„Kuchen-Deal“

Hamburg Finkenwerder, GlĂŒckstadt, Cuxhaven, Helgoland, September 2019

Inhalt

  • Raus in die Welt: Finkenwerder bis Cuxhaven
  • Das Meer: Cuxhaven bis Helgoland
  • Der Mond und andere Köstlichkeiten: Helgoland bis Rhinplatte

Die Übergabe fand elbaufwĂ€rts, kurz hinter Cuxhaven statt. Eine spannende Verfolgungsjagd war dem vorausgegangen, dann einigte man sich via Funk ĂŒber die Bedingungen. Es muss ein Bild fĂŒr die Götter gewesen sein, als die „Hamburg Express“ bei uns lĂ€ngsseits ging. Beide Boote fuhren unter Motor, beiderlei Crews hatten sich fest im Blick. Dann flog ein StĂŒck Butter zu uns herĂŒber (die wurde noch dringend fĂŒrs Abendessen benötigt). Quasi im selben Augenblick tauchte Christian im Niedergang auf – in der Hand, apart auf einem Teller drapiert, ein StĂŒck selbst gebackener Apfelkuchen nebst von Hand aufgeschlagener Sahne. Das prĂ€sentierte Werk wurde hinĂŒbergereicht. Nur einen Augenblick spĂ€ter trennten unsere Boote schon wieder einige Meter Elbwasser, und die Regatta nahm ihren Lauf. Drei Boote flogen hier elbaufwĂ€rts – neben unserer „Helgoland Express“ und der „Hamburg Express“ befand sich auch die „Elbe Express“ bereits auf dem RĂŒckweg von Helgoland. Im Unterschied zu den beiden grĂ¶ĂŸeren Booten fuhr die kleine Varianta schon eine Weile unter Motor. Letzteren brachten wir auf unserem Boot nun endlich wieder zum Schweigen und kreuzten dann mit dem Wind weiter stromaufwĂ€rts. In einiger Entfernung beobachtete ich die „Hamburg Express“, wie sie ebenfalls mit geblĂ€hten, weißen Segeln ĂŒber das Wasser schoss. Sie wĂŒrden wir an diesem Tag nicht mehr einholen, doch war dies ja auch noch lange nicht das Ende der Regatta…

Regatta
Regatta

Am Abend trafen wir uns dann alle wieder, als wir im Licht der untergehenden Sonne Rhinplatte erreichten. Die DĂ€mmerung war kurz, und so lagen bald die Ankerlichter der Boote hinter der Elbinsel wie eine Perlenkette vor uns. Auch wir suchten hier ein geschĂŒtztes PlĂ€tzchen fĂŒr die Nacht. Nur gut, dass es so klar war und Sterne und Mond uns sicher den Weg vorbei an einigen auch ohne Beleuchtung vor sich hindĂŒmpelnden KĂ€hnen wiesen.

Es war ein langer Tag auf dem Wasser gewesen. Immerhin hatten wir Helgoland schon am Morgen, verlassen. Entsprechend hungrig stĂŒrzten wir uns nun auf das warme Abendessen, das wir so vollstĂ€ndig vertilgten, dass ein Abwaschen der Teller danach kaum vonnöten schien. Bei einem GlĂ€schen Rum von der Insel beschlossen wir diesen Tag.

Dinner auf der "Helgoland Express"
Dinner auf der „Helgoland Express“

Doch auch, wenn wir hier hinter Rhinplatte wie in Abrahams Schoss schlummerten, war die Nacht recht bald schon wieder zu Ende. Die Tide war einfach unerbittlich


Im Logbuch haben wir vermerkt: ‚04.20 Uhr Anker auf.‘ Aufstehen 03.45 Uhr. Haben wir ĂŒberhaupt geschlafen? Wollten wir wirklich um vier schon wieder los? Es war so ruhig auf dem Schiff, dass wir uns kurzzeitig nicht mehr sicher waren, ob wir uns tatsĂ€chlich nur wenige Stunden zuvor auf diese verrĂŒckte Zeit zum Aufbruch geeinigt hatten. Doch als ich die TĂŒr zum Salon öffnete, stellte ich gleichermaßen erstaunt und beruhigt fest, dass durchaus auch die anderen gerade dabei waren, sich den Schlaf der letzten Stunden aus den Augen zu reiben und sich fĂŒr einen letzten Segelschlag zurĂŒck nach Finkenwerder bereit machten.

Wir starteten zĂŒgig, ohne FrĂŒhstĂŒck – das sollte es erst in Wedel geben, wenn wir dort auf den zustĂ€ndigen Tankwart der Marina warten wĂŒrden. ‚Tanken nicht vor neun Uhr‘, lautete die Ansage, so wĂŒrden wir dort schließlich eine ganze Stunde Zeit fĂŒr Brötchen und Kaffee haben. Doch momentan trennten uns noch gute vier Stunden von diesen WohlgenĂŒssen, und so bereitete ich uns wenigstens eine Kanne schwarzen Tees. Als ich mit dem ersten Becher in der Hand an Deck trat, verschlug es mir glatt die Worte – nicht dass ich sonst besonders gesprĂ€chig wĂ€re um die Zeit… Über uns spannte sich ein wunderbarer Sternenhimmel, so klar, dass man die Plejaden und das Schwert des Orions ohne jede Probleme erkennen konnte. Orion – das Wintersternbild des Nordens, es wurde also wirklich schon Herbst. Dies wĂŒrde unser letzter Segeltörn in diesem Jahr sein – wie schade. Sinnend betrachtete ich das Lichtermeer ĂŒber mir, dann schĂŒttelte ich die Gedanken ab und blickte wieder in das Hier und Jetzt des dunklen Stromes vor uns. Wo waren wir ĂŒberhaupt? Ich hatte keine Ahnung – abgesehen von der groben Peilung, dass wir Rhinplatte hinter uns gelassen hatten und uns nun auf dem Weg nach Hamburg befanden. Wo genau wir unterwegs waren, konnte ich dagegen durch das Kreuzen auf dem dunklen Wasser lange nicht genau feststellen. Nur gut, dass Christian die Navigation fĂŒr uns sicher im Griff hatte. Alexander stand am Ruder. SpĂ€ter wĂŒrde er mir erzĂ€hlen, welch eindrĂŒckliches GefĂŒhl es war, das Boot im Dunkeln zu steuern. ‚Du kannst den Wind nicht sehen.‘ Der Verklicker lag weit jenseits unseres Blickfeldes in der SchwĂ€rze der Nacht. Der elektronische Windanzeiger hatte schon auf dem Hinweg seinen Geist aufgegeben und wĂŒrde erst zu Hause in Finkenwerder wieder gerichtet werden können. Die Mondsichel spendete ein wenig Licht in die Segel, doch im Wesentlichen war es ein Steuern nach GefĂŒhl – GespĂŒr fĂŒr den Wind, seine Richtung, seine StĂ€rke, seine kleinen Kapriolen an den Abdeckungen durch Uferböschung und VorsprĂŒnge der Elbinseln.

Wir waren alle hochkonzentriert in diesen nĂ€chtlichen Morgenstunden auf dem Wasser. Was war da vor uns unterwegs auf dem schwarzen Strom? Kurz vor Stade erblickten wir einen wahren Weihnachtsbaum: rot-weiß-rot, zwei Mal grĂŒn ĂŒbereinander an Steuerbord und an Backbord, weiß am Heck – ein Bagger hatte seine Signalleuchten gesetzt, dazu seine Positionslichter und einen Teil der Decksbeleuchtung eingeschaltet – in der schwarzen Nacht verfehlte dieses bunte Lichterspiel seine Wirkung nicht.

Rote Tonne
Rote Tonne

Die DĂ€mmerung begann, als wir auf der Höhe von Stade ankamen. Der Himmel wechselte die Farbe von schwarz in erste Blautöne. Die östliche Uferböschung fing an, sich gegen diesen aus der Nacht wachsenden Himmel abzuzeichnen. Dann erschien das erste Rot der aufgehenden Sonne. Es verzauberte den Fluss. Wie alle anderen versuchte auch ich, trotz besseren Wissens, diesen magischen Moment fĂŒr die Ewigkeit auf Zelluloid zu bannen, wie man frĂŒher gesagt hĂ€tte. Schrieb sich der Himmel auch im elektronischen Bild nicht ein, malte er sich doch fĂŒr eine kurze Erdenspanne in unser GedĂ€chtnis. Nirgends ist das Himmelsschauspiel so eindrĂŒcklich wie auf dem Wasser, als wĂŒsche es all das Fehl aus dem Horizont unserer Sinne.

Als wir LĂŒhesand querab passierten, war der Himmel und die Welt schon in das feine Gold einer SpĂ€tsommersonne getaucht. Es sollte noch einmal ein warmer Sonnentag zum Abschluss unserer Segelsaison werden.

Morgenrot ĂŒber dem Fluss
Morgenrot ĂŒber dem Fluss

Nur wenig spĂ€ter machten wir in Wedel fest und stĂŒrzten uns regelrecht auf unser wohlverdientes FrĂŒhstĂŒck, wĂ€hrend wir des Tankwartes harrten. Als dieser endlich erschien, hatten wir schon lĂ€ngst wieder klar Schiff gemacht. Da war ja noch diese Sache mit der Regatta
 Zu unserer aller Erstaunen hatten wir schon auf dem Weg nach Wedel die „Hamburg Express“ wieder mit uns im Fahrwasser kreuzen gesehen. Nun lag auch sie, auf Treibstoff wartend, in Wedel. Dieses Mal hatten jedoch wir die Nase vorn. Die „Helgoland Express“ lief als erstes in Wedel aus und nach einem gefĂŒhlten Katzensprung mit engen Wenden zwischen MĂŒhlenberger Loch und dicken Pötten im Fahrwasser dann auch wieder im Finkenwerder Hafen ein. In nur kurzen AbstĂ€nden folgten die anderen beiden Eichler-Boote. Auch Roberts kleines Elektroboot, die „E-Express“, ĂŒbte mit einem SBF-Kurs gerade das An und Ablegen, sodass es einem wahren Familientreffen gleichkam, als wir nun festmachten. Wieder hieß es, Abschied nehmen. Warum nur ist die Zeit auf dem Wasser immer so kurz??

Raus in die Welt: Finkenwerder bis Cuxhaven

Gerade einmal vier Tage zuvor hatten wir uns in Finkenwerder als neue Crew auf der „Helgoland Express“ zusammengefunden – wir, das waren Sylke, Stephan, Ralf, die BrĂŒder Daniel und Jens, Alexander und ich sowie natĂŒrlich Christian, unser Skipper. Unser Törn startete mit moderaten drei bis vier Beaufort WindstĂ€rken, allerdings auch gleich mit dem Problem, das uns an allen folgenden Segeltagen beschĂ€ftigen wĂŒrde – der Wind kam stetig aus der falschen Richtung, sprich, von dort, wohin wir wollten.

Unser erstes Etappenziel war GlĂŒckstadt, welches wir gegen Mittag erreichten. Das Timing sorgte fĂŒr eine Überraschung der besonderen Art: Mit den letzten AuslĂ€ufern des Ebbstroms erreichten wir Rhinplatte. Dass Niedrigwasser war, war nicht mehr zu ĂŒbersehen. Wenn die Möwen neben Dir im Schlick stehen, kannst Du Dir sicher sein, dass Niedrigwasser ist. Die Fahrrinne wurde hier fĂŒr uns also nicht nur eng, sondern auch sehr – sehr flach. Christian kĂŒndigte es an, und wir waren gespannt – aber wenn der Skipper meint, das passt schon
 Dreimal rutschte unser Kiel durch den Schlick. Dreimal hielten wir den Atem an. Deutlich merkten wir die GrundberĂŒhrung. Alexander und ich erinnerten uns nur zu gut daran, wie wir beim SKS-Ausbildungstörn im letzten Jahr nur wenige Meter von der gegenwĂ€rtigen Rutschpartie entfernt auf Grund gelaufen waren. Nur gut, dass es Schlick war. Nur gut, dass wir dieses Mal nicht darin stecken blieben – wir hĂ€tten lĂ€nger auf genĂŒgend Wasser unter dem Kiel gewartet.

Im GlĂŒckstĂ€dter Außenhafen angelangt erwies sich der ausgeguckte, schöne Stegplatz leider als reserviert. Wir gingen dann bei einer Motoryacht ins PĂ€ckchen. Ein kleiner Klönschnack zwischen Skippern beruhigte unseren neuen Nachbarn, denn schon in wenigen Stunden sollten wir wieder unterwegs sein, wenn der Strom erneut gekentert sein wĂŒrde. Bei strahlendem Sonnenschein aßen wir dann im Cockpit das selbst gemachte Risotto zu Mittag. Dieser Törn war definitiv ein Highlight der kulinarischen Art!

Um kurz nach 19 Uhr hieß es dann wieder ‚Leinen los‘. Die folgende Nachtfahrt bis Cuxhaven war in der Tat sehr eindrĂŒcklich: all die Sterne am Firmament und vor uns der dunkle Fluss. Kurz vor Cuxhaven huschte dann ein weißer Lichtstrahl ĂŒber den Himmel am Horizont. Konnte das tatsĂ€chlich schon das Leuchtfeuer von Helgoland sein? Ja, ein Blitz alle fĂŒnf Sekunden, das war die Kennung des roten Felsens. Christian bestĂ€tigte unsere Vermutung, das Leuchtfeuer war zu bestimmten Wetterlagen in der Tat als Widerschein am Himmel so weit zu erblicken. Schon verrĂŒckt, wenn man sich ĂŒberlegte, dass die Insel selbst noch mehr als dreißig Seemeilen entfernt lag und somit, nicht nur von der nĂ€chtlichen Finsternis verschluckt, sondern auch ganz regulĂ€r noch weit jenseits all dessen lag, was wir mit Hilfe unseres Fernglases hĂ€tten erspĂ€hen können. Und doch strich hier ihr weißes Feuer sacht ĂŒber den Himmel und erzĂ€hlte uns von der fernen, roten Insel dort draußen im nĂ€chtlichen Meer. Wie wunderbar musste diese Botschaft fĂŒr die Seefahrer frĂŒherer Zeiten gewesen sein.

FĂŒr uns heute hieß der Widerschein am Himmel erst einmal auch, dass unser Tagewerk beinahe vollbracht war. Es war fast Mitternacht, als Cuxhaven nun selbst als gelblich schimmerndes Lichtermeer am jenseitigen Flussufer deutlich sichtbar wurde. Wie gewohnt fĂŒhrte uns unser Weg in den Amerikahafen. Die Einfahrt in selbigen verpasste ich dieses Mal, denn ich saß schlotternd unterdecks. Es war unzweifelbar Herbst geworden und damit auch verdammt kalt auf dem Wasser. Leise zogen wir uns schließlich mit einer geschickt geworfenen Leine an den Steg. Dann hieß es nur noch: ‚Gute Nacht, bis gleich.‘

Das Meer: Cuxhaven bis Helgoland

Morgens um sieben verließen wir Cuxhaven schon wieder. WĂ€re man nicht so hundemĂŒde, wĂ€re dies eigentlich der schönste Teil der Reise. Am frĂŒhen Morgen hinaus aufs Meer zu fahren, in diesen Horizont, der alle morgendlichen Farbschattierungen einmal fĂŒr uns durchspielte. Eben noch hatten wir an Backbord die Kugelbake gesehen und schon lag das Land weit hinter uns zurĂŒck. Eine Weile lang begleiteten uns noch die hohen Baken, die die Zufahrt zur Elbe markieren und uns an die Gewalt des Wasser erinnerten, aber auch sie lĂ€sst man bald unweigerlich hinter sich. Dort, wo sich die dicken Pötte langsam am Horizont bewegen, ist dann das Fahrwasser, doch wir hatten es mit unserer „Helgoland Express“ zu diesem Zeitpunkt schon lange verlassen. Nun gab es nur das Meer und den Horizont und das Darauf-Fiebern, irgendwann in diesem SeestĂŒck einen roten Felsen auftauchen zu sehen.

Bake
Bake

Der Weg nach Helgoland war eine lange Kreuz gegen den Wind. Mit moderaten drei Beaufort kam er uns aus Westnordwest entgegen, aber wenigstens konnten wir segeln! Auch in kulinarischer Hinsicht ging es mehr als zufriedenstellend weiter: Auf dem langen, ruhigen Schlag wurde nicht nur die Idee zu einem Pflaumenkuchen geboren, sondern auch gleich in die Tat umgesetzt. Ralf staunte nicht schlecht, als Christian nach einem lockeren Austausch entsprechender Scherze mit einem gewissen Schalk in den Augen unter Deck verschwand. ‚Er wird doch nicht etwa wirklich
?‘ Wir anderen nickten und lachten. Ja, er wĂŒrde wirklich. Und es dauerte tatsĂ€chlich nicht lange und unser Boot roch gar köstlich nach frischem Backwerk.

Bis zur Tiefwasserreede lief alles gut, dann wurde es zunehmend unangenehm. Wahrscheinlich auch, weil wir alle ziemlich mĂŒde waren. Eine gefĂŒhlte Ewigkeit lang lag Helgoland dann schließlich in nahezu konstanter GrĂ¶ĂŸe vor uns. Der Wind blies immer noch gegenan, und so fuhren wir nicht bloß scheinbar Schleifen vor unserem ersehnten Ziel, ohne dass wir uns ihm dabei anzunĂ€hern schienen. Es war frustrierend. Alle waren mĂŒde. Der Tag hatte fĂŒr uns ja schon um sechs begonnen. Nun war die Mittagszeit lange vorbei, und wir waren noch nicht mal in der NĂ€he des Hafens. Nicht, dass wir nicht gerne segelten. Nein, wir waren die ganze Zeit so hoch am Wind gefahren wie irgend möglich. Aber momentan hieß ‚Hoch am Wind‘, vor Helgoland Schlangenlinien zu fahren, anstatt den Hafen ansteuern zu können. Zu allem Überfluss zog sich der Himmel immer dĂŒsterer mit drohenden Regenwolken zu. Schließlich wurde es uns zu bunt oder zu grau, wie man es nahm, und wir warfen den Motor an. Doch auch dieser schien uns nur wenig bei unserem BemĂŒhen zu helfen. ‚Noch drei Seemeilen‘, verkĂŒndete Christian, der seinen Kopf durch den Niedergang hoch streckte. Drei Seemeilen, das war doch nichts. Das sollte doch nicht so lange dauern. Und ich fuhr und fuhr
 Nach einer gefĂŒhlten Ewigkeit erreichten wir den Ankerlieger – den Hochseebergungsschlepper „Nordic“, der in kurzer Distanz zur Hafeneinfahrt liegend schon eine Weile lang unsere Orientierungsmarke gebildet hatte. Jetzt mussten wir wirklich bald da sein. Mehr oder weniger im selben Augenblick öffnete dann auch der Himmel – offenbar von derselben Einsicht beseelt, uns jetzt oder gar nicht mehr zu erwischen – seine Schleusen. Es goss in Strömen. Und alles, was ich bis eben noch von der nĂ€herkommenden Hafeneinfahrt gesehen hatte, verschwand hinter einem Vorhang aus Wasser. Wieder einmal beglĂŒckwĂŒnschte ich mich zu meinem Ölzeug.

‚Du mĂŒsstest gleich zwei Fahrwassertonnen sehen‘, navigierte Daniel mich durch den Regen. ‚Da zwischen durch und danach mĂŒssten wir die Einfahrt sehen.‘ Er stand als einziger neben mir im Regen. Alle anderen hatten sich unter die Sprayhood oder unter Deck verzogen. Kein Wunder bei dem Wetter! Kurze Zeit spĂ€ter passierten wir die gesuchten Tonnen und dann auch endlich die Hafeneinfahrt. An Steuerbord konnte ich die „Hermann Marwede“ sehen. Das grĂ¶ĂŸte Schiff der Gesellschaft zur Rettung SchiffbrĂŒchiger lag in jenem Teil des Hafenbeckens, in den wir wollten, und leitete mich nun das letzte StĂŒck, auf welchem der Sturzregen ebenso schnell wieder versiegte, wie er gekommen war.

Im Yachthafen gab es dann ein unverhofftes Wiedersehen mit den beiden anderen Booten unserer Yachtschule. Das Wetter hatte ihnen einen neuen Kurs diktiert, sodass wir uns nun hier alle auf Helgoland gemeinsam wiederfanden.

Der Hafen selbst war immer noch ein Rudiment. Im vergangenen Winter war eine FĂ€hre außer Kontrolle geraten und in die Steganlage der Sportboote getrieben. Nun, im Herbst, war hier immer noch eine Baustelle. Trotz allem war diese „Baustelle“ nun aber mit Booten gut belebt, sodass wir nicht lange ĂŒberlegen mussten, sondern schnell klar war, dass wir bei der „Hamburg Express“ – unserem Schwesterschiff – ins PĂ€ckchen gehen wĂŒrden. Also alle Fender nach Steuerbord, Leinen klarmachen. Langsam – sie waren noch nicht fertig. Ich drehte ab und noch einmal eine kleine Runde. Wir hatten es ja nicht eilig. Auf dem Steg standen mittlerweile wie die Orgelpfeifen die gesamte Crew der „Hamburg Express“. Nur der Skipper fehlte, was wohl auch der Grund fĂŒr ihre Unruhe war, sonst wĂ€re ihnen klargewesen, wer wir waren und was wir vorhatten. Beim zweiten Anlauf klappte dann alles, wie gewĂŒnscht. Die Leinen waren fest, und ich konnte den Regen von meiner Brille putzen. Endlich da!

Zwischenzeitlich war es schon halbvier vorbei. Am liebsten hĂ€tten wir dann alles gleichzeitig gemacht: duschen, einkaufen, essen, schlafen. Letztlich teilten wir es aber auf: erst einkaufen – in der Nachsaison schlossen die LĂ€den frĂŒher, und wir wĂŒrden am folgenden Morgen wieder vor den Öffnungszeiten ablegen. Wie frĂŒh sie zumachten, stellten wir zu unserem Leidwesen im Ort fest: Siebzehn Uhr war fĂŒr beinahe alle Ladenbesitzer das Höchste der GefĂŒhle an diesem Freitagnachmittag. Es blieb uns also eine knappe Stunde, inklusive ins Dorf laufen. Das hatten Sylke und ich uns anders vorgestellt. Nun ja, wir waren ja auch auf einem Segeltörn und nicht auf einer Butterfahrt
 Alexander entschied sich danach fĂŒrs Schlafen, wir uns fĂŒrs Duschen. Als wir durchgewĂ€rmt zurĂŒck zum Schiff trotteten, kamen uns gleich zwei Crews entgegen. Nanu, wohin des Wegs? Ziel war eines der Forschungsschiffe des Bundesanstalt fĂŒr Landwirtschaft und ErnĂ€hrung (BLE), das gerade ebenfalls im Hafen lag, die „Solea“. Man kannte sich aus Finkenwerder, und die Crews waren neugierig auf die versprochene FĂŒhrung. Also kletterten bald gute zwanzig Leute auf das Boot, dessen Besatzung nicht schlecht guckte. Ja, die Einladung war ausgesprochen worden – sicher, aber dass gleich drei Mannschaften sie angenommen hatten, das hatte man dann doch nicht erwartet. Umso sympathischer also, dass man uns trotzdem nicht nur die BrĂŒcke zeigte, sondern auch gleich noch einen Rundgang auf dem Hochseekutter ermöglichte. Hier ging es um Fisch und Fischfang, das wurde schnell klar. Welche Sorten waren in der Nordsee unterwegs, zu welchen Zeiten, in welchen Mengen? Welche Fangmethoden waren fĂŒr welche Zwecke am effektivsten? Was Ă€nderte sich am bekannten Bild durch die zunehmende ErwĂ€rmung auch unseres heimischen Meeres? Zweifelsohne gab es diese, und sie war dabei, einiges aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wir waren entsprechend nachdenklich, als wir unsere Gastgeber wenig spĂ€ter wieder verließen.

Der Tag endete ebenfalls in Gemeinschaft in der „Bunten Kuh“, der Seglerkneipe am Hafen, in welcher unsere drei Crews das gesamte obere Stockwerk bevölkerten.

Der Mond und andere Köstlichkeiten: Helgoland bis Rhinplatte

Am nĂ€chsten Morgen mussten wir schnell noch in den Ort, bevor es wieder losgehen sollte. Wir hatten da noch ein kleines Anliegen, eine kleine Besorgung, ohne die – nein, ohne die ein Aufbruch völlig ausgeschlossen war. Hatten die Hinfahrt uns recht unerwartet einen Pflaumenkuchen beschert, hatten wir fĂŒr die RĂŒckfahrt – die mit angekĂŒndigter Mittagsflaute wieder ein ganzes StĂŒck Strecke unter Motor erwarten ließ – den nĂ€chsten kulinarischen Höhepunkt der Reise geplant: einen Apfelkuchen. FĂŒr diesen war, so die allgemeine Meinung, aber wiederum von Hand aufgeschlagene Sahne ein Muss. Also fĂŒhrte uns unser Weg in aller FrĂŒhe zum lokalen Supermarkt, um zwei Becher selbiger Art zu erbeuten. An diesem Punkt stellte ich fest, dass der Felsen im Meer zwar in mancherlei Hinsicht unverwĂŒstlich sein mochte, aber keineswegs gegen neue Technologien gefeit war. Die Supermarktkasse wurde zwar noch von einer Dame des Ortes bedient – teilweise zumindest. Denn auch wenn sie mir sagte, wie viel Geld ich ihr nun schuldig war, wollte sie es partout nicht in die Hand nehmen, sondern in den zugehörigen Automaten an ihrer Kassenbox eingeworfen wissen, aus dem mir dann auch mein Wechselgeld entgegenrollte. An dieser Stelle zögerte ich, einen Moment ĂŒberlegend, wem ich denn nun fĂŒr diese Leistung mein „Dankeschön“ hĂ€tte aussprechen sollen. Nun ja, das Wesentliche war erworben, also konnten wir uns wieder auf den Weg machen – immer in der Hoffnung, so wenig Technik – also Motorkraft – wie möglich zum Einsatz bringen zu mĂŒssen.

WĂ€hrend unseres RĂŒckwegs ĂŒbers Meer – an der Tiefwasserreede vorbei und dann durch die Norderelbe – bot uns Christian dann die Möglichkeit, noch eine weitere, im Zeitalter von Elektronik und Automatisierung lĂ€ngst vergessen geglaubte Fertigkeit zu erproben. Er hatten seinen Sextanten mitgebracht und wies uns in dessen Handhabung ein. An diesem Tag stand, fĂŒr eine Weile deutlich sichtbar auch der Halbmond hoch am Himmel, mit welchem wir das ungewohnte Instrument sicher erproben konnten. Einmal mehr fĂŒhlte ich mich wie ein Abenteurer lĂ€ngst vergangener Tage oder wie Pippi Langstrumpf auf dem Weg ins Taka-Tuka-Land. Das war sicher etwas, womit ich mich noch weiter wĂŒrde beschĂ€ftigen wollen.

Den Apfelkuchen speisten wir dann zum Mittag. Er schmeckte wunderbar nach Zimt und frischem Obst. Die Sahne durfte natĂŒrlich nicht fehlen. Doch musste ein StĂŒckchen unbedingt aufgespart werden, hatten wir doch noch ein wichtiges TauschgeschĂ€ft zu erledigen…