SKS 2018: Von Schlicklöchern und anderen Fettnäpfchen

Kardinaltonne West

Zu den wiederkehrenden Missgeschicken dieser Woche zählten natürlich die vielen schön gefahrenen Patenthalsen, für die wir an manchem Tage glatt einen Wettbewerb ausriefen. Glücklicherweise reduzierte sich ihre Anzahl mit dem Näherrücken des Prüfungstermins, und niemand von uns sollte schlussendlich an ihnen scheitern.

Weniger offensichtlich fatal, dafür mit sehr viel mehr Stress verbunden war dagegen die von Christian ersonnene Skipper-of-the-day-Navigationsaufgabe im Tidengewässer der Elbe. Er machte sich einen Spaß daraus, uns immer wieder mit der Frage zu triezen, ob man nicht diesen oder jenen Minihafen ansteuern könne. Kommen wir da rein? Wie viel Tiefgang hatten wir noch mal? Herrje, und wie viel Wasser würde da bei Niedrigwasser noch übrig sein? Und…? Also reinfahren vielleicht, raus – auf keinen Fall! Einmal hieß er uns stoisch auf eine winzige Hafenzufahrt zuhalten, Rudergänger und Skipper of the day trat dabei gleichermaßen der Schweiß auf die Stirn. Können wir? Können wir nicht? Quasi in letzter Minute blies Christian das Manöver dann ab, eine Wende und alles entspannte sich wieder sichtlich.

Nichts gegen Alexs und Georgs Neugier, wie es wohl sein mochte, mit einem Schiff trockenzufallen. Mir kamen dazu wieder meine Dominosteinchen-Bilder in den Sinn, die ich mir schon in Spiekeroog ausgemalt hatte. Aber sechs Stunden irgendwo im Schlick zu stecken, hieß eben auch, sechs Stunden weniger Training und das wollten wir dann doch alle gerne vermeiden.

Wie viel Wert einige von uns tatsächlich auf das praktische Üben legten, wurde besonders am letzten Tag vor der Prüfung deutlich. Während ich schon lange müde und die ewigen Wiederholungen der immer gleichen Handgriffe auf dem Boot im Köhlfleet irgendwie auch leid war, wollten einige von uns gar nicht aufhören. ‚Noch einmal An-und Ablegen – nur noch einmal.‘ Als wäre es eine besondere Köstlichkeit, von der man einfach nicht die Finger lassen konnte. Schon putzig, was Prüfungsstress aus erwachsenen Menschen machen konnte. Und wie dankbar war ich, als wir es am nächsten Tag endlich alle hinter uns hatten.

Doch noch lagen alle Herausforderungen vor uns, so zum Beispiel die Frage, ob man eigentlich mit unserem Boot die Schwinge rauf bis Stade fahren könne, um dort eine Nacht festzumachen. Ja, im Prinzip… Auch diese Idee ließ Christian uns seelenruhig selbst entwickeln und dann, schon in der Umsetzung begriffen, auch eilig wieder verwerfen. Mehr als eine Schleuse lag für uns auf diesem Weg, und es stellte sich erneut die Frage nach unserem Terminplan. Wann war die Schleuse besetzt? Wann war Hochwasser? Wann konnten wir also zurück in die Elbe? Nein, keine Chance, also umdrehen – aber erst einmal Können vor Lachen, wenn man auf einem Flüsschen unterwegs ist, das so breit war wie unser Schiff lang. Drehen auf engem Raum bekam dort für uns sofort eine ganz andere praktische Bedeutung.

Auf Grund
Auf Grund

Gab es ein Geräusch? Ich kann mich gar nicht darauf besinnen, wenn es so gewesen sein sollte. Natürlich spielt mir meine Phantasie einen lauten knarzenden Ton vor, wenn ich an das Ereignis denke, aber – ehrlich gesagt – passierte es wohl ganz klammheimlich, ohne dass es von irgendeinem dramatischen Geräusch begleitet gewesen wäre. Wir saßen fest! Aufgelaufen, festgefahren im Elbschlick an der Spitze von Rhinplatte. Nach einer etwas wirren Diskussion zwischen Rudergänger und Skipper of the day ging es, statt zurück ins Elbfahrwasser, erst einmal einfach gar nicht weiter. Christian blieb, für uns alle erstaunlich genug, völlig entspannt. So war er für uns nicht nur Richtfeuer für aufziehende Unwetter, sondern auch psychologisches Quermarkenfeuer dafür, wie tragisch (‚Sehr!‘ hätten wir ohne ihn einstimmig alle sofort versichert) unsere Lage wohl wirklich war. Unproblematisch unter den folgenden beiden Bedingungen war die Ansage: a) weicher Untergrund – Schlick war für solche Zwischenfälle also super, b) auflaufendes Wasser – denn hey, jede Minute brachte mehr davon unter unseren Kiel zurück. So hieß die Devise also im Wesentlichen: abwarten. Aber vielleicht konnte man das Ganze ja doch künstlich ein wenig beschleunigen? Nach dem ersten Schreck hing plötzlich der größte Teil unserer Crew mitschiffs eingepickt an den Steuerbordwanten über die Reling. Wenn es uns gelänge, den Schwerpunkt des Bootes ein wenig zu verlagern, den Kiel nur ein bißchen schräger zu stellen… Nur ein bißchen… Nur etwas… Gute zehn Minuten hing unser menschlicher Ballast so über dem Elbwasser rum. ‚Trimmschweine‘, wie Robert das mal so schön genannt hatte, dann war unser Boot endlich wieder frei, und es konnte weitergehen. Ein sehr eindrückliches Erlebnis – so mitten im Fluss festzustecken. Wohl keiner von uns hätte damit gerechnet, dass so etwas passieren könnte. Untiefen, Ebbe und Flut – ja, hatten wir alle von gehört, uns in der Theorieprüfung auch schon damit herumgeschlagen – aber was das für ein Boot bedeutete, bedeuten konnte, das haben wir wohl alle erst in diesen zehn Minuten erfasst, die – zumindest mir – wie eine gefühlte Ewigkeit vorkamen.

SKS 2018: Henriette

Henriette

‚Das war Mist! Ein Riesenbockmist war das!‘ so ungefähr lautete meine frustrierte Einschätzung zu meinem ersten Boje-über-Bord-Manöver unter Segeln. Tränen in den Augen. Das würde ich nie schaffen. Sechs Tage, das war die Ansage. Am Sonntag würde die Prüfung stattfinden, die Anmeldung war längst abgeschickt. Kein Weg würde daran vorbeiführen. ‚So ein Schei…!‘ Viel zu lange hatte alles gedauert. Natürlich war ich auch voll in die Halse reingedonnert. Ansagen – auch das noch – können die nicht selber gucken, was sie tun müssen?!? Nein, können sie natürlich nicht, wenn du am Ruder stehst. Klare Ansagen. Kommandos immer zuerst mit einem Namen beginnen. Ja, verflucht, aber ich muss doch selbst erst einmal klarkriegen, was ich selbst eigentlich tun muss…

Nein, sonderlich erfreulich war meine erste persönliche Bekanntschaft mit Henriette nicht. Wahrscheinlich habe wir sie alle an diesem Tag mehr als ein Dutzend Mal verflucht – unsere Henriette. Groß wie ein Mensch, knallorange Schwimmweste, schwarze Stiefel, 40 Kilo schwer – nur 40 Kilo, also eher ein Kind als ein Erwachsener. Roberts erster Dummy fürs Boje-über-Bord-Manöver wog noch gute 90 Kilo und lag damit deutlich näher an der üblichen menschlichen Crew auf Booten wie unserem. 40 Kilo – hatte ich die überhaupt mal gewogen?

Das schöne an der eigenen Wohnung ist ja, dass man selbst entscheiden kann, was zur notwendigen Einrichtung gehören soll und was nicht. Eine Waage habe ich folglich nie besessen. Für so viel Ungemach muss man nicht auch noch Geld ausgeben. Es reicht doch, wenn man beim Hosengürtel immer dasselbe Loch treffen kann oder? Sehr gefallen haben mir dazu die Ausführungen der Mitarbeiterin im Botanischen Garten in Hamburg, die uns im Frühjahr eine Führung durch ihren Garten gab. ‚Ich habe ja eine Winter- und eine Sommerfigur.‘ Ja, genau – wer nicht? Unsere Henriette zum Beispiel, die konstant ihr Fliegengewicht behielt, das uns stöhnen ließ beim Versuch, sie wieder zurück an Deck zu hieven. Schon das Über-Bord-Schmeißen war gar nicht so ganz ohne, aber im Laufe der Woche perfektionierten wir die Methode gezielter Fußtritte, um sie durch den schmalen Durchgang im Seezaun zu befördern. Zwischendurch durfte sie sich dann festgezurrt auf dem Mitteldeck ausruhen, nur des Nachts wurde es noch einmal etwas spooky mit ihr. Christian merkte irgendwann an, dass er sich irgendwie doch nicht so recht an das Schleifen toter Körper über das Vordeck gewöhnen könne. Fred grinste dann wissend, zog er die Ärmste doch regelmäßig als Schattenspender über die Luke im Vorschiff.

Henriette mittschiffs
Henriette mittschiffs

Das Manöver, das Christian uns die Woche über mit Henriettes Hilfe einstudieren ließ, war dagegen eine wahre Offenbarung. Hatten wir vor dem Törn noch gerätselt, wie man wohl ein Segelboot von 14 Tonnen punktgenau neben einer in den Wellen treibenden Boje mittels Aufschießer zum Stehen bringen sollte. Wind, Strom, Ausgangsgeschwindigkeit, Gewicht des Bootes… Viel zu viele Ausgangsparameter fand Alexander. Wie hätte ich ihm da widersprechen können. Zwar fängt meine Profession auch mit „Ph“ an, endet aber eben nicht wie bei ihm mit „ysik“.

Statt dieses unübersichtlichen Aufschießer-Klassikers der Lehrbücher brachte Christian uns ein wesentlich eleganteres Manöver bei, welches auch noch den charmanten Vorteil hatte, dass es verschiedene Pflichtaufgaben der Prüfung gleich mit abfrühstückte: beiliegen z.B. und damit fing auch alles an. Henriette – schon wieder im Wasser. ‚Alles klar zum Beiliegen!‘ Wenden, kurz zurückkommen, all die Dinge virtuell erledigen, die dann zu tun wären. Ohne allen Schnickschnack auf den Punkt gebracht, wie es jene russlanddeutsche Mädel bei unserer SBF-Prüfung in so unvergleichlicher Weise getan hatte: ‚Du Rettungsring! Du Ausguck!‘ ‚Aye, aye!‘ Wir perfektionierten die Ansagen im Laufe der Woche ebenso wie die Taktik, nicht gerade denjenigen, der eben noch am Niedergang stand, nach achtern zum Rettungskragen und den Kollegen am Rettungskragen runter zum Funken zu schicken. Na ja, jedenfalls versuchten wir, das irgendwie auch noch im Blick zu behalten… Dann also raumschots weg. Fock bergen, wenden und am Wind zurück. Durch Fieren und Dichtholen des Groß‘ ließ sich die Geschwindigkeit regulieren und dann – nur noch, haha – Henriette aus dem Bach ziehen. Wichtig, Fred mit dem Bootshaken nach vorne schicken, seine zwei Meter Lebensgröße hielten wir schlussendlich alle für den entscheidenden Faktor. Leider, leider hatte unsere Henriette genauso wenig wie ein echtes Crewmitglied den schönen Griff der Markierungsboje, an dem man diese so leicht bergen konnte – selbst dann noch, wenn schon Eis daran hängen mochte wie bei unserer SBF-Prüfung, die im Februar und damit in einem jahreszeitlich doch etwas spannenden Monat für diese Art von Betätigung auf dem Wasser angesiedelt gewesen war. Leider haben Menschen aber keine Griffe und folglich auch unsere Henriette nicht, nur eine Bergeschlaufe an der Rettungsweste. Mir wird immer noch anders, wenn ich daran denke, ich müsste einen echten Menschen mit diesem Ding, das sich so euphemistisch als „Rettungshaken“ bezeichnen ließ und doch von einem Fleischerhaken nicht zu unterscheiden war, zu fassen kriegen. Und selbst, wenn man diese Geschicklichkeitsübung heil überstanden hatte, hing das dumme Ding – Verzeihung, Henriette! – immer noch gut einen halben Meter unter mir im Wasser. Auf dem Bauch liegend, um überhaupt so weit runter reichen zu können, war an ein Hochziehen nicht zu denken. Was also dann? Variante 1: der Großbaum – wieder so eine Lehrbuchnummer. Ja, wenn man diesen verdammten Schäkel dann auch irgendwie auf und wieder zu bekommen könnte. Keine Chance, keine Mädchenmethode. Also Variante 2: das Gennaker-Fall. Yes! Lasst uns unbenutzte Fallen an Segelbooten anbringen, mehr Männer werden es überleben, versprochen!

Einmal geriet uns eines unserer Manöver zu dicht ans Fahrwasser. Keine Gefahr, aber Henriette sah im Wasser schon verdammt realistisch aus. Prompt traf ein Funkspruch bei uns ein, ob Hilfe nötig wäre. Sah man Henriette so neben den riesigen Pötten in der Elbe treiben, konnte man schon Sorge bekommen. Gut zu wissen, dass so viele Leute, ihre Augen offen hielten, auch wenn sie in diesem Fall nur einen Dummy schwimmen sahen. Der wesentliche Trick, den wir alle in dieser Woche verinnerlichten, war, gar nicht erst ins Wasser zu fallen!

Henriettes Ankerbier
Henriettes Ankerbier

Als vollwertiges Crewmitglied erhielt Henriette dann irgendwann auch ihr Anlegerbier. Wer es ihr gab, weiß ich nicht. Trotzdem, sehr auf Dein Wohl, Henriette, wir haben viel durch Dich gelernt. Sei nicht bös‘, dass wir Dich so oft getreten haben.