Dass das mit dem fehlenden Wind fĂŒr uns eher ungĂŒnstig war, war offensichtlich. Segeln ohne Wind – nun ja. Anderes verbarg sich in einer simplen Rechenaufgabe: So schön es war, nicht morgens in aller HerrgottsfrĂŒhe schon am Steg stehen zu mĂŒssen, bedeutete unser spĂ€ter Aufbruch doch auch, dass der Tag lang werden wĂŒrde. Hochwasser war um 14 Uhr. Sechs Stunden lief das Wasser dann fĂŒr uns in die richtige Richtung und wĂŒrde uns auch ohne Wind gen Nordsee tragen. Nach diesen sechs Stunden war damit allerdings Schluss. Punkt. Danach mussten wir warten, bis die nĂ€chste gĂŒnstige Tide fĂŒr uns lief und das wĂŒrde zwangslĂ€ufig nachts sein. Das war an sich nicht schlimm, eigentlich sogar besonders spannend – was uns allerdings Sorgen bereitete, war der Morgen danach. Dann sollte es rĂŒber nach Helgoland gehen und je weniger Schlaf man vor der Überfahrt bekam, desto grĂ¶ĂŸer war die Wahrscheinlichkeit, dass man dabei seekrank wurde. Leidvolle eigene Erfahrung sozusagen. Wie schön wĂ€re es also gewesen, wenn man tags zuvor so weit als irgend möglich gen Meer kĂ€me! Am liebsten gleich ganz bis nach Cuxhaven – aber ohne Wind? Derlei Dinge gingen uns also durch den Kopf, als wir die senkrechten RauchsĂ€ulen ĂŒber den Frachtern am Morgen betrachteten.

Mit uns unterwegs waren dieses Mal neben Christian, Robert und Silke – sowie einer gefĂŒhlten Tonne bester Lebensmittel – auch Ben (Benjamin) und Max (Maximilian). Wie Feuer und Wasser, wenn man sie miteinander verglich und jeder von ihnen ein guter Kumpel und eine wichtige Hand in unserer Crew.

Richtfeuer Elbe
Richtfeuer Elbe

Aufbruch war dann mit dem Nachmittaghochwasser. Immerhin ein wenig Wind war zwischenzeitlich doch aufgekommen. Wir konnten segeln, wenn auch nicht besonders schnell. Aber er reichte uns bis nach GlĂŒckstadt.

Sonnenuntergang ĂŒber der Elbe
Sonnenuntergang ĂŒber der Elbe

Am Kartoffelloch hatten unsere beiden Neuen dann ihr erstes Aha-Erlebnis, was Segeln in GezeitengewĂ€ssern anbelangte. Die Sandbank an der Zufahrt zur GlĂŒckstĂ€dter Nebenelbe ragte deutlich aus dem Wasser. Etliche Vögel staksten nur eine Handbreit von unserem Boot entfernt im Schlick umher. Alle Augen hingen am Echolot, und Christian lachte. ‚Die flachste Stelle kommt doch erst noch‘, grinste er ob der unglĂ€ubigen Blicke von Ben und Max. Wieder war es eine Frage von Zentimetern, aber im Vergleich zu dem, was uns im nordfriesischen Wattenmeer begegnen sollte, hatten wir hier gerade noch einen ganzen Ozean unter unserem Kiel. Aber das wusste unsere Crew zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht


Groß war die Erleichterung, als der Tiefenmesser wieder nach oben zĂ€hlte. So groß, dass Silke schon alles klarmachen wollte zum Anker-Fallen-Lassen. Christian bremste unseren Enthusiasmus. ‚Lass‘ uns erst mal ĂŒber das Flach drĂŒber sein’, meinte er nicht ohne Grund.

Noch etwas weiter Richtung GlĂŒckstadt ließen wir dann schließlich den Anker sich hinter Rhinplate in den Elbschlick eingraben. Als alles fest war und der Motor aus, wurden wir der Stille der Elbinsel gewahr – wie in einer anderen Welt. Und – oh nein – wie in einer anderen Welt voller MĂŒcken! Kein Wind gleich viele MĂŒcken – noch ein wenig Mathematik fĂŒr AnfĂ€nger. In kĂŒrzester Zeit trieben die Viecher uns unter Deck. Von außen sprĂŒhten wir Anti-Brumm auf die Luken. ‚Was nicht gut riecht, muss man ja auch nicht weiter erkunden‘, erklĂ€rte der Skipper unsere Abwehrmaßnahmen. Zum Schließen der Luken war es nĂ€mlich viel zu warm, zumal auch wir gerade das Abendessen auf dem Herd hatten. Es wĂŒrde schon gehen, allzu lange wollten wir ja sowieso nicht bleiben.

Ein zweites Aha-Erlebnis folgte dann sehr viel spĂ€ter in dieser Nacht, als die Tide wieder gekentert war. Die MĂŒcken waren schlafen gegangen, wir krochen aus unseren Kojen. 03.30 Uhr: Anker auf. Unter Motor fuhren wir hinter Rhinplate Richtung Hauptfahrwasser Elbe. Ich saß mit dem Handscheinwerfer auf dem Vorschiff. Bis auf Ben und Max wusste jeder an Bord, dass es hier blinde Tonnen gab – dunkle, schaukelnde Stahlgesellen, an denen wir vorbei mussten und von denen wir uns wieder und wieder gefragt hatten, warum man ausgerechnet bei ihnen die Befeuerung eingespart hatte.

Dann waren wir auch schon wieder auf der Elbe unterwegs. Die Segel waren gesetzt – segeln in der Nacht auf dem großen Fluss. Das erste Abenteuer auf diesem Törn! Zu allen anderen Zeiten hasste ich das GerĂ€usch eines Weckers. Hier auf dem Wasser erklang es zu den unmöglichsten Zeiten, war auch nicht gerade angenehm, brachte aber jedes Mal diese besondere Art von Erfahrung mit sich: Segeln in der Nacht. Und dann dieses einmalige Erleben, wenn sich die Dunkelheit im bleichen Licht der ersten DĂ€mmerung langsam zurĂŒckzieht. Wenn aus dem Schwarz der Nacht eine milchige FlĂŒssigkeit zu werden scheint. Wenn man noch rĂ€tselt, ob es jetzt tatsĂ€chlich hell wird oder sich nur die eigenen Augen besser an die Dunkelheit gewöhnt haben. Wenn einem so bitterkalt wird in diesen letzten milchigen Stunden, bis dann plötzlich das erste Rot der Morgensonne ĂŒber den Horizont steigt. Und wenn man all das so haarklein und ganz genau verfolgen kann, weil Fluss und Himmel, Horizont und Traum in eins fließen bis ganz zum Ende, ohne dass etwas Störendes dazwischentrĂ€te, weil auf dem Fluss nichts ist – nichts weiter als diese riesige Sehnsucht nach dem Immer-noch-weiter, die man mit beiden HĂ€nden zu greifen können glaubt, wenn man das Ruder hĂ€lt und sich ĂŒber einen dieser gigantischen Himmel ins Morgen schwingt.

In Cux freilich habe ich dann nicht mehr viel mitbekommen. Saß schon eine Weile völlig verfroren unter Deck. Kam nur noch mal nach oben, um den Anleger mit zu verfolgen, der meiner Anwesenheit wirklich nicht bedurfte, wie ich feststellte. Zweifellos war Robert dieses Manöver in letzter Zeit öfters gefahren. Er hatte gerade den praktischen Teil der SSS-PrĂŒfung (Sportseeschifferschein), bestanden, deren Ausbildungsgebiet hier rund um den Amerikahafen lag. Ohne Zögern steuerte er die „Helgoland Express“ seitlich an den Steg, nachdem er in der engen Boxengasse gewendet hatte. Respekt – 43Fuß in diesem Mauseloch zu drehen! Aber hier schien es keine große Sache fĂŒr Robert zu sein. Wir glitten an den Steg, machten die Leinen fest und schon waren alle in den Kojen verschwunden, als hĂ€tten wir alle diesen Schlag nach Cux bloß eben schnell getrĂ€umt.

Als in Cuxhaven der Morgen begann, gingen wir schlafen. Wir wollten so viel wie möglich von diesem kostbaren Gut ergattern, denn wenig spĂ€ter sollte es ja schon wieder weiter nach Helgoland gehen. Schlafen war die beste Vorsorge gegen Seekrankheit. Max kam mit dem seltsamen Tiden-Segler-Rhythmus nicht gut zurecht. Er arbeitete in der FrĂŒhschicht, wĂŒrde in den nĂ€chsten Tagen immer als erster wach werden, spĂ€ter dann auch als erster – noch am Tisch – einschlafen, was uns lĂ€cheln ließ, aber es war nur zu verstĂ€ndlich. Den eigenen Körper trickst man nicht so einfach aus. Er hatte seine eigene Logik, auch wenn der Kopf etwas anderes wollte. Uns gelang es an diesem ersten Morgen noch recht gut, und wir schliefen fest in unseren Kojen. Max machte sich dagegen auf den Weg, den Fisch zu besorgen, den die anderen sich zum Abendessen gewĂŒnscht hatten.