step, die man sich gut überlegen sollte. Und im Osten Cioch na h-Oighe. Hier waren also all die Berge versammelt, die den Pizzen beim ‚Italiener‘ in Brodick ihre Namen geliehen hatten. Ein lustiger Laden mit noch lustigeren ‚italienischen‘ Gerichten. Es ist, die erste Pizzeria, die ich kennen gelernt habe, in der man auf den bekannten Hefeteig Steckrüben und Kartoffeln legte. Sie ist auch einer der Gründe, warum Alexander irgendwann beschloss, Gälisch zu lernen. Man kommt sich schon ziemlich blöd vor, wenn man nicht einmal eine Pizza bestellen kann, weil man die Namen einfach nicht lesen konnte. Und das, obwohl uns alle in herzlicher Absicht versicherten, dass es doch ganz einfach sei, sprächen sich die Wörter doch einfach so, wie man sie schriebe. Doch denkt der Germane halt bei ‚mh‘ – wie in Cir Mhor – eben nicht an ein ‚w‘… Aber das Problem ist wohl in allen Sprachen gleich. Es ist noch nicht lange her, da hörte ich einmal jemanden sagen, die Engländer hätten nicht nur unser Alphabet geklaut, sie würden die Buchstaben zu allem Überfluss auch noch anders aussprechen…

Cir Mhor
Cir Mhor

Nein, dass die Erzählung zu Glen Sannox mit Essen beginnt, ist tatsächlich kein Zufall. Es war diese Wanderung, von der ich heimgekehrt dachte: ‚Käse-Makkaroni ohne Reue!‘ Als Vegetarier ist es nicht immer ganz einfach in Schottland. Etwas mehr Abwechslung wäre manchmal doch nett. Was es aber zielsicher immer unter den drei vegetarischen Pub-Essen gab, waren beinah überall besagte Käse-Makkaroni – eine wahre Kalorienbombe. Als wir an jenem Abend endlich in unserem Lieblingspub in Brodick einkehrten, atmete ich die durchaus beachtliche Portion dieser in Käsesoße mit Käse überbackenen Nudeln geradezu ein. Hunger war gar kein Ausdruck dafür. Danach wollte ich nur noch schlafen. Noch nie waren wir so weit an einem einzigen Tag gelaufen, wie bei unserer Wanderung durch Glen Sannox, und ich gebe zu: Ja, es war wieder einmal meine Schuld.

Noch sehr guter Dinge waren wir am Morgen mit dem Bus aus Brodick aufgebrochen und hatten uns am östlichen Eingang zum Tal absetzen lassen. Hier draußen gab es nichts weiter. Der Plan war, dem Sannox Burn weit in sein Tal hinein zu folgen, dann über den Saddle hinüber ins Glen Rosa zu wechseln und von dort gemütlich zurück nach Brodick zu laufen. Eine gut machbare Strecke mit der für uns üblichen täglichen Kilometerzahl. Das einzige, was wir nicht bedacht hatten, war mein ‚Weiche-Knie-Faktor‘, doch stellte sich dieser unvermeidlich recht unmittelbar ein, als mir – je weiter wir in das Tal hineinliefen – bewusst und vor Augen trat, wie steil der Aufstieg zum Saddle von dieser Seite aus war. In engen Serpentinen schlängelte sich der Pfad schließlich vor meinen Augen seine gut vierhundert Meter in die Höhe. Und das war das.

Sannox Burn
Sannox Burn

Wir kehrten um, liefen das ganze Tal wieder zurück. Und nun? Der nächste und letzte Bus würde erst in einigen Stunden fahren. So lange wollten wir nicht einfach am Straßenrand sitzen. Also beschlossen wir loszulaufen. Das schöne an den Bussen auf Arran ist ja, das man mit ihnen fahren kann wie beim Auto-Trampen. Daumen raus bzw. hinreichend auf sich aufmerksam gemacht, und schon hielt der Bus an und nahm einen mit, wo auch immer man sich gerade zwischen seinen üblichen Haltestellen auch befinden mochte. Undenkbar nach deutschen Maßstäben. Halten jenseits der Haltestellen? Leute mitnehmen, die einem vom Straßenrand aus zuwinken? Von wegen! So hatten auch wir ein wenig Sozialisationszeit gebraucht, um zu verstehen, dass das hier auf der schottischen Insel tatsächlich funktionierte – ebenso übrigens wie die Blechbüchse neben den gestapelten Eierkartons einfach da war, die Münzen der Leute einzusammeln, die sich hier gerne mit frischer Ware vom Hof eindecken wollten.

Als wir aus Glen Sannox zurück an die Straße gelaufen waren, hatten wir diese schöne schottische Sitte schon kennen lernen dürfen und dachten also, wir laufen dann eben einfach mal los. Irgendwann würde uns der Bus schon einholen, dann könnten wir die restliche Strecke ja mitfahren. Immerhin waren es um die zwanzig Kilometer, die nun zurück nach Brodick noch vor uns lagen. Zwanzig hatten wir mit dem Hin und Her im Glen schon abgelaufen. Wir liefen also los auf der Küstenstraße, guter Dinge, dass uns der Bus nach Brodick bald einholen würde…

Unser Weg führte uns vorbei am Cat Stone, einem großen Findling, der dankenswerter Weise auf seinem Weg hinab von den Bergen rechtzeitig vor der Straße haltgemacht zu haben schien. Dann ging es durch das Dörfchen Corrie, wo sich ein lokaler Bildhauer und Witzbold den Spaß gemacht hatte, Touristen mit zwei täuschend echt ausschauenden Robbenfiguren auf der Mole draußen im Hafen zu narren. Die realen Pendants dazu fanden wir nur einige Kilometer weiter südlich. Sie räkelten sich faul in der Sonne auf den Felsen, die hier bei Ebbe weit hinaus ins Meer trockenfallen und einen bizarren Strand gestalteten. Je weiter man sich dem Meer näherte, desto größer wurde die Kraxelei und erforderte vor allem ein gutes, robustes Schuhwerk, weil es nicht nur rutschig, sondern oft auch scharfkantig zur Sache ging. Für unseren Rückweg von Sannox wählten wir daher lieber die einfachere Route über die Küstenstraße.

Steinküste Arran
Steinküste Arran

Allerdings waren wir an diesem Abschnitt der Insel schon zuvor von Brodick aus zu einigen Erkundungstouren aufgebrochen. Kein Wunder, denn die verschiedenfarbigen Felsvorsprünge bieten hier mehr als nur ein reizvolles Fotomotiv. In den Kavernen, in denen das Wasser der Flut gefangen bleibt, trifft man überdies auf allerlei interessante Meeresbewohner: durchsichtige Garnelen fanden wir hier ebenso zuhauf wie eine Mini-Flunder, ganz abgesehen von den vielen Seevögeln und der vagen Hoffnung auf einen Otter, der ebenso wie der Steinadler (Haken), das Rotwild (Haken), das rote Eichhörnchen (Haken) und der Robbe (Haken) zu Arrans „Big Five“ zählt und, ganz britisch, auf der Life List abgehakt gehört wie Berggipfel und alles andere, das sich zählen lässt. Leider kam uns auch der Otter dort bisher noch nicht zu Gesicht. Wir werden wohl noch einmal hinfahren müssen…

Irgendwo zwischen Corrie und Merkland Wood, dem verwunschenen Waldstück, das Brodick Castle umschließt, macht die Küstenstraße eine enge Kurve, wieder etwas, das die Camper in ihren hier eher als I-Mobilen zu verstehenden Gefährten vor eine schier unlösbare Aufgabe stellte, v.a. wenn der Gegenverkehr schon sichtbar war. In eben besagter Kurve hat ein lokaler Kunsthandwerker seine Werkstatt. In seinem Garten stehen die schönsten Schnitzereien, die ich je gesehen habe. Ganzen Baumstämmen hat er (oder sie) zu neuer Gestalt verholfen, indem das Grobe abgeschält wurde und darunter wie von Zauberhand das eine oder andere filigrane Tier entstand.

Brodick Castle
Brodick Castle

Von Brodick Castle aus war es dann im Vergleich nur noch ein Katzensprung. Der erwartete Bus holte uns dann ziemlich genau am Ortsschild ein, aber zu diesem Zeitpunkt hatten wir die vierzig Kilometer des Tagesmarsches auch schon hinter uns gebracht. Wie gesagt, das war der Tag für die ‚Käse-Makkaroni ohne Reue‘.

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