Zur Mittagszeit waren wir auf der Insel angekommen, hatten also noch jede Menge Zeit, das Eiland zu erkunden. Hier gab es ebenfalls eine Inselbahn in den Ort, der, vom Hafen aus gesehen, am anderen Ende der Insel lag. Auch dieses BĂ€hnchen war auf den lokalen FĂ€hrbetrieb getaktet. Mussten wir nur schnell noch beim Hafenmeister unsere Ankunft vermelden. Kein Problem, das lag ja auf dem Weg. Doch lief die Sache mit der Zeit hier etwas anders, wie wir bald herausfanden.
Nicht umsonst mochten die Wangerooger an ihrem auf Stelzen thronenden FĂ€hrterminal weithin sichtbar den Spruch angebracht haben: âGott schuf die Zeit. Von Eile war keine Rede.â Eilig war hier nichts, und das groĂstĂ€dtische Mal-eben-schnell spielte keine Rolle. Der Hafenmeister blieb verschollen. Statt seiner nahmen drei Herren mit Pfeife auf der Bank vor seinem BĂŒro Platz. Sie kamen offenbar wegen des Hafenkinos ganz eigener Art. Klar, die FĂ€hre wĂŒrde gleich anlegen und Massen von Touristen auf die Insel spucken. Da wĂŒrde es dann endlich mal was zu gucken geben. Ich musste an eine Begebenheit aus Studienzeiten zurĂŒckdenken, als ich dieses grandiose MissverstĂ€ndnis zwischen Stadt- und Landbevölkerung das erste Mal live und in Farbe sozusagen erlebt hatte. Mein Dozent erzĂ€hlte damals davon, dass er sich ein Haus im Wendland gebaut habe. Direkt an der Elbe. âMit groĂer Fensterfront zum Flussâ, wie er stolz erklĂ€rte, aber keinen zur StraĂe. Allerdings wunderte er sich seit geraumer Zeit darĂŒber, dass immer wieder Leute aus dem Dorf den Weg in seinen Garten fanden, um sein Haus auch von der anderen Seite zu begucken. âAber das ist doch ganz klarâ, lachte ich. âAuf dem Dorf passiert doch nichts. Und wenn, dann doch auf der StraĂe. Da braucht man doch Fenster zur StraĂe! Wen interessiert schon der Fluss??â Die Leute konnten einfach nicht verstehen, dass man ein Haus mit fensterloser StraĂenfassade baute. Und aus genau dem gleichen Grund saĂen nun die drei Alten da oben, jede Wette.
Die Fahrt mit der Bimmelbahn dauerte wieder nur wenige Minuten. Vom Bahnhof in den Ortskern zu finden, war ebenfalls nicht schwer. Wir folgten einfach dem Touristenschwarm. So gelangten wir zunÀchst zum alten Leuchtturm, in dem nun das Wangerooger Standesamt untergebracht war und um den herum man allerlei AntiquitÀten der Seefahrt zusammengetragen hatte. Wie schon auf Langeoog gab es auch hier ein altes Rettungsboot der Gesellschaft zu bestaunen und eine recht martialisch daherkommende Spitztonne au dem spÀten 19. Jahrhundert.
Die einmal eingeschlagene StraĂe fĂŒhrte uns dann unweigerlich weiter in den Ortskern direkt auf das CafĂ© âPuddingâ zu, das auf der Strandpromenade thronte. An einem Haus eine StraĂenkreuzung weiter vorn, fanden wir die zweite Weisheit der Insel angebracht: âGottes sind wellen und Wind. Segel aber und Steuer, dass Ihr den Hafen gewinnt, sind Euer.â Alexander und ich waren nicht wenig erstaunt darĂŒber, gerade diesen Spruch hier zu lesen, hatten wir diesen in leicht abgewandelter Form nur wenige Wochen zuvor in einem der ersten Reiseberichte von Heide Wilts gelesen. Ob sie es auch von dieser Insel mitgebracht hatten? Die Welt war doch kleinâŠ
An diesem Tag war der Blick aufs Meer trĂŒbe. Nach all der Sonne der letzten Zeit herrschten wieder die norddeutschen Trockenwolken vor. So belieĂen wir es bei einem Spaziergang ĂŒber die Strandpromenade, schlieĂlich hatten wir ja noch eine Wanderung zurĂŒck zum Hafen vor uns. Diese begann dann bezeichnenderweise und, wie konnte es auch anders sein, an der âStraĂe zum Westenâ und fĂŒhrte uns hinein in die Wangerooger DĂŒnenlandschaft, in der die drei TĂŒrme der Insel â Westturm, alter und neuer Leuchtturm â sichere Orientierungspunkte boten.
Auf dem RĂŒckweg löste sich unsere kleine Gruppe in ihre Bestandteile auf. David hatte sich fĂŒr den Abend als Koch erboten und sich ein nicht unaufwendiges MenĂŒ ĂŒberlegt. Ihn zog es mit Macht zurĂŒck aufs Boot, um mit den Vorbereitungen beginnen zu können. Silke wollte helfen, Eva ebenso.
Alexander und ich trödelten hinterher, machten noch einen Abstecher nach Hier und Da. Entdeckten einen mit Seerosen bewachsenen Weiher, eine AussichtsdĂŒne, Heidewege und fanden uns schlieĂlich wie alle auf dem obligatorischen Deichpfad zurĂŒck zum Hafen wieder. Linkerhand zogen sich Salzwiesen, in denen Zugvögel aller Art unterwegs waren. Rechterhand wechselten Weiden und DĂŒnenlandschaft einander ab.
Am Westturm angelangt, auf den der Deichweg zufĂŒhrte, erklĂ€rte sich ganz zwanglos, wohin die Schulklassen verschwunden waren, die mittags mit der FĂ€hre auf der Insel angekommen waren. Die Anlage erwies sich als Jugendherberge, in der es â wie sollte es anders sein â hochherging. Gut, dass es bis zum Hafen noch ein StĂŒck des Weges war. Dort gab es dann wieder nur Wind und Wellen, natĂŒrlich keine Eile, dafĂŒr aber ein wunderbares Abendessen im Cockpit.
âKlingt aufwendigâ, war Christians Kommentar zu Davids MenĂŒvorschlag. Das lag aber vor allem an der Rolle, die unser Backofen bei dessen Zubereitung spielen sollte. Es sollte ĂŒberbackene rote Beete geben. âUnd dann können wir BrötchenkrĂŒmel in die SoĂe geben, damit es schön knusprig wirdâ, schwĂ€rmte David der hungrigen Mannschaft vor. Christian runzelte die Brauen. âSchön knusprig? Kannst Du vergessen!â Unser Ofen hatte nur Unterhitze. Man konnte ihn benutzen, sogar darin backen â wie wir des Ăfteren schon hatten feststellen dĂŒrfen â aber es brauchte Zeit, Geduld und etwas Phantasie, um die unterschiedliche Hitzeverteilung bestmöglich zu nutzen. Aber hieĂ es hier nicht sowieso: â…von Eile war keine Redeâ? Jedenfalls fanden wir Davids MenĂŒ dann alle sehr gelungen, auch wenn sich das Knusprigen auf die begleitenden Bratkartoffeln beschrĂ€nkte. Ja, wir speisten wirklich nicht schlecht auf diesem Törn.
Allerdings hatte Davids Herrschaft ĂŒber die KombĂŒse noch ein Nachspiel â ein sehr leckeres, wie ich fand â am nĂ€chsten Tag. Zu viel Sahne war heimlich in den Auflauf gewandert, sodass Christian zum Apfelkuchen am Folgetag mit entschuldigender Miene gesĂŒĂten Joghurt reichte.