Leider kann Freiheit auch bedeuten, dass einem schlecht wird und zwar so richtig schlecht. Das traf fast die ganze Crew auf dem ersten langen Schlag dieser Reise von Cuxhaven nach Spiekeroog. âSo ist das also, wenn man seekrank istâ, dachte ich noch und dann hing ich auch schon ĂŒber der Reling. Gut nur, dass ich noch nicht allzu viel gegessen hatte an diesem Tag, der nach einer sehr kurzen Nacht morgens um vier im Amerikahafen in Cuxhaven begonnen hatte. Wir hatte Westwind und mussten also aus der ElbmĂŒndung gegen an. Wind gegen Strom baute einen entsprechenden Seegang auf, der sich nun lustig mit der DĂŒnung der vorherigen Stark-Wind-Wettertage mischte. Hart schlug unsere âHelgoland Expressâ immer wieder in das eine oder andere Wellental. Mit Schaudern erinnerte ich mich an Hendriks ErzĂ€hlung vom Vortag. Sechs Meter wĂ€ren die Wellen hoch gewesen bei seiner letzten Regatta. Diese hier schafften es gerade mal auf einen und schon das war mir mehr als genug.
An Backbord zogen mittlerweile all die gefĂŒrchteten Untiefen der Deutschen Bucht vorĂŒber. Ăber Scharhörnriff brodelte und schĂ€umte das Wasser. So hoch tĂŒrmten sich dort die Grundseen, dass ich zunĂ€chst glaubte, weiĂe DĂŒnen an Land zu sehen. Schon seltsam, was dieses Meer uns alles zu zeigen vermochte. Stundenlang starrte ich ĂŒbermĂŒdet auf seine Wellen und verstand sehr bald, wie all das Seemannsgarn von Monstern aus der Tiefe in frĂŒheren Jahrhunderten hatte gesponnen werden können. Sahen nicht viele der Wellenberge aus wie die Buckel unbekannter Tiere, die sich vor uns aus dem SchoĂe des Meeres erhoben? Das Meer hat so viele Gesichter. Immer wieder zeigt es uns, wie klein und unbedeutend wir doch sind. Eine 43-FuĂ-Yacht ist nichts nach seinen MaĂstĂ€ben. Bei einem Vortrag, den ich kĂŒrzlich beim Tag der offenen TĂŒr beim BSH in Hamburg hören konnte, zeigte der Referent unter anderem ein Video von einem Kreuzfahrtschiff auf hoher See. Seitdem weiĂ ich, was âdas Rollen eines Schiffesâ bedeutete und dass ich diese Erfahrung lieber nicht so bald am eigenen Leib machen wollte. Sehr passend dazu ein Song von Jonny Glut aus dem âOld Laramieâ, das wir auf dieser Reise auch noch kennenlernen wĂŒrden: âOdyseeâ â oh, die See â Sehnsuchtsort, Fernwehort â Freiheit, Herausforderung â körperlich, geistig, seelisch. Etwas, von dem man nicht mehr lassen konnte, wenn es einen gepackt hatte, auch wenn es manchmal besser wĂ€re.
Gott sei Dank, bewahrheitete sich an diesem Tag noch eine weitere Seglerweisheit: Steuern hilft! Die nĂ€chsten Stunden waren also gerettet. Unser Kurs hieĂ âhoch am Windâ â so konnte man also auch navigierenâŠ
Die NordergrĂŒnde hatten wir zwischenzeitlich hinter uns gebracht â noch so eine sagenumwogene Untiefe. Wie viele Wracks waren dort auf unserer Seekarte verzeichnet? Entschieden zu viele, aber wir kreuzten sicher ĂŒber ihre letzten AuslĂ€ufer hinweg. So viel Tiefgang, dass sie uns gefĂ€hrlich werden konnten, hatten wir dann, Gott sei Dank, doch nicht.
Am spĂ€ten Nachmittag tauchte vor uns endlich ein langer weiĂer Sandstrand auf. Nach einem sehr langen Tag, mit wenig Schlaf und Essen, dessen Reste die meisten von uns auch glĂŒcklich ĂŒber Bord befördert hatten, waren wir alle froh, endlich anzukommen. Wir froren alle. Inklusive Ălzeug trug ich an diesem Tag alles, was mein Zwiebelschalenschichtmodell herzugeben vermochte. Trotzdem war mir eiskalt â trotz der neuen Seestiefeln, dichten wohlgemerkt, und allem⊠Dabei war es nur bewölkt, kein Regen, nur viel scheinbarer Wind von vorn. Wie herrlich also, dass endlich diese Insel, das lang ersehnte Ziel, in Sicht kam. Aber von wegen Spiekeroog! Wir waren durch den Strom ein gutes StĂŒck östlich versetzt worden und schauten nun also auf die AuslĂ€ufer von Wangerooge statt auf die von uns ersehnte Insel. Bis zum Spiekerooger Hafen war also noch ein gutes StĂŒck Weg zurĂŒckzulegen. Immerhin weckte die Aussicht auf den Endspurt in uns die noch verbliebenen Lebensgeister, und wir boten entschlossen alles auf, um gegen Wind und Strom voranzukommen. SpĂ€ter, als wir unseren Track in der Aufzeichnung auf dem Plotter noch einmal anschauten, wurde schnell klar, warum Christian auf die wiederholte Frage, wie wir denn vorankĂ€men, gesagt hatte: âFragâ besser nicht.â Die ersten KreuzschlĂ€ge machten nicht mal eine lumpige Seemeile gut. Es wĂ€re nicht ĂŒbertrieben festzustellen, dass das Kreuzen gerade noch so verhindert hatte, dass wir rĂŒckwĂ€rts trieben. Sylke hatte da von Anfang an so einen Verdacht, und so suchte sie am Strand vor uns nach einem Wegpunkt, der uns erkennen lassen könnte, ob wir uns denn relativ zu diesem ĂŒberhaupt in die gewĂŒnschte Richtung bewegten. Sie fand das Gesuchte im parkenden Traktor des KĂŒstenschutzdienstes. Dumm nur, dass sich dieser ausgerechnet in jenem Augenblick selbst wieder in Bewegung setzte, als wir meinten, wieder etwas Fahrt aufgenommen zu haben.
GlĂŒcklicherweise wurden unsere KreuzschlĂ€ge schlieĂlich tatsĂ€chlich wieder lĂ€nger, und langsam, aber sicher erreichten wir so das Westende von Wangerooge. Und nun? Wie weiter? Der ursprĂŒngliche Plan war ja gewesen, nördlich an Spiekeroog vorbei zu segeln und dann mit der Flut ĂŒber die Barre an der Otzumer Balje ins Seegatt â doch das war, wohlgemerkt, der Plan gewesen, als wir noch meinten, Spiekeroog direkt anzulaufen und nicht mit knapper Not die Insel nebendran zu erwischen.
Das Zeitfenster, das uns die Tide vorgab, war mittlerweile so eng, dass unser Skipper â Zahlen und Daten sicher im Kopf â eine Alternative ertĂŒftelte. Lieber doch nach SĂŒden und dort durchs Wattfahrwasser. Aye, aye! Also vorn rum um die Spitze von Wangerooge und dann bloĂ gut klar halten von der Gefahrentonne, die â wo noch mal genau? â ah, da â ohh, daaa!!! â eine viel zu weit ins Fahrwasser hineinragende Buhne markierte, fast so als strecke Wangerooge klammheimlich unter dem Tischtuch der Nordsee die Hand nach der Nachbarin aus. Nur gut, dass wir mit Christian einen Ortskundigen an Bord hatten. Wir wĂ€ren nie im Leben darauf gekommen, dass man so etwas so bauen wĂŒrde. ZwangslĂ€ufig ein klares Hindernis fĂŒr alle Revierneulinge â und eine sichere Methode den Touristenzustrom vom Meer her auf ein vernĂŒnftiges MaĂ zu reduzieren⊠Doch war der aufregende Teil der Reise damit noch keineswegs zu Ende, sondern fing gerade erst an.
Die Fahrt durchs Wattfahrwasser war ein Erlebnis fĂŒr sich. âKreuzen geht hier nichtâ, lautete die klare Ansage von unserem Skipper und, âes gibt da âne Stelle, da stehen in der Karte zehn Zentimeter.â Schluck! Unsere Blicke waren in den folgenden Stunden quasi am Lot festgeschraubt. Nur ab und an schauten wir auf und hinĂŒber zu den wiegenden Pricken im Watt. âDamit die Seehunde auch malâŠâ Nur hoffentlich nicht gerade jetzt unter unserem Kiel, wo wir sowieso gerade so wenig Wasser hatten, andererseits konnte natĂŒrlich jeder Tropfen helfen⊠Selten hatten wir auf diesem Törn den Kurs so eisern eingehalten wie hier. Immerhin hatte unsere Gib Sea einen Tiefgang von 1,70 m und auch wenn wir alle nur zu gerne endlich im Hafen von Spiekeroog einlaufen wollten, welches sich nun scheinbar endlos steuerbords an uns entlang zog, so wollten wir doch eben gerne auch in einem StĂŒck ankommen und nicht die HĂ€lfte hier auf den SĂ€nden zurĂŒcklassen. Christian dirigierte unsere Steuerfrau beharrlich an den ostfriesischen Salzwasserbirken vorbei, wie Martin sie so schön getauft hatte. Dann kam besagtes Flach. Christian unter Deck am Plotter, ich am Lot, Sylke am Steuer: 2,70 â 2,50, â 2,30 â 2,20 â 2,30 ⊠Geschafft. Wir hatten unsere Handbreit Wasser unter dem Kiel behalten.
Ich weià gar nicht mehr, wer von uns an diesem ersten Tag auf Spiekeroog angelegt hat. Wohl weià ich aber noch, wie erstaunt wir alle waren, den kleinen Hafen bereits so gut belegt vorzufinden. Boote aller möglicher Klassen lagen dort schon an den verschiedenen Stegen: Jollenkreuzer und Plattbodenschiffe, Contender und Laser auf dem Schlick dahinter.
Sehr genau erinnere ich mich auch an die heiĂe Dusche in der Marina â endlich war mir wieder warm. Dann ab in die Koje fĂŒr ein halbes StĂŒndchen, aus dem beinahe die ganze Nacht geworden wĂ€re, hĂ€tten die anderen uns nicht geweckt, wollten wir doch noch alle zusammen essen gehen. Gesagt getan. So ein Hunger! Im lokalen Fischrestaurant schmauste ich gebackenen SchafskĂ€se mit Tomaten und Oliven â sehr lecker. WĂ€ren wir nicht so mĂŒde gewesen, es hĂ€tte noch ein lustiger Abend an Land werden können. Doch allen stand der Sinn nur nach ihren Kojen und so setzten wir wenig spĂ€ter fort, was vor dem Essen schon so vielversprechend begonnen hatte. Unser Schiff lag schlieĂlich so weich im Hafenschlick wie wir in unseren Kojen.
Sehr bald schon vernahm ich dann wieder die ersten Schritte ĂŒber den Niedergang. Der neue Tag eilte auf uns zu, und wir krabbelten aus den Kojen zum FrĂŒhstĂŒck. Kaffee. Es geht doch nichts ĂŒber einen guten Kaffee am Morgen! Die warme Dusche wurde allseits auf die Marina auf Helgoland verschoben und so ging, fast unbemerkt, der erste in den zweiten Tag auf dem Wasser ĂŒber, als wir, aus Cuxhaven auslaufend, den Amerikahafen mit ohrenzuhaltendem Signalton gen Westen wieder verlieĂen. Das Abenteuer war zum Greifen nah. Vor uns lag die Welt im grauen ersten Morgenlicht: auf zu neuen Entdeckungen!
Der Hochnebel sollte sich halten an diesem Tag. Bisher hatte ich ihn noch gar nicht recht als Problem identifiziert. Die Sonne war nicht zu sehen, aber dass der Nebel tatsĂ€chlich unsere Sicht behinderte, wurde mir erst viel spĂ€ter an diesem Tag bewusst â als wir nĂ€mlich bei der Ansteuerung auf Helgoland irritiert feststellten, dass die Insel von jenem Nebel bis zum allerletzten Augenblick verschluckt und das Grau von Nordsee und Tag einfach in alle Himmelsrichtung gleich blieb. Optisch, ohne elektronische Hilfsmittel, hĂ€tten wir unser Ziel an diesem Tag niemals gefunden. EnttĂ€uscht stellten wir fest, dass das HelgolĂ€nder Leuchtfeuer, von dem wir schon viel gehört hatten, durchaus nicht bereit war, uns den Weg zum roten Felsen im Meer zu weisen. Eines der stĂ€rksten Leuchtfeuer der Deutschen Bucht lag â vermuteterweise â unmittelbar rechtvoraus, aber was nĂŒtzte einem diese Ahnung, wenn es an diesigen Tagen nicht eingeschaltet wurde? Bewundert haben wir das Feuer dann sehr viel spĂ€ter, als wir lange nach dem Anlegen vom Abendessen zurĂŒck zum Schiff strawanzten. Da bot sich uns dann ein beeindruckendes Lichtschauspiel ĂŒber der Insel. Alle fĂŒnf Sekunden griff ein Lichtstrahl hinaus in die unendliche Nacht, verhieĂ Sicherheit und Orientierung â aber fĂŒr die Segler auf dem grauen Meer des Tages lag das noch in weiter Ferner.
In Cuxhaven waren wir zwar alle noch ziemlich mĂŒde, aber allseits guter Dinge und abenteuerhungrig im Cockpit versammelt. Wir wechselten uns am Ruder ab, und unser Schmetterling hatte seine FlĂŒgel zuversichtlich in den Wind aus guter Richtung, aber mit wenig Kraft gestreckt. Wir machten nur mĂ€Ăige Fahrt an diesem Tag.
Eine Weile noch folgten wir dem Fahrwasser der Elbe. Wie anders die Lage dort sein konnte, wurde mir klar, als wir die dortigen Baken sahen. Manchmal sei der Seegang so hoch, dass man die regulĂ€ren Tonnen schlicht nicht mehr entdecken könne, da wĂ€ren die Baken die einzige optische Hilfe zur sicheren Navigation, jenseits der Technik versteht sich, erklĂ€rt uns unser Skipper. Schwer vorzustellen, dass man die mehrere Meter hohen Tonnen, die uns den bisherigen Weg ĂŒber so sicher die Elbe abwĂ€rts begleitet hatten, nicht wĂŒrde sehen können. Aber klar hatten sie uns auch vorher schon davon erzĂ€hlt, dass schon Wind gegen Strom an dieser Stelle reichte, um die See bis zu sechs Meter und mehr Höhe aufzutĂŒrmen. Einen Sturm brauchte es zu diesem Zweck noch gar nicht. Ob sie bei schlechtem Wetter auch nach Helgoland auslaufen wĂŒrden, hatten wir schon Wochen zuvor tolldreist und ich auch zugegebenermaĂen Ă€ngstlich von Robert wissen wollen. Er hatte uns mit der langen Erfahrung seiner Skipper beruhigt, und nun prĂ€zisierte Christian das ganze: klar, wĂŒrden sie erst mal auch bei eher suboptimalen Bedingungen auslaufen, wenn die Crew das so entschied. SchlieĂlich war er ja kein schlechter Skipper. Mit einem Augenzwinkern fĂŒgte er hinzu, dass die meisten dann doch sehr schnell sehr dankbar fĂŒr seinen Hinweis seien, dass man in der Elbe auch da und dort ein paar schöne ruhige Stunden verbringen könne. Das Umdrehen fiele dann entsprechend leicht…
FĂŒr uns gab es, Gott sei Dank, keine Probleme solcher Natur â eher ein wenig vom Gegenteil, also zu wenig Wind fĂŒr GroĂ und Genua. DafĂŒr war das Ruder simpel und anfĂ€ngergeeignet und so stand ich an diesem Tag gleich mehrere Stunden am Steuerrad, stolz wie Bolle und strahlend vor GlĂŒck, wĂ€hrend uns der Strom gemĂ€chlich mit nach Helgoland nahm.
Zwei weitere Segelboote sahen wir unterwegs. Schnittig ĂŒberholte uns der Segelmacher aus Stade und war schon weit auf der grauen See voraus, als ich endlich meinen Fotoapparat aus der KajĂŒte geholt hatte. Am Horizont zog dann und wann die FĂ€hre vorbei â ansonsten nur graue See soweit das Auge reichte. Nachdem unser Navigationsteam beschlossen hatte, ich solle 315 Grad steuern, kehrte allgemein Ruhe ein, und der eine oder andere verlĂ€ngerte die viel zu kurze Nacht auf der Hundekoje im Salon. Ich blieb derweil oben, ich blieb am Ruder. Mangels Wind kĂ€mpfte unsere Gib Sea in den Wellen der Strömung â hĂŒpfte mal nach Steuerbord, dann wieder nach Backbord. Ich bemĂŒhte mich um entsprechende Kurskorrekturen und lauschte dem PlĂ€tschern des Wassers. Die Stunden verstrichen auf dem gleichmĂ€Ăig grauen Meer. Die letzte Tonne hatten wir schon vor Stunden passiert und eigentlich sollte doch langsam eine rote Insel am Horizont erscheinen. Hatten wir etwa falsch navigiert? Wo waren denn die Boote geblieben, die uns unlĂ€ngst noch ĂŒberholt hatten? Sollten wir die nicht sehen können? In Mitten dieser Fragen erschien Christian wieder an Deck und wies die lĂ€ngst ĂŒberfĂ€llige Kurskorrektur an. Backbord, mehr nach backbord â schlieĂlich wollten wir doch nicht an Helgoland vorbei fahren!
Auch der Rest der Crew erschien nun nach und nach wieder an Deck, und es entbrannte ein kleiner Wettkampf darĂŒber, wer wohl als erstes Land â sprich: Helgoland â aus dem Nebel auftauchen sehen wĂŒrde. Schon bald wurde spekuliert, ob nicht dieser oder jener Umriss… Ich kniff die Augen zusammen und starrte in die angegebene Richtung. Aber, nein, fĂŒr mich blieb das Grau einfach das, was ich schon den lieben langen Tag vor der Nase gehabt hatte, nĂ€mlich grau. Ausguck wĂŒrde also eher nicht meine SpezialitĂ€t, beschloss ich, als sich die angegebene Wolkenbank dann schlieĂlich doch in die ersehnte Insel auflöste. Dass wir unser Ziel definitiv erreicht hatten, wurde mir klar, als uns ein kleiner Schmetterling von der Insel begrĂŒĂte. Lustig umschwirrte er das Rigg unseres Bootes, und dieser auf dem Wasser eher surreale Anblick konnte nur heiĂen, dass das Land nicht mehr fern war.
Cool wĂ€re es ja, wenn man unter vollen Segeln in den Hafen einliefe, erklĂ€rte unser Skipper Sylke, die das Ruder ĂŒbernommen und sich fĂŒrs Anlegemanöver bereit erklĂ€rt hatte. Aha. Also mit vollen Segeln in den Hafen hinein und dann blitzschnell alles zum Festmachen fertig machen. Das GroĂ hatten wir eingeholt, aber wohin bloĂ mit unserem Boot? Ein Schwimmsteg dĂŒmpelte einsam an einer Leiter gut zwei Meter unterhalb der Kaimauer. Unsere Begeisterung fĂŒr diese Option war endlich, und alles war froh, als Christian entschied, mit einem der bereits vertĂ€uten Schiffe am Bootssteg gegenĂŒber ins PĂ€ckchen zu gehen. Fender hingen nur bei diesem einen Boot an der richtigen Seite, also steuerbords einladend fĂŒr uns. Sie steckten in gehĂ€kelten SĂ€ckchen. Noch dachten wir uns nichts dabei, galt doch die Regel: Fender an der freien Seite, also keine EinwĂ€nde gegen weitere mĂŒde Segler auf der Suche nach einem Liegeplatz fĂŒr die Nacht. Das war jedenfalls unser Kenntnisstand der guten Seemannschaft, wie man so schön sagte. Doch hatten wir diese Rechnung ohne den Wirt â Pardon, ohne den Eigner gemacht, der â als ihm klar wurde, worauf unser Manöver hinauslaufen sollte â sehr ungehalten aus seiner Kuchenbude herausschnaubte, uns eindringlich Richtung besagt meterhoher Hafenleiter verwies. Die Crew blickte ihn, dann sich, dann ihn betroffen und verstĂ€ndnislos an. Zu unser aller GlĂŒck wurde das dann zu einer Angelegenheit zwischen SchiffsfĂŒhrern erklĂ€rt. Christian wechselte einige sehr höfliche Worte mit dem Herren, der â oh schau‘ und guck‘ â seine Meinung innerhalb weniger Minuten vollstĂ€ndig Ă€nderte. Unser Skipper war ein wahrer Diplomat! Wir machten also fest und noch wĂ€hrend die letzten Leinen vertĂ€ut und Klampen belegt wurden, schĂ€rfte er uns ein, dass An-Land-Gehen fĂŒr uns nun hieĂe, ĂŒber das Vorschiff des Nachbarn wie barfĂŒĂige â nein, wie schwebende, barfĂŒĂige Elfen hinweg zu gleiten. Aye, aye, Herr KapitĂ€n! Aber noch bevor wir diese grazile Meisterleistung allseits ausprobieren konnten, gab es ein fĂŒr uns alle unerwartetes Hallo. Es traf Roberts zweite Yacht, die âHamburg Expressâ, von ihrem Törn ĂŒber die Nordfriesischen Inseln auf Helgoland ein und machte, na klar, an unserer Steuerbordseite fest. Das wĂŒrden viele Elfen werden in dieser Nacht…
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich lĂ€ngst beschlossen, dass mein erster Gang an Land mich ins, nein, unters Wasser fĂŒhren wĂŒrde. Und die heiĂe Dusche im Seglerheim der dortigen Marina genoss ich dann lange in ausgiebigen ZĂŒgen. Dann war es Zeit fĂŒr die Inselerkundung und den notorisch ĂŒberfĂ€lligen Abgleich der Geografie mit meiner lĂŒckenhaften Erinnerung. Das war dann der einzige Moment wĂ€hrend dieses Törns, zu dem ich den spĂ€t im Jahr gelegenen Segeltermin aufrichtig bedauerte, denn der Abend war schon lĂ€ngst hereingebrochen, und unser Rundgang ĂŒber die Insel musste flux im letzten Licht der schon untergehenden Sonne erledigt werden. Diese hatte sich nach der grauen Suppe, die uns den ganzen Tag ĂŒber begleitet hatte, nun endlich auch fĂŒr ein kurzes Zwischengastspiel aus ihrem Wolkenbett erhoben, nur um sich umgehend zwecks nĂ€chtlicher VergnĂŒgungen auf der anderen Seite wieder zu verabschieden. Doch versĂŒĂte sie uns unsere Ankunft fĂŒr einen Moment noch mit einem schönen Abendrot. Wochen spĂ€ter hörte ich dazu eine nette Anekdote im Radio, die hier kurz eingefĂŒgt sei.
In der Zeit, als Helgoland sein Dasein als deutsches Seebad entdeckte, seufzte offenbar recht herzerweichend die eine oder andere Dame ĂŒber eben jenen Sonnenuntergang auf der roten Insel, welcher auch uns einen einen so schönen Empfang bereitet. Die RĂŒhrung ging so weit, dass jene, die sich zu anderen Zeiten selbst fĂŒr eben jene emotionale Seite der Damenwelt schon von Berufswegen stark erwĂ€rmen konnten, also die deutschen Dichter, fanden, dass des Guten denn langsam aber sicher doch genug getan sei. In diesem Sinne schrieb Heinrich Heine auf dieser Insel die folgenden hĂŒbschen Zeilchen:
Das FrÀulein stand am Meere
Das FrÀulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rĂŒhrte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein FrÀulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes StĂŒck;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurĂŒck.
(Heinrich Heine, 1832)
Wie gesagt, auch uns begrĂŒĂte nun dieses schöne Abendrot, das so gut zu dieser Insel und farblich auch zu ihrer Flagge passen wollte: grĂŒn wie die Wiesen, rot wie der Stein und weiĂ wie der Sand. Pflichtschuldig hatten wir diese natĂŒrlich lĂ€ngst unter der Steuerbordsaling gehisst.
Helgoland ist wahrlich keine groĂe Insel und sicher kein guter Ort, um sich mit jemandem im Streit zu entzweien. Man wird sich dort nicht lange aus dem Weg gehen können! Zwar mahnte uns die anbrechende DĂ€mmerung zur Eile fĂŒr unsere Besichtigungstour, allerdings hĂ€tten wir auch bei besseren Lichtbedingungen nicht viel mehr als die letztlich benötigte gute Stunde fĂŒr den Rundgang ĂŒbers Oberland gebraucht. Jenseits des Ărtchens gibt es nur Wiesen und den roten Fels, der zu allen Seiten schroff ins Meer hinab abfĂ€llt. Markant thront der Leuchtturm, beheimatet in einem alten Flakleitstand, und damit sind wir auch schon beim dunkelsten Kapitel dieser Insel angekommen, welches es, wenn man all die fein sĂ€uberlich vom lokalen Tourismusverband angebrachten Infotafeln ĂŒber die Inselgeschichte auf jener Rundtour gelesen hat, umso erstaunlicher machte, dass dieser Felsklotz im Meer ĂŒberhaupt noch vorhanden und nicht einfach zu jener Fata Morgana geworden war, der wir mittags noch nachgejagt waren.
Schaut man sich diese Insel auf einer Karte an, hat ihre Form etwas Krabbenartiges. Weite Scheren reichen hinaus ins Meer und scheinen die Boote einzufangen, die spĂ€ter in ihrem Hafen festmachen. Dies und die weitlĂ€ufigen Wellenbrecher am nordöstlichen Ufer, welche die FelsenkĂŒste und die Lange Anna umschlieĂen, verleihen dem Aussehen der Insel etwas Martialisches. Kein Vergleich zu den Wanderoasen und Touristenfallen anderer Eilande, die wir bisher besucht hatten.
Jenseits dieser an Festung, MilitĂ€r und entsprechende Historie gemahnende ĂuĂerlichkeit der roten Insel im Meer wartete diese aber auch mit einer noch ganz anderen, mir deutlich sympathischeren Eigenart auf: den Lummenfelsen. NatĂŒrlich fĂŒhrte uns unser Weg ĂŒber das Oberland â artig dem Touristen-, aber eben auch dem einzigen Inselpfad folgend â zunĂ€chst zur Langen Anna, der Felsnadel im Meer. Trotz spĂ€ter Stunde und Jahreszeit waren wir am dortigen Aussichtspunkt lĂ€ngst nicht die einzigen Besucher. Fotos wurden massenweise geschossen, sodass Alexander witzelte, dass von den vielen Fotostativen schon Löcher in den Felsen gebohrt worden sein mĂŒssten. Menschen sind nun mal Herdentiere und als solche auch immer wieder selbst ein interessantes Beobachtungsobjekt. So ruhte mein Blick zunĂ€chst auf ihnen, um dann â das Interesse war geweckt â zu erkunden, was sie wohl so Faszinierendes an der Steilwand unter uns betrachteten. Ich gebe zu, solche Blicke in die Tiefe gehören nicht gerade zu meinen LieblingsbeschĂ€ftigungen. Höhenangst hat mich schon immer geplagt â sehr zum Leidwesen Alexanders, dem dadurch der eine oder andere Berggipfel entgangen ist, den zu erklimmen ich mich auf Grund besagter weicher Knie an abfallenden HĂ€ngen nicht im Stande gesehen hatte. Ungebrochener Spitzenreiter in dieser Kategorie der Fast-bestiegenen-Berggipfel ist dabei nach wie vor der Goatfell auf Arran. Waren wir schon drei Mal fast oben oder vier? Aber das ist eine andere Geschichte…
Auf Helgoland blieb mein Blick in die Tiefe glĂŒcklicherweise bereits nach wenigen Metern, zusammen mit den dort nistenden Basstölpeln, am Felsen hĂ€ngen. Eine ganze Kolonie lebte dort. Auch sie hatte ich schon auf besagter schottischer Insel gesehen, aber immer nur in Form am Himmel kreisender EinzelkĂ€mpfer ĂŒber der Bucht in Brodick, die sich dann urplötzlich, kamikazeartig ins Wasser fallen lieĂen, grazil eintauchten, um nur Minuten spĂ€ter wieder neue Kreise am Himmel ĂŒber der Bucht zu ziehen. Ein, zwei Vögel hatte ich auf diese Weise auf Arran beobachtet, auf Helgoland saĂ nun ein gutes Dutzend nur wenige Meter von meinen FĂŒĂen entfernt auf dem Felsen â wobei sicher nicht nur mir, sondern ebenso den Vögeln klar gewesen sein muss, dass sie dort fĂŒr alle menschlichen Dummheiten unerreichbar waren. Basstölpel sind interessante, aber keine besonders schönen Vögel. Ihr Kopf ist ihrem Jagdverhalten optimal angepasst. Sie sehen aus, als trĂŒgen sie Gummimasken ĂŒber ihren Köpfchen: der lange Schnabel, die dunkel umrĂ€nderten Augen blicken stets streng. Wie die meisten Seevögel folgt ihre Gestalt sicher keinem Kindchenschema, das sie im Auge des Betrachters zu Kuschelobjekten degradieren wĂŒrde.
Leider bewahrheitete sich bei dieser Beobachtung auch noch etwas anderes, von dem ich bisher nur medial erfahren hatte: Ihre Nester, die eng in den Felsen geschmiegt lagen, leuchteten bunt in der Abendsonne. Rot und blau. Vor allem Nylonseile, StĂŒcke von Fischernetzen und anderer Plastikunrat bildeten ihr Zuhause. Gehört hatte ich schon davon. Auch davon, dass sich die Jungen der Lummen regelmĂ€Ăig bei ihren waghalsigen SprĂŒngen ins Meer in diesem Unrat erhĂ€ngten. Aber die schiere Menge an MĂŒll zu sehen, den die Vögel hier zusammengetragen und nichtsahnend ob der GefĂ€hrlichkeit fĂŒr den eigenen Nachwuchs zu Nestern verbaut hatten, war doch recht beklemmend und bestĂ€rkte mich erneut im eigenen Vorhaben, Plastikverpackungen weitestgehend zu vermeiden. Es braucht keine Plastikstrudel im Pazifik, um einem die Notwendigkeit vor Augen zu fĂŒhren, sein eigenes MĂŒllverhalten nachhaltig zu ĂŒberdenken.
Nachdenklich gestimmt machten wir uns auf den RĂŒckweg. Der Abend sollte in der âBunten Kuhâ ausklingen, und ich wartete sehnlichst darauf, dass es endlich soweit war. Nicht weil ich diesen Tag beschlieĂen wollte, nein, das sicher nicht, aber ich hatte Hunger wie ein SeebĂ€r! Als besagter Quotenvegetarier der Runde machte ich mir wenig Illusionen ĂŒber die Auswahlmöglichkeiten des Essens. Reisen an die KĂŒste bedeuteten Fisch in allen möglichen Variationen. Reisen ĂŒber das Meer wĂŒrden da keine groĂe Ausnahme mache. Erfreut nahm ich schlieĂlich zur Kenntnis, dass auch seltsamen Leuten wie mir eine Wahl zugesprochen wurde, immerhin gab es also ein Entweder-Oder auf der Karte. Ich entschied mich fĂŒr das Oder und beschloss, dieses um die aufgefĂŒhrte Tomatensuppe zu ergĂ€nzen. Ja, ich hatte wirklich Hunger!
In der âBunten Kuhâ trafen wir nicht nur den Rest von unserer Crew wieder, sondern auch die Leute von der âHamburg Expressâ. Zusammen fĂŒllten wir die Seglerkneipe am Hafen gut aus. Die wohlgemeinte Idee, uns so zu platzieren, dass beide Crews gemeinsam an einem Tisch Platz fanden, wurde angenommen, die zu Grunde liegende Intention, die jeweils anderen besser kennenzulernen, erkannt und â ignoriert. Nachdem die wesentlichen Fragen nach woher, wohin und wie war das Wetter, geklĂ€rt waren, blieb man unter sich.
Selten hatten wir die BefĂŒrchtung ĂŒber möglicherweise zu kleine Portionen mit solcher Ernsthaftigkeit erwogen, wie im Vorwege des Mahles an diesem Tisch. Lange hatte ich nicht mehr mit solch einem Appetit gegessen. Segeln machte hungrig, keine Frage! Letztlich erwiesen sich alle unsere BefĂŒrchtungen aber als unbegrĂŒndet. Sogar die als lokale SpezialitĂ€t und eigentlich als Vorspeise angekĂŒndigten âKnieperâ â Krebsscheren mit verschiedenen Dips und Brot serviert â die Holger kosten wollte, fĂŒllten in zufriedenstellender Weise die SeglerbĂ€uche. Aber noch bevor die sich absehbar ankĂŒndigende SchlĂ€frigkeit nach gutem Essen und viel frischer Luft vollstĂ€ndig von uns Besitz ergreifen konnte, war noch die Frage nach dem ebenfalls angepriesenen Eiergrog zu klĂ€ren. Unser Skipper riet zum Probieren, um rauszufinden, was es damit wohl auf sich habe, hielt sich ansonsten aber eher bedeckt und zurĂŒck, was dieses GetrĂ€nk betraf. Nach dem ersten Schluck war mir auch sofort klar, warum. Ich musste unwillkĂŒrlich daran denken, dass Christian zu Beginn unseres Törns â nicht ohne Stolz in der Stimme â erzĂ€hlt hatte, dass bei ihm noch nie jemand ĂŒber Bord gegangen sei. Allerdings sei es durchaus schon vorgekommen, dass der eine oder andere auf Helgoland vom Steg gefallen wĂ€re. Kein Wunder! Ich hatte den Eindruck, gerade puren aufgekochten Alkohol durch einen dĂŒnnen Strohhalm zu schlĂŒrfen. Eindringlich war ich in der Folge darum bemĂŒht, dieses seltsame GetrĂ€nk mit Alexander zu teilen, der wohlweislich von einer eigenen Bestellung abgesehen hatte.
Auf dem RĂŒckweg zum Boot schoss das Leuchtfeuer der Insel seine weiĂen Strahlen in den pechschwarzen Himmel. Wir bewunderten es alle. Heute frage ich mich, wie viele von uns sich in diesem Moment wohl gewĂŒnscht haben mögen, es hĂ€tte uns tagsĂŒber auch schon den Weg gewiesen. Ich dachte es jedenfalls sofort. Wie leicht hĂ€tte man doch an diesem winzigen Felsen einfach vorbeisegeln können, ohne es zu merken â vorausgesetzt natĂŒrlich, dass man das GPS nicht konsultierte. Und was fĂŒr eine Leistung war die Seefahrt vor noch ein paar Jahren gewesen, als all diese Technik nicht zur VerfĂŒgung gestanden hatte. Wieder war ich selig im Bewusstsein, gerade ein echtes Abenteuer zu erleben.
Leider und trotz Eiergrog fand ich auch in dieser zweiten Nacht auf dem Boot keine rechte Ruhe. Unsere KajĂŒte lag steuerbords zur âHamburg Expressâ, und unsere Fender rollten lustig zwischen den beiden Booten an der Bordwand entlang, hin und her und her und hin und hin und her…
Der Törn begann an einem Donnerstagvormittag an unserer Yachtschule in Finkenwerder. Im Köhlfleet hat Robert seinen eigenen Steg fĂŒr die drei Segelboote und seinen ganzen Stolz â sein Elektromotorboot. Sein Steg liegt hinter dem FĂ€hranleger Finkenwerder. Dort ist also immer was los. Man lernt schon von Klein auf sozusagen, was es heiĂt, sich mit der Berufsschifffahrt herumzuschlagen. Sein Liegeplatz ist nichtsdestotrotz enorm praktisch fĂŒr uns, wohnen wir doch quasi gegenĂŒber. Mit den RĂ€dern sind wir in fĂŒnfzehn Minuten unten an der Elbe, dankenswerterweise geht es in diese Richtung immer bergab. Soll noch einer behaupten, Hamburg hĂ€tte keine Berge â nur jemand, der hier noch nie mit dem Fahrrad an der Elbe unterwegs war, wird sich zu diesem Flachlandvorurteil hinreiĂen lassen. Unten an der Elbe nehmen wir dann flux die FĂ€hre â mit dem Schiff zu den Schiffen. Diese Stadt hat schon ihren ganz eigenen Charme.
Wir hatten RucksĂ€cke dabei, denn dass Koffer auf einem Boot mehr als unpraktisch sein wĂŒrden, war uns nicht erst seit dem Hinweis in Roberts Mail klar. Leider war uns weniger einsichtig gewesen, dass WanderrucksĂ€cke auch so ihre TĂŒcken haben wĂŒrden. Insbesondere deren Tragegurte fĂŒllten spĂ€ter den ohnehin recht engen FuĂraum unserer AchterkajĂŒte fast vollstĂ€ndig aus. Beim nĂ€chsten Mal wĂŒrden wir uns da was anderes einfallen lassen mĂŒssen. Jene, die mit ihren Autos anreisten, hatten es in dieser Hinsicht besser. Sie brachten ihre Sachen in faltbaren Taschen oder gleich in SeesĂ€cken aufs Boot und â eins, zwei, drei â war alles in den Schapps verstaut.
Drei Mitsegler waren schon an Bord, als wir am Donnerstag dann mit besagter FĂ€hre vom anderen Elbufer anreisten. Sylke, Detlef und Tobias. Wie wir beim ersten Beschnuppern herausfanden, waren sie bereits am Vorabend angereist und hatten schon eine Nacht auf dem Boot verbracht. Kurz nach uns trafen dann noch zwei weitere Crewmitglieder ein â Tim und Holger â und auch unser Skipper, Christian, war schon mit von der Partie. Kojen wurden zu-, HandtĂŒcher und Bettzeug aus- und wir gleichmĂ€Ăig ĂŒber das Boot verteilt. Eine VorschiffskajĂŒte, zwei im Heck mit Doppelkoje und Leesegel fĂŒr die fehlende PrivatsphĂ€re sowie eine KajĂŒte mit Stockbett zwischen Salon und Vorschiff waren schnell belegt. Schon beim allerersten Mal, als ich den Raum eines Segelbootes unter Deck erkundet hatte, war ich erstaunt gewesen, wie viel Platz es bieten konnte. HĂ€tte man mich frĂŒher gefragt, nie und nimmer hĂ€tte ich zugestanden, dass ganze acht Leute bequem auf dieser Gib Sea hĂ€tten Platz finden können, ohne sich stetig auf den FĂŒĂen zu stehen. Sicher, das GerĂŒcht hielt sich eisern, dass Segeln die langsamste, unbequemste und teuerste Art und Weise sei, um von A nach B zu gelangen â aber auch das war eine Frage der Perspektive. Was brachte es einem, wenn man immer nur von Ort zu Ort hetzte? Hier war doch klarerweise der Weg das Ziel und der Platz, den das Boot uns bot, wĂ€re nur dann ein Problem gewesen, wenn die Chemie in der Crew nicht gestimmt hĂ€tte und in solch einem Falle könnte auch ein zehnstöckiger BĂŒroturm zum kleinsten Mauseloch zusammenschnurren.
ZunĂ€chst gab es ein groĂes Hallo und Einander-Kennenlernen â auch das integraler Bestandteil des Abenteuers Helgoland auf temporĂ€r eigenem Kiel. Wer wĂŒrde wohl mit zur Crew gehören? Was fĂŒr Leute wĂŒrden kommen? Wie gesagt, in den kommenden Tagen wĂŒrde man sich schwerlich aus dem Weg gehen können, wenn es dumm lief. Aber es lief nicht dumm, es stellte sich â ganz im Gegenteil â als sehr gelungene Mischung heraus. Persönlich war ich recht angetan, nicht als einzige Frau an Bord zu sein, sondern mit Sylke eine veritable Mitstreiterin zu haben. Noch jemand, die die Kerze auf dem Salontisch beim gemeinsamen Abendessen schön finden wĂŒrde.
Es folgte eine ausfĂŒhrliche Sicherheitseinweisung durch unseren Skipper â alles unter dem so schön von ihm ausgegebenen Motto: ‚Wir verlassen das Boot nicht, wenn ĂŒberhaupt verlĂ€sst das Boot uns.‘ Begierig saugte ich alle Informationen auf, wo welche nĂŒtzlichen Dinge verstaut und wie sie zu bedienen waren. Alle waren mit gröĂter Konzentration dabei, auch wenn es fĂŒr die anderen im Gegensatz zu uns natĂŒrlich nicht ihr erster Törn war. Niemand lief an den folgenden Tagen an Deck ohne Rettungsweste oder, wie Christian so schön sagte, ’nackich‘ herum. Alle wussten, wo man sich im Cockpit und auf dem Vorschiff sicher einpicken konnte. Und erstaunt, aber auch erleichtert stellte ich fest, dass im Laufe unserer Fahrt beinahe alle auch bei verschiedenen Gelegenheiten davon Gebrauch machen wĂŒrden. Und dann ging es endlich los…
Strom und Ostwind nahmen uns mit Richtung Nordsee. Auslaufend grĂŒĂte ein Seehund, der beim MĂŒhlenberger Loch sein Köpfchen aus dem Wasser streckte. Wer hĂ€tte das gedacht?! Wir hatten diese faszinierende Beobachtung eines StĂŒckchens unvermuteter Wildnis in Mitten der GroĂstadt schon vor einer Weile bei Roberts Skippertraining machen dĂŒrfen: Seehunde auf einer trockenfallenden Sandbank direkt vor dem Airbus-Werk â Sachen gibtâs, die gibtâs gar nicht. Seehunde trotz der ganzen Riesenpötte, die tĂ€glich, wenn nicht sogar stĂŒndlich die Elbe hoch- und runterfuhren, das Wasser dabei durchpflĂŒgten, sodass man sich selbst daneben winzig und verletzlich vorkam, obwohl man eine 43-FuĂ-Yacht um sich herum hatte, viel mehr als so ein Seehundspelz…
Die erste Etappe fĂŒhrte uns nach GlĂŒckstadt. Die Elbe hinunter â dorthin, wo die Welt begann. Blankenese, Wedel, Willkomm Höft â alles gut bekannt und dann das Neue, das wir noch nie gesehen hatten: die weiten Elbmarschen jenseits der Stadt. Von nun an hieĂ es, sich klar vom Tonnenstrich im Fahrwasser halten, Steuerbordtonnen gut an Steuerbord liegen lassen, denn jenseits davon drohten Untiefen und ĂŒberspĂŒlte Buhnen. Die Crew lieĂ es sich im Cockpit gut gehen. Frische Luft macht bekanntlich hungrig, und erste VorrĂ€te wurden zufrieden verdrĂŒckt. Man genoss allseits Sonne und Aussicht bei gemĂŒtlicher Fahrt stromabwĂ€rts. Dann die Aufgabe an uns, ausgegeben von unserem Skipper: Wie steuerte man wohl den GlĂŒckstĂ€der Hafen an? Ein Navigationsteam verschwand unterdecks, allein es fehlte noch an Ăbung. Die Ansagen an unseren RudergĂ€nger waren doch eher vage â nur gut, dass Christian lĂ€ngst wusste, worauf zu achten sein wĂŒrde. Sicher fĂŒhrte er uns durch die vorgelagerten SandbĂ€nke â ein GlĂŒck, mit so etwas hatten wir wahrlich nicht gerechnet.
Am frĂŒhen Nachmittag machten wir dann in GlĂŒckstadt fest. Die Idee kursierte und wurde allgemein begrĂŒĂt, einen Teil der Bordkasse beim lokalen FischhĂ€ndler zu investieren. Als Quotenvegetarier der Runde enthielt ich mich der Stimme, war aber ebenso angetan von der Idee, einen kurzen Ausflug ins StĂ€dtchen zu unternehmen, das mir gĂ€nzlich unbekannt war. Mit Sylke hatten wir eine ortskundige FĂŒhrerin dabei und so ging es nach den ersten Stunden auf dem Wasser erst einmal wieder an Land. Fisch und Sightseeing-EindrĂŒcke wurden gesammelt und zwecks spĂ€teren Konsums zunĂ€chst gut verstaut. Dann noch etwas Ruhe, doch war ich viel zu aufgeregt, um schlafen zu können. Und so ganz hatte ich auch immer noch nicht realisiert, dass man die wenigen sich bietenden Gelegenheiten dazu wirklich nutzen sollte auf diesem Törn. Hier wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, dass wir mit den Gezeiten segeln wĂŒrden, dass unser Lebensrhythmus in den folgenden Tagen Ebbe und Flut folgen wĂŒrde. Und wĂ€hrend die GlĂŒckstĂ€dter dem Tag also einen guten Abend wĂŒnschten und sich zu einer erholsamen Nachtruhe anschickten, ging fĂŒr uns die Reise gegen 21 Uhr wieder weiter, als wir aus dem kleinen Hafen hinausnavigierten. Ein Richtfeuer achteraus zeigte uns den sicheren Weg. Gespenstisch und besorgniserregend glitten die von Christian aufgezĂ€hlten unbeleuchteten Fahrwassertonnen an uns vorbei. Alle atmeten auf, als auch der letzte schwarze Schatten sicher passiert war.
Die nĂ€chtliche Fahrt flussabwĂ€rts war ein eindrĂŒckliches Erlebnis. SchwĂ€rme von Seevögeln stiegen in beinahe regelmĂ€Ăigen AbstĂ€nden vor unserem Bug nahezu lautlos auf, aufgestört in ihrer Nachtruhe von unserer Passage. FĂŒr die Bruchteile eines Augenblicks waren ihre weiĂen FlĂŒgel und Leiber im Licht unserer Positionslampen zu erkennen, dann verschluckte sie die Dunkelheit erneut. Wer hĂ€tte gedacht, dass so viele von ihnen die Nacht auf dem Fluss verbrachten? Im Cockpit ging derweilen ein munterer Wettbewerb im Leuchtfeuer-ZĂ€hlen los. Zu welcher Tonne mussten wir als nĂ€chstes? Wie war die Kennung? Wer hatte sie schon im Blick? Und wer war sicher, ihre Kennung schon korrekt ausgezĂ€hlt zu haben? Roter Blitz alle vier Sekunden, rotes Funkelfeuer, rotes unterbrochenes Feuer â hatten wir richtig gezĂ€hlt? Und von vorne. In der Tat war das etwas ganz anderes als ‚Robert macht immer so‘: Blitz, Hand auf â zwei, drei, vier â Hand zu. Manche Dinge muss man tatsĂ€chlich gesehen haben, um sie richtig zu verstehen, da hatte er schon recht.
Schiffe auf Reede und das Lichtermeer von BrunsbĂŒttel zogen vorĂŒber. Dann an der Schleuse des NOKs die eindringliche Warnung unseres Skippers, sich möglichst weit davon klar zu halten, weil diese sehr unvermutet ihre Fracht ausspucken konnte und unser Segelboot dann nur allen im Weg sein wĂŒrde. So glitten wir nĂ€chtlich als schönster Schmetterling dahin â nicht wie die Motten, die im Licht der Schleusen verbrennen. Die Elbe wurde zunehmend breiter und, abgesehen vom Gemurmel des Revierfunks, war es still. Seit einer Ewigkeit habe ich dort erstmals wieder die MilchstraĂe ihren schönen Lichterbogen ĂŒber den schwarzbetuchten Himmel spannen sehen. Zwei Sterne fielen fĂŒr unsere WĂŒnsche zur Erde, und dann wurde es Zeit, sich auf das Einlaufen im Amerikahafen von Cuxhaven vorzubereiten. Ein letztes Mal an diesem Tag â oder war es schon der nĂ€chste? – sollten wir alle hellwach werden.
Amerikahafen â das klang nach dem groĂen Schlag ĂŒber den Ozean und noch weiter, nach Abenteuer. Mir kam es allerdings in dieser Nacht eher ernĂŒchternd wie ein handelsĂŒblicher Industriehafen vor. Sylke brachte unser Boot sicher an den Platz am Steg, den Christian dafĂŒr auserkoren hatte. Und nachdem alles gut vertĂ€ut war, fand man sich allseits zum wohlverdienten Ankerbier im Cockpit zusammen. Einige vorlaute Möwen teilten mit uns noch das beinahe schon schlafwandlerische Dasein im gelblichen Licht der Hafenmole, dann hieĂ es ab in die Kojen. Um sieben am nĂ€chsten, nein, Pardon, an diesem Morgen sollte es ja weitergehen. Nun war zwei Uhr gerade vorbeigegangen. FĂŒr mich brach die erste Nacht meines Lebens an, die ich auf einem Boot verbringen wĂŒrde. Doch trotz gemĂŒtlicher AchterkajĂŒte waren diese nĂ€chtlichen Stunden fĂŒr mich alles andere als erholsam. Lange, viel zu lange lag ich wach und hörte den mir unbekannten GerĂ€uschen an Bord und im Hafen zu.