SKS 2018: Stratocumulus

Stratocumulus, Finkenwerder

Herzlich lachen musste ich, als ich nach unserem Törn die Fotos anschaute, welche die anderen geschickt hatten. Neben vielen wunderbaren Erinnerungen zeigte eines auch insbesondere – nichts. Noch nie war mir ein Foto untergekommen, das den Nebel über dem Fluss so schön erscheinen ließ wie dieses. Nicht als illuminiertes Wolkenband über dem Wasser wie sonst so oft, sondern direkt aus dessen Mitte heraus: ein graues Nichts in alle Richtungen. Folker hatte für uns den Nebel fotografiert, in dessen Essenz sozusagen, als Unmöglichmachung der Sicht, als graues Tropfenband, das sich über alles und jeden legte, uns die Sinne raubte, wie ein Wattebausch die Ohren zu verstopfen pflegte.

Nur zu gut konnte ich mich an den zugehörigen Morgen erinnern. Abends hatten wir noch bei einem herrlich klaren Sonnenuntergang bei Pagensand geankert. Die Elbinsel empfing uns mit ihrer ganzen unverkennbaren Schönheit im Abendrot und schickte vorsichtig einen Seeadler als Späher in unsere Richtung aus. Beruhigt feststellend, dass wir mit unserem Boot dort bleiben würden, wo wir unseren Anker in den Elbschlick hatten fallen lassen, zog er mit seinen mächtigen Schwingen ein paar Kreise und war schon wieder verschwunden, bevor wir unser Glück, ihn überhaupt entdeckt zu haben, fassen konnten.

Sternenklar wurde es in dieser Nacht, und das Ankerbier im Cockpit ließ uns schon ein wenig frösteln. Keiner von uns erwartet für den nächsten Tag dieses wattierte Nichts, das uns dann am Morgen empfing. In alle Richtung nichts – nicht einmal die Insel war mehr zu sehen, die doch in nur kurzer Entfernung zu uns lag. Und auch das Zollboot, das unser AIS als weiteren Ankerlieger dieser Nacht dort auswies, löste sich erst viele Stunden später mit der kräftiger werdenden Sonne aus seinem Wattebett.

Sicher, Nebel war nicht gerade eine Seltenheit auf diesem Fluss. Oft zog er in die Stadt hinein und erst als ich mehrere Jahre an Orten gelebt hatte, die keinen Wasserlauf ihr eigenen nennen konnten, stellte ich fest, dass man dieses Naturphänomen tatsächlich auch vermissen konnte. In dieser Hinsicht unvergesslich auch eine meiner ersten Autofahrten in Dithmarschen: der Nebel lag dort so dicht über der Straße, dass man sich mehr vortastete als fuhr. Zu Fuß wäre ich damals wahrscheinlich schneller gewesen. Mindestens ebenso wie den Nebel würde ich später auch den Wind vermissen. In meiner Kindheit heulte er oft um und an einigen Stellen leider auch durch unser Haus. Später, als er dann an anderen Orten fern der Küste völlig ausblieb, war es mir manchmal, als hätten sie mir die Luft zum Atmen genommen…

Wetter: Analysekarten-Studium
Wetter: Analysekarten-Studium

Wetter war ein wichtiges Thema für uns auf diesem Ausbildungstörn. Artig prüften wir den Himmel über uns und riefen die Wolken bei ihren Namen. Nach und nach ordnete sich das überirdische Geschehen für uns in diesen Tagen wie ein zuvor unbekanntes Experiment auf einem Labortisch und wurde lesbar – ähnlich wie die Analyse- und Prognosekarten, die wir morgens zum Frühstück studierten.

SKS 2018: Wir bremsen nicht mit dem Steg…

Pagensand

Morgens in Wedel hieß es dann erst einmal, Platz machen. Dienstagvormittag hatten wir eigentlich nicht damit gerechnet, dass noch jemand unterwegs sein könnte – noch weniger damit, dass ausgerechnet die Eigner unseres Anlegeplatzes heimkehren würden. Noch vor dem Frühstück mussten wir so also die Leinen losschmeißen und einen anderen Platz suchen. Nicht verkehrt, würde es doch genau das sein, was wir in den folgenden Stunden zur Freude der in Wedel versammelten Seniorenschaft üben wollten: an- und ablegen, drehen auf engem Raum, Leinen schmeißen. – Nein, nicht helfen, die müssen üben – und der nächste bitte.

Mit geradezu stoischer Ruhe ertrug die Dame auf dem Motorboot neben unserer Übungsklampe die Fahrschule jenseits ihrer Buchseiten. Der ältere Herr drei Boote weiter hatte da schon längst die Zeitung gegen den Kinosessel im Cockpit getauscht.

Als die Tide uns schließlich einen größeren Aktionsradius zugestand, war es bereits mittags. Wir verließen mit ablaufendem Wasser den Hafen und segelten mit dem Strom flussabwärts. Sonne satt, aber immer noch kein Wind. Dafür und trotz des beschaulichen Wetters purer Stress für unseren „Skipper of the day“, den Christian nicht zu ermuntern aufhörte, doch mal zu prüfen, ob man nicht doch dieses oder jenes Schlickloch – von den Einheimischen liebevoll als „Hafen“ tituliert – anlaufen könne, schließlich wollten wir doch Anlegemanöver an verschiedenen Orten trainieren. Unbeirrt ließ er uns auf engste Hafeneinfahrten zuhalten, um endlich doch dem immer hektischer werdenden Skipper zuzustimmen, dass es wohl keine so grandiose Idee sei, sich dort in den Matsch zu setzen. Auch Nerven können Muskeln sein, die es zu trainieren gilt – heißt es nicht auch „Willens-STÄRKE“?

Am zweiten Abend ankerten wir vor Pagensand. Ein Seeadler begrüßte uns dort bei unserer Ankunft. Seine kräftigen Schwingen trugen ihn mühelos in die Nähe unseres Bootes, das er sich interessiert anzuschauen schien, bevor er uns mit unserem Stückchen Fluss und unserem Anker-Spiel wieder alleine ließ. Obschon September, war es an diesem Spätsommertag noch so warm, dass allgemein der Wunsch nach einer Abkühlung im Wasser aufkam. Gute 23 Grad Wassertemperatur – Badewannenwetter in der Elbe. Christian hatte nichts gegen das Ansinnen der Jungs auf ein Bad im Fluss einzuwenden, ermahnte uns aber, zuerst eine Schwimmleine zu knoten. Also schnell noch ein paar Fender an eine der Festmacherleinen geknotet und ab damit, achteraus ins Wasser. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, diese Aktion diene lediglich für uns als Übung der verschiedenen Knoten in der praktischen Anwendung. Fleißig würden wir dies in der folgenden Woche auch praktizieren. Waren ja auch praktisch diese Knoten. Wer hätte gedacht, dass man eine aufgeschossene Leine einfach am Backstag zum Trocknen festknoten konnte? Beeindruckt waren wir auch vom geworfenen Webleinstek und trainierten gerne Christians Methode, den Palstek so vorzubereiten, dass man ihn auch problemlos über Kopf am Großbaum nutzen konnte oder wo auch immer sonst der Knoten gerade gebraucht und normalerweise nur schwer hingepfriemelt werden konnte. Den doppelten Achtknoten probierten wir wieder und wieder – doch an diesem Tag hinter Pagensand ging es tatsächlich in keiner Hinsicht um unsere Knoten-Kenntnisse. Das wurde klar, als die ersten vom Heck ins Wasser sprangen und beim Wiederauftauchen mit Müh‘ und Not gerade noch ebenso den letzten der Fender an unserer Schwimmleine erwischten. Die Strömung des Flusses war unglaublich! Obwohl die Jungs nur wenige Meter achteraus schwammen, sah es so aus, als führen wir ihnen mit hoher Geschwindigkeit davon. Man musste direkt aufblicken zur Insel neben uns, um sich zu versichern, dass wir in der Tat fest vor Anker lagen, und das Boot sich keineswegs von seiner Position entfernt hatte. Spätestens jetzt waren alle froh, die Schwimmleine im Wasser zu haben, die wir vorher alle mehr oder weniger als Spielerei abgetan hatten.

Später stand dann noch Wetterkunde auf dem Übungsplan. Auswertung einer Analysekarte. Schon cool, wenn man solche Karten allmählich auch zu lesen lernt wie anfänglich die Seekarten zur Navigation. Und doppelt schade, dass sie zwischenzeitlich so gänzlich aus den Abendnachrichten verschwunden sind. Was bliebe übrig, wenn wir alles aussonderten, was die Leute angeblich nicht mehr interessiert? Wohl nicht sonderlich viel…

Noch etwas später konnten wir über Pagensand dann einen herrlich klaren Sternenhimmel bewundern. Im Süden leuchtete groß und rot der Mars. Er tanzte lustig durch mein Fernglas, mit dem ich ihm näherzutreten gedachte.