Auch Baltrum hatte seine eigene Spatzen-Gang. Auch sie standen auf Eiswaffeln und hatten den lokalen Platz, wo die Strandkörbe der Eisdiele aufgestellt waren, fest in ihrer Kralle. Wie drollig sie waren! Ich konnte nicht aufhören, ihnen Waffelstückchen zuzuwerfen. Wahrscheinlich hatte sie ihre Performance entsprechend lange einstudiert…

Auf der kleinsten der Ostfriesischen Inseln holten wir dann auch den noch ausstehenden Punkt ‚Wattwanderung‘ nach. Und fügte es sich nicht herrlich, dass sie hier stattfand, wo alle, die wollten, im „Verhungernix“ – dem Kiosk am Hafen – endlich die ersehnten Wattschlappen in allen relevanten Größen erbeuten konnten? Ich ging barfuß – die Wanderung sollte ja nur eine knappe Stunde dauern, ausgedehnte Muschelbänke standen nicht zu befürchten. Also auf in den Matsch!

Unser Wattführer war zwar nicht neu auf der Insel, aber dennoch ganz frisch im Geschäft. Den Wattführerschein hatte er, so erfuhren wir, erst seit Kurzem in der Tasche und, im Tausch dafür sozusagen, wie er schmunzelnd berichtete, das Kapitänspatent auf einer der Friesia-Fähren ruheständlerisch abgegeben. Ein echtes Original sozusagen – ganz Kapitän, wie man ihn sich vorstellte, Lachfältchen um die wachen Augen inklusive. Die Führung durch den Hafenschlick war entsprechend von seinem früheren Beruf geprägt. Ja, er erzählte uns auch etwas über Wattwürmer und Strandkrabben, aber wesentlich interessanter waren seine Geschichten über das Seemannsleben: ‚… und dann schmissen die uns grinsend den besoffenen Lotsen an Bord. Da dacht‘ ich, nu‘ geh ich und weck‘ den Alten…‘ Ebenso berichtete er vom Leben auf den Inseln: ‚Und überall stand damals zu Hause so ein riesen Pott Granat auf dem Tisch. Und wenn man da zu Besuch kam, hat man sich mit an den Küchentisch gesetzt und mit gepult.‘ Gemeint war damit das Krabbenpulen, das damals noch Zubrot für die Fischerfrauen gewesen war und heutzutage von flinken Händen in Marokko erledigt wird. Unvergleichlich eingefangen hat diese Irritation auslösende Kombination Dieter Hallervorden im Film „Ostfriesisch für Anfänger“ (2016).

Ja, ans Krabbenpulen konnte ich mich auch sehr gut erinnern. Nicht als Einkommen für die Hausfrau – dafür gab es schließlich „Avon“ – aber zum Futtern von der Hand in den Mund draußen im Garten im Sommer. Es war eine gute Zeit.

Das Krebschen, das wir dann auf dieser Wattwanderung inspizierten, fand übrigens Christian. Ich war ein wenig erstaunt über das winzige Tierchen. Vor meinem inneren Auge fochten immer noch monströse Strandkrabben ihre Kämpfe aus, wie ich sie als Kind in Pfützen bei Ebbe am Strand auf Föhr gesehen hatte. Letztlich waren diese Kerlchen schuld, dass ich mich damals dort für längere Zeit nicht mehr ins Wasser getraut hatte. Und jetzt dieses Miniexemplar oder war ich in der Zwischenzeit bloß gewachsen?

Auch unsere Herzmuschel wollte sich partout nicht wieder in den Sand eingraben. Zugegeben, diese Wattwanderung war nicht die actionreichste ihrer Art, aber es war schön. Schön, in dieser ganz eigenen Welt zu stehen, die man für sechs Stunden präsentiert bekam, nur um sie dann für den Rest des Tages wieder wie eine Wüstenspiegelung zu verlieren. Und Du glaubst, Du hast festen Boden unter den Füßen?

Fest war das Land, wenn auch nicht trittsicher – jedenfalls nicht in den Salzwiesen, wo wir Queller und anderes bewunderten. Nein, ‚glitschig‘ ist definitiv das bessere Wort, und so war es dort auch eher ein ‚Vorwärts-Rutschen‘ als ein ‚Gehen‘. Aber egal, so eilig hatten wir es ja nicht. Sicher, wir wollte noch los an diesem Tag, aber eigentlich…

Eigentlich hatten wir von hier aus noch einmal nach Spiekeroog gewollt. Silke und ich freuten uns gleichermaßen wie die Schneeköniginnen auf ein letztes Saisonabschlusseis in der „Bunten Kuh“, doch leider sollte aus diesem Vorhaben nichts werden.