Alexander hatte die Zeit bastelnd unter Deck verbracht und dem regen Funkverkehr gelauscht. Lachend erzählte er uns, dass ein wesentliches Thema der Rückwärtsgang der Großschifffahrt sei. Immerhin mussten sie in den Schleusenkammern aufstoppen und das hatte in letzter Zeit wohl nicht immer funktioniert. Auch ganz aktuell war es wohl mal wieder kniffelig geworden. Artig meldeten folglich alle Schiffe, die in die Schleuse wollten: ‚Rückwärts geht!‘ Bis auf einen, der deshalb eine ganze Weile draußen auf der Elbe ausharren musste.
Lustig klang im Funk auch das Baggerschiff, dem wir in Kürze selbst noch begegnen sollten und das gerade direkt vor der Schleuse seinen Dienst versah. Mit unvergleichlich putzigem holländischem Akzent sprach der Kapitän mit dem Schleusenwärter, der ihn anwies, Schiffe durchzulassen. Es fiel der wunderbare Satz: ‚Gut, dann bagger‘ ich hier noch ein bisschen weiter’, der in mir das Bild einer Zeichentrick-Ente namens Alfred Jodokus Kwak mit Strandequipment heraufbeschwor.
Überhaupt war der Funkverkehr überaus rege und im wahrsten Wortsinne unterhaltsam. So gab es ein längeres Gespräch zwischen zwei Funkstellen, in welchem es im Wesentlichen um irgendwelche Mitfahrgelegenheiten nach Feierabend ging, bis ein entschiedenes ‚Meine Herren, ich empfehle den Arbeitskanal!‘ von dritter Seite dem öffentlichen Schwätzchen ein Ende bereitete.
An diesem Abend gingen wir im Städtchen eine Pizza essen. Ich hatte mich schlicht geweigert, angesichts der sich schnell flutenden Duschräume nebst winzigen Waschbecken in eben diesen noch einmal den Abwasch wie ein Teller-Jongleur im Zirkus zu absolvieren. ‚Nichts gegen eure Kochkünste, aber…‘ Damit war die Sache entschieden, und unsere letzte Nacht in diesem mitteilsamen Hafen brach an.
Zum Klönen war nämlich auch der Skipper des Sportbootes hinter uns diverse Male bei Alexander und Wolfram erschienen. Zwar hatte er offenbar durchaus selbst einen eigenen zweiten Mann an Bord, der aber wohl eher von der wortkargen Sorte war. Besagter Skipper jedenfalls hatte beschlossen, dass zusammenschleusen doch viel besser wäre. Da hatte er nicht ganz Unrecht. So würde der Schleusenwärter vielleicht eher Erbarmen mit den wartenden Sportbooten haben und vielleicht bekamen wir ja auch so viel ‚Kleinkram‘ zusammen, dass die Schleusung ganz ohne Großschifffahrt vonstatten gehen konnte, weil wir die Kammer schon gut füllten.
Unser Nachbarlieger erbot sich, den Funkverkehr mit dem Schleusenwärter zu übernehmen, damit wir wussten, wann es losgehen sollte. Und das war dann tatsächlich ‚in etwa einer halben Stunde‘ der Fall. Die große Nordschleuse wäre für uns. Also machten wir uns klar. Unser Stegnachbar legte ab und begann, seine Kreise zu fahren. Wir folgten ihm langsamer. Trotzdem war es noch eine rechte Warterei auf dem Wasser, zu der sich nach und nach noch etliche andere Sportboote dazu gesellten, die ihren Weg gerade erst durch den Kanal gefunden hatten.
Und dann ging es tatsächlich endlich richtig los. Die Schleusentore öffneten sich, entließen die Boote Richtung Kiel. Wir versuchten, nicht im Weg zu sein – weder ihnen noch uns selbst, was keine triviale Angelegenheit war. Dann kam unser Lichtsignal an der Schleuse, das unterbrochene weiße Licht, und über Funk die Aufforderung zur Einfahrt.
Ich folgte den anderen Sportbooten und fuhr dicht an den Schwimmsteg heran. Wolfram und Alexander kümmerten sich um die Leinenarbeit beim Festmachen, dann hieß es wieder: warten. Dieses Mal dauerte die Schleusung länger. Seit unserem Besuch im zugehörigen Museum wussten wir auch, warum der Unterschied zwischen Brunsbüttel und Kiel so groß war. In Kiel mussten lediglich vierzig Zentimeter überwunden werden, hier an der Elbe – je nach Tidenhub – mehrere Meter. Dennoch konnte man auch hier die Veränderung nicht sehen. Allein das Öffnen und Schließen der Schleusentore gab einen Hinweis darauf, dass hier Größeres im Gange war. Immerhin war die Nordschleuse aus unserer Perspektive riesig, die Tore entsprechend gewaltig.
Neben uns ‚Kleinkram‘ war noch ein Schlepper mit von der Partie. Er fuhr auch als erstes los, als das Tor zur Elbe geöffnet wurde. Dann kamen wir an die Reihe, und dann war es soweit, unsere „Frida“ schwamm auf der Elbe.
Wir kamen beim holländischen Baggerschiff vorbei, das direkt vor der Schleuse ‚noch ein bisschen weiter baggern‘ durfte. Schon waren wir mitten vor Kap Bruns. Wir hatten Westwind, und die Tide lief noch eine Stunde gegenan. Vor Brunsbüttel hieß das: Seegang. Unsere „Frida“ schaukelte so schnell es ging mit uns über den Fluss auf die richtige Seite. Auf dem kleinen Boot fand ich die Bewegungen des Wassers beachtlich und war froh, dass wir es nicht schon tags zuvor versucht hatten, als der Wind noch mit einer konstanten Sechs geblasen hatte. An diesem Tag war der Wind moderater und nach der nächsten Flussbiegung würden wir mit halbem Wind gut segeln können.
Dann zogen wir die Tücher hoch, die Maschine wurde abgestellt. Unsere Fahrt wurde deutlich ruhiger, und wir segelten. Wir segelten auf der Elbe mit unserer „Frida“. In mir jubelte es. Wir hatten es fast geschafft.