Unser Anker fiel schließlich im Dwarsloch. Wer brauchte schon die Karibik, wenn er dieses Fleckchen Erde so unmittelbar vor der HaustĂŒr hatte? Zugegeben, ich hatte bis dato noch nie davon gehört. WĂ€re auch nie auf die Idee gekommen, dass wir mit unserer „Helgoland Express“ in dieses vertrĂ€umte NebenflĂŒsschen wĂŒrden fahren können. 1,70-Tiefgang wollten schließlich auch bei unserem Schiff berĂŒcksichtigt sein. Umso mehr staunte die Crew nun ĂŒber diesen verzauberten Ort, an dem wir – vor den Toren der Stadt – doch so ganz mutterseelenallein waren. Sehr lange trĂ€umten wir so allerdings nicht, denn im Salon wartete das Mittagessen, das jetzt um zehn Uhr abends eher ein Mitternachtssnack geworden war.

Um zwanzig nach zehn am Morgen hatten wir auf Helgoland die Leinen losgeworfen, nun trennte uns nur noch eine Handvoll Seemeilen von unserem Zielhafen am nĂ€chsten Tag. Wie schnell der RĂŒckweg doch wieder vergangen war! Überhaupt – wie schnell all die Stunden der letzten Tage verflogen waren. Die Wehmut hatte mich schon in der Ansteuerung auf Cuxhaven gepackt. Beim allerersten Segeltörn war es jenseits von LĂŒhesand gewesen, dass ich realisiert hatte, dass unser Abenteuer schon wieder hinter uns lag. Dieser Wehmutspunkt hatte sich mittlerweile bis Cuxhaven den Fluss hinunter verschoben. Dort endete die See, und die RĂŒckreise begann unweigerlich. Als ich dieses Mal dort am Ruder stand, erschien es mir beinahe absurd, dass wir nur zwei Stunden zuvor unbedingt und auf der Stelle hatte weg wollen von der uns wild hin- und herschaukelnden, mit Gischt trĂ€nkenden Nordsee. SpĂ€testens als wir Neuwerk steuerbord querab hatten, und vor uns die KĂŒstenlinie die ersten HĂ€user Cuxhavens in den Horizont malte, wollte ich eigentlich nur noch eins: umdrehen. Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, wĂŒrde mir schon Dwarsloch reichen fĂŒr eine neue, kleine Flucht aus dem Alltag und den VerrĂŒcktheiten der Gegenwart. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive, will man definieren, was ‚weg‘ fĂŒr einen bedeutet. Manchmal reicht auch ein winziges NebenflĂŒsschen, das sich mit einsetzender Ebbe immer mehr in ein Schlickloch verwandelte, um in eine romantische SchwĂ€rmerei zu verfallen.

An jenem Abend dort vor Anker stieg ich jedenfalls sehr spĂ€t noch einmal hoch ins Cockpit, um die Sterne zu sehen, die sich hier ĂŒber den Himmel getupft hatten und mit unserem Ankerlicht um die Wette zu leuchten schienen.

Dwarsloch,  Blick zur Elbe
Dwarsloch, Blick zur Elbe

Weit weniger romantisch gestaltete sich dann unser Aufbruch am nĂ€chsten Morgen. Hatten wir uns gerade eben noch einmal gemĂŒtlich in unserer Koje eingekuschelt, schrillte nun vor unserer KajĂŒtentĂŒr plötzlich ein Alarm. Sofort waren wir hellwach. Was war los? Ich öffnete die TĂŒr. Christian stand schon am Navigationstisch und schimpfte mit der Elektronik: ‚Mach‘ doch nicht solchen Krach, die Leute wollen schlafen!‘ Aber es nĂŒtzte nichts, die Nacht war zu Ende, das Wasser zu flach. Noch ehe ich ganz begriffen hatte, was eigentlich geschah, war unser Skipper schon oben an Deck. Versuchte erst, unsere Ankerposition noch etwas zu verĂ€ndern. Aber weil der Anker nicht einsehen wollte, dass man bei solch einem schönen Sonnenaufgang noch faul herumliegen und lieber ĂŒber Wasser selbst nach nach dem Rechten sehen wollte, waren wir nur Minuten spĂ€ter schon wieder in Fahrt. Wenn die Maschine so direkt neben einem arbeitet, kann man sie ja schlecht ignorieren, also waren auch wir wieder raus aus der AchterkajĂŒte und, flux wie der Rest der Crew, in den Klamotten und oben an Deck. Gerade noch erhaschten wir einen Blick auf den alten Leuchtturm, den ich schon öfter als einzigartiges Fotomotiv vom Strom aus festgehalten hatte, und schon waren wir wieder auf der Elbe unterwegs gen Hamburg.

LĂŒhesand zog an uns vorĂŒber, als wir den Fluss hochkreuzten. Das FrĂŒhstĂŒck war auf Wedel verschoben. Dort wĂŒrden wir eh Halt machen mĂŒssen, um zu tanken. Da sollte dann noch genug Zeit sein, wenn wir auf den Tankwart warten wĂŒrden, der nicht vor neun kommen wĂŒrde. Noch etwas schlaftrunken navigierten wir so zwischen der Großschifffahrt einher. Beeindruckend erschien uns das Elbwatt jenseits der Buhnen sĂŒdlich von Wedel. Wie von einem Hochplateau lief hier das Wasser in den Fluss und motivierte uns zu einer raschen Wende.

Hamburg, Blankenese
Hamburg, Blankenese

Wenig spĂ€ter hatten wir dann in Wedel am Steg der Tankstelle festgemacht und holten dort ausgiebig das noch ausstehende FrĂŒhstĂŒck nach. ‚Das sieht ja lecker aus bei euch! Wollt ihr auch tanken oder bloß hier frĂŒhstĂŒcken?‘ die Stimme des Tankwarts holte uns von unserem SonntagsfrĂŒhstĂŒck in den Mittwochmorgen zurĂŒck. NatĂŒrlich wollten wir tanken. Am liebsten hĂ€tte ich ihm auch erzĂ€hlt, dass wir nur eben kurz auf der Durchreise seien. Wir wollte noch los. Bis Helgoland war es schließlich noch ein StĂŒck. Aber das wird wohl bis zum nĂ€chsten Mal warten mĂŒssen


Hamburg, Finkenwerder
Hamburg, Finkenwerder

‚Gib‘ mir doch bitte, was Du da gerade in der Hand hast.‘ Er schaute mich verwirrt an. ‚Was meinst Du? Das hier?‘ Christian hielt das StĂŒckchen der blauen Großschot hoch, das er nach der Reparatur nun in der Hand hielt. Ich nickte. ‚Was willst Du denn damit?‘ GlĂŒcklich steckte ich es in meine Tasche. Wenn man sich erinnern will, macht man doch Knoten…