SP 2018 – Tag 4: Spiekeroog: 61. Seestern-GedĂ€chtnis-Regatta

Der Tag der Regatta begann mit spiegelnden GoldflĂŒssen, welche die Morgensonne, vom Meerwasser reflektiert, durch die Achterluke in unsere KajĂŒte sandte. Ich blinzelte ein-, zweimal in diesen vielversprechenden Morgen und schlief dann noch herrliche drei Stunden weiter. Das FrĂŒhstĂŒck nahmen wir dann bei eben dieser FrĂŒhsommersonne im Cockpit zu uns wie fast alle anderen Crews im Hafen auch. LĂ€rm kam allein von den SchwĂ€rmen von Austernfischern und anderen Limikolen, die sich mit schrillen Rufen ĂŒber die QualitĂ€t der frĂŒhen WattwĂŒrmer zu streiten schienen, nach denen sie eifrig stocherten.

Der offizielle Teil der Regatta begann dann zur Mittagszeit mit der Steuermann-Besprechung am Spiekerooger Segelclub. Dutzende von Crews hatten sich hier eingefunden, um Strecken- und StartmodalitĂ€ten in Erfahrung zu bringen. Wir zĂ€hlten zur vierten von insgesamt fĂŒnf Startgruppen. Ein blaues Band am Achterstag wĂŒrde unsere Gruppe kenntlich machen. Rund 75 Boote wĂŒrden an diesem Tag an der 61. Seestern-GedĂ€chtnis-Regatta teilnehmen. SorgfĂ€ltig prĂ€gten wir uns die Regattastrecke ein und zĂ€hlten uns wechselseitig immer wieder die Namen der Konkurrenz aus unserer Klasse auf. Jeder von uns konnte spĂ€ter ganz genau sagen, welche Boote es galt, achteraus zu lassen. Mittlerweile hatte auch mich das Wettkampffieber gepackt, auch wenn ich sonst wenig von solchen Sportereignissen halte. In dieser Hinsicht, ich gebe es zu, nagt immer noch das Trauma des Schulsports an mir. Wenn man zu denjenigen gehört hatte, die der Lehrer beim WĂ€hlen der Mannschaften schlussendlich zuteilen musste, ist die spĂ€tere Begeisterung fĂŒr WettkĂ€mpfe welcher Art auch immer sehr, sehr ĂŒbersichtlich.

Regatta-Kurs 2018
Regatta-Kurs 2018

Unser Startfenster war 13.50 Uhr. Christian bestimmte einen Zeitbeauftragten, und die Stoppuhr wurde gespitzt. Schließlich liefen wir zusammen mit all den anderen Booten aus. Das Fahrwasser vor Spiekeroog fĂŒllte sich mit mehr und mehr bunten Segeln. Eine Weile lang galt es fĂŒr uns noch hin und her zu kreuzen, die Uhr fest im Blick, dann kam unser Startsignal. Als der Blitzknall sein Rauchwölkchen an den Himmel zeichnete, waren wir mehr als bereit, und ein Pulk von Booten schoss zeitgleich zur Startlinie – und eines von Steuerbord her quer in die gesamte Gruppe hinein. Ein großer Tumult brach aus ob dieser rowdiehaften Wildsegelei. GebrĂŒll, hektische Wenden, noch mehr GebrĂŒll. Ich verlor den Überblick in all dem Chaos. Jemand hĂ€tte das Startschiff gerammt, hieß es. Ich verdrehte mir den Hals danach, konnte aber nichts erkennen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass wir mittlerweile und trotz allem lĂ€ngst auf der Wettkampfstrecke unterwegs waren. Christian, wie immer einen kĂŒhlen Kopf bewahrend, hatte uns sicher ins Rennen geschickt, und unsere erste Regatta konnte beginnen.

‚Meine erste Regatta‘, beim Abendessen in Aachen, als ich mir die Sache das erste Mal richtig durch den Kopf gehen ließ, klang das noch verdĂ€chtig nach, ‚mein kleines Pony‘. Sicher, bereits zu diesem frĂŒhen Zeitpunkt war mir klar, dass das sicher alles andere als ein rosaroter KleinmĂ€dchentraum werden wĂŒrde. Und ein wenig hatte ich unseren Skipper schon im Vorwege bedauert, war ich mir doch sicher, dass eine gute Platzierung, auf die er bestimmt spekulierte, mit uns als Mannschaft – nun, sagen wir es nett – herausfordernd werden wĂŒrde. Und nun waren wir schon mittendrin.

Am Vormittag hatten die Nachbarcrews alles Mögliche von ihren Booten auf den Steg geschafft, um das Gewicht ihrer Schiffe fĂŒr die Regatta zu optimieren. Diverse BierkĂ€sten und Spirituosenflaschen vom Vorabend tauchten dort auf, und wir witzelten spĂ€ter darĂŒber, ob wir nicht doch besser noch den Anker von unserem segelnden Wohnwagen abmontieren und zu PĂŒtt un Pann auf den Steg legen sollten. Doch war unsere „Helgoland Express“ gar nicht auf solcherlei Spielereien angewiesen. ZuverlĂ€ssig und gewandt segelte sie nun mit uns von Wendeboje zu Wendeboje, sich gut im Feld der Kontrahenten machend.

Spiekeroog, Regatta 2018
Spiekeroog, Regatta 2018

Die Crew hielt derweil die Augen offen nach der „Grauen Maus“ und dem „Buttpedder“ – der Konkurrenz aus unserer Klasse. Beide erspĂ€hten wir schon nach der ersten Wende weit abgeschlagen achteraus. Juhu, wir lagen vorn! Meine Aufmerksamkeit wurde zunehmend vom bunten Treiben um uns herum in Beschlag genommen. Immer wieder schossen kleinere Boote quer, und Christian nutzte gleich zweimal den Luxus einer Fahrtenyacht – das Schiffshorn – um die Crews entsprechend wildsegelnder Boote an ihre Ausweichpflicht zu erinnern. Die einen merkten es schnell, als sie aufgeschreckt unter ihrem Segel hervorlugten. Die anderen gar nicht. ‚Sind halt keine großen Guckis‘, kommentierte unser Skipper die Lage nach erfolgreichem Ausweichmanöver unsererseits.

Insgesamt war ich als völliger Regattaneuling sehr erstaunt, dass uns auf einigen Teilstrecken so viel Zeit blieb, das Geschehen rund ums eigene Boot so genau zu studieren und die Fahrt in der Sonne auch entspannt zu genießen. Ich hatte mir das Ganze wesentlich hektischer vorgestellt. Dass es das durchaus auch sein konnte, erfuhren wir spĂ€ter, als unser Bootsnachbar am Steg stolz verkĂŒndete, er hĂ€tte nur sechsmal das Segel wechseln mĂŒssen auf dieser Strecke. Wir dagegen schafften es ohne Wechsel des Segelkleids und vorheriger ZwangsdiĂ€t des Schiffsbauches und freuten uns ĂŒber herrlichstes Segelwetter. Sonne satt. Der Fahrtwind kĂŒhlte auf den Am-Wind-Strecken, raumschots baumten wir die Fock aus, und ich schaute mich an den bunten Spis und Gennakern um uns herum satt. Besonders hĂŒbsch anzuschauen waren auch die Teilnehmer des letzten Startfensters – einige Plattbodenschiffe mit den typisch roten Segeln ĂŒber VollholzrĂŒmpfen. Wieder einmal bedauerte ich zutiefst, dass ich von Papas Tischlerfertigkeiten aber auch so gar nichts geerbte hatte, sonst stĂŒnde die Entscheidung fĂŒr das Traumboot lĂ€ngst fest.

Spiekeroog, Regatta 2018
Spiekeroog, Regatta 2018

Der schönste Zuschauer der Seestern-GedĂ€chtnis-Regatta auf Spiekeroog: ein Seehund, der sein Köpfchen neugierig aus dem Wasser reckte und das lustige Treiben der schnellen Boote mit den bunten Segeln zu begutachten schien. HĂ€tte er gekonnt, ich bin mir sicher, er hĂ€tte sicher sein Köpfchen darĂŒber geschĂŒttelt. Wozu die Eile? Es ist doch Wasser genug fĂŒr alle da


Zwei Runden waren zu absolvieren: von der Startlinie aus nach SĂŒden gen Neuharlingersiel, eine Wende zurĂŒck nach Norden gen Spiekeroog, eine Wende und westwĂ€rts gen Langeoog und zurĂŒck zum Startschiff fĂŒr die nĂ€chste Runde. Es gab so viel zu sehen, dass die Zeit wie im Flug verging. Sylke stand am Ruder und manövrierte uns sicher durch das Geschehen. Eine der besten Gelegenheiten, diverse Ausweichregeln zu repetieren. Als besonderes Schmankerl navigierte auch noch die FĂ€hre zwischen Insel und Festland durch das dichte Feld der Segelboote oder besser, dies um besagte FĂ€hre drum herum.

Und dann wurde es spannend: die Ziellinie kam in Sicht, die Startnummer wurde an Deck geholt und gleich – da drĂ€ngte uns doch glatt das grĂŒne Boot, das uns schon einige Male wĂ€hrend der Regatta frech nahegekommen war, auf den letzten Metern ab, schob sich vor uns und durchs Ziel. Gute Seemannschaft geht anders! ‚Hey, hallo!‘ das war der Moment fĂŒr echte EntrĂŒstung, aber Christian riet zur Ruhe. Und ja eigentlich war es auch egal, denn sie segelten nicht in unserer Klasse, und von MĂ€usen und Plattfischpiekern hatten wir schon seit gefĂŒhlten Stunden nichts mehr gesehen. Also Startnummer hochgerissen und rein ins Ziel. Das war’s. Juhu! GefĂŒhlt hatten wir auf alle FĂ€lle schon mal gewonnen.

Ich löste Sylke am Ruder ab, nun ging es nach Hause in den Hafen – zusammen mit allen anderen. Wir drehten eine Orientierungsrunde durchs Hafenbecken. Ja, der Liegeplatz war noch frei – gleich neben den BierkĂ€sten und dem anderen Krams vom Nachbarboot. Also Segel bergen, Motor an und rein in die gute Stube. So ging ein weiterer herrlicher Segeltag langsam zu Ende.

Auf dem Plan stand nun als nĂ€chstes das wohlverdiente Abendessen: Kartoffelgratin, GrillkĂ€se, Salat und fĂŒr die Nichtvegetarier ein HĂŒhnerbein. Das Ankerbier wurde an diesem Abend um ein wohlverdientes zweites ergĂ€nzt. Satt und zufrieden harrten wir der Siegerehrung, die im Segelclub am selben Abend noch stattfinden sollte. Das Ereignis war fĂŒr 21 Uhr angesetzt. So wogen wir uns schon vor Beginn in der Gewissheit, dass dies nur ein kurzes Gastspiel unsererseits auf dem Regattaball werden wĂŒrde, denn fĂŒr den nĂ€chsten Tag stand die Heimreise und damit das Auslaufen mit dem Morgenhochwasser schon fest. Das hieß, um fĂŒnf Uhr wĂŒrden wir wieder losmachen mĂŒssen. Also wie viele Stunden Schlaf? Es gibt Momente im Leben, da rechnet man lieber nicht so genau
 Egal, bis dahin war es ja noch etwas Zeit. Grund genug, ein wenig stolz zu sein, hatten wir allemal. Immerhin waren wir keine jahrelang eingespielte Crew, sondern gerade mal drei Tage zusammen auf dem Wasser unterwegs, und unsere „Helgoland Express“ war sowieso eine KuriositĂ€t fĂŒr sich im flachen Wattfahrwasser. Also: freuen – jetzt!

‚Das war Können!‘ schallte ein bereits deutlich angetrunkener Ruf aus den hinteren Reihen, als die Regattaleitung kritisch das Tohuwabohu ansprach, das unsere Startsequenz so durcheinander gewirbelt hatte. Die Preisrichter hoben ob dieser Uneinsichtigkeit missbilligend die Augenbrauen. Allgemeines KopfschĂŒtteln. Dann ging es endlich an die Preisverleihung.

Spiekeroog, Regatta 2018
Spiekeroog, Regatta 2018

FĂŒr uns gab es dann noch eine unerwartete Überraschung, wies doch unsere Bootsklasse plötzlich zwei weitere Mitstreiter auf, die bei der Steuermann-Besprechung noch nicht auf dem Plan gestanden hatten. Und auch wenn wir deutlich schneller als MĂ€use und Plattfischpiecker gewesen waren, hatte man uns zu guter Letzt in Gemeinschaftsarbeit doch noch ĂŒberholt. Der Skipper der „Teamwork“ strahlte ins Publikum, und Christian kehrte etwas irritiert mit Silberschiffchen und der aus dem Geschenkeboot geangelten Dose Isolierspray an unseren Tisch zurĂŒck. Wir witzelten darĂŒber, wer letztere wohl als erstes auf seinem Kaminsims wĂŒrde drapieren dĂŒrfen, fotografierten eifrig unser Schiffchen, reichten es von Hand zu Hand und freuten uns ĂŒber unsere Platzierung. Als die Regattaleitung schließlich die TanzflĂ€che freigab und wie aufs Stichwort die Liedzeile „Verstand ĂŒber Herz“ erklang, nahmen wir selbige wörtlich, machten uns auf den Weg zurĂŒck zum Boot und zu einer viel zu kurzen Nacht.

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SP 2018 – Tag 3: Spiekeroog: Regattatraining und Old Laramie

Erst gute zwölf Stunden spĂ€ter kehrte wieder das Leben auf unser Schiff zurĂŒck, das nun leise gluckernd aus seinem Schlammbett wieder aufschwamm. Nie hĂ€tte ich vermutet, dass unser 1,70-Kiel einfach so im Schlick wĂŒrde untergehen können. Vor dem inneren Auge hatte ich beim Gedanken ans Trockenfallen schon der Reihe nach umgekippte Yachten im Hafen vor mir liegen sehen. Allerdings riet mir meine innere Stimme nun auf Grund der jĂŒngsten Beobachtung auch eindringlich vom Wattwandern in diesem Gebiet ab – 1,70 war der Tiefgang unserer Yacht, ich war 1,75 groß


Zum Geschrei der Austernfischer nahmen wir ein opulentes FrĂŒhstĂŒck im Cockpit ein. Und wĂ€hrend am Strand die Limikolen auf ihren Stockbeinchen WattwĂŒrmer pickten, verschlangen wir Brötchen um Brötchen. Strahlender Sonnenschein zeigte uns Hafen und Insel von ihrer schönsten Seite. Der Landgang fĂŒhrte uns zuerst zum Supermarkt um die Ecke zwecks Aufstockung unserer VorrĂ€te. Dort trafen wir so ziemlich alle anderen Crews der Nachbarboote wieder. War klar oder?

Spiekeroog Ort 2018
Spiekeroog Ort 2018

Gleich am ersten Deich schossen wir auch einen Fasan – Martin ergatterte das beste Foto, ich bekam ihn gleich dreimal vor meine Linse. Scheu waren die Tiere hier wirklich nicht. Von wegen Fluchtdistanz
 Danach fĂŒhrte uns unser Weg durch ein Blumenmeer an verschieden farbigen RhododendronbĂŒschen und duftenden Heckenrosen in ein vertrĂ€umtes Dorf mit ReetdachhĂ€uschen und StraßencafĂ©s. Ein Postkartenmotiv nach dem anderen bot sich uns so dar. Das einzige, das hier durch die Gassen flitzte, waren FahrrĂ€der, denen man auch besser auswich, denn die Abwesenheit von Autos reizte sie offensichtlich zu den kĂŒhnsten Manövern – Bierbauch hin, Bierbauch her. Unterwegs trafen wir Christian, der sich fĂŒrsorglich erkundigte, ob wir denn auch schon den Strand gesehen hĂ€tten. Hatten wir nicht, wollten wir aber unbedingt. Die Richtung war klar – hey, wir waren auf einer Insel, wie weit konnte das Wasser da schon sein? Weiter, wie wir bald merkten.

Spiekeroog Ort 2018
Spiekeroog Ort 2018

Zwischenzeitlich hatten wir den Eindruck, durch Nachbars Garten zu schleichen, wurden die Fußwege durch den Ort doch schmal und schmaler. Eine Katze rĂ€kelte sich faul zu unseren FĂŒĂŸen. Wohin so eilig, schien sie zu fragen, und man konnte es ihr angesichts der Ruhe in diesem Ort auch nicht verdenken. Unser Zeitplan allerdings war immer noch tidenabhĂ€ngig. Mittags wollten wir zum Regattatraining auslaufen, also flux noch schnell zum Strand. Allerdings mussten wir feststellen, dass mit ‚flux‘ hier nichts zu reißen war. Wir kamen in einen breiten DĂŒnenstreifen. Auf dem höchsten dieser norddeutschen Gipfel angelangt, erspĂ€hten wir den Strand in fĂŒr unseren Zeitplan unerreichbarer Ferne. Erst viel spĂ€ter an diesem Tag wĂŒrden wir ihn dann tatsĂ€chlich zu Gesicht bekommen, wenn unser Weg dem Larimie-Reiter folgen wĂŒrde.

Das Regattatraining war Spaß pur. Zwölf Stunden Schlaf hatten uns zu neuem Leben erweckt – und dann die Sonne, ein frischer Wind fĂŒr unsere Segel, was wollten wir mehr? Im Fahrwasser vor Spiekeroog tummelten sich bereits die verschiedensten Boote. Kleine Jollen, Contender, in deren Trapezen die sportliche Jugend hing, Jollenkreuzer und bald auch unser besegelter Wohnwagen. FĂŒr einen Wohnwagen waren wir allerdings ganz schön flott unterwegs.

Wir nutzten die Gelegenheit, verschiedene Segeltypen auszuprobieren. Den Anfang machte der Gennaker, dessen Stoff verheißungsvoll wie Geschenkpapier raschelte, als wir ihn hochzogen. Einmal voller Wind zog er uns in rauschender Fahrt ĂŒber das Wasser. Juhu, was fĂŒr ein Spaß! Leider erwies er sich letztlich aber doch als zu unhandlich. Unser Kurs wĂŒrde ein stetiges Einholen und Neusetzen erfordern – ja, kann man machen – allerdings wĂŒrden wir dafĂŒr definitiv mehr Übung brauchen, als wir derzeit aufweisen konnten. Zumindest fĂŒr Alexander und fĂŒr mich war es schließlich das erste Mal, dass wir mit dieser Art Segel arbeiteten, vielleicht nicht die beste Voraussetzung fĂŒr die Nutzung desselben bei der Regatta am nĂ€chsten Tag. Christian seufzte bei derselben Erkenntnis in sich hinein. Doch glaube ich, hatte er seiner Crew diese SchwĂ€che bald wieder verziehen – spĂ€testens als wir alle ganz entspannt am nĂ€chsten Tag beobachten konnten, wie andere Crews mit ihren Segeln kĂ€mpften. Da wurde gebrĂŒllt und wie wild an den Fallen gezerrt. Wild schlagende Segel, hinter der Fock verkeilte Gennaker – wir bekamen alles zu Gesicht – am schönsten war der Knoten in einem knallroten Gennaker am Nachbarboot – klarer Fall von Schadenfreude. Alle ließen wir hinter uns.

Auch die Genua probierten wir aus und verstauten sie dann wieder wohlweislich in der Backskiste. Mit der simplen Fock wĂŒrden wir im Wortsinn am besten fahren. Mag langweilig klingen, aber manchmal sind die einfachsten Dinge auch die besten.

Viel zu frĂŒh drĂ€ngte uns die Tide an diesem Tag wieder zur Heimfahrt in den Spiekerooger Hafen. Ohne sie wĂ€ren wir sicher einfach immer weiter gesegelt, aus purem Spaß an der Freude. Auf dem RĂŒckweg lernte ich dann auch zum ersten Mal kennen, was die Leute als Hafenkino bei anderen genießen und bei sich selbst so zu fĂŒrchten scheinen. Hafenmanöver stehen bei Roberts Skippertrainings immer ganz oben auf der Wunschliste der verschiedenen Teilnehmer. Noch kaum einer, der oder die mit uns zu diesen abendlichen Lektionen in den Köhlfleet gesegelt war, hatte nicht schon gleich beim An-Bord-Kommen verkĂŒndet, er oder sie wolle Hafenmanöver fahren ĂŒben. Gut, haben wir gedacht, kann man machen, ist wichtig, aber Segelmanöver sind trotzdem viel spannender und lustiger. Warum nur wollten all diese Leute die wenigen schönen Stunden auf dem Wasser motorend direkt am Steg verbringen?!

Klar, um das Folgende spĂ€ter dann möglichst zu vermeiden. Tags zuvor hatten wir es mit noch ausreichend Platz gut rĂŒckwĂ€rts in unsere Box geschafft. Der Plan sah vor, das an diesem Nachmittag zu wiederholen. Leider wurde daraus nichts – weder das mit dem gut noch das mit der Wiederholung ĂŒberhaupt. Frustriert stellte Martin am Ruder fest, dass unsere „Helgoland Express“ doch eher der Wohnwagen unter den Segelbooten war. Zu trĂ€ge, um den Bewegungen des Steuers unmittelbar zu folgen, schafften wir den notwendigen Bogen in die Box nicht – zur großen Freude und Belustigung der Crews in den Cockpits der Nachbarboote. Wie war das noch mal gleich mit der Schadenfreude?! Christian blieb cool, bot die SpottmĂ€ulern Popcorn an und dirigierte Martin dann mit geĂ€nderter Taktik sicher und problemlos vorwĂ€rts in die Box hinein. Geschafft! Das Anlegerbier hatten wir uns heute wirklich verdient!

Nachdem wir etwas spĂ€ter dann mit segelertypischem Heißhunger das Abendessen auf dem Boot vertilgt und das Töpfe-Tetris nach dem Abwasch beim Klarschiffmachen schließlich gewonnenen hatten, wartete an diesem Abend noch eine schöne Überraschung an Land auf uns. Die Sonne ging glutrot ĂŒber der Insel unter und voller Glut sollte es danach noch etwas weitergehen. Zu Fuß machten wir uns auf zum letzten Haus am Westende der Insel – last homely house, sozusagen – immer entlang der Schienen der alten Pferdebahn. Christian erklĂ€rte, dass der FĂ€hranleger noch gar nicht sehr lange so nah am Dorf lag, sondern frĂŒher die Touristen notwendig auf eben jene Pferdebahn angewiesen waren, um vom westlichen FĂ€hranleger zu ihren Ferienwohnungen im Dorf zu gelangen.

Blaue Stunde
Blaue Stunde

Es dĂ€mmerte bereits, als wir nach diesem Spaziergang immer zwischen Salzwiesen und Deich entlang endlich unser Ziel erreichten. Eine Schlange Wartender am Eingang verriet uns, dass wir aber keineswegs zu spĂ€t gekommen waren. Das „Old Larimie“ lud erst ab 21 Uhr zum Konzert, von welchem wir bis dato noch gar keine Ahnung hatten. Kurzentschlossen bogen wir an dieser Stelle noch einmal ab, nutzten die Gelegenheit und Christians Ortskundigkeit, um doch wenigstens noch einmal den Strand zu sehen. Wir kamen, sahen und – waren baff. Vor uns lag ein endloser weißer Sandstrand, dahinter das Watt, auf dem einige Kurzkieler trockengefallen waren. Deren Crews saßen nun gemĂŒtlich bei kalten GetrĂ€nken in vereinzelten GrĂŒppchen verteilt und plauderten sich in die beginnende Nacht. Wie gemalt lag diese Szenerie nun vor uns zur schönsten blauen Stunde. Die Ankerlichter der Yachten erschienen als lockende Irrlichterchen im Watt, und wir folgten ihnen willig. Fast schon magisch erschien die Landschaft um uns herum. Wir sogen diese Bilder tief in uns auf. Freiheit – hatte ich das schon erwĂ€hnt? Was konnte es Besseres geben


Wir witzelten ĂŒber die MĂ€delscrew, die ein neues Trinkspiel auf dem Watt erfunden hatte – sehr zur Freude des mitreisenden Schiffshundes, der hechelnd von einer zur anderen wetzte. AngefĂŒllt mit den schönsten Seebildern kehrten wir schließlich zu unserer Verabredung im „Old Larimie“ zurĂŒck. Dort war es mittlerweile richtig voll. Jeder Quadratzentimeter – man mag es in Norddeutschland ja gar nicht sagen, aber – des Biergartens war voller feiernder Menschen. Alle Altersstufen waren vertreten und, wie unschwer an den Klamotten festzustellen, nicht wenige davon Segler. Wie alle bestellten auch wir Bier, gesellten uns dazu und nur wenig spĂ€ter sang ich mit wachsender Begeisterung die eingĂ€ngigen Refrains der Lieder von Jonny Glut mit, der sich an diesem Abend mit seiner Band die Ehre auf der BĂŒhne der Kneipe gab und von dessen Musik Christian so schön gesagt hatte: ‚ Entweder man hasst es, oder man liebt es, aber es ist nur schwer zu ignorieren.‘ Wie passend nach den Erfahrungen des Vortrages erschien mir dort nun die Mal um Mal intonierte „Odysee“. Alexander witzelt seitdem ĂŒber einen neuen Fankult meinerseits, aber was soll’s, ich fand’s toll!

Um elf wurde dann eine Pause angekĂŒndigt, die wir ungern, aber doch fĂŒr den Aufbruch nutzten. Schließlich wollte unser Skipper am nĂ€chsten Tag mit uns eine Regatta segeln. Schweren Herzens, aber doch auch beschwingt, verließen wir also diese urige StĂ€tte, die mehr wie ein Strandgut wirkte, denn wie eine echte feste Behausung. Sylke lichtete noch eben den am Dachbalken vor sich hin vegetierenden Scheinwerfer ab, wĂ€hrend sich die helfenden HĂ€nde am Bierausschank selbst zuprosteten. Wer sagte, dass Arbeiten nicht auch Spaß machen durfte? Mit dem einen oder anderen Ohrwurm auf den Lippen machten wir uns also auf den Weg zurĂŒck zu unserem Schiff. Auch wenn ich dort keine einzige MĂŒnze in irgendwelches Wasser geworfen hatte, wie man in Rom und anderswo ganze Brunnen fĂŒrs StadtsĂ€ckel fĂŒllte – so hatte ich doch lĂ€ngst fest beschlossen, dass ich hier unbedingt noch einmal wieder wĂŒrde herkommen mĂŒssen. Schließlich hatten wir alle spĂ€testens seit diesem Abend ’noch Sand in den Schuhen von Spiekeroog
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