Das Ganze begann damit, dass wir uns am Vorabend mit der Aufbruchzeit völlig verkalkuliert hatten. Aus dem zunĂ€chst errechneten und geplanten Halbzwölf-Uhr-Mittags wurde unvermutet ein neuberechneter Aufbruch fĂŒr zehn Uhr morgens. Diese neue Zeit warf alle meine PostkartenplĂ€ne ĂŒber den Haufen. Hatte ich doch fest damit gerechnet, an diesem Morgen noch einmal in den Ort gehen und entsprechende GruĂbotschaften versenden zu können. Dummerweise war dieses antiquierte Hobby meinerseits an solche Nicht-TrivialitĂ€ten wie Ladenöffnungszeiten gebunden. Man beschloss, dass ich wohl beim BĂ€cker schon fĂŒndig werden könnte. War das nicht auf Spiekeroog so, dass man dort die Karten fĂŒr die Verwandtschaft bekam?! Ja, war dort so. Aber auf Juist? Denkste! Acht Uhr war das Minimum, um eine der begehrten Schreibunterlagen ergattern zu können. Weg ins Dorf, Weg zurĂŒck, FrĂŒhstĂŒcken, Duschen, klar zum Ablegen â bis zehn Uhr? Ich schrieb meinen Plan ab, zunĂ€chst jedenfalls. Denn um neun steckten wir noch bis zum Rumpf im Schlick. Neben uns im Hafenbecken zeichneten sich die Matschkuhlen ab, in denen offenbar vormals Boote im PĂ€ckchen gelegen hatten. Unsere Rechnung stimmte doch vorne und hinten nicht! Silke fasste es schön zusammen: âTidenrechnung nach dem Wein: okay. Nach dem Rum? No way!â Wir wĂŒrden also noch etwas hier bleiben. Sogar so viel lĂ€nger, dass wir ganz bequem einige EinkĂ€ufe im Ort wĂŒrden erledigen können und dann, wie ursprĂŒnglich geplant, um halbzwölf nach der FĂ€hre auslaufen.
Das Ablegemanöver fuhr ich. Raus aus dem Yachthafen, zusammen mit einem Schwung Motorbooten, die nun ebenfalls hinaus aufs Wasser wollten. In der Durchfahrt zum Hafenbecken war das Ruder schwergĂ€ngig. âVielleicht doch noch etwas zu wenig Wasser?â dachte ich, denn gleich darauf lief das Steuerrad wieder geschmeidig wie eh.
Nun aber fix, der FĂ€hre hinterher. Die wussten ja, wo es hier tief genug war. Und ihr Schraubenstrom wĂŒrde auĂerdem vor uns den Schlick beiseite spĂŒlen. Wir hielten mit. Auf der Autobahn wĂ€ren wir wohl als âDrĂ€nglerâ verschrien gewesen. Unserer âFriesiaâ rĂŒckten wir tatsĂ€chlich ebenfalls etwas zu sehr auf die Pelle, denn diese fuhr in einer Kurve unvermutet rĂŒckwĂ€rts aus dem Fahrwasser hinaus, um uns Platz zu machen. Ăber Funk riefen sie uns, erklĂ€rten das Manöver und wĂŒnschten uns gute Fahrt. Wie gesagt, man sollte wirklich kein schlechtes Wort ĂŒber die Juister FĂ€hrleute verlieren.
Wir folgten in den schon bekannten Schlangenlinien dem Prickenweg. Immerhin hatten wir uns fĂŒr den heutigen Tag gleich vier Wattenhochs vorgenommen, um ganz bis nach Baltrum zu gelangen. Und dann â ging erst einmal gar nichts mehrâŠ
âMehr nach Steuerbord!â rief Christian aufgeregt neben mir. âNach Steuerbord!â âIch kann nicht!â schrie ich zurĂŒck. âWie? Du kannst nicht?â verdattert schaute er mich an. All das dauerte nur Sekunden, kam mir aber wie eine Ewigkeit vor. Ich demonstrierte meine Misere. Mein Steuerrad drehte frei durch. Christian begriff sofort und ĂŒbernahm auf der anderen Seite. GlĂŒck ist, wenn man zwei SteuerrĂ€der mit unabhĂ€ngiger KettenfĂŒhrung hat, lernte ich an diesem Tag. Von meinem Rad war das Steuerseil ĂŒber den Ruderquadranten abgesprungen. Das war wohl auch der Grund fĂŒr die SchwergĂ€ngigkeit des Steuerrads im Hafen gewesen. Auf der Backbordseite war aber alles in Ordnung.
Nach der ersten Schrecksekunde und einem folgenden Zurecht-Manövrieren im engen Wattfahrwasser löste ich unseren Skipper am Ruder der Backbordseite ab. Dann eben von hier aus steuern. Blöd nur, dass die Segel auf dieser Seite standen. Um unter der Genua noch die Pricken sehen zu können, setzte ich mich soweit wie möglich nach auĂen. Den Pricken folgen â keine leichte Aufgabe bei der seltsamen Anordnung. Wie eine Schlange wandten sie sich durch das Watt, sodass ich mehr als einmal schon die ĂŒbernĂ€chste sah und auf sie zuhalten wollte, bevor meine eigentliche Wegmarke vom Rest der Crew oder vom Skipper unten am Plotter lautstark angemahnt wurde. Es ging alles gut. An der Otzumer Balje ĂŒbernahm Alexander das Ruder. Er brachte uns durch das Norderneyer Fahrwasser nach Baltrum.
Mit halbem Wind segelten wir an Norderney vorbei. Bis zur Ansteuerung des Baltrumer Hafens lief alles glatt, dort wurde es dann richtig interessant. Hier kam der Strom plötzlich aus allen Richtungen gleichzeitig. Was fĂŒr ein Kabbelwasser! Kleine, zackige Wellen soweit das Auge reichte. Keine leichte Aufgabe, uns dort hindurchzumanövrieren. Immer wieder versetzte uns der Strom. Kaum zu glauben, dass das dasselbe Wasser war, durch das wir eben noch so gemĂŒtlich gesegelt waren.