Den nĂ€chsten Tag nahmen wir frei und genossen die Insel. Vor allem fĂŒr uns, die wir Spiekeroog schon kannten, gab es eine lange Liste an Dingen, die man erledigen, an Orten, die man unbedingt wiedersehen wollte. Und war es auch nur um festzustellen, dass alles immer noch genau so war, wie wir es in Erinnerung hatten.
Am Morgen noch verholten wir uns etwas tiefer in den Hafen. Erst an den Ă€uĂeren Steg, von dem es dann jedoch hieĂ, er knarze, sodass wir noch ein weiteres Mal den Platz wechselten. Freie PlĂ€tze gab es zwischenzeitlich reichlich. Es war Sonntag, und viele der Segler hatten sich schon wieder auf den Heimweg gemacht. In der Nacht war der Hafen noch voll gewesen, jetzt hatten wir die Qual der Wahl. Einziger Wermutstropfen unseres Umzugs war, dass der nĂ€chste Morgen ohne die goldene Sonnenflut in unserer AchterkajĂŒte wĂŒrde beginnen mĂŒssen, die uns an diesem Tag geweckt hatte und mich an unseren ersten Besuch dort erinnerte.
Nicht nur das Licht, auch das sich verfestigende Wasser waren gleichgeblieben in diesem Hafen. Wie jener auf Langeoog und Teile davon auf Wangerooge fiel auch der Spiekerooger Hafen trocken. Möwen und BrandgĂ€nse, die eben noch geschwommen waren, wateten wenig spĂ€ter durch dicke Schlickschichten, in denen sie mit Begeisterung herumstocherten – nur ĂŒbertroffen von Austernfischern, Rotschenkeln und Sandregenpfeifern. Sie bestimmten auch die GerĂ€uschkulisse, unterbrochen nur dann und wann vom Dröhnen der FĂ€hre. Ansonsten war es still, wenn man einmal von unserem lustigen Geplapper am FrĂŒhstĂŒckstisch absah.
Wenig spĂ€ter war ich mit Silke auf dem Weg in den Ort. Hier wusste ich zielsicher einen Postkasten fĂŒr den Stapel geschriebener Karten, den ich unbedingt loswerden wollte. Wer wusste schon, wann die nĂ€chste Gelegenheit dazu kommen wĂŒrde? Mit einer Flaschenpost wĂŒrde ich bei den meisten Freunden und Verwandten wohl eher keinen Stich machen könnenâŠ
Als wir zurĂŒck zum Boot kamen, war Alexander weg. Christian entschuldigte ihn artig: âNa, er kann doch nicht die ganze Zeit hier allein herumsitzen oder?â Nein, konnte er nicht oder doch? Jedenfalls fĂŒhrte uns das nun zu einem der absurdesten Telefonate, die ich je gefĂŒhrt hatte. âHallo?â âHallo, wo bist Du denn?â âIch? Am Meer!â Wo sonst?! Ich machte mich also auf den Weg in der Hoffnung, dass wir uns irgendwo auf der Insel schon wiederfinden wĂŒrden. Unerwartete Hilfe leistet uns dabei schlieĂlich der âUtkiekerâ – die Statue auf Spiekeroogs höchster DĂŒne. Wir nutzten ihn als Peilobjekt, wĂ€hrend wir beide, aus unterschiedlichen Richtungen kommend, durch die DĂŒnenwege wanderten. âIch habâ ihn jetzt backbord querabâ, verkĂŒndete ich irgendwann stolz Alexander am anderen Ende der Leitung. âSehr gut, bleibâ da, ich habâ ihn rechtvoraus.â So fanden wir uns auf Spiekeroog schlieĂlich wieder, mitten am Meer, mitten im schönsten Nichts der ganzen frieslĂ€ndischen KĂŒste.
Danach streiften wir zusammen weiter, nun direkt am Strand. Die FĂŒĂe im Wasser kĂŒhlten die Hitze der Sonne. Es war Sommer! Am Meer entlang liefen wir so vom Ort aus zum Westend, beide in der Erwartung an trockengefallene Segelboote, einen fast menschenleeren Strand und hinter einem versteckten Durchbruch in den DĂŒnen das Old Laramie. Wir fanden es alles. Es war alles noch da. Manchmal war es einfach schön zu wissen, dass auch andere Dinge gerade wie man selbst aus der Zeit gefallen zu sein schienen. Die letzten Monate waren in so vielerlei Hinsicht auĂergewöhnlich gewesen, dass dieses StĂŒck lebende Vergangenheit einfach nur gut tat.
Nein, wir kehrten nicht im Laramie ein. Wir erinnerten uns lieber an die Partys am spĂ€ten Abend und machten uns stattdessen auf zurĂŒck ins Dorf. Gab es dort nicht immer noch die weltbeste Eisdiele? Im Schatten der alten AlleebĂ€ume schlemmten wir schlieĂlich Eis aus frisch gebackenen Zimtwaffeln. Eine Horde Spatzen und Dohlen hatte den Vorplatz fest in der Kralle. Kein KrĂŒmel blieb unbeobachtet. Und es gab viele KrĂŒmel, denn natĂŒrlich wollten alle ihr Eis in diesen Waffeln. Ja, es herrschte ein derartiges Angebot fĂŒr die Vögel des Himmels, dass man den Eindruck hatte, der eine oder andere Spatz schaue die WaffelstĂŒckchen schon scheel an mit der Ăberlegung, ob er tatsĂ€chlich noch einmal danach picken oder ob er nicht vielmehr schon viel zu satt fĂŒr derlei Aufwand sei. Jedenfalls standen sie alle ziemlich gut im Futter. Und uns wĂ€re es sicher nicht anders ergangen, hĂ€tten wir mehr als diesen einen Tag auf der Insel verbracht.
FĂŒr den Abend hatten wir uns schon zum nĂ€chsten Essen verabredet. Gerne wollten wir bei dem schönen Wetter drauĂen sitzen, mussten aber feststellen, dass die Gastwirte des Ortes ohne uns gerechnet hatten. Beim einen war die Terrasse schon geschlossen, beim anderen ausgebucht. âAuch gutâ, dachten wir, âdann basteln wir uns eben ein Freiluftrestaurant nach eigenem Gusto.â Auf der Gemeindewiese schoben wir BierbĂ€nke zusammen, holten GetrĂ€nke und Besteck vom Boot und machten uns dann ĂŒber die beim lokalen Italiener besorgte Pizza her. Was fĂŒr ein herrliches Picknick! Offenbar gaben wir ein gutes Vorbild ab, denn nur wenig spĂ€ter hatte die Mutter-Kind-Gruppe an der Sandkiste hinter uns es uns gleich getan.
Nach diesem sonnenverwöhnten Inseltag mit den FĂŒĂen im Wasser und dem âSand in den Schuhnâ waren wir uns abschlieĂend jedenfalls alle einig: Ja, Spiekeroog war einfach die schönste von allen. Das Tasting war entschieden noch bevor Wangerooge seine Chance auch nur erhalten hatte. Doch wollten wir natĂŒrlich nicht unfair sein. Wir wĂŒrden ihr am nĂ€chsten Tag noch Gelegenheit geben, uns fĂŒr sich einzunehmen. Aber erst morgen, denn heute waren wir noch auf Spiekeroog und genossen den Abend und eine traumstille Nacht, in der nur die Möwen neben uns in ihrer Schlickpackung ein waches Auge auf unser Boot haben wĂŒrden.