Am nächsten Tag sollte es dann weiter nach Damp gehen. Der Wind kam immer noch aus Südwest, jedenfalls das, was davon noch übrig war. Wir schlängelten uns hinter der vorgelagerten Insel hervor, setzten nach der Untiefentonne die Segel, tauschten noch mal das Vorsegel in bester Hoffnung und – dümpelten vor uns hin. Wir hatten reichlich Zeit die wunderbare Landschaft und das beachtliche Wolkenspiel am Himmel zu bestaunen. Da oben war viel los, hier unten – eher nicht so.

Schließlich schlief der Wind völlig ein. Wir trieben im Kreis und nach dem Einholen der Fock sogar rückwärts. Nichts zu machen – oder doch! Schwimmen ging natürlich immer. Frank warf sich in seine Badeshorts. ‚Ich habe gehört, man trägt die Schot jetzt höher‘, witzelte er, als er sich an der Leine festmachte. Dann war schon wieder alles draußen: Fender, Badeleiter, Frank. Die anderen streckten die Füße ins Wasser. Mehr als einmal kam die Idee auf, unser Co-Skipper könne uns jetzt doch ein wenig in die richtige Richtung schleppen. Immerhin hatten wir ihn so elegant vors Boot gespannt… Nur noch etwas mehr ins Zeug legen, bitte schön, Herr Co-Skipper.

Wir entwickelten auch die Idee, ein paar Schweinswale für dieses Unterfangen zu gewinnen. Vielleicht konnte man sie mit vegetarischen Würstchen bestechen? Ja, wir hatten allerlei Blödsinn im Kopf. Vielleicht lag es an der Sonne. Und die war wichtig und noch wichtiger war es festzuhalten, dass wir davon reichlich hatten. In Hamburg sollte es gerade Hunde und Katzen regnen, also schnell ein paar Beweisfotos vom schönen Ostsee-Sommer gemacht, bevor es auch hier wieder mit dem Sonnenvergnügen vorbei war.
Und dass es so kommen würde, war bereits absehbar. Unser Badegast beschloss denn auch, den Rückweg ins Cockpit anzutreten, solange noch der Hauch einer Chance auf Trocknung im Sonnenschein bestand. Als alles wieder seine Ordnung hatte, schmissen wir die Maschine an. Dann eben mit Motor – rückwärtssegeln geht ja gar nicht!

Wieder zog eine wunderbare Landschaft an uns vorüber, dieses Mal jene von Ærø. Landschaft mit, Landschaft ohne Segelboot. Bild um Bild bannte ich auf Film oder in Pixel, wie man heute wohl sagen muss. Und war da nicht tatsächlich ein kleiner Windhauch? In der Tat, mit den Wolken kehrte auch die bewegte Luft langsam zu uns zurück. Wir konnten wieder segeln – juhu!

Von unten wurden Kurse angesagt. Eberhard versorgte uns zuverlässig mit Navigationsdaten. Ein weiterer Vorteil unserer Rennsemmel war ihr Inventar an Instrumenten. Allein drei davon waren am Mast angebracht, gut vom Steuerstand her abzulesen – Kompass, Logge und Lot. Alles wichtige direkt im Blick. Den angesagten Kurs zu steuern war ein Kinderspiel, zumal bei dieser spiegelglatten See.
Frank erzählte derweil, wo wir uns gerade optisch befanden: die Flensburger Förder, die Schlei. Man geriet ins Schwärmen, wo man überall schon immer mal hatte hinfahren wollen. Die „Giftbude“ stand dabei offenbar ganz hoch im Kurs.
Während der Überfahrt baute sich dabei Stück um Stück ein Unwetter vor uns auf. Es wurde immer bedrohlicher, finsterer und finsterer. Unser bisheriger Kurs führte uns direkt mitten hinein in das absehbare Spektakel, dem wir alle mit gerunzelter Stirn entgegenblickten. Das sah nicht schön aus – gar nicht schön! Regen wäre da nur unser kleinstes Problem. Dann hatte Frank eine geniale Idee. ‚Können wir hier nicht schon Richtung Land fahren? Wenn wir jetzt wenden, zieht es einfach an uns vorbei. Ist es Richtung Küste zu flach?‘ Die Fragen gingen an den Skipper, und Eberhard verschwand unter Deck, um die Antworten zu finden. Wir fingen an, ein wenig nervös zu werden. Wir müssten jetzt wenden, damit der Plan noch aufging. ‚Eberhard?!‘ Da war er auch schon wieder oben. ‚Ja, sollte gehen.‘ Die Wende folgte augenblicklich. Und – wie cool war das denn – das Unwetter zog tatsächlich ganz friedlich an uns vorbei. Wir segelten Richtung Land, es zog hinaus aufs Meer. Wir blieben trocken, wir blieben fröhlich und bald schon entdeckten wir auch das Etappenziel für diesen Tag.
Damp kam in Sicht und das wörtlich. Eine Hochhaus-Skyline wie in Aarhus präsentierte sich uns von ferne, ließ mich ganz zaghaft werden angesichts unserer Entscheidung, ausgerechnet diesen Hafen an der Ostseeküste ansteuern zu wollen. Hätten wir uns nicht ein hübscheres Ziel aussuchen können?

Dass die Wahl aber tatsächlich gar nicht so schlecht gewesen war, stellten wir fest, als Eberhard uns in den Hafen hineinsteuerte. Dieser erwies sich nämlich als ganz passabel. ‚Und‘, ergänzte Frank, ‚es gibt einen Badestrand direkt daneben.‘ Er konnte vom Ostseewasser wohl nicht genug bekommen, und auch Jürgen wurde hellhörig.
Aber zunächst mussten wir wieder einmal ein Plätzchen für unseren Monsterkahn finden. Erneut wurde vorsichtig in den engen Boxengassen manövriert. Gab es denn hier etwa auch keine freien Plätze? Doch da vorn! Beinahe alle gleichzeitig erspähten wir die frei Box und – Strike! – sie war grün markiert, wir durften bleiben. Nun also nur noch anlegen. Eberhard und Frank waren in das Manöver vertieft, während mein Blick an unserem Lot klebte. ‚Weiter zurück dürft ihr aber…‘ setzte ich an, aber da wurde auch schon wieder vorwärts Schub gegeben. Wir glitten in die Box.

Jürgen und ich standen auf dem Vorschiff, während man hinten mit den Achterleinen befasst war. Zu meinem Entzücken entdeckte ich echte Klampen auf dem Steg vor mir, keine Ringe oder sonst welche Absonderlichkeiten. Ich machte mich bereit, die Leine zu werfen. Das war ja ein Klacks. Aber von hinten wurde gemurrt. Ich zögerte, blickte mich um und schwups stand Jürgen schon drüben auf dem Steg. Das Murren wurde lauter, und wir schauten uns bedröppelt an. Klarer Fall von fehlgeleiteter Kommunikation. Nun ja, immerhin waren wir mittlerweile fest.
Abends gingen wir noch Essen. Fanden ein schönes Lokal direkt am Hafen und speisten hervorragend. Dass wir uns wieder auf wohlgeordnetem deutschen Boden befanden, stellten wir in den Duschanlagen der Marina fest. In Dänemark gab es einen Eingang und dann separate Kabinen. In Deutschland hatten Männlein und Weiblein ihr eigenes Reich, aus dem ich prompt unsre Jungs hinauskomplimentieren musste, nachdem wir mal wieder wie in den Tagen zuvor alle durch dieselbe Tür gelaufen waren.
Am nächsten Morgen waren wir tatsächlich die letzten, die aus den Kojen krabbelten. Frank war schon los zum Brötchenholen, und Jürgen hatte sich tatsächlich auf zum Strand gemacht, um doch noch in der Ostsee baden zu gehen. ‚Eine Viertelstunde hat es gedauert, bis ich bis zur Taille drinnen war‘, erzählte er später und grinste. ‚Aber dann war es eigentlich ganz schön.‘ Draußen spannte sich ein einheitlich grauer Himmel. Gefühlte Temperaturen definitiv unter der Badegrenze. Da konnten wir uns am Wasser dann doch eher die drei Strandhasen im molligen Pelz vorstellen, von denen Frank noch am Vorabend bei der ersten Inspektion desselben berichtet hatte.