„Weißes Wasser “

Hamburg Finkenwerder, Helgoland, Borkum, Norderney, Langeoog, Spiekeroog, Wangerooge, Oste, Hamburg Finkenwerder

August / September 2021

Inhalt


Der Wind malt sich ins Wasser
Zeichnet sein Temperament
Das Wasser tĂŒrmt sich zum Himmel
Bildet Berge aus weißem Wetterschaum
Weite und Welt bis zum Horizont



Vorbereitungen

Der Törn im SpĂ€tsommer sollte unser erster grĂ¶ĂŸerer Segeltrip in diesem Jahr werden. Spiekeroog zu Pfingsten war nun schon zum zweiten Mal der Pandemie zum Opfer gefallen – ‚Carola‘, wie mein Cousin sie zu nennen pflegte, weil er ‚Corona‘ einfach nicht mehr hören konnte.
Gab es im letzten Jahr zumindest noch GrĂŒĂŸe von Spiekeroog – Christian war mit halber Crew hingesegelt – fiel es in diesem Jahr vollkommen aus. Die dritte Welle.

Im Mai hatten keine Schiffe fahren dĂŒrfen, und wir hatten – wie so viele – noch sehnsĂŒchtig auf einen Impftermin gewartet. Im August hatten wir es nun beide endlich geschafft, einen ‚guten‘ Arm mit nach Hause zu bringen. Jetzt konnte es endlich losgehen, dachte ich ungeduldig und fernwehkrank.

Unbekannter KĂŒnstler, Elbe

Selten hatte ich so viel Zeit in meinen eigenen vier WĂ€nden verbracht wie in den vergangen eineinhalb Jahren. Vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil der Vergleichsmaßstab so extrem war. Berufsbedingt hatte ich die Jahre zuvor, zumindest gefĂŒhlt, mehr Zeit in der deutschen Bahn verbracht als in meiner eigenen Wohnung. Dort anzukommen, war mir zum Schluss oft schon wie ein Besuch bei Freunden erschienen. Alles sehr nett, aber nicht zu sehr einrichten, denn man musste ja wieder los, leider, leider
 Die letzten Monate waren nun das völlige Gegenteil zu dieser ĂŒblichen Deutschlandrundreise. Selten hatte uns unser Weg per Pedes oder Pedal jenseits der Grenzen unseres eigenen Stadtteils gefĂŒhrt. Jedes kulturelle Leben war gestrichen. Schmerzlich wurde mir im Laufe dieser Zeit bewusst, dass ich haargenau das Leben fĂŒhrte, das ich nie fĂŒr mich hatte wĂ€hlen wollen – das Leben meiner Mutter. Sie reiste nicht, sie ging nicht aus, sie ging nicht Essen und traf – abgesehen von der Familie – kaum Leute. Meine Mutter beteuerte, dieses Leben in seinen ruhigen, immer gleichen Bahnen zu genießen. Ich hatte immer anderes gewollt, wollte es immer noch mit aller Kraft und musste doch warten, weil es nicht zu Ă€ndern war. Musste mich in Geduld ĂŒben, und Geduld ist eine Tugend, die scheinbar einen großen Bogen um mich gemacht hatte oder ich um sie – wie man es eben nehmen wollte.

Umso mehr fieberte ich nun unserem Törn zu den ostfriesischen Inseln entgegen, dem ‚Insel-Tasting‘, wie Christian es spaßeshalber genannt hatte. Stand fĂŒr ihn als Spiekerooger GewĂ€chs doch lĂ€ngst fest, welches die schönste Insel in dieser Perlenkette im Watt sein wĂŒrde, deren Erkundung Alexander und ich im letzten Jahr angeregt hatten.

Wo wĂŒrden wir wohl ĂŒberall hinkommen? Welche HĂ€fen wĂŒrden wir anlaufen können? Durch welche der wilden Seegatten wĂŒrden wir tatsĂ€chlich einen Durchlass finden? Im „Reeds“ hieß es dazu: „Generally the Seegats between the islands should be avoided. Vessels small enough to use the Wattenmeer are best adviced to enter at the E or W ends and stay inside, enjoying the protection the islands afford from the sea outside“ (Towler, P. & Fishwick, M. (Hrsg.), Reeds Nautical Almanac 2019, 697). Und das Wetter? WĂŒrde das Wetter mitspielen? Zwei Wochen vor Törnbeginn hĂ€uften sich bei mir die Fragen und lenkten mich ab von den immer gleichen, sich mal wieder verdĂŒsternden Nachrichten, in denen Zahlen stetig hoch- und runtergebetet und auch mal durch Alternativen ersetzt wurden, die irgendwem besser genehm zu sein schienen.

Vierzehn Tage vor Törnbeginn begannen diese Zahlen, nun mal wieder zu steigen, und mir wurde mulmig bei dem Gedanken an die Enge auf dem Schiff. Mulmig wie so oft in letzter Zeit, wenn man sich zwischen mehr Menschen wiederfand, als erwartet. Hatte unser Leben eines im letzten Jahr verloren dann die Leichtigkeit.

Und doch will ich nicht aufhören zu hoffen, auch wenn ich schon einen ganzen Schrank voll schillernder WĂŒnsche mein eigen nennen kann. Hoffen, dass wir nicht mehr ĂŒber das Normal reden, sondern dass es tatsĂ€chlich auch wieder eintritt. Hoffen, dass wir das Zusammensein wieder werden genießen können, dass wir wieder Freude an der Gemeinschaft erleben können, dass auch etwas Gutes fĂŒr alle aus dieser Zeit bleibt, die einen so viel an die anderen denken ließ, weil sie einem plötzlich alle so nahegingen und auch weil viele so fern bleiben mussten


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