Wind und Wellen waren moderat, als wir schlieĂlich abgelegt hatten. Nur kurz hinter der Insel wurde das schwarze Knistertuch aus dem Sack gezogen, und der Gennaker zog uns brav recht flink voran gen Norderelbe.
Bald schon war allerdings die Aufmerksamkeit der Crew ĂŒberwiegend unter Deck ans FunkgerĂ€t gefesselt. Gebannt verfolgten alle den Funkverkehr zwischen Bremen Rescue und einem Segelboot mit Wassereinbruch vor Wangerooge. Diverse Schiffe erboten mehr oder weniger sinnvolle Hilfe. Die mehrfach angepriesene Drohne der Marine wurde dankend abgelehnt, aber der Beistand des Lotsenversetzbootes war hochwillkommen. Es harrte beim Havaristen aus, bis die Seenotretter mit entsprechender Pumpenkraft bei der âJanâ eintrafen. All das live zu verfolgen, zog Crewmitglied um Crewmitglied nach unten in die Navigationsecke, um am Plotter verfolgen zu können, wo die Schiffe gerade unterwegs waren. Bald fand ich mich mehr oder weniger allein am Ruder wieder.
Bei der Ansteuerung der Norderelbe lernten wir, was es hieĂ, wenn von einer Tonne gesagt wird, sie sei verloschen, das Toppzeichen unterschneide. TatsĂ€chlich schwamm die Ansteuerungstonne beinahe kieloben. Ein rot-weiĂ gestreifter Ball lag dort auf dem Wasser, wo eigentlich eine imposante Stahltonne sich hĂ€tte befinden sollen. Dass das Toppzeichen unterschneide war somit ein glatter Euphemismus. Das Ding war halb abgesoffen, so schaute die Sache aus.
Hinter dem gekenterten Ball bogen wir ab ins LĂŒchterloch, wo wir achterlichen Wind aus Nord hatten, also vor dem Wind segeln. Und nicht nur vor dem Wind segeln, sondern, weilâs so schön ist, auch noch Schmetterling segeln. Und, ach ja, weil der Gennaker gerade drauĂen ist, nehmen wir den doch eben gleich dazu. Also das knisternde Tuch ausbaumen: an Backbord das GroĂ, an Steuerbord der schwarze Gennaker und nun schön gerade⊠âWie machst Du das?â staunte Wolf-Dietrich mich an. Wie machte ich das? Ich versuchte zu erklĂ€ren, worauf ich achtete, um rechtzeitig gegenlenken zu können, bevor dieses fragile Gleichgewicht in sich zusammensackte. Im Wesentlichen schaute ich wohl auf die Spannung der GroĂschot. Und natĂŒrlich ganz wichtig: âUnd niemals. Wirklich niemals versuchen es zu erklĂ€ren!â rief ich hektisch, als dann natĂŒrlich doch der Baum in die Patenthalse schlug. Und wieder zurĂŒck gezirkelt. Nur minimale Bewegungen am Ruder. Ich war kurz davor, mir auf die Zunge zu beiĂen, wie kleine Kinder es tun, wenn sie sich sehr auf etwas konzentrieren sollen.
Christian wies mich an, dass ich auf Cux zuhalten sollte, dessen Silhouette sich am Horizont abzeichnete. Klar, nicht nur dieses zappelige Segel vor dem Wind und Schmetterling trotz Welle, nein, einen Kurs hatten wir ja auch noch. Aye, aye, Skipper!
Wenig Aufmerksamkeit hatte ich daher fĂŒr die Seenotretter, die an Backbord ein StĂŒck weiter die Elbe aufwĂ€rts eine LöschĂŒbung mit der âHermann Marwedeâ abhielten. Dort stand der Seenotrettungskreuzer im transparenten Wasserkleid seines eigenen Löschmanövers. Keine Zeit! Ich muss mich konzentrieren. Unbedingt wollte ich es bis zum Ende des LĂŒchterlochs schaffen, unbedingt dieses Geduldspiel fĂŒr die anderen und mich gewinnen. Und ich schaffte es. Als wir ins Fahrwasser der Elbe abgebogen waren, lieĂ ich mich ablösen.
Der Gennaker blieb oben, auch in der ElbmĂŒndung. Henning war am Steuer und kĂ€mpfte mit dem zappeligen Tuch. âKönnen wir ĂŒber diese Bake noch hinausfahren?â Gute Frage! Also wenn es sein muss⊠âJa, geht, aber nicht zu weitâ, kam die Ansage aus der Navigation. Also wurde der Kurs dem Wind geopfert, um das schwarze Tuch leidlich stabil halten zu können. Kurz hinter der Bake kam dann noch eine Mini-Korrektur zu seinen Gunsten und, man ahnt es, zu unseren Ungunsten. Wir saĂen fest. Das Boot drehte sich auf dem Fleck um den eigenen Kiel. Wir hatten auflaufendes Wasser, also kein Grund zur Panik, aber schön war es trotzdem nicht. Der Segeltag war so oder so schon lang, da wollten wir nicht auch noch hier auf unbestimmte Zeit feststecken. So schön war die âSkylineâ von Cux an dieser Stelle nun auch wieder nicht. Also wurde tief in die Knoff-Hoff-Kiste gegriffen: Motor an, Motor aus. KrĂ€ngung durch GroĂsegel herbeifĂŒhren, Motor an. Irgendwie musste man hier doch wieder wegkommen⊠Es dauerte eine Weile, in welcher unser Track einen Kreis um den nĂ€chsten auf demselben Fleck aufzeichnete. Und jeder Schluck Wasser, der mehr die Elbe hochlief, lieĂ uns mehr hoffen, bis es schlieĂlich hieĂ: âWir schwimmen wieder!â EndlichâŠ