Wie gerne hätte ich mich zu ihnen gesetzt – zu den Malern, die die Engel zeichneten. Wahrscheinlich ist es eine Fingerübung für jeden Kunststudenten in Rom. Etwas, das man unbedingt probieren muss, und etwas, an dem sich schon viele versucht haben – mal mit mehr, mal mit weniger Talent.
Mir blieb nur der flüchtige Blick über die Schulter und die Sehnsucht, hier ein wenig länger zu verweilen, zu betrachten: diese Anmut, diese Schönheit. Nicht die aufgeblasenen deutschen Putten, sondern graziöse Wesen mit kraftvollen Schwingen und den Fesseln eines Mädchens…
Die meiste Zeit im Leben ist man blind. Sieht nicht. Spürt nicht. Funktioniert. Das ist das Traurige daran. Vielleicht ist es das, was einen so stimmt, wenn man einmal innehält. Wie hier auf dieser Brücke, innehält und betrachtet. Wie hier bei dieser in Stein gegossenen Anmut.
Man bleibt stehen, versunken und denkt und träumt. Man wünscht zu malen, weil es der Augenblick ist, nach dem man sich sehnt. Der Moment, in dem man ist, der einem ganz allein gehört. Ein Moment, der zu einer Ewigkeit wird in einer ewigen Stadt, in der die Kunststudenten auf der Engelsbrücke in der Sonne sitzen und ferne Himmelswesen skizzieren, die uns etwas über unsere Zeit erzählen, unseren Augenblick im Fluss, in welchem alles immer schon vergangen ist.
Und in all dem – dem Strom des Wassers unterhalb, dem Strom der Menschen oberhalb – berührt man zaghaft diese geflügelten Steine, um einen Teil ihrer Zeitlosigkeit zu erhaschen. Zu fühlen, wie es ist, jenseits zu sein, außerhalb der Zeit zu stehen.
Ich habe nie an Engel geglaubt. Meine Mutter erzählte mir von ihnen, damit ich besser schliefe. Ich schlief nie gut. Aber ihre Schönheit rührt mich, und ich möchte verweilen. Vor allem möchte ich das Gefühl nicht verlieren – das Gefühl auf dieser Brücke. Aber der Mensch ist nicht gemacht für große Gefühle, noch weniger für solche von Dauer. Als schwimme man in einem reißenden Fluss. Manchmal gelingt es einem, aufzutauchen und nach Luft zu schnappen. Für einen Moment ist man frei. Man blickt sich um, staunt, aber noch bevor man den Gedanken ganz fassen kann, reißt es einen wieder mit sich fort. Es mögen Jahre vergehen, bis man wieder einmal zur Ruhe kommt.
Noch in hunderten von Jahren werden Steinengel auf dieser Brücke den Menschen zeigen, was geschah. Sie werden sagen: ‚Seht!‘ Und ihre Arme für uns ausbreiten. Aber die Menschen eilen vorbei. Sie haben keine Zeit und kein Gedächtnis.
Das italienische Wort für „Dank“ und das deutsche Wort für „Anmut“: Grazie!