Mit Florenz verbinde ich interessanterweise die intensive Erinnerung an einen Wochenmarkt. Zwei Dinge waren es, die sich mir dabei so nachhaltig eingeprägten: die Farben und die Düfte der vielen Obstsorten, dir dort zum Verkauf feilgeboten wurden. Natürlich spielte dabei eine Rolle, dass es Ende Februar war, als wir in der toskanischen Stadt weilten – eine Zeit also, die bei uns zu Hause eher karg ausfällt für Vegetarier wie mich. Nicht, dass es bei uns nichts zu kaufen gäbe. Doch besteht die eine Hälfte, so scheint es mir nach wie vor, aus Kohl, den man nach dem langen Winter nicht mehr sehen kann, und die andere aus wässrigem Treibhausgut. Mit dieser Hintergrunderfahrung nun über einen Platz zu schreiten, dessen Luft geschwängert schien von der süßen Reife all der Früchte, konnte problemlos mit jeder Südsee-Phantasie konkurrieren, welcher der norddeutsche Geist zu dieser Jahreszeit fähig sein mochte.

Wieder kommt mir der Ausspruch Josefas, meiner New Yorker Bekannten in den Sinn: Wie gerne würde sie einmal nach Italien fahren, um sich dann dort vom Norden in den Süden durchzuschmausen. Für sie mussten italienische Speisen freilich noch einen ganz anderen Reiz ausüben. Mit einem gewissen Schaudern entsinne ich mich des Essens im ‚Big Apple‘, das man dort in jenen für die üppige Stadtgröße absurd kleinen Supermärkten erwerben konnte: die verschiedenen Sorten Käse, die alle gleich schmeckten; das Toastbrot, das mit Körnern versehen, um etwas mehr Nahrhaftigkeit warb als die Weißbrotvariante nebenan; schließlich die Literkanister Orangensaft, die mir wenigstens den Anschein vermittelten, etwas Gesundes zu mir zu nehmen… Kein Vergleich mit der exotischen Fülle auf diesem Platz. Kein Wunder also, dass es ihr, dass es mir wie das Paradies erscheinen musste!

Auch im Hotel begann der Weckruf der Stadt mit ihren Gaumenfreuden: Morgens verbreitete sich im ganzen Haus der Duft von Frischgebackenem. Raus aus den Federn!

Wenn man sie morgens beim Frühstück traf, trug sie stets eine bequeme, weinrote Jogginghose, Turnschuhe, irgendein Oberteil und dazu Goldohrringe. Sie war es auch, die stets zuerst den Raum erreichte. Bestimmt und forsch trat sie ein. Ihr Mann kam zögerlich hinterher. Ein feinsinniger, älterer Herr mit einem freundlichen Lächeln und dem Gestus eines Gelehrten.

Ein anderes Pärchen, ganz offensichtlich Mutter und Sohn – auch wenn der schiere Größenunterschied zwischen den beiden einige Zweifel säte. Sie klein, schlank, schon grauhaarig, in den flachen, schwarzen Schuhen alter Frauen, aber immer noch im eleganten knielangen Rock mit Falte. Er eine massige Gestalt in jeder Richtung. Ein Riese mit Pferdeschwanz von dichtem, schwarzem Haar, ein wenig ungepflegt und so füllig, dass man um den zierlichen Stuhl am Frühstückstischchen fürchtete. Ihm gegenüber eine dritte Person. Wohl seine Freundin oder Frau – weit genug entfernt von der Schwiegermutter, nur mit ihm zu sprechen genötigt. Ein graziles Persönchen mit mittellangen, blonden Haaren, gefärbt unzweifelbar. In jeder Geste, jedem Wort unsicher und auf den Schutz seiner massigen Präsenz lauernd.

Eine sonor quäkende Stimme am Frühstückstisch gegenüber, die über drei Arrangements hinweg französelt. Was er auch zu seiner Angetrauten sagen mochte, es klang alles gleich abwertend und verächtlich. Offenbar kein Freund der Stadt. Den Versace-Gürtel geschnürt, wanderte er mehrfach zwischen Buffet und Tisch hin und her und ließ sich den Cappuccino dann doch lieber servieren.

Florenz ist berühmt für seine „Bistecca alla fiorentina“ (Steaks) – sehr zum Leidwesen des Vegetariers in mir: Die Habichtmutter, die ihre Jungen füttert. Das blutige Fleisch vom Knochen schneidend, das letzte Stück für den Mann, der schon sein zweites Glas Wein trinkt. Sie sieht sich um vorsichtig, misstrauisch, als gelte es, das Mahl vor Feinden zu schützen. Man hockt im Kreis wie in einem Nest, gierig auf das Aas blickend. Auch die Kleinen. Totes ohne Beilage – nein, fast, es gibt Zitrone dazu.