Kerrera hatte eine neue Straße gewonnen, stellten wir nachmittags fest. Eine richtige geteerte Straße – kein Trampelpfad und kein Viehweg, den man sich mit den urigen Highland-Rindern zu teilen hatte wie noch beim letzten Mal auf diesem Eiland. Nein, dies war eine echte Teerstraße, schnurgerade und ohne jeden Verkehr – wenn man einmal von den paar Wanderern absah. Sie führte wohl zum zweiten Fähranleger, wie wir mutmaßten. Erkundigungen holten wir allerdings nicht mehr ein, denn am Horizont dräute bereits der nächste Regenschauer, und vom Regen hatte ich vorläufig wirklich genug. Nicht nur mich hatte es am Vorabend durchweicht, auch der Pfad zum Hutcheson Monument war unpassierbar. Wir machten kehrt. Es war eine recht kurze Fotosafari mit gewissen ‚Weißt Du noch?‘-Momenten ebenso wie erstaunten ‚Oh, das gibt‘s noch!‘-Ausrufen.

Abends gingen wir noch ein Bier trinken. Vom letzten Mal war mir die dortige Marina als sehr gemütlicher Ort in Erinnerung, und mein Vorschlag fiel auch gleich auf fruchtbaren Boden. Allerdings hatten wir nicht damit gerechnet, dass der kleine Pub derart voll sein würde. Irgendeine Art von Feierlichkeit war hier definitiv im Gange, sodass wir unser Ale an der Theke bestellten und uns dann damit schleunigst wieder nach draußen verzogen.

In der Ruhe und, ja, auch Frische dieses Abends erzählten wir eine ganze Weile, bis irgendwann ein älterer Solosegler an unserem Tisch auftauchte. Er setzte sich dazu und berichtete dann ausführlich – auf Deutsch wohlgemerkt, denn das war der Auslöser für seinen Besuch. Er käme ursprünglich aus der Ostsee, sei nun aber schon eine ganze Weile einhand durch die irische See unterwegs. Ob wir ihn denn auf unserem AIS sehen könnten? Er habe nämlich den Eindruck, dass mit seinem Signal irgendwas nicht stimme. Rüdiger wurde recht einsilbig bei diesem mitteilsamen Gesell. Auch hatte man den Eindruck, dass unser Exemplar sowieso weniger an unseren Antworten als an seiner eigenen Geschichte Interesse hatte.

Später schaute noch ein zweiter Gast vorbei – einer, den wir schier nicht erkannt hätten: In der Dämmerung trieb etwas in die Bucht vor der Marina, was wir alle lange beobachteten ebenso wie der Tisch voller Kinder neben uns. Rüdiger hatte es zuerst entdeckt und rätselte, ob es wohl ein Stück Treibholz wäre. Wir betrachteten es lange, ohne zu einem wirklichen Schluss zu kommen. Wir hatten ja Zeit und auch die beste Aussicht hier auf der Terrasse des Pubs. Hier war es ruhig und kalt. Echt schottischer Sommer eben. Die Kinder am Nachbartisch machten ihre Späßchen und dann wurde ihnen und uns mehr oder weniger zeitgleich klar, was wir da die ganze Zeit über beobachtet hatten: ‚An otter!‘ ihre Reaktion war ungleich enthusiastischer als unsere, als auch wir begriffen, dass wir da gerade einen der Big Five Schottlands vor Augen hatten. Noch dazu jenen Gesell, den wir schon so lange hatten finden wollen und doch nie zu Gesicht bekommen hatten.

Für den Bruchteil einer Sekunde streckte das Tier beim Abtauchen seinen Schwanz in die Höhe. Ohne dieses Manöver hätten wir unser Stück Treibholz nie als jenen Fischotter identifizieren können, den wir schon so lange Zeit herbeigewünscht hatten. Mit dem Steinadler in Loch Spelve, den Robben in Loch Aline, dem Rotwild, das wir noch vom Golfplatz in Lochranza auf Arran kannten, fehlte jetzt nur noch einer im Bunde der Big Five. Blieb aber auch weiterhin verschwunden; das Red Squirl würden wir erst wieder im heimischen Garten beim Fangen-Spielen beobachten können.