Der letzte Tag begann, wie vorhergesagt, ohne jeden Lufthauch. Die Strecke bis Finkenwerder wĂŒrden wir motoren mĂŒssen. Diese Einsicht hatten wir schon am Abend zuvor gehabt, bedauerlicherweise bestĂ€tigte sie sich nun bei strahlendem Sonnenschein.

Dass es trotzdem eine interessante Fahrt werden sollte, begriff ich, als wir bei Kollmar nicht wie ĂŒblich dem Hauptfahrwasser der Elbe folgten, sondern hinter Pagensand abbogen. Sofort wurde alles viel beschaulicher. Die IndustriegebĂ€ude und Kraftwerke, die am Hauptstrom die Ufer unschön spickten, wurden hier von der dichten Vegetation der Elbinseln verborgen. Wieder erklang der Gesang der verschiedensten Vogelarten. Der Kuckuck war eindeutig, aber aus welchen Kehlchen mochten die anderen KlĂ€nge wohl kommen? Auch diese SĂ€nger blieben im dichten GrĂŒn vor allen Blicken verborgen, schade.

Wir folgten dem Prickenweg in die Haseldorfer Nebenelbe. Unter Deck hatte Alexander fleißig gerechnet. Wir sollten ĂŒber alle flachen Stellen hinwegkommen. Zwanzig Zentimeter wĂŒrden uns an einem Flach vom Schlick noch trennen – aber zwanzig Zentimeter bei absolut ruhigem Wasser waren zwanzig Zentimeter genug. Trotzdem nahm ich Fahrt raus, als ich Robert schließlich am Steuer ablöste und dem gewundenen Prickenweg in die verwunschene Elblandschaft hinein folgte. An Backbord sah man deutlich die Schlickkante des Wattbodens. Wasservögel durchwateten ihn.

Links und rechts norddeutscher Urwald. Kann man glauben, dass dahinter die Containerriesen einfach weiter die alltĂ€gliche Fahrt machten? Hier hinter den Inseln war man wie in einer anderen Welt. Ich folgte den Pricken, die die Steuerbordseite markierten. An Backbord gab es keine. Hieß das, dass man möglichst dicht bei den BirkenstĂ€mmchen bleiben sollte? ‚Man kann ja auch mal vorsichtig ausprobieren, ob es nach Backbord vielleicht etwas tiefer ist‘, schlug Christian vor, wĂ€hrend mein Blick zwischen Echolot und Pricken hin und her wanderte. Um und bei zwei Meter zeigte das Lot, einssechzig war unser Tiefgang. Als das Lot anfing, in den Bereich unterhalb von zwei Metern abzurutschen, beherzigte ich den Rat unseres Skippers. Ein wenig mehr nach Backbord – zehn Zentimeter mehr, nein, nur fĂŒnf, nein, eigentlich zehn weniger. Wieder zurĂŒck. Mist, auch nicht besser. Also doch – und schwups, steckten wir fest. Es war nicht ganz unerwartet gekommen. Wenn man mit Zentimetern kalkuliert, ist das kaum möglich. Aber Ă€rgerlich war es trotzdem. Auch wollte ich ‚den Grund nicht nehmen‘, wie Christians Konquistador-Seemann geschrieben hatte. Dennoch hatte ich unser Boot hier in den Schlick gesetzt. Welche Flagge sollten wir hissen? Unsere Seestern-GedĂ€chtnis-Regatta-Zweiter-Platz-Flagge wehte noch fröhlich unter der Backbord-Saling – zĂ€hlte das auch fĂŒr die Landmasse hier? Durften wir jetzt PĂ€sse fĂŒr ‚Seesternien‘ ausstellen, wie es Greenpeace einst fĂŒr „Waveland“ getan hatte? Den Pass musste ich doch auch irgendwo noch haben. Besaß ich jetzt also gar eine Tripple-StaatsbĂŒrgerschaft?

Regatta-Flagge
Regatta-Flagge

Eroberungen waren, wie man aus der Geschichte weiß, stets schnell gemacht, und meist zogen die Abenteurer bald weiter. Auch wir versuchten unser Möglichstes, von diesem Fleckchen Elbschlick wieder loszukommen. Nach einigem Hin und Her gelang es uns schließlich auch. Schon passierten wir Dwarsloch. Der alte Leuchtturm kam in Sicht. ‚Halt gut Abstand vom linken Ufer. Dort liegen Steine!‘ ermahnte mich Christian. Ich nickte. Allerdings war an Steuerbord die Wasserlage prekĂ€r. Und, was soll ich sagen, schon saßen wir erneut fest. Es ist schon ein selten dĂ€mliches GefĂŒhl, wenn man sich auf seinem eigenen Boot um die eigene Achse dreht und das die einzige Bewegung des Schiffes ist, egal, mit welchem Manöver man es auch versucht. ‚Das Wasser lĂ€uft ja noch auf!‘ Manchmal können auch recht simple Dinge ganz wunderbar sein. Wir kamen wieder frei. Damit war mein Soll dann fĂŒr diesen Tag erledigt. Zweimal Aufsitzen musste reichen, ich gab das Ruder ab und beschrĂ€nkte mich fortan aufs Staunen und Fotografieren.

Leuchtturm Dwarsloch
Leuchtturm Dwarsloch

Auch LĂŒhesand rundeten wir noch. Vor Hanskalbsand kam es dann zu Diskussionen. War da nicht doch der Hauch einer Chance auf ein wenig Wind? Immerhin hatten wir den Gennaker noch griffbereit. Man entschied sich fĂŒr den Versuch. Wir blieben im Hauptstrom. Hinter der Insel wĂ€re es sicher hĂŒbscher gewesen, aber die Abdeckung der Insel bedeutete bei einem Hauch von Wind eben auch totale Flaute. Auf dem Hauptstrom dagegen


Aber der Gennaker spielte nicht mit. Er hing einfach schlaff nach unten. Kein Wind. Kein Segeln. Nun gut, wĂŒrden wir das Knistertuch wenigstens trocken nach Hause fahren.

Rissen, Leuchtfeuer
Rissen, Leuchtfeuer

Denn dort waren wir schon bald wieder angekommen. Zu Hause in Finkenwerder – an diesem mysteriösen Tunnelloch zu einer anderen Welt, in der die Zeit gleichzeitig stillstand und verflog. Sechs Tage waren vergangen. Erlebnisse wie von einer Weltreise fĂŒllten unsere Erinnerung.

Zeit und Freiheit – zwei Begriffe, die ganze Bibliotheken fĂŒllen und hier auf dem Boot zu zwei engen Begleitern wurden, die man – hatte man sie einmal fĂŒr sich erkannt – auf diese Weise nie mehr missen wollte.