Hanskalbsand

Was ist jetzt?‘ ‚Was ist passiert?‘ ‚Da ist was gerissen!‘ ‚Wie – gerissen? Was?‘ Alexander kletterte nach vorn aufs Vorschiff, wo unsere zur Fock aufgerollte Genua wild im Wind schlug. Gerissen. In meinem Kopf ĂŒberschlugen sich die Bilder eines gerissenen Segels. Aber das war es nicht. ‚Die Schot. Nur die Schot ist abgerissen. Der SoftschĂ€kel ist weg‘, erklĂ€rte ich Runar, der an der Pinne saß, was ich nach und nach beobachten konnte. ‚Jetzt rollt er die Genua ein.‘

Alexander kam wieder ins Cockpit und angelte aus unserem Salon einen weiteren SchĂ€kel, den wir im Winter im Club gebastelt hatten. Noch zwei Minuten spĂ€ter war unsere Schot wieder angeschlagen, das Vorsegel in FockgrĂ¶ĂŸe gesetzt, und unsere „Frida“ schoss weiter mit ihren fĂŒnf Knoten durchs Wasser.

Da waren wir schon auf der anderen Seite von Hanskalbsand angelangt. Schon zum dritten Mal in diesem Sommer. Wir waren vor dem Wind mit doppeltgerefftem Groß und nur wenig ausgerollter Genua hinter der Insel hoch ins MĂŒhlenbergerloch gesegelt. Keine neunzig Minuten hatte das gedauert, bis wir am Fahrwasser der Elbe angekommen waren. Dort trat ich die Pinne an Runar ab, der uns dieses Mal begleitete. Und dann fanden wir uns unvermutet in einer Regatta mit zwei weiteren Segelbooten zwischen all der Großschifffahrt wieder.

‚Wie macht der das nur?‘ wunderte sich Runar und wies auf den Segler, der nur mit der Genua am Wind kreuzte und dabei eine beachtliche Höhe lief. Noch weiter an den Wind kam freilich das dritte Boot im Bunde, das Reffen offenbar fĂŒr Kinderkram zu halten schien und bei vierzehn Knoten Wind mit Vollzeug unterwegs war.

LĂŒhesand

‚Wenn du da lang willst, musst du das JETZT sagen!‘ ‚Ja – nein – ja!‘ Ich legte Ruder. An der gelben Messtonne sah man den Strudel des Tidenstroms. Die Elbe floss wieder aufwĂ€rts, und wir schwammen mit ihr.

Mein deutliches ‚Jein‘ bezog sich auf LĂŒhesand. Wollten wir hinter der Insel zurĂŒckfahren? Im Hauptfahrwasser waren wir nun schon etliche Male an ihr vorbeigesegelt. Es reizte mich sehr, auch einmal auf eigenem Kiel an ihrer sĂŒdlichen Seite vorbeizufahren. Vor einiger Zeit hatten wir das mit der „Helgoland Express“ getan. Damals war alles im Morgennebel buchstĂ€blich verschwunden.

Nebel stand heute nicht zu befĂŒrchten, aber war es hinter der Insel nicht sehr flach? Ich erinnerte deutlich einige trockenfallende Gebiete dort auf der Seekarte, denn angeschaut hatte ich mir die Route schon das eine oder andere Mal. ‚WĂ€re doch schön, wenn
‘ Und heute wurde es tatsĂ€chlich Wirklichkeit. Auslöser fĂŒr meinen unentschlossenen Entschluss war sicherlich das Segelboot, das vor uns gerade diesen Weg gewĂ€hlt hatte. Wenn die das konnten


‚Halt‘ dich direkt an den grĂŒnen Tonnen. Das Fahrwasser liegt zwischen der Insel und diesen Tonnen’, wies Alexander mich ein. Ich zirkelte unseren Kurs vor dem Wind so gut hin, wie es eben ging. Die Insel lag kaum ein paar Meter entfernt, wie mir schien. Wir waren mit auflaufendem Wasser unterwegs, also auf der sicheren Seite sollten wir doch noch in den Schlick rutschen. Andererseits hatte ich dazu wirklich ĂŒberhaupt keine Lust.

Hinter der Insel herrschte Idylle pur – keine Spur von dem AutobahngefĂŒhl das man bei all der Großschifffahrt auf der anderen Seite erlebte. Zugegeben, auch dort konnte es wunderschön sein: Entdeckte man dort z.B. die winzige Sternwarte auf der Insel oder las gar an der gegenĂŒberliegenden Uferseite ‚Hetlingen – Perle der Unterelbe‘ an zugehöriger Hafeneinfahrt (die allerdings oft in einem Windloch steckte), doch war diese Romantik auch immer mit viel aufmerksamer Spannung verbunden. Kam ein dicker Pott die Elbe hoch oder gar uns entgegen, wurden die KreuzschlĂ€ge vor der Insel sehr kurz und meist anstrengend. Noch blöder war es, wenn uns der Wind im Stich ließ, und wir im Fahrwasser dĂŒmpelten. Besser man kam den Großen gar nicht erst in die Quere!

Über zu wenig Wind konnten wir uns an diesem Tag nun aber tatsĂ€chlich nicht beklagen. Mit gerefftem Groß und zur Fock aufgerollten Genua waren wir elbabwĂ€rts ĂŒber die Buckelpiste von Wind gegen Strom gehoppelt – bis kurz vor Pagensand. ErklĂ€rtes Ziel war der alte Leuchtturm Juelssand, den wir schon einige Male zu erreichen versucht hatten, wovon uns die kippende Tide aber bisher zuverlĂ€ssig abzuhalten gewusst hatte.

An diesem Tag gelang dies nun beinahe spielend, auch Stadersand blieb achteraus, und Pagensand lag nun direkt voraus. Vielleicht schafften wir auch noch diese dritte Elbinsel? Es wĂ€re zu schön, aber bei Tonne 104 war definitiv Schluss mit unserer Rauschefahrt. Erst wurde das Segeln langsamer, kam zum Stillstand und, nein, rĂŒckwĂ€rts fuhren wir, Gott sei Dank, noch nicht. Wollten bloß schnell noch den einen Dicken durchlassen, bevor es auf der grĂŒnen Seite zurĂŒck nach Wedel gehen sollte.

Und dann machten wir diesen wunderbaren Abstecher hinter LĂŒhesand. 3,30 Meter war die flachste Stelle, ĂŒber die wir fuhren. Das Boot vor uns hatte derweil die Segel geborgen, um in GrĂŒndeich festzumachen – ein schier endlos langer SchlĂ€ngel am nördlichen Ufer Niedersachsens. Wir fuhren daran vorbei ebenso wie an der LĂŒhefĂ€hre und einer Handvoll Motorboote, die vor der Insel vor Anker lagen.

‚Guck‘ mal, die fĂ€hrt Karussell’, und ich wies auf eine Möwe, die es sich auf einer der kleinen LĂŒhetonnen gemĂŒtlich gemacht hatte und sich nun im Strom drehte. GrĂŒne Ufer zogen an beiden Seiten vorĂŒber und dann sah man voraus auch schon wieder das Fahrwasser der Elbe. Trotz Reff waren wir immer noch mit guten vier Knoten unterwegs (plus mitlaufendem Strom), was eine kurze Reisezeit in diesem kurzweiligen Idyll vor unserer HaustĂŒr bedeutete.