Glen Rosa war uns schon kurze Zeit, nachdem wir Arran das erste Mal besuchten, ein Begriff. Die einfache ErklĂ€rung dafĂŒr war, dass Fotos von diesem Tal die morgendliche Speisekarte in unserem B&B zierten. Man frĂŒhstĂŒckte dort geradezu königlich. Problemlos ließ sich der Magen des Walkers bis zum Abend fĂŒllen. Selbstgemachte Marmelade – also die typisch britische Orangenmarmelade – war ebenso zu haben wie das full English breakfast – den ‚black pudding‘, also die Blutwurst, ließen wir wohlweislich aus, spotteten aber dennoch ĂŒber den schier unersĂ€ttlichen Appetit, der uns Mal um Mal auf dieser Insel heimsuchte. Auch fĂŒr uns gab es tĂ€glich RĂŒhr- oder Spiegeleier zum FrĂŒhstĂŒck. Nicht umsonst hatten wir im Nachhinein den Eindruck, ganze Generationen von HĂŒhnern vom Dasein abgehalten zu haben und ĂŒbten uns reuig in Enthaltsamkeit, was den Verzehr von FrĂŒhstĂŒckseiern in den folgenden Monaten betraf.

Glen Rosa zierte die Speisekarte hier auch nicht von ungefĂ€hr. Wie erwĂ€hnt, war unser Landlord nicht nur Mitglied beim Mountain Rescue Team, sondern selbst auch begeisterter Walker und Bergsteiger. Durch Glen Rosa nun konnte man auf den rund vierhundert Meter hohen „Saddle“ gelangen, der fĂŒr den Ambitionierten dann den Zugang zum Rundweg ĂŒber alle wesentlichen Bergspitzen Arrans bot – einschließlich der „Witch’s Step“.

Von Brodick aus war das Glen, wie auch der Goatfell, bequem zu Fuß zu erreichen. Das Tal belohnt den Wanderer mit einer sagenhaften Landschaft. Am Zugang zum Glen liegt eine typische schottische Campsite. Der deutsche Begriff „Campingplatz“ rief bei der ersten Tour bei mir ein klein- bzw. spießbĂŒrgerliches Bild im Geiste hervor. Ich erwartete ein von JĂ€gerzĂ€unchen aufgeteiltes und von Gartenzwergen bewachtes Parzellenwesen, wie es die germanischen Dauercamper mit ihren mit Dosenbier bewehrten Klapptischen zu pflegen geruhten – doch konnte die schottische Wirklichkeit nicht weiter von diesem Bild entfernt sein: Eine grĂŒne Wiese schwang sich sanft vom Bach ausgehend die HĂ€nge hinauf. Ein einzelnes Zelt war darauf aufgeschlagen. Nur das Schild, das davor warnte, dass die tieferen Lagen des Platzes doch das eine oder andere Mal vom Wasser des Baches ĂŒberflutet werden könnten, und man lieber nicht zu dicht an diesem campen sollte, erinnerte daran, dass dies durchaus das schottische Analogon zu meinem deutschen Horrorszenario sein sollte.

LĂ€sst man die Campsite hinter sich, passiert man einige Weidegatter. Sie sollen die allgegenwĂ€rtig frei herumlaufenden Schafe ein wenig im Zaum halten. Noch ist der Pfad breit wie eine kleine Landstraße aus Sand und Schotter, aber je weiter man in das Tal hineinlĂ€uft, an dessen Flanken zur Linken und zur Rechten die HĂŒgel sanft ansteigen, desto schmaler wird der Weg, bis es schließlich nur noch ein Trampelpfad ist, den man zum Schluss nur noch in filo beschreiten kann. Die Besonderheit dieses Weges war es auch, die uns zu einer Anschaffung ganz eigener Art bewog: wir erwarben Gamaschen. Der Begriff war mir bis dato nur aus Romanen bekannt (ich meine mich zu erinnern, dass in einem Buch von Dostojewski, ein Reisender in einem Zug im russischen Winter eben dieses KleidungsstĂŒck anlegte), und ich hatte wirklich nur eine sehr vage Vorstellung davon, was es wohl genau sein mochte. TatsĂ€chlich entpuppten sich diese Dinger als eine Art flexibler Gummi- bzw. heutzutage Gortex-Überschuh. Man befestigte sie mit Riemen unter den Wanderstiefeln und bindet sie kurz unterhalb des Knies zu. Der Vorteil? Trockene Beine, trockene FĂŒĂŸe! Der schmale Pfad in Glen Rosa war links und rechts mit hohen GrĂ€sern bewachsen, die locker bis zum Knie reichten, war der Pfad doch schon gut ausgetreten zwischen diesen Wiesen verschwunden. Bei unserem ersten Besuch dort – noch ohne die tolle neue Erwerbung – mussten wir zu unserem Leidwesen feststellen, dass die GrĂ€ser vom Regen schwer von beiden Seiten in den Weg hinein hingen und so beharrlich an unseren Hosen ihre Tropfenlast abschĂŒttelten. Schlussendlich waren diese völlig durchweicht. Es tropfte bis in die Socken! Ganz klar, da halfen nur Gamaschen – in den nĂ€chsten Jahren waren wir entsprechend angerichtet.

Steine im Glen Rosa
Steine im Glen Rosa

Eine andere Sache, die wir in Glen Rosa kennen lernten, war die schottische Midge – winzige StechmĂŒcken, die in großen SchwĂ€rmen auftreten und sich auf alles stĂŒrzen, was dumm genug ist, ihren Weg zu kreuzen. GerĂ€t man in einen solchen Schwarm, sind die Viecher plötzlich ĂŒberall – in den Haaren, in den Ohren – nur gut, dass sie so klein sind und ihre Stiche nicht so lange jucken wie jene ihrer kontinentaleuropĂ€ischen Verwandten. Auch sonst haben sie mit den bekannten Plagegeistern wenig gemeinsam: die schottische Midge fliegt mit Begeisterung bei Regen, sie lieben dunkle Klamotten, von denen sie geradezu magisch angezogen werden – nur Blut mögen sie wie ihrer grĂ¶ĂŸeren Verwandten ebenso gern.

Nach unserer ersten Begegnung mit dieser Brut haben wir uns oft gefragt, von was die Biester eigentlich leben, wenn sie gerade nicht ĂŒber einsame Wanderer herfallen können. Üblicherweise trifft man nĂ€mlich auf sie an Orten, wo man wirklich keine großen Opferherden – noch nicht einmal Schafe – ausmachen kann. Vielleicht ist aber auch das gerade der Grund dafĂŒr, dass jedem, den sie finden, dann so garstig zugesetzt wird. Von den Midges auf Jura heißt es, sie kĂ€mpften wie kleine ‚Stormtroopers‘ – der Westen der Insel muss unglaublich schön, aber von diesen Biestern wortwörtlich auch bis aufs Blut verteidigt sein.

Das einzige, das tatsĂ€chlich halbwegs zuverlĂ€ssig gegen diese Plage hilft, ist Wind – ‚which is, fortunately, never in short supply‘ – wie es so schön in unserem WanderfĂŒhrer heißt. Eine ganz blöde Idee ist es allerdings, in Glen Rosa aufwĂ€ndige Fotoprojekte in Angriff zu nehmen. Der Aufbau des Stativs, das Heraussuchen von Filtern und Linsen – ja, schon das Stehenbleiben auf dem Weg wird man bitterlich bereuen. Alexander versuchte nur ein einziges Mal, die grandiose Landschaft mit der ihr gebĂŒhrenden Sorgfalt auf Film zu bannen. Danach war ich froh, dass ich ĂŒberhaupt noch ein Blutströpfchen in meinen KreislĂ€ufen mein Eigen nennen konnte. Midges sollte man wirklich tunlichst meiden!

Glen Rosa, Blick vom "Saddle" ins Tal
Glen Rosa, Blick vom „Saddle“ ins Tal

Wie flĂŒssiges Silber spiegeln die BĂ€che und WasserfĂ€lle an den HĂ€ngen zu beiden Seiten im Glen Rosa. Steinadler haben wir dort beobachtet, wie sie knapp ĂŒber den Wiesen in den Himmel aufstiegen.

Folgt man dem Fluss immer weiter in das Tal hinein und furtet ihn schließlich ĂŒber einige Granitblöcke durch eine kleine Schlucht, gelangt man schlussendlich auf den sogenannten „Saddle“, einen gut vierhundert Meter hoch gelegenen Pass zwischen den Bergen, von wo man dann die Tour zu den Bergspitzen von Arran beginnen könnte.

Unser Aufstieg endete allerdings hier, denn er hatte uns unmittelbar in die Wolken gefĂŒhrt. Wie Nebel hingen sie zwischen den Felsen. Sie schluckten jedes GerĂ€usch und verleideten uns eine dort geplante Brotzeit. Alles war klamm und nass und kalt, sodass wir doch recht zĂŒgig den RĂŒckweg antraten, auch wenn die Nebelschwaden zwischen den Granitblöcken schon eine recht szenische Stimmung hervorriefen.

Glen Rosa
Glen Rosa

Lavaartig fließt der Stein den Berghang hinab, bildet weiche, weibliche Formen, bleibt dennoch stur abweisend. Ein eiskalter Wind zerrt an mir. Schmale Sandwege schlĂ€ngeln sich in verschiedene Richtungen durch das Gestein. Alles andere verschwindet frĂŒher oder spĂ€ter in den Wolken…

Ich habe wohl verstanden, dass es diese Momente sind, fĂŒr welche man die mĂŒhseligen Aufstiege auf Berge auf sich nimmt. Und auch ich habe sie genossen – doch bleibe ich dabei, dass der Blick aufwĂ€rts, am besten von einem Boot aus, mindestens ebenso atemberaubend sein kann wie von oben herab.

Als sich das Blickfeld auf dem RĂŒckweg wieder weitete, und wir die eisigen HĂ€nde der Wattebank hinter uns gelassen hatten, bot sich eine grandiose Aussicht ĂŒber das ganze Tal. Es ist so eng und gewunden, dass man das Meer von dort nicht sehen konnte, dafĂŒr aber links und rechts WasserfĂ€lle und die Quelle des Rosa Water. Der Fluss wird zum Saddle hin immer schmaler. Zum Schluss fließt er wie ein unschuldiges BĂ€chlein durch tiefe Gras- und Moospolster. An seiner Quelle sprudelt es aus schwarzem Höhlengestein hervor.

Glen Rosa, Blick ins Tal
Glen Rosa, Blick ins Tal

zurĂŒck