Tatsächlich war es dann nicht die „Hermann Marwede“, die wir auf unserem Pfingsttörn als erstes wiedersahen. Nein, unser Ship-Spotting begann mit einem ganz anderen Highlight: vor Stade auf Reede lag ein anderes Schiff vor Anker, das wir ebenfalls kurz zuvor bei uns im Hafen besichtigt hatten. Ein neues sehr altes Boot – ein Rahsegeler aus dem 18. Jh. – Stück für Stück originalgetreu nachgebaut und voll seegängig. Detailverliebt war jeder Holz-Block, jede teerverschmierte Planke, jede Leine aus Hanf wieder in Betrieb genommen worden. Die „Götheborg of Sweden“ ankerte vor uns im Sonnenschein. Gut, sie lag auch direkt vor dem Stader Atomkraftwerk – was dem Anblick etwas Skurriles verlieh.
Wahrscheinlich aber nicht halb so skurril wie es jene Crew erlebt haben musste, die nach dem Absetzen eines PAN-PAN-Calls wegen Verlust des eigenen Ruders, dieses archaische Holzboot zu ihrer Rettung auf sich zukommen sah. Diese Begegnung der sprichwörtlich dritten Art hatte sich nur wenige Tage vor unserer Schiffsbesichtigung im Frühjahr vor der französischen Küste zugetragen. Der Skipper des havarierten Bootes würde später sagen, dass er sich beim Anblick der sich nähernden „Götheborg“ nicht sicher gewesen sei, in welchem Jahrhundert er sich eigentlich befindet. Kein Wunder…
Unsere Kreuz die Elbe hinunter führte uns nun unmittelbar an ihrem Ankerplatz vorbei, warum nicht einen kleinen Abstecher machen und sie einmal von allen Seiten bestaunen? Unsere Crew stand vollzählig mit Kameras bewaffnet an Deck, während auf dem gegenüberliegenden Schiff die Rahen erklommen wurden. Vierzig Meter galt es dort zu bewältigen. Wir hatten es gelesen. Man konnte gern als Crew auf dem Traditionssegler mitfahren – einzige Bedingung für alle, die an Bord für eine Strecke anheuern wollten: man musste in der Lage sein, in die Rahen zu klettern. Zum Segelsetzen und -bergen wurde jede – wirklich jede – Hand an Deck gebraucht. Ich hatte es mir schon im Hamburger Hafen genau angeschaut. Hatte noch gut die Worte eines der Crew-Mitglieder im Ohr: ‚I clung there for dear life!‘ Immerhin! Ich wäre nicht einmal bis zu diesem Zustand gekommen. Vierzig-Meter-Rahen waren mir dann doch vierzig Meter zu viel. Dann doch lieber unsere „Helgoland Express“, wobei ich auch bei ihr nicht unbedingt scharf darauf war, hoch in den Mast gezogen zu werden. Lieber stand ich hier unten an Deck und genoss zusammen mit den anderen diesen ungewöhnlichen Anblick in den ersten Stunden unseres Pfingsttörns.
Der erste von sechs Sonnentagen hatte gerade erst begonnen. Guter Wind trug uns voran. Das erste Etappenziel – Glückstadt – hatten wir schon fast erreicht. Und die ersten zwei Highlights hatten wir schon in diesen wenigen Stunden erlebt: einen Seeadler kurz hinter Lühesand und nun die „Götheborg“ – was für ein Auftakt!
Nein, halt, ich muss korrigieren. Hätte ich doch glatt ein drittes Highlight unterschlagen: der Schokoladenkuchen, den Robert mit an Bord gebracht hatte und den wir wenig später nach dem Anlegen in Glückstadt verschmausten. Einfach köstlich!
Und auch das erste Ship-Spotting fand tatsächlich schon viel früher statt. Um 07:30 Uhr an diesem Donnerstagmorgen – um genau zu sein, als wir unsere „Helgoland Express“ zum ersten Mal in diesem Jahr wieder in Finkenwerder am Steg unserer Yachtschule betraten. Einen ganzen Winter lang hatten wir darauf gewartet. Einen ganzen Winter und so viele Tage noch im Frühjahr und nun kamen wir an Bord und fühlten uns ganz wie zu Hause – auch wenn es kleinere Neuerungen gab. Zum Beispiel die netten Post-Its an den Kajütentüren, auf denen die Namen der dort jeweils untergebrachten Mitsegler vermerkt waren. Steuerbord achtern gehörte wieder uns. Wunderbar. Dazu lasen wir neben Roberts Namen, den wir schon von vorherigen Törns gut kannten, und Christians, unserem Skipper: Henning, Sebastian, Ute und Wolf-Dietrich. Also eine ganze Reihe neuer Leute – neuer Geschichten, sehr schön!