Später auf dem Boot hielten wir dann Kriegsrat. Eigentlich hatten wir ja nach Amrum gewollt. Eigentlich – das Wetter, allein das Wetter – das sprach nun nicht mehr dafür. Hatten wir tagsüber noch den Hochsommer genossen, stieß er mir nun sauer auf. Er würde bleiben, wir dagegen würden gehen müssen. Kein Wind! Heute würden wir noch segeln können, aber für die Tage danach war vollkommene Flaute angesagt. Die Erkenntnis traf uns bitter. Keiner von uns hatte Lust, lange Strecken unter Maschine zu fahren.
Und so sah es an diesem Abend aus: natürlich konnten wir den kurzen Schlag nach Amrum segeln, würden dann aber von dort die ganze Strecke zurück in die Elbe motoren müssen. Alternativ konnten wir in dieser Nacht segeln. Also nicht nach Amrum fahren, sondern direkt den langen Schlag bis nach Cuxhaven in Angriff nehmen.
Wir saßen im Cockpit und erwogen die Möglichkeiten. Es wurde abgestimmt und ich maulig. Ja natürlich, sah ich das Problem. Und, nein, ich wollte auch nicht die ganze Strecke motoren. Und ja, ich wollte unbedingt nach Amrum, auf das ich mich schon so gefreut hatte. Und nein, es machte einfach keinen Sinn, den Abstecher dorthin noch zu unternehmen. Aber…
Nachdem ich überstimmt worden war, schmollte ich, um dann zu erklären: ‚Das Problem ist doch: zurückfahren ist immer scheiße!‘ Die anderen lachten. Das sahen sie natürlich auch so. Gegen die geplante Nacht auf dem Meer hatte ich überhaupt keine Einwände. Im Gegenteil, es würde unter Garantie spannend und sehr beeindruckend werden. Aber wir würden morgens in Cux ankommen, und im Amerikahafen ankommen hieß nun mal unweigerlich, auf dem Rückweg sein. Und das wollte ich auf keinen Fall. Waren wir denn nicht gerade erst angekommen in dieser neuen Inselwelt? Es gab doch noch so vieles zu entdecken, zu erkunden und im Meer schwimmen war ich auch noch nicht gewesen und… Ab morgen würde Flaute sein – wir rüsteten uns also für den langen Schlag zurück in die Elbe.
Wir legten einen Wachplan fest, denn wir rechneten damit, tatsächlich erst am Morgen in Cuxhaven anzukommen. Der Wind sollte stetig abnehmen über Nacht, und es war ein gutes Stück Weg von Wyk aus. 64 Seemeilen, um genau zu sein, standen am nächsten Tag im Logbuch, aber das wussten wir jetzt natürlich noch nicht. Auch nicht, dass die Nacht tatsächlich kürzer werden sollte, als gedacht, denn der Wind würde uns bis zum Schluss erhalten bleiben.
Unser Wachplan sah stets zwei Leute für je drei Stunden vor. Ich würde als Springer mit zur Verfügung stehen. Das tat ich auch gleich zu Beginn und legte unsere „Helgoland Express“ auf Föhr ab. Die Dimensionen des Schiffes sind Mal um Mal beeindruckend. 43 Fuß sind viel länger als mein übliches Zweirad – vorne richtig rumkommen und hinten nirgends hängen bleiben – es verlief alles gut, und schon waren wir wieder unterwegs. Um halbsechs am Abend und bei guten drei Beaufort aus West machten wir uns auf den Weg.
In der Ferne winkte Amrum. Ich sah den Leuchtturm der Insel und schluckte ein letztes Mal, dann konzentrierte ich mich aufs Steuern. Das erste Stück bedeutete kreuzen im Fahrwasser. Schon waren wir am Prickenweg angelangt, den wir von Hooge aus gekommen waren, dann wurde gewendet. So ging es eine ganze Weile. Wir schoben gut Lage, aber nach der Turnerei auf der X-41 im Sommer kam es mir hier kaum mehr so vor.
Ich genoss den Abend, der in einen wunderbaren Sonnenuntergang überzugehen versprach. Gegen halbneun erschienen Robert und Ben als Wachablösung, ich wurde zum Kreuzfahrer. Mehrfach wurde ich auf die dringliche Notwendigkeit meiner Fotosocke hingewiesen, als der Himmel sich rot verfärbte, und die Sonne sich anschickte, als Feuerball im Meer zu versinken. Christian wies uns auf das Wrack der „Pallas“ hin, das sich nun als Kulisse in unseren Sonnenuntergang schob. Meine Fotosammlung wuchs im Maße, wie die Farben von Himmel und Meer sich wandelten. Dann hatte das Meer die Sonne verschlungen, Dämmerung ging in Dunkelheit über. Ben steuerte, Robert war für die Navigation zuständig. Ich blieb als zusätzlicher Ausguck mit im Cockpit sitzen.
Christian hatte sich in seiner Freiwache schlafen gelegt, nicht ohne uns zuvor einzuschärfen, dass wir alle halbe Stunde den Kurs in die Karte eintragen sollten – was Robert gewissenhaft erledigte. Und dass wir ihn wecken sollten, sobald wir die Norderelbe erreicht haben würden. Denn das war unser Kurs: durch die Norderelbe, ins Lüchterloch, rüber nach Cux in den Amerikahafen.