Der Tag der Regatta begann mit spiegelnden GoldflĂŒssen, welche die Morgensonne, vom Meerwasser reflektiert, durch die Achterluke in unsere KajĂŒte sandte. Ich blinzelte ein-, zweimal in diesen vielversprechenden Morgen und schlief dann noch herrliche drei Stunden weiter. Das FrĂŒhstĂŒck nahmen wir dann bei eben dieser FrĂŒhsommersonne im Cockpit zu uns wie fast alle anderen Crews im Hafen auch. LĂ€rm kam allein von den SchwĂ€rmen von Austernfischern und anderen Limikolen, die sich mit schrillen Rufen ĂŒber die QualitĂ€t der frĂŒhen WattwĂŒrmer zu streiten schienen, nach denen sie eifrig stocherten.
Der offizielle Teil der Regatta begann dann zur Mittagszeit mit der Steuermann-Besprechung am Spiekerooger Segelclub. Dutzende von Crews hatten sich hier eingefunden, um Strecken- und StartmodalitĂ€ten in Erfahrung zu bringen. Wir zĂ€hlten zur vierten von insgesamt fĂŒnf Startgruppen. Ein blaues Band am Achterstag wĂŒrde unsere Gruppe kenntlich machen. Rund 75 Boote wĂŒrden an diesem Tag an der 61. Seestern-GedĂ€chtnis-Regatta teilnehmen. SorgfĂ€ltig prĂ€gten wir uns die Regattastrecke ein und zĂ€hlten uns wechselseitig immer wieder die Namen der Konkurrenz aus unserer Klasse auf. Jeder von uns konnte spĂ€ter ganz genau sagen, welche Boote es galt, achteraus zu lassen. Mittlerweile hatte auch mich das Wettkampffieber gepackt, auch wenn ich sonst wenig von solchen Sportereignissen halte. In dieser Hinsicht, ich gebe es zu, nagt immer noch das Trauma des Schulsports an mir. Wenn man zu denjenigen gehört hatte, die der Lehrer beim WĂ€hlen der Mannschaften schlussendlich zuteilen musste, ist die spĂ€tere Begeisterung fĂŒr WettkĂ€mpfe welcher Art auch immer sehr, sehr ĂŒbersichtlich.
Unser Startfenster war 13.50 Uhr. Christian bestimmte einen Zeitbeauftragten, und die Stoppuhr wurde gespitzt. SchlieĂlich liefen wir zusammen mit all den anderen Booten aus. Das Fahrwasser vor Spiekeroog fĂŒllte sich mit mehr und mehr bunten Segeln. Eine Weile lang galt es fĂŒr uns noch hin und her zu kreuzen, die Uhr fest im Blick, dann kam unser Startsignal. Als der Blitzknall sein Rauchwölkchen an den Himmel zeichnete, waren wir mehr als bereit, und ein Pulk von Booten schoss zeitgleich zur Startlinie â und eines von Steuerbord her quer in die gesamte Gruppe hinein. Ein groĂer Tumult brach aus ob dieser rowdiehaften Wildsegelei. GebrĂŒll, hektische Wenden, noch mehr GebrĂŒll. Ich verlor den Ăberblick in all dem Chaos. Jemand hĂ€tte das Startschiff gerammt, hieĂ es. Ich verdrehte mir den Hals danach, konnte aber nichts erkennen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass wir mittlerweile und trotz allem lĂ€ngst auf der Wettkampfstrecke unterwegs waren. Christian, wie immer einen kĂŒhlen Kopf bewahrend, hatte uns sicher ins Rennen geschickt, und unsere erste Regatta konnte beginnen.
âMeine erste Regattaâ, beim Abendessen in Aachen, als ich mir die Sache das erste Mal richtig durch den Kopf gehen lieĂ, klang das noch verdĂ€chtig nach, âmein kleines Ponyâ. Sicher, bereits zu diesem frĂŒhen Zeitpunkt war mir klar, dass das sicher alles andere als ein rosaroter KleinmĂ€dchentraum werden wĂŒrde. Und ein wenig hatte ich unseren Skipper schon im Vorwege bedauert, war ich mir doch sicher, dass eine gute Platzierung, auf die er bestimmt spekulierte, mit uns als Mannschaft â nun, sagen wir es nett â herausfordernd werden wĂŒrde. Und nun waren wir schon mittendrin.
Am Vormittag hatten die Nachbarcrews alles Mögliche von ihren Booten auf den Steg geschafft, um das Gewicht ihrer Schiffe fĂŒr die Regatta zu optimieren. Diverse BierkĂ€sten und Spirituosenflaschen vom Vorabend tauchten dort auf, und wir witzelten spĂ€ter darĂŒber, ob wir nicht doch besser noch den Anker von unserem segelnden Wohnwagen abmontieren und zu PĂŒtt un Pann auf den Steg legen sollten. Doch war unsere âHelgoland Expressâ gar nicht auf solcherlei Spielereien angewiesen. ZuverlĂ€ssig und gewandt segelte sie nun mit uns von Wendeboje zu Wendeboje, sich gut im Feld der Kontrahenten machend.
Die Crew hielt derweil die Augen offen nach der âGrauen Mausâ und dem âButtpedderâ â der Konkurrenz aus unserer Klasse. Beide erspĂ€hten wir schon nach der ersten Wende weit abgeschlagen achteraus. Juhu, wir lagen vorn! Meine Aufmerksamkeit wurde zunehmend vom bunten Treiben um uns herum in Beschlag genommen. Immer wieder schossen kleinere Boote quer, und Christian nutzte gleich zweimal den Luxus einer Fahrtenyacht â das Schiffshorn â um die Crews entsprechend wildsegelnder Boote an ihre Ausweichpflicht zu erinnern. Die einen merkten es schnell, als sie aufgeschreckt unter ihrem Segel hervorlugten. Die anderen gar nicht. âSind halt keine groĂen Guckisâ, kommentierte unser Skipper die Lage nach erfolgreichem Ausweichmanöver unsererseits.
Insgesamt war ich als völliger Regattaneuling sehr erstaunt, dass uns auf einigen Teilstrecken so viel Zeit blieb, das Geschehen rund ums eigene Boot so genau zu studieren und die Fahrt in der Sonne auch entspannt zu genieĂen. Ich hatte mir das Ganze wesentlich hektischer vorgestellt. Dass es das durchaus auch sein konnte, erfuhren wir spĂ€ter, als unser Bootsnachbar am Steg stolz verkĂŒndete, er hĂ€tte nur sechsmal das Segel wechseln mĂŒssen auf dieser Strecke. Wir dagegen schafften es ohne Wechsel des Segelkleids und vorheriger ZwangsdiĂ€t des Schiffsbauches und freuten uns ĂŒber herrlichstes Segelwetter. Sonne satt. Der Fahrtwind kĂŒhlte auf den Am-Wind-Strecken, raumschots baumten wir die Fock aus, und ich schaute mich an den bunten Spis und Gennakern um uns herum satt. Besonders hĂŒbsch anzuschauen waren auch die Teilnehmer des letzten Startfensters â einige Plattbodenschiffe mit den typisch roten Segeln ĂŒber VollholzrĂŒmpfen. Wieder einmal bedauerte ich zutiefst, dass ich von Papas Tischlerfertigkeiten aber auch so gar nichts geerbte hatte, sonst stĂŒnde die Entscheidung fĂŒr das Traumboot lĂ€ngst fest.
Der schönste Zuschauer der Seestern-GedĂ€chtnis-Regatta auf Spiekeroog: ein Seehund, der sein Köpfchen neugierig aus dem Wasser reckte und das lustige Treiben der schnellen Boote mit den bunten Segeln zu begutachten schien. HĂ€tte er gekonnt, ich bin mir sicher, er hĂ€tte sicher sein Köpfchen darĂŒber geschĂŒttelt. Wozu die Eile? Es ist doch Wasser genug fĂŒr alle daâŠ
Zwei Runden waren zu absolvieren: von der Startlinie aus nach SĂŒden gen Neuharlingersiel, eine Wende zurĂŒck nach Norden gen Spiekeroog, eine Wende und westwĂ€rts gen Langeoog und zurĂŒck zum Startschiff fĂŒr die nĂ€chste Runde. Es gab so viel zu sehen, dass die Zeit wie im Flug verging. Sylke stand am Ruder und manövrierte uns sicher durch das Geschehen. Eine der besten Gelegenheiten, diverse Ausweichregeln zu repetieren. Als besonderes Schmankerl navigierte auch noch die FĂ€hre zwischen Insel und Festland durch das dichte Feld der Segelboote oder besser, dies um besagte FĂ€hre drum herum.
Und dann wurde es spannend: die Ziellinie kam in Sicht, die Startnummer wurde an Deck geholt und gleich â da drĂ€ngte uns doch glatt das grĂŒne Boot, das uns schon einige Male wĂ€hrend der Regatta frech nahegekommen war, auf den letzten Metern ab, schob sich vor uns und durchs Ziel. Gute Seemannschaft geht anders! âHey, hallo!â das war der Moment fĂŒr echte EntrĂŒstung, aber Christian riet zur Ruhe. Und ja eigentlich war es auch egal, denn sie segelten nicht in unserer Klasse, und von MĂ€usen und Plattfischpiekern hatten wir schon seit gefĂŒhlten Stunden nichts mehr gesehen. Also Startnummer hochgerissen und rein ins Ziel. Das warâs. Juhu! GefĂŒhlt hatten wir auf alle FĂ€lle schon mal gewonnen.
Ich löste Sylke am Ruder ab, nun ging es nach Hause in den Hafen â zusammen mit allen anderen. Wir drehten eine Orientierungsrunde durchs Hafenbecken. Ja, der Liegeplatz war noch frei â gleich neben den BierkĂ€sten und dem anderen Krams vom Nachbarboot. Also Segel bergen, Motor an und rein in die gute Stube. So ging ein weiterer herrlicher Segeltag langsam zu Ende.
Auf dem Plan stand nun als nĂ€chstes das wohlverdiente Abendessen: Kartoffelgratin, GrillkĂ€se, Salat und fĂŒr die Nichtvegetarier ein HĂŒhnerbein. Das Ankerbier wurde an diesem Abend um ein wohlverdientes zweites ergĂ€nzt. Satt und zufrieden harrten wir der Siegerehrung, die im Segelclub am selben Abend noch stattfinden sollte. Das Ereignis war fĂŒr 21 Uhr angesetzt. So wogen wir uns schon vor Beginn in der Gewissheit, dass dies nur ein kurzes Gastspiel unsererseits auf dem Regattaball werden wĂŒrde, denn fĂŒr den nĂ€chsten Tag stand die Heimreise und damit das Auslaufen mit dem Morgenhochwasser schon fest. Das hieĂ, um fĂŒnf Uhr wĂŒrden wir wieder losmachen mĂŒssen. Also wie viele Stunden Schlaf? Es gibt Momente im Leben, da rechnet man lieber nicht so genau⊠Egal, bis dahin war es ja noch etwas Zeit. Grund genug, ein wenig stolz zu sein, hatten wir allemal. Immerhin waren wir keine jahrelang eingespielte Crew, sondern gerade mal drei Tage zusammen auf dem Wasser unterwegs, und unsere âHelgoland Expressâ war sowieso eine KuriositĂ€t fĂŒr sich im flachen Wattfahrwasser. Also: freuen â jetzt!
âDas war Können!â schallte ein bereits deutlich angetrunkener Ruf aus den hinteren Reihen, als die Regattaleitung kritisch das Tohuwabohu ansprach, das unsere Startsequenz so durcheinander gewirbelt hatte. Die Preisrichter hoben ob dieser Uneinsichtigkeit missbilligend die Augenbrauen. Allgemeines KopfschĂŒtteln. Dann ging es endlich an die Preisverleihung.
FĂŒr uns gab es dann noch eine unerwartete Ăberraschung, wies doch unsere Bootsklasse plötzlich zwei weitere Mitstreiter auf, die bei der Steuermann-Besprechung noch nicht auf dem Plan gestanden hatten. Und auch wenn wir deutlich schneller als MĂ€use und Plattfischpiecker gewesen waren, hatte man uns zu guter Letzt in Gemeinschaftsarbeit doch noch ĂŒberholt. Der Skipper der âTeamworkâ strahlte ins Publikum, und Christian kehrte etwas irritiert mit Silberschiffchen und der aus dem Geschenkeboot geangelten Dose Isolierspray an unseren Tisch zurĂŒck. Wir witzelten darĂŒber, wer letztere wohl als erstes auf seinem Kaminsims wĂŒrde drapieren dĂŒrfen, fotografierten eifrig unser Schiffchen, reichten es von Hand zu Hand und freuten uns ĂŒber unsere Platzierung. Als die Regattaleitung schlieĂlich die TanzflĂ€che freigab und wie aufs Stichwort die Liedzeile âVerstand ĂŒber Herzâ erklang, nahmen wir selbige wörtlich, machten uns auf den Weg zurĂŒck zum Boot und zu einer viel zu kurzen Nacht.