Unser letzter Tag auf dem Wasser in diesem Jahr begann schlieĂlich mit der Ăberlegung, dass wir noch etwas mit den zwei Bechern Schlagsahne in unserem KĂŒhlfach anfangen sollten. Nachdem wir nun beinahe vier Tage damit zugebracht hatten, letzteres so zu packen, dass die fragile Fracht nicht verschĂŒttging, sollte sie nun doch endlich ihrer wohlgemeinten Bestimmung zugefĂŒhrt werden. Was eignete sich dafĂŒr besser als ein Obstkuchen? Ein HĂ€lfte mit Pflaumen, die andere mit Ăpfeln, beide mit Streuseln â der Plan war gefasst, und Christian und Alexander machten sich sogleich ans Werk.
DrauĂen legten zwischenzeitlich schon unsere beiden Schwesterschiffe nach dem morgendlichen Brötchengang ab. âSie wollten zum FrĂŒhstĂŒck hinter Rhinplate ankernâ, rief Jörg uns noch zu. Ihre StegplĂ€tze lagen zu weit drinnen im Hafen. Und schon wieder im GlĂŒckstĂ€dter Schlick feststecken, das wollte Jörg nun wirklich nicht. Wir hatten es da besser, unser Liegeplatz lieĂ uns noch ein paar Stunden Zeit zum Vertrödeln und natĂŒrlich zum Kuchenbacken, hatte ich erwĂ€hnt, oder? Jedenfalls duftete es bei uns bald ganz herrlich nach Zimt-Pflaume-Apfel-Kuchen. Fast zu schade, dass wir dann auch losmachten, wie unsere Nachbarn im PĂ€ckchen nun sicher dachten. Sie hĂ€tten bestimmt gerne ein StĂŒckchen probiertâŠ
Beinahe hĂ€tten sie dazu auch noch die Gelegenheit erhalten, denn leider kamen wir an diesem Sonntagmittag nicht wirklich weit. An diesem Tag machten Alexander und ich das halbe Dutzend Mal Im-Schlick-Stecken-Bleiben fĂŒr dieses Jahr voll. Wie hieĂ es so schön in dem einen Buch, das wir gerade gelesen hatten? âWer noch nie in einem Tidenrevier im Schlick festsaĂ, hat es nur noch nicht wirklich probiert.â (âIf youâve never run aground, youâre not trying hard enoughâ. In: Cunliffe, Tom (2017): The complete yachtmaster. Sailing, seamanschip and navigation for the modern yacht skipper. 9. Aufl., Bloomsbury u.a., S. 143.)
Das Fahrwasser der GlĂŒckstĂ€der-Nebenelbe war nicht besonders tief, das wussten wir schon aus Erfahrung. Unsere âElbe Expressâ brachte nun auch noch gut einen halben Meter mehr Tiefgang mit als Roberts Gib Seas, mit denen wir hier bisher gesegelt waren. Und ehe wir es uns versahen, hatten wir so die Zeit gewonnen, uns die Schönheit von Rhinplate noch etwas lĂ€nger zu betrachten. Wir saĂen fest kurz vor der Ausfahrt zum Hauptstrom. Nach und nach kamen dann die Boote aus dem Hafen an uns vorbei. Einige grinsten. Anderen verging die Schadenfreude, als ihre Boote wenig spĂ€ter ebenfalls durch den Schlamm hoppelten. Und wir warteten auf das Wasser. Besondere Ironie der Geschichte: Nur wenige Meter hinter uns war ein Baggerschiff unterwegs, ganz offenbar mit dem Auftrag versehen, hier einmal wieder fĂŒr mehr Tiefgang zu sorgen. Wir gruben uns schlieĂlich selber frei.
Ach ja, es war Wind, da war doch was! Das GroĂ setzten wir an diesem Tag zunĂ€chst wieder nur im dritten Reff und holten dennoch eine Reihe der Boote aus der Flotte wieder mĂŒhelos ein, die zuvor so selbstbewusst an uns vorbeigeschippert waren. Viele fuhren an diesem Tag ohnehin nur unter Motor. Unsere Segel lieĂen uns fliegen. Nur die SchrĂ€glage bereitete etwas Sorgen. Von unten wurde zu mehr RĂŒcksichtnahme gemahnt, immerhin musste noch die Sahne aufgeschlagen werdenâŠ
Letztere war dann, Gott sei Dank, schon sicher in ihrer SchĂŒssel im KĂŒhlfach verstaut, als es mich kalt erwischte. Optimistisch, wie wir waren, hatten wir ein Reff schon wieder ausgebunden, als uns eine Böe quasi senkrecht auf die Seite stellte. Wie durch einen Kaminschlot schoss dieser Wind zwischen den Bebauungen der Industrieanlagen bei Stade hervor und wollte einfach nicht aufhören, geschweige denn nachgeben. Meine GĂŒte, das jagte mir nun doch einen gehörigen Schrecken ein, ich gebe es zu. Wie aus dem Nichts war sie gekommen. âIn Böen achtâ, hatte es geheiĂen. Ja, das war dann wohl die Acht gewesen â von vorne, voll auf die Nase. Als der Spuk vorbei war, lachte Christian mich an: âAber Du weiĂt doch, dass sie nicht umkippen kann.â Und spielte damit auf eine gern erzĂ€hlte Anekdote meiner Seglerbiografie an: Hatte Robert doch genau das zu mir gesagt, als ich zum allerersten Mal einen FuĂ auf eines seiner Schiffe und damit ĂŒberhaupt auf ein Segelboot gesetzt hatte. Ich glaube, als ich mich an diesem Sonntagnachmittag nun zu Christian umwandte, konnte man die BestĂŒrzung immer noch auf meinem Gesicht ablesen. âJaâ, sagte ich, âdas weiĂ ich. Aber sie soll auch nicht rauskippen, was drinnen ist.â âGuter Punktâ, nickte Christian.
Zucker ist seit jeher ein probates Heilmittel fĂŒr schwache Nerven. Höchste Zeit also fĂŒr unseren leckeren Kuchen. Das nĂ€chste StĂŒck wĂŒrden wir, ohne kreuzen zu mĂŒssen, segeln können. Das war der Moment. Noch etwas skeptisch ob des Erlebten nahm die Crew den Kuchen im Cockpit in Empfang. Nur gut, dass der Wind nun einigermaĂen friedlich blieb. Es wĂ€re zu schade um das leckere Backwerk gewesen. SchlieĂlich konnten wir sogar den Autopiloten bemĂŒhen, sodass auch Alexander als unser Steuermann ganz in Ruhe sein KuchenstĂŒck verspeisen konnte. Was war das vorhin nur fĂŒr ein Spuk gewesen?
Als wir NeĂsand erreichten, war die Welt so friedfertig geworden, als könne sie kein WĂ€sserchen trĂŒben. Wir taten es den hier kreuzenden Booten gleich und refften aus. Sie schienen von dem vielen Wind, den wir in den letzten Stunden und Tagen erlebt hatten, nichts mitbekommen zu haben. Sogar die kleinen Daysailer waren hier auf dem Fluss unterwegs. Zu diesen gesellten sich ab Wedel noch zwei ganz besondere Boote und, zu unserer Freude, weit in unserem Kielwasser. Unsere beiden Schwesterschiffe kamen hier aus dem Wedeler Yachthafen, wo beide noch Wasser getankt hatten. Das verschaffte uns den Vorsprung, der uns durch das Schlickbad bei GlĂŒckstadt verlorengegangen war. Wir gewannen die Regatta nach Finkenwerder.
Wieder löste sich dort eine kleine Seglerfamilie auf. Wieder zerstreute sie sich in alle Winde. Wieder fiel es mir so schwer âTschĂŒĂâ zu sagen â aber vielleicht ja auch nur âBis bald!â
Kommt alle gut durch dieses verrĂŒckte Jahr und bleibt gesund!