Gegen SpĂ€tnachmittag ließen wir den Leuchtturm „Alte Liebe“ an Backbord querab. Das Meer hatte uns wieder. Als die letzte Bake das Ende der ElbmĂŒndung ankĂŒndigte, stand ich wieder am Steuer. Wir waren dieses Mal mit der „Elbe Express“, einer Varianta 37 unterwegs. Sie lief leicht und geschmeidig, wie wir alle fanden. Ein wenig skeptisch war ich ja schon gewesen, ob sie uns gut nach Helgoland bringen könnte. Immerhin wog sich nur knapp die HĂ€lfte der Gib Seas, mit denen wir hier sonst immer unterwegs waren. Andererseits war sie das paradigmatische Beispiel eines Charterschiffs, also viel nĂ€her an der Sorte Boot, mit denen wir vielleicht bald alleine unterwegs sein wĂŒrden. Ein neues Experiment also…

Leuchtfeuer "Alte Liebe", Cuxhaven
Leuchtfeuer „Alte Liebe“, Cuxhaven

‚290 Grad liegen an‘, wiederholte ich den Kurs, der unten am Kartentisch in Rekapitulation alten Navigationswissens bestimmt worden war. Also ĂŒberwiegend zumindest lag dieser Kurs an – vor und nach den Wellen eben, die nun immer hĂ€ufiger unter der „Elbe Express“ durchliefen. ‚Noch ein StĂŒck und Du solltest das Leuchtfeuer von Helgoland sehen können‘, verkĂŒndete Christian wenig spĂ€ter. Und tatsĂ€chlich – ‚Zack‘ – da war der weiße Blitz am Horizont. Erst verschwand er immer noch mal wieder hinter der Kimm, und die gezĂ€hlte Kennung narrte uns ĂŒber seine wahre IdentitĂ€t. War es doch nur eine Kardinaltonne? Aber hier draußen? Um was zu markieren? Und ‚Zack‘. Nach und nach erschien uns das Feuer regelmĂ€ĂŸiger, und schließlich bestand kein Zweifel mehr. Vor uns lag Helgoland, wir wĂŒrden den roten Felsen im Meer tatsĂ€chlich in einem Rutsch an einem einzigen Tag unter Segeln erreichen.

Und noch eine Überraschung erwartete uns: Die „Hamburg Express“, das zweite Schwesterschiff zu unserer Varianta, war ebenfalls aus dem Weg zur Insel. ‚Sie sind zehn Seemeilen vor uns‘, berichtete Christian vom Plotter in der Navi-Ecke aus, wo er das AIS-Signal des anderen Bootes entdeckt hatte. Die „Hamburg Express“ hĂ€tte eigentlich auf dem Weg nach Amrum sein sollen. Ihr Skipper, Jörg Sander, fuhr einmal wieder den Törn, den wir zwei Wochen zuvor mit ihm gesegelt waren. Doch dieses Mal gab es statt Sonnenschein eine Starkwindwarnung vom DWD fĂŒr die deutsche Bucht, da hatte sich auch Jörgs Crew nur fĂŒr einen kleinen Abstecher nach Helgoland entschieden. Auf jeden Fall wĂŒrden wir in den kommenden Tagen noch das eine oder andere Mal sehr froh ĂŒber ihre Entscheidung sein, standen uns so doch stets ein paar krĂ€ftig zupackende HĂ€nde an den Stegen mit zur VerfĂŒgung, die wir anlaufen und an denen wir bei stetig zunehmenden Winden festmachen wĂŒrden.

Inzwischen war es Nacht geworden auf der Nordsee. Der Mond ging rot ĂŒber dem Meer auf, bevor sich Schleierwolken ĂŒber sein Angesicht zogen. Und der Wind nahm weiter zu. Die sachten Schaukelwellen vom Nachmittag hatten sich mittlerweile zu erwachsenen Kameraden mit Bergen und TĂ€lern gemausert. Ihr KĂ€mme schĂ€umten weiß, wurden von unseren Positionslichtern abwechselnd rot und grĂŒn beleuchtet, wĂ€hrend sie unter dem Boot durchliefen. Ich fand dieses Schauspiel beachtlich. Wohl wissend, dass das hier eigentlich nicht der Rede wert war und doch


Hatte gerade erst von Gudrun Calligaro „Ein Traum wird wahr“ gelesen. Eindringlich schildert die Einhandseglerin darin die Seen der sĂŒdlichen Breiten. Konnte man sich wirklich daran gewöhnen? Diese Frage erschien mir umso deutlicher vor Augen, als wir schließlich den Festlandsockel der roten Felseninsel erreichten. Um viertel nach neun Uhr abends lag die Tonne „DĂŒne-S“ an Backbord querab. Der Meeresboden stieg und mit ihm die Wellenhöhe. Die See wurde deutlich ruppiger. Alexander tat sein Bestes, am Ruder die Wellen auszusteuern, wĂ€hrend Sylke und ich fasziniert in die schwarzen Wassermassen starrten. Na, das konnte ja noch heiter werden


Und heiter wurde es, jedoch an einem Punkt, an dem wir schon lĂ€ngst nicht mehr damit gerechnet hatten, nĂ€mlich als wir in den Vorhafen der Insel eingelaufen waren, dessen Ă€ußere Beleuchtung die ganze Anlage wie ein Ufo in der Nacht treibend erscheinen ließ. Der Plan war, im Vorhafen das Segel zu bergen. Der Motor lief schon mit. Eigentlich mussten wir jetzt nur noch schnell das Tuch runterholen und dann einen Platz zum Festmachen finden. Eigentlich
 35 Knoten Wind standen nun plötzlich auf der Anzeige – acht Beaufort. Sicher eine Böe, trotzdem hatte niemand von uns damit hier im Hafen gerechnet. Wir waren heilfroh, als wir das Segel endlich unten hatten, aber auch das Festmachen sollte keine leichte Sache werden.

Im SĂŒdhafen hatten wir die „Hamburg Express“ schnell ausgemacht. Leinen und Fender an Backbord. Mit acht Beaufort blies uns der Wind hier nun auf die Nase. Das Anlegen hatten wir uns alle ruhiger vorgestellt. Wir mussten noch eine zweite Runde durchs Hafenbecken drehen, bevor alles und alle soweit waren. Helfende HĂ€nde auf dem Schwesterschiff nahmen uns auf ins PĂ€ckchen. Wir waren alle froh, als die Leinen endlich fest waren, und der Motor ausgeschaltet werden konnte. Nun heulte nur noch der Wind und veranstaltete sein nĂ€chtliches Spektakel. Waren wir wirklich durch dieses Wetter bis hierher gekommen? Auf unserem Vorwindkurs hatten wir gar nicht gemerkt, wie der Wind Stunde um Stunde an Kraft zugelegt hatte.

Jörg berichtete, dass sie nur eine Stunde zuvor noch ein ganz anderer Windzirkus im Hafen in Empfang genommen hatte. Anteilnehmend an der allgemeinen Erleichterung des endlich Angekommenseins meinte er dann zur Beschließung des abendlichen Empfangskomitees: ‚Es gibt nur einen Wermutstropfen. Er hier will morgen frĂŒh um fĂŒnf schon wieder los.‘ „Er hier“ bezog sich dabei auf das erste Boot in unserem dreier PĂ€ckchen, das direkt am Steg festgemacht hatte. Um fĂŒnf? Das machte nun in der Tat einen fetten Strich durch unsere Rechnung, am nĂ€chsten Morgen zumindest noch fĂŒr eine winzige Shopping-Stippvisite an Land zu gehen. Um fĂŒnf? Oh, wenn es denn sein muss. Den Abend ließen wir entsprechend schnell ausklingen. Wir hatten da ja noch so einen Termin