WĂ€hrend sich also unsere MĂ€gen fĂŒllten und ein allgemein behagliches GefĂŒhl auf dem Boot eintrat, leerte sich in der selben Zeit der Hafen. Als das Niedrigwasser schließlich erreicht war, staunten wir nicht schlecht. Rund um uns erhoben sich nun hohe Hafenmauern, als hĂ€tte sie plötzlich jemand in die Landschaft gesetzt, als wir eben noch auf einem Sprung im Ort waren. Wo zur Mittagszeit die Knutts noch lustig auf Augenhöhe mit dem Cockpit vorbeistolziert waren, erhob sich nun eine beachtliche Wand, die den Hafen wie eine Schwimmbadeinfriedung umgab. Im Hafenbecken selbst traten Schlickbarren zu Tage, und kurioser Höhepunkt des Schauspiels waren dann die Wattwanderer, die vor der Hafeneinfahrt auftauchten. Schon ein echtes PhĂ€nomen, dieses Tidensegeln. Und eine echte Herausforderung: fĂŒr den nĂ€chsten Tag hieß es, Wangerooge erst kurz vor dem Hochwasser verlassen zu können. Ich erwĂ€hnte die Schlickbarren im Hafen oder? Gleichzeitig mussten wir die ElbmĂŒndung aber ebenfalls mit einsetzendem Flutstrom erreichen, um noch etwas den Fluss hochfahren zu können. Gegenan war keine Option, denn zu allem Überfluss sollte uns auch noch der Wind verlassen. Zusammengenommen hieß das, dass wir zu viel Zeit fĂŒr eine zu kurze Wegstrecke zur VerfĂŒgung haben wĂŒrden. Sollten wir doch noch einen Abstecher nach Helgoland unternehmen, um versĂ€umte EinkĂ€ufe zu erledigen? Nein, Spaß beiseite, das war nicht wirklich eine Option, trotzdem mussten wir uns was ĂŒberlegen.

Schließlich hatte Alexander die Idee: ‚Lasst uns doch zur Tonne ST segeln.‘ ‚Die Tonne ST?‘ ‚Ja, die aus den Navigationsaufgaben – die Ansteuerungstonne der Weser. Sie soll den Bremer StadtschlĂŒssel tragen. Das wĂŒrde ich gerne mal sehen.‘ Wir auch, also war das beschlossene Sache. Am nĂ€chsten Tag wĂŒrde uns unser Weg nach dem Auslaufen zuerst zur Tonne ST fĂŒhren und erst, wenn wir diese genauestens inspiziert hatten, wĂŒrden wir uns auf den Weg zur ElbmĂŒndung machen. ‚Wir können ja auch noch zwei Runden um die Tonne schwimmen gehen.‘ Ich rollte mit den Augen. Nicht alles, was an diesem Abend noch so vorgeschlagen wurde, fand tatsĂ€chlich seinen Platz auf unserem Spickzettel fĂŒr den nĂ€chsten Tag. Bei einigem war das auch ganz gut so.

Gegen Mittag machten wir uns dann wieder auf den Weg. Hier und da schaute ein Seehund aus dem Wasser, als wir das letzte Mal auf diesem Törn ein Seegatt passierten. Auch die „Schillig“ sahen wir wieder und dann am Horizont wie auf einer Perlenkette aufgereiht die dicken Pötte im Verkehrstrennungsgebiet Richtung Elbe. Wir blieben noch eine Weile weiter sĂŒdlich. Wie gesagt, erst wollten wir bei der Tonne ST vorbeischauen. Wir witzelten, dass wir bald ein Panini-Album fĂŒr unsere Tonnen wĂŒrden anlegen können. Immerhin hatten wir schon die SĂŒder- und die Norderpiep besucht, die muhende Heultonne sĂŒdlich von Helgoland, die Otzumer Balje, Accumer Ee, natĂŒrlich die Ansteuerungstonne der Elbe und nun eben die Tonne ST – jeder, der einmal Navigationsaufgaben fĂŒr den SKS gelöst hat, hat eine Vorstellung davon, wie oft man bei dieser Ausbildung ĂŒber diese Tonnen spricht. Sie werden tatsĂ€chlich zu so etwas wie ‚alten Bekannten‘. Sie nun tatsĂ€chlich hier draußen auf dem Meer zu sehen, war ein Erlebnis.

Unsere Tonne ST kam gegen 16 Uhr in Sicht. Wir korrigierten den Kurs ein wenig und nahmen schließlich sogar die Maschine zur Hilfe, um ihr wirklich Hallo-sagen zu können. Immerhin war da ja die Sache mit dem SchlĂŒssel, von dem Alexander so begeistert erzĂ€hlt hatte und von dem wir nun alle begierig waren, ihn zu sehen. Leider mussten wir dann aber feststellen, dass dieses Detail entweder eine Wikipedia-Steinlaus gewesen oder zumindest den Widrigkeiten der realen Welt zum Opfer gefallen war. Weit und breit war kein StadtschlĂŒssel zu finden, nur die gemĂ€chlich vor sich hin schaukelnde, rot-weiße Tonne.

Tonne ST
Tonne ST

Wir hatten es ja auch nicht eilig, segelten aber trotzdem weiter. Vor der ElbmĂŒndung machten wir einige geruhsame lange KreuzschlĂ€ge – noch war der Strom gegen uns und wir bei sĂŒdöstlichen Winden um zwei bis drei viel zu langsam, um wirklich Höhe zu gewinnen.

Adrenalin kam bei mir noch einmal auf, als mich ausgerechnet kurz vor einer Kardinaltonne auch noch das letzte bisschen Wind verließ. Alexander startete geistesgegenwĂ€rtig den Motor, der uns sicher an dem StahlungetĂŒm vorbeischob, das als einziges Hindernis im Umkreis von Meilen nun plötzlich direkt vor unserem Bug gelegen hatte. Dann wurde alles wieder ruhig und noch ruhiger. Auf spiegelglatter See segelten wir in ein rosarotes Zuckerwatter-Meer hinein. Wasser und Himmel verschmolzen zunehmend in diesen Bonbonfarben, und es wurde noch ruhiger. Schließlich wurde es sogar Christian zu ruhig, und er startete unsere Maschine. ‚Wir wollen irgendwann ja auch mal ankommen‘, meinte er trocken. Ja, zweifellos. Irgendwann bestimmt. Vielleicht noch nicht gerade jetzt, andererseits


"Zuckerwatte"-Meer
„Zuckerwatte“-Meer

Silke stand zwischenzeitlich am Ruder. Cuxhaven leuchtete am Himmel. Ich war im Cockpit eingeschlafen. Wohl eine Folge des warmen Kragens meiner Ölzeugjacke, die ich fĂŒr die Nacht angezogen hatte, aber sicher auch deshalb, weil es schon wieder auf Mitternacht zuging. HĂ€tte Alexander mich nicht geweckt, damit ich uns mit dem Scheinwerfer wieder ein paar unbeleuchtete Tonnen in der OstemĂŒndung ausfindig machte, ich hĂ€tte nicht nur das Anlegebier, sondern auch den letzten wunderbaren Sternenhimmel ĂŒber der nĂ€chtlichen Außenelbe verschlafen. Wahrscheinlich hĂ€tte ich vom Segeln getrĂ€umt und von einem wunderbaren Törn zu den ostfriesischen Inseln, von zehn Tagen mit lauter lustigen Kameraden und jeder Menge spannender Erlebnisse.

Aber das geht hier ja ganz einfach – gehen wir einfach zurĂŒck auf Anfang – und hoffentlich schon bald auf ein Wiedersegeln!