Dass der Schlag von Cuxhaven nach Spiekeroog anstrengend werden würde, das hatten wir uns schon vorher gedacht. Nicht weil schweres Wetter sein oder es sonst wie kompliziert werden würde, das nicht, das hatten wir uns alles gut überlegt. Wir hatten nordwestlichen Wind mit vier bis fünf Beaufort, also einen guten Anlieger auf die Insel. Ein treffliches Argument, zunächst direkt nach Spiekeroog zu segeln und Helgoland noch ein wenig länger, Helgoland sein zu lassen. Nicht, dass es nicht immer ein Erlebnis wäre, auf dem eigenen Kiel zu dem roten Felsen im Meer zu gelangen. Aber mit Spiekeroog konnte Helgoland nicht mithalten. Diese Entscheidung war also schnell getroffen. Wir würden schauen, ob wir auf dem Rückweg zur Felseninsel im Meer gelangen konnten.
Also weder Wetter noch Kurs waren problematisch, schwierig war an diesem frühen Morgen mal wieder der fehlende Schlaf. Erst gegen Mitternacht waren wir in Cux angekommen und mussten morgens um kurz nach sieben schon wieder los. Zog man davon noch all die Nach- und Vorbereitungszeit ab, dann blieb letztlich nicht viel übrig. Und wenig Schlaf, das hatten wir mittlerweile verinnerlicht, hieß meist ein hohes Risiko für Seekrankheit.
Morgens nach dem Ablegen war noch alles im grünen Bereich und wir guter Dinge. Wir ließen die Stadt achteraus. An Backbord konnte man deutlich Neuwerk ausmachen, dann auch die verschiedenen Sände und dann fing es leider auch schon an, anstrengend zu werden. Ute verschwand unter Deck, um sich schlafen zu legen. Sie kam erst wieder zum Vorschein, als wir auf Spiekeroog festgemacht hatten. Alexander legte sich auch noch etwas aufs Ohr. Ich blieb oben im Cockpit. Frische Luft erschien mir erstrebenswert, allerdings ging es nun mit mir recht rapide bergab. Ich dachte, so müsse sich Narkolepsie anfühlen. Auf einige Minuten Wachsein folgte eine ebensolche Schlafphase, ohne dass ich es willentlich hätte kontrollieren können. Ich hatte den Eindruck, für Momente schlicht das Bewusstsein zu verlieren. Ich kam wieder zu mir, und schon war ich wieder weg. Was für ein seltsamer Zustand! Leider hatten die kurzen Schlafphasen überhaupt keinen erholsamen Effekt. Im Gegenteil, es wurde alles immer noch anstrengender, und dann wurde mir schlecht. Wachte ich auf, drehte sich mein Magen. Ich spukte – vor allem Wasser, das ich zwischendurch trank. Essen war ja nach dem kurzen Frühstück faktisch nicht mehr vorhanden. Was für ein elender Zustand!
Auch die anderen hingen in den Seilen. Nein, Seekrankheit war wirklich nicht erstrebenswert. Besser wurde es erst, als ich am Ruder stand. Man musste dafür nur die Sorge überwinden, dort nicht einsatzfähig zu sein, eben weil man – sprich ich – nicht wach bleiben konnte. Erstaunlicherweise war das dann aber kein Problem mehr. So war bei dieser Überfahrt das Steuern bei allen schwer begehrt – aber nicht nur deshalb, sondern auch weil alle wissen wollten, wie das Boot mit seinem schwarzen Gennaker lief, den wir für den Halbwindkurs gegen Mittag gesetzt hatten. Und ja, es lief super. Man konnte hinter dem schwarzen Tuch zwar wenig sehen, aber dafür hatten wir ja unseren Skipper am Plotter und Radar sowie den Rest der Crew, der fleißig den Horizont in alle Richtungen beobachtete. Bloß nicht an die vermaledeite Seekrankheit denken…

Bald schon konnten wir den Westturm auf Wangerooge ausmachen. Und von dort war es ja nicht mehr weit bis zum Seegat – zur Otzumer Balje. Wir waren gespannt, wie sie sich dieses Mal präsentieren würde. Bisher war noch keine der Durchfahrten durch eines der Seegatten gleich gewesen. Dieses Mal hatten wir Glück und fanden die Otzumer Balje relativ friedlich vor. Henning steuerte uns durch das Gatt.
In der Hafenzufahrt kam uns die „Tuitje“ entgegen, das inseleigene Segelschulschiff. Das schöne Plattbodenschiff war wieder eine Augenweide – hatten wir es zuletzt ja noch mit gebrochenem Bugsprit und vorsichtshalber gelegtem Mast gesehen. Inzwischen war alles längst wieder repariert. Immerhin stand in eineinhalb Tagen schon die nächste Regatta an. Nicht nur wegen dieser, aber auch ihretwegen waren wir ja gekommen – und nicht nur wir. Der kleine Hafen der Insel füllte sich in den nächsten Stunden beachtlich. Mit den Booten kam auch jede Menge junges Party-Volk auf die Insel. Besonders beachtlich fanden wir die Feierwütigkeit auf einem knapp dreißig Fuß großen Boot an unserem Steg. Wie die Ölsardinen saß man dort im Cockpit. Es blieb mir ein Rätsel, wie all die Leute an Bord hatten kommen können. Die Enge hielt sie aber nicht vom Feiern ab. Vielleicht musste man wegen der anstehenden Regatta auch schnell noch die Biervorräte loswerden, wer weiß? Dass sich mehr Leute mit dem Thema befassen würden, war uns spätestens klar, als uns in der Hafeneinfahrt ein Katamaran überholte, bei dem achtern der Kasten Jever demonstrativ festgelascht war.

Auch wir gönnten uns ein Anlegerbier, dann erspähte ich Betrieb beim Hafenmeister und machte mich flux auf den Weg zur Anmeldung, wollte ich doch möglichst schnell die Karten ergattern, die Zugang zu den heißen Duschen gewährten. Dass ich auch eine Liegeplatznummer brauchte, fiel mir allerdings erst auf, als ich schon in der Warteschlange bei der Anmeldung stand. Tatsächlich tat ich dann etwas, was mir auf Segeltörns beinahe nie passierte, ich nutzte mein Handy. Manchmal brachte Technik doch auch echte Pluspunkte. Dass, wer lesen konnte, klar im Vorteil war, wurde mir dann auf dem Rückweg bewusst. Lief ich doch gefühlt ein Dutzend Mal an Hinweisschildern vorbei, die mahnten, dass man für die Anmeldung auch die Liegeplatznummer bräuchte. Hatte ich erwähnt, dass ich nicht viel geschlafen hatte in der vorherigen Nacht…?