„Amtshilfe“

Finkenwerder – GlĂŒckstadt – Cuxhaven – Amrum – Helgoland, September 2020

Inhalt


Alles auf Anfang

Drei Tage vor unserem Törnbeginn kehrte der Sommer zurĂŒck. Den hatte ich eigentlich schon abgeschrieben fĂŒr dieses Jahr. Die Morgende waren voller Tau, und die Abende dufteten bereits nach Herbst. Diese Jahreszeit war erfĂŒllt von bittersĂŒĂŸen Erinnerungen an Vergangenes: Familiengeburtstagsfeiern, Apfelkuchen, Laternelaufen
 Doch dann war der Sommer noch einmal zurĂŒck in unsere Stadt gekommen. Die Sonne verhieß einige heiße Tage, und statt der Wollpullis legte ich die Sonnenbrille zuoberst auf den Stapel der Reiseutensilien. Morgen schon wĂŒrde es losgehen – endlich! Einen ganzen Sommer hatte ich darauf gewartet und, gefĂŒhlt, noch viel lĂ€nger in diesem Jahr, in dem alles anders war


NatĂŒrlich hatte der Virus auch unseren Alltag ordentlich durcheinander gewĂŒrfelt. Das C-Wort – einige Wörter kann man einfach nicht mehr hören. Mein Cousin hat das Virus einfach umbenannt. Schade nur, dass es dadurch nicht auch gleich von der BildflĂ€che verschwunden ist.

In diesem Jahr war wirklich alles anders. Nur mit der HĂ€lfte der ĂŒblichen Crew wĂŒrden wir auslaufen. WĂŒrden Gesichtsmasken und DesinfektionstĂŒcher fĂŒr die LandgĂ€nge einpacken. Die HĂ€lfte der Crew war vorgegeben, um besser Abstand halten zu können: Abstand halten, social distancing, Mund-Nasen-Bedeckung, Hygienekonzept – welche dieser Zeitgeistschöpfungen wĂŒrde wohl Unwort des Jahres werden? Potential hatten sie alle dazu.

Eigentlich hatten wir unseren ersten Törn in diesem Jahr schon fĂŒr Pfingsten geplant. Eigentlich – dann kam Corona und alles wurde anders. WehmĂŒtig verfolgte ich auf Marinetraffic das AIS-Signal unseres Bootes, das dann schlussendlich ohne uns fuhr. Im Geiste zĂ€hlte ich die Orte auf, die sie an jenem Wochenende im Mai anlaufen wĂŒrden und fĂŒhlte die Enge unserer Wohnung noch klaustrophobischer als die Wochen zuvor. Alexander hatte das alles mit geradezu stoischer Ruhe hingenommen. ‚Wenn das nun jetzt so ist, dann ist das jetzt eben so.‘ Ich konnte diese Ruhe nicht aufbringen. Je weiter das öffentliche Leben zurĂŒckgefahren wurde, je weniger wir in die gewohnte Ferne streifen durften – und sei es nur in der Vorfreude auf eine baldige Reise –, umso unruhiger wurde ich. Selten bin ich so viel spazieren gegangen und Fahrrad gefahren wie in diesem Jahr. Nur raus – raus, als mĂŒsste ich drinnen ersticken, als wĂŒrde mir mein eigenes Leben immer eng und enger, so fĂŒhlte es sich völlig irrational in mir an. Entsprechend groß war nun die Vorfreude auf die Tage auf dem Wasser, fĂŒr die extra der Sommer als Gast zurĂŒckgekommen war.