Sieben Beaufort, drei Meter Welle. Woran erinnere ich mich, wenn ich zurückdenke an unsere Überfahrt nach Helgoland? Wir mussten früh raus, vor allem weil die „Elbe Express“, die neben uns am Kutter vertäut lag und mehr Tiefgang hatte als wir, los wollte, bevor zu wenig Wasser im Hafen für sie sein würde. Wer uns durch das Seegatt steuerte? Ich erinnere mich nicht daran. Wahrscheinlich bin ich im Cockpit eingenickt.

Ich erinnere mich daran, wie wir an der Tiefwasser-Reede vorbeidüsten. Und ‚düsten‘ war schon das perfekte Wort, denn die Windböen jagten uns trotz des schon längst gerefften Großsegels mit 8,5 Knoten über die Nordsee. Dort stand Alexander am Ruder und kämpfte mit den Wellen.

Irgendwann draußen auf der Nordsee löste ich ihn ab. Von da an war ich mit dem Schiff beschäftigt – es einigermaßen auf Kurs zu halten. Immer wieder riss sie mir mit den Wellen aus, und ich tat mein Bestes, sie zurück auf Kurs zu bringen. Auf unserem Vorwind-Kurs gingen zwei der Jungs – nein, krochen zwei der Jungs aufs Vorschiff, um die Genua auszubaumen. Das sah schon von meiner Position hinter dem Steuerrad mehr als abenteuerlicher aus. ‚Wir bemühen uns, dass es nicht so schaukelt!‘ verkündete Christian neben mir. Erwähnte ich, dass ich mein Bestes tat und es abenteuerlich ausschaute, wie die beiden vorn mit dem Spibaum hantierten, während unsere „Helgoland Express“ Mal um Mal ihren Bug in die Wellen tauchte? Ich war froh, als alle zurück im Cockpit waren. Gott, war ich froh!

‚Kann man nicht dahinten schon Helgoland sehen?‘ meinte Christian irgendwann neben mir. Helgoland? Ich konnte nichts erkennen. ‚Ja, doch der matschige Fleck da vorne‘, er war ganz beseelt von dem Gedanken. Ich konnte immer noch nichts sehen. Von der Gischt hatte ich so viele Flecken auf der Brille, dass ich einen bestimmten darunter nun wirklich nicht ausmachen konnte. Christians ‚matschiger Fleck‘ entpuppte sich nach und nach aber tatsächlich als Inselumriss. Das Steuern erschien mir nun ein wenig leichter, musst ich doch nicht mehr abstrakte Zahlen auf dem Kompass ausbalancieren, sondern ‚nur noch‘ jene Inselsilhouette am Horizont einigermaßen vor unserem Bug halten.

Nachdem der rote Felsen dann schon ein ganzes Stück aus dem aufgewühlten Meer emporgewachsen war, meinte unser Skipper, ich solle erneut auf einen Vorwind-Kurs gehen. Wieder machten sich zwei kraxelnde Gestalten auf den Weg zum Vorschiff, um das Vorsegel für die Schmetterlingsfahrt auszubaumen. Doch noch bevor das im Wellengang komplizierte Manöver abgeschlossen war, schrie Stefan von vorn den Abbruch desselben gegen den Wind an. Der Bügel zur Befestigung des Spifalls am Spibaum war gebrochen. Ich ging zurück auf einen Raumschots-Kurs, und unsere Crew kletterte, an eingepickten Lifebelts übers Deck rutschend, zurück ins Cockpit. Dann eben kein Schmetterling, wir würden auch anders in den Hafen von Helgoland kommen.

Exakt zwei andere Yachten erblickten wir kurz darauf vor uns auf dem Weg zum Helgoländer Vorhafen. Eine davon war unser Schwesterschiff, die „Elbe Express“. Sie krängte in Wind und Wellen. Auch uns würde noch ein guter Ritt bis zum Hafen bevorstehen. Auf dem ansteigenden Festlandsockel der Insel türmten sich die Wellen erfahrungsgemäß noch um einiges mehr. Und heute hatten wir davon eigentlich schon genug gehabt.

Wir folgten den beiden Booten in den Vorhafen der Insel. Dort sollten die Segel geborgen werden, aber unsere Genua zickte. Sie ließ sich nicht sauber aufrollen und bei einem erneuten Versuch dann einfach gar nicht mehr. Zu wenig Leine auf dem Furler, war die Erklärung. Schließlich zogen wir sie runter aufs Vorschiff. Die Jungs versuchten, diese Menge Tuch bei immer noch herrschenden sechs Beaufort zu bändigen, während ich am Ruder Kreise zog und den diversen Booten auswich, die hier ebenfalls unterwegs waren: die Fähre, zwei Arbeitsboote – und, ach ja, erwähnte ich, dass auf Helgoland gerade auch die Nordseewoche stattfand? Das wurde uns umso bewusster, als wir dann schließlich mit zusammengeknoteter und festgezurrter Genua in den eigentlichen Hafen einliefen. So viele Boote! Da mussten wir uns erst einmal einen Überblick verschaffen, also wieder kreisen und dabei dem Motorboot ausweichen, das ein Segelboot ohne eigenen Antrieb an einer Schleppleine durch den Hafen verholte. Gut, dass hier mehr Augen als sonst den nötigen Ausguck versahen.

Logischerweise gingen wir an der „Elbe Express“ wieder längsseits. Doch war das einfacher gesagt, als getan. Auch hier im Hafen blies der Wind immer noch ordentlich und schaukelte die Boote gut durch. Wie viel Wind wir tatsächlich hatten, wurde uns bewusst, als das nächste Regattafeld der Nordseewoche unter orange leuchtenden Trysegeln zur Wettfahrt auslief. Oh, so viel… Mit ihnen leerte sich auch der Helgoländer Hafen nach und nach. Gut, dass wir erst jetzt gekommen waren. Wie viel hier losgewesen war, davon zeugte noch das Partyzelt vorn am Hafen und die Tatsache, dass die Sanitäranlagen außer Gefecht gesetzt waren. Bei den Damen nur zeitweise, weil im Übermut Prosecco-Dosen in die Abflüsse gestopft worden waren. Bei den Jungs dagegen langfristig. Der Münzautomat an den Duschen hatte dort den Zorn von jemandem auf sich gezogen und war derart demoliert worden, dass nur das kalte Wasser zum Duschen übrig blieb. Das hatte man nun davon… Schade für unsere Crew und unverständlich, wenn man bedenkt, dass es hier ja nur um ein Freizeitvergnügen gegangen war. Wie konnte man dabei eine solche Zerstörungswut entwickeln? Uns tat es leid im doppelten Sinne: für das schlechte Licht, das es auf die Segler warf, und für uns, die wir nun mit der kalten Brause vorlieb nehmen mussten. Ausgenommen natürlich wir Mädels, und so zog es mich auch mit Macht zu den heißen Katarakten. War nur noch die ‚galloping gertie‘ zu überwinden, sprich, der im Wellengang beachtlich schlingernde Steg, der von Fern betrachtet eben jener verhängnisvollen Hängebrücke in den USA glich. Da hieß es, Augen zu und durch, oder, besser, Augen riesengroß auf und breitbeinig einher marschiert wie der beste Kraftprotz am Samstagabend

Abends trafen wir uns dann alle wieder in der „Bunten Kuh“ – der Seglerkneipe unten am Hafen – zum Essen. Hier trafen wir nicht nur die Crew unseres Schwesterschiffes wieder, sondern auch auf einen recht schlagfertigen Kellner, der es mit all unseren blöden Sprüchen auf einmal aufnehmen wollte. Nur als unser Exil-Brite ihm erklärte, dass das lokal servierte Weißbier in den Augen eines waschechten Münchners nun wirklich nicht die erste Wahl war, blieb auch unserem feixenden Kellner für einen Moment die Sprache weg.

Den Abend beschlossen wir im gemütlichen Salon unserer „Helgoland Express“ bei einem Dram sechzehnjährigen Lagavulin, den David nun, mit einem Jahr Verspätung sozusagen, hatte erbeuten können. Und ja, es lohnte sich, auf diesen Schluck zu warten. Und ja, er wurde in unsere Bestell-Liste für unseren nächsten Helgoland-Besuch mit aufgenommen.