‚Glaubt mir, nachher schreit ihr nach dem Gennaker‘, wir sahen Christian zweifelnd an. Das Wetter hatte sich nicht wirklich beruhigt. FĂŒr unseren Aufbruch am nĂ€chsten Morgen stand immer noch Starkwind an und – natĂŒrlich – die entsprechende Welle dazu. Immerhin, wir waren jetzt ausgeschlafen. Zwei Stunden, das waren die magischen Worte. Zwei Stunden wĂŒrden wir Achterbahn fahren, dann wĂŒrde die Landabdeckung bei Scharhörn Riff dafĂŒr sorgen, dass sich der Seegang wieder beruhigte. Ich hielt mich daran fest wie im Übrigen auch an meinem Lifebelt, mit dem ich wie jeder andere an diesem Morgen eingepickt im Cockpit saß. So sausten wir also dahin, rauf und wieder runter und, ja, ich kann jetzt bestĂ€tigen, dass man in einem Wellental auf das Blau des Meeres schaut wie auf eine Bergwand mit weißer Spitze.

Silke steuerte uns aus dem HelgolĂ€nder Hafen. Wir waren alle froh, die Fahrwassertonnen bald hinter uns zu haben. Jenseits von ihnen war es nicht mehr ganz so wichtig, in welche Richtung uns Strom und Wellen drehten und schleuderten. Gischt schoss ĂŒber die Bordwand. Der zusammengeklappte Cockpittisch wurde zum Standbrett. Immer wieder klatschte das Wasser gegen das Ölzeug. Es hörte sich an, als stĂ€nde ich in einem Zelt, gegen dessen Außenwand Regen prasselte. Jedenfalls war es irgendwie jenseits von mir, als betrĂ€fe es mich nicht wirklich. Ich blieb ja auch trocken, was wollte man mehr? Weniger gut erging es Silke, die eine Ladung Wasser direkt in den Nacken bekam. Es gibt Dinge, die muss man nicht haben


‚Jetzt hast Du Deinen Rekord von gestern eingestellt‘, verkĂŒndete Christian, als wir an der Tiefwasser-Reede ankamen. Gemeint war Alexander, der mittlerweile das Steuer ĂŒbernommen hatte. Die Genua hatten wir gegen die kleinere Fock getauscht. Das Groß war im dritten Reff. Wir schossen trotzdem mit weit mehr als acht Knoten durch die Wellenberge der Nordsee. Marco schĂ€tzte sie auf vier Meter.

Sehr nah war plötzlich ein zischendes GerĂ€usch an meinem Ohr und noch eines – und, plopp, saß David mit aufgeblasener Rettungsweste neben mir. Das viele ĂŒberkommende Wasser hatte den Mechanismus ausgelöst. ‚So ist das also, wenn die Dinger aufgehen‘, dachte ich. So in live erlebt, hatte ich es bisher noch nicht. Jedenfalls mussten wir David jetzt erst einmal aus dem gelben Plastikkissen befreien – sprich, ihm eine neue Rettungsweste von unten holen. Die aufgeblasene Weste wurde im Salon zwischengelagert, bis ruhigere Zeiten anbrechen wĂŒrden. Sie sorgte spĂ€ter noch fĂŒr einige Erheiterung, als einer nach dem anderen hineinschlĂŒpfte, um auch mal zu wissen, wie das so ist. Christian erbot sich als Portraitfotograf.

Elbe vor Pagensand
Elbe vor Pagensand

TatsĂ€chlich ließen die ‚ruhigen Zeiten‘ auch gar nicht allzu lange auf sich warten. Am Ende der Reede in der Ansteuerung der ersten Fahrwassertonnen des Elbefahrwassers hörte unsere Achterbahnfahrt beinahe schlagartig auf. Als hĂ€tte jemand im Schwimmbad die Wellenmaschine abgestellt. Seltsam, dass es das hier draußen auf dem Meer so gab. Der Wind war noch derselbe. Wir fuhren immer noch im dritten Reff. Wir machten auch immer noch mehr als sieben Knoten Fahrt, aber das Wasser war glatt und das Leben wieder schön. Christian hatte recht behalten mit seiner Zwei-Stunden-Weissagung. Leider sollte sich spĂ€ter am Tag auch der Ruf nach dem Gennaker bewahrheiten.

Elbe bei Pagensand
Elbe bei Pagensand

Auf der Höhe von BrunsbĂŒttel schĂŒttelten wir schließlich auch das letzte Reff aus dem Großsegel. Hatten wir uns kurz zuvor noch ĂŒber die kleine Fock gefreut, vermissten wir jetzt tatsĂ€chlich die Genua schmerzlich. Aber immerhin, der immerhin, der Wind schlief nicht ganz ein oder doch? Als wir bei Pagensand das Hauptfahrwasser der Elbe verließen, spielten wir schon mit dem Gedanken, die Maschine anzuwerfen.

Dwarsloch
Dwarsloch

Aber ein leises LĂŒftchen pustete uns artig weiter, und so glitten wir in aller Betrachtungsruhe, die man sich erhoffen konnte, in die verwunschene Flusslandschaft der Haseldorfer Nebenelbe. Wieder galt es, Pricken und BĂ€ume sorgfĂ€ltig voneinander zu trennen. Auch hier drohte es flach zu werden, wie Christian uns nach einem Segeltag weiterhin zur Aufmerksamkeit ermahnte. So glitten wir an SchilfgĂŒrteln nebst kleinen, bewaldeten Inselchen einher, die die versinkende Sonne in ein Farbenspiel aus Blau- und Rottönen tauchte.

Dwarsloch
Dwarsloch

Dazu erhob sich ein Vogelkonzert ganz eigener Art – außer dem unfehlbar zu identifizierenden Kuckuck hatte ich die allermeisten SĂ€nger noch nie gehört. Zu gerne hĂ€tte ich auch den einen oder anderen Blick auf sie erhascht, aber sie wussten sich gut in diesem StĂŒckchen Fllussidyll zu verbergen.