Vor Sonnenaufgang standen wir am nächsten Morgen auf. Mit Sonnenaufgang legten wir ab. Hatten wir am vorherigen Abend nicht so viel Wind gehabt, dass wir befürchtet hatten, nicht aus der Boxengasse hinauszukommen? So viel Wind, dass wir uns extra noch ein brandneues Ablegemanöver ausgedacht und ausprobiert hatten? Ja, hatten wir! Aber an diesem letzten Morgen in Lindaunis war davon nichts mehr zu merken. Der Wind kam sacht – so sacht, dass wir nach dem ersten Segelsetzen die Tücher auch gleich wieder einholten. Bei dem Lüftchen würden wir viel zu lange brauchen. Vor allem würden wir nicht rechtzeitig zur avisierten Brückenöffnungszeit in Kappeln eintreffen. Also warfen wir „Fridas“ Maschinchen wieder an und tuckerten die Schlei entlang, durch die landschaftliche Idylle, an Arnis vorüber und dann kamen wir glatt doch ein wenig früh bei besagter Brücke an.
Ich gab das Ruder an Alexander ab, um ein paar Einträge im Logbuch nachzutragen, die Fotosocke zu holen, um den herrlichen Morgen im Bild festhalten zu können und – oh, was war das? Als ich wieder ins Cockpit trat, herrschte rechter Trubel um uns herum. Wo kamen all die Boote auf einmal her? Zu allem Überfluss beschloss auch noch einer der Traditionssegler, dass dies ein guter Zeitpunkt zum Ablegen von der Pier sei. Der Pulk der Schiffe war sagenhaft, bis sich die Flügel der Brücke endlich hoben.
Wir versuchten, ein Plätzchen in der Schlange der Boote zu erhaschen. Kaum hatten wir uns eingereiht, fingen wir alle an, uns wie beim Erstes-Ferienwochenende-auf-der-A7 zu fühlen. Boot um Boot zog es gen Ostsee. Der Konvoi wuchs von Minute zu Minute an. Wo kamen die bloß alle her? Und wo wollten die hin???
Das Autobahngefühl hielt an bis Schleimünde, dort verteilten sich die Schiffe dann über die Ostsee. Ich genoss die Magie des Moments, mit dem eigenen Boot das erste Mal raus aufs Meer zu fahren. ‚Hast Du es vermisst, Frida? Ist es lange her?‘
Hinter Schleimünde hatten wir die Segel gesetzt. Hier gab es endlich Wind zum Segeln bis zum gesteckten Ziel des Tages: Olpenitz? Damp? Beide Häfen verwarfen wir, als wir in flottem Tempo mit halbem Wind an ihnen vorbeizogen. Die Woche zuvor hatten wir noch überlegt, wie weit wir wohl kommen würden. Olpenitz war die Option für: auf der Schlei hat es mal wieder länger gedauert. Damp wäre schön, wenn wir es erreichen könnten, hatten wir überlegt. Wir hatten uns den Hafen dort extra noch mal angeschaut, immerhin hatte hier der Ostseesturm des letzten Jahres besonders zerstörerisch getobt, und es war nicht klar, ob Gastlieger wieder aufgenommen werden würden. Bei dem tollen Segelwind, den wir nun genossen, konnten wir uns die Erfahrung dieser traurigen Baustelle – die Hälfte des Hafens war immer noch gesperrt – ersparen.
Unsere Rauschefahrt ging weiter über die Ostsee. Am Sperrgebiet vorbei, bald schon sahen wir den Kieler Leuchtturm, und es war immer noch früh am Nachmittag. Was für ein herrlicher Segeltag! ‚Gut gemacht, meine Frida!‘
In Strande wollten wir tanken. Das hatten wir fest eingeplant. Die Kapazität unseres Tankvolumens befand sich immer noch im Bereich der Mutmaßungen. So oder so würden wir aber einigen Diesel benötigen, wenn wir am nächsten Tag durch den NOK motoren wollten. Tanken war also gesetzt, und Strande warb mit einer Tankstelle, die gut erreichbar sei – auch für Greenhorns wie uns, die kaum wussten, an welcher Seite ihres Bootes eigentlich der Tankstutzen war.
Die Einfahrt zum Hafen hatten wir schnell gefunden. Auch die Tankstelle zeigte sich – wie angekündigt – quasi auf dem Präsentierteller direkt hinter der Einfahrt. An Steuerbord sprangen Kinder von der Mole zum Planschen ins Wasser. Es war ein Hochsommertag. Ich fuhr an der Ferienszenerie vorbei, wendete, fuhr zurück, denn an der Tankstelle lag ein Boot, das wenig Anstalten machte, sich zu beeilen. Als wir den zweiten Kringel gedreht hatten, waren sie immer noch dabei, ihre Yacht zu putzen. Wir drehten erneut ab. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Platz an der Tanksäule geräumt wurde. Umso erstaunter waren wir, als uns der Bursche dort dann erklärte, man habe schon geschlossen. Er hätte ja auch nicht gesehen, dass wir noch kommen wollten – sonst… Wir fragten uns, wie dicht vor seinen Augen wir wohl noch hätten kreiseln sollen, blieben aber nett und bettelten.
Der Jüngling ließ sich schließlich erweichen und schickte sich an, unseren Tank so umsichtig wie möglich vollzufüllen. Über etwaige Missgeschicke bei diesem Unterfangen sei an dieser Stelle lieber ein breites Tuch des Schweigens gebettet. Jedenfalls staunten wir nicht schlecht über die Menge an Diesel, die unsere „Frida“ begierig in ihren Tank sog. Hatte unsere Anzeige nicht gesagt, der Tank wäre dreiviertel voll? Und hatten wir nicht in den Unterlagen gelesen, dass eben jener Tank vierzig Liter fassen sollte? Wie konnte es dann sein, dass wir dreißig Liter gerade in besagten Tank fließen sahen? Irgend etwas stimmte hier doch nicht…