Ich war sehr froh, dass ich mich abends richtig von Antje verabschiedet hatte, denn als sie und Frank am nächsten Morgen gespornt und gestiefelt um kurz nach sechs an Deck standen, um sich auf den Weg zum Zug zu machen, hatte ich es in meiner Koje gerade einmal geschafft, mich ein zweites Mal umzudrehen. Sechs Uhr, das war ja fast wie Tidensegeln! Jedenfalls war es danach kein Problem mehr, den Innenlieger um neun aus dem Päckchen zu entlassen. Da waren wir längst alle geduscht, hatten Brötchen geholt, diese vertilgt und darauf gewartet, dass die avisierte Stunde schlug.
Wieder hatten wir eine Steuermannsbesprechung abgehalten. Das Tagesziel lag südwärts – wie weit genau, das wollten wir vom Wind abhängig machen, der uns bedauerlicherweise schon mehrfach kläglich im Stich gelassen hatte. So brachen wir an diesem Morgen auf, um das in Augenschein zu nehmen, was gemeinhin als „Dänische Südsee“ bezeichnet wurde und auf die ich mehr als gespannt war.
Wieder zogen Häuschen mit Stegen und Booten auf beiden Seiten des Sundes an uns vorbei. Wieder spannte sich eine imposante Brückenkonstruktion über uns. Beeindruckend war der Paddler, der eine Weile lang gut mit uns mithielt. Offenbar war dies seine Morgenrunde, bei der Brücke über den Sund drehte er dann aber doch um, während die Fahrt für uns weiterging, auch wenn der Wind eher mau war. Gegen Mittag schlief er mehr und mehr ein.
Die betonnte Fahrwasserkrümmung hatten wir noch genommen. Die Fähre war an uns vorbeigezogen, und wir maßen uns mit einer anderen X-Yacht auf dem Wasser – jedenfalls aus unserer Sicht. Aus der ihren waren wir sicherlich unbeteiligt an dem Wettstreit, den sie mit einem befreundeten Boot austrug. Doch endete das Ganze unentschieden, denn schließlich holte eines der beiden Boote die Segel ein und schmiss die Maschine an. Zu wenig Wind! Nur wenig später dümpelten dann auch wir derartig vor uns hin, dass man die Zeit anderweitig besser zu nutzen gedachte.
Frank beschloss, dass es Zeit für ein Bad in der Ostsee sei. Also fing man an, alles dafür herzurichten: Badeleiter fertig machen, Fender an Leinen und Co-Skipper an eine Schnot knüpfen – beides ins Wasser schmeißen – also jedenfalls die Fender. Frank nahm die Leiter, und es war gar nicht so ganz klar, ob er den Absprung von dort tatsächlich schaffen würde. Dann jedoch – einmal drinnen – schien es gar nicht so ganz schlecht zu sein. Jedenfalls versicherte er dieses lautstark. Von Deck aus wurden Beweisfotos geschossen für diverse Social-Media-Kanäle. ‚Schlechtes Wetter in Dänemark? So ein Blödsinn!‘
Derweilen ließ sich dieses nicht lange bitten. Der Horizont zog sich zu, und das Grau rückte beharrlich näher, und je näher es kam, desto mehr zählte auch unsere Logge wieder nach oben. Zeit, alle Bootsanhängsel wieder an Deck zu holen. Gesagt, getan und nur wenig später, ging es unter Segeln auch schon wieder weiter.
Wir versuchten es erneut mit dem größeren Vorsegel. Im Segelsetzen und -bergen hatten wir mittlerweile schon etwas mehr Übung. Allerdings wirkten die aufziehenden Wolkenberge nicht wirklich einladend, sodass wir uns dann doch für den nächstgelegenen südlichen Hafen entschieden. Unser Ziel wurde Faaborg. Wir waren immer noch auf Fünen.
Die Ansteuerung des Hafens führte um eine vorgelagerte Insel herum. Wir entschieden uns für den Handelshafen und waren damit einmal wieder mitten in der Stadt. Auch hier waren die Liegeplätze schwer begehrt. Alexander versuchte sich mit dem ersten Anlegemanöver, aber der Wind schob uns quer an der Box vorbei, die ohnehin nicht besonders breit erschien. Frank versuchte sich ebenso, gab aber ebenfalls auf. Wir brachen das Manöver ab. Vom Steg aus rief uns jemand zu, dass weiter vorn am Kopfsteg noch was frei sei. Gut, dann würden wir es dort versuchen. Vor uns stand eine Reihe von Pfählen wie ein Fächer im Wasser. Wie war das jetzt gemeint? Mir erschloss sich das Prinzip nicht. Warum also nicht einfach bleiben, wo wir gerade waren? Ebenfalls das Kopfende eines Stegs, doch zeigte sich bald, warum dieses Plätzchen bisher freigeblieben war. Es fehlte ein zweiter Pfahl, um das Schiff am Bug gerade zu halten. Der Schwell ließ unsere „Dockenhuden“ trotz der vielen gespannten Leinen weiter hin- und herschwoien.
Derweilen kamen mehr und mehr Boote in den kleinen Hafen. Auch eine Hanse-Yacht fuhr an uns vorbei, direkt auf den von uns zuvor avisierten Platz zu und legte mit Bugstrahlruder rückwärts an. Gut, dann würden wir es an seiner Seite versuchen. Die Idee war hier wohl, etwas Fächerartiges herzustellen und eben das hatten wir jetzt vor. Das Manöver war nicht ganz einfach. Vorn war kaum Platz zwischen den Booten und achtern zwischen den Dalben eigentlich zu viel. Es dauerte eine Weile, bis wir alles soweit hatten. Der Skipper auf der Hanse neben uns ertrug es mit Langmut und der Aussage, er habe reichlich Fender. Am Bug schwebten wir schließlich geradezu auf einer Gummimanschette. Die Frage war nun nur, wie bloß an Land kommen? Es war eine ziemliche Turnerei über den nicht vorhandenen Bugkorb – denn, wir sind ja ein Regattaboot. Ich beschloss, dass an diesem Tag alles so getimt werden musste, dass ein nächtlicher Landgang unter allen Umständen vermieden werden konnte. Die Kletterübung war schon mit Tageslicht Herausforderung genug.
Nachdem wir nun sozusagen häuslich eingerichtet waren, stellten wir fest, dass auch Faaborg zwischenzeitlich aus allen Nähten platzte. Auch der von uns kurz zuvor verworfene Liegeplatz ohne Bugdalben war wieder besetzt. Die Crew des Bootes saß noch in voller Montur an Deck. Offensichtlich war man sich nicht darüber einig, ob es eine gute Idee gewesen war, hier festzumachen – auch wenn ihr Boot einige Meter kürzer war als unsere „Dockenhuden“.
Auch der dritte Platz in unserem Fächer war mittlerweile belegt. Nun war wirklich jedes Mauseloch besetzt. Faszinierenderweise manövrierte zwischen all diesen Booten das Inseltaxi scheinbar mühelos zu jeder halben Stunde hindurch. Ihr Ablegemanöver bestand schlicht darin, dass sich die Fähre um ihren eigenen Dalben drehte. Wir beobachteten es eine ganze Weile, lag ihr Liegeplatz doch unmittelbar hinter uns und gefühlt so dicht, dass wir meinten, ihnen einen Gefallen allein damit zu tun, dass wir unseren ‚Adenauer‘ am Heck einholten.
Das Anlegen hatte einige Zeit gekostet, sodass wir nun doch schon wieder übers Abendessen nachdachten. Alexander und ich planten „Kartoffeln: Teil II“ – sprich, die Reste sollten zu Bauernfrühstück verarbeitet werden. Ein dankbares Essen für eine hungrige Crew – jedenfalls für eine mit einem Faible für Erdäpfel.
Nach dem Essen zog es uns in den Ort. Jeder machte sich auf seine eigenen Socken, und wir streiften wieder durch kleine Gassen mit Kopfsteinpflaster, Fachwerkhäusern und Stockrosen. Lustigerweise hatte man hier gleich zwei Tischfussballspiele in die Fußgängerzone geschraubt, dabei aber leider nicht die Abschüssigkeit der Wege berücksichtigt. Ansonsten war der Ort – wie soll ich sagen? Ruhig. Sehr ruhig. Jenseits des Hafens schien kaum jemand unterwegs zu sein. Die Geschäfte hatten schon geschlossen und als wir wenig später gemeinsam mit dem Rest der Crew noch einmal auf der Suche nach einer Kneipe für einen Absacker in den Ort zogen, mussten wir tatsächlich unverrichteter Dinge umdrehen. Um acht Uhr abends klappte man hier offenbar die Gehsteige hoch.
Noch absurder wurde es kurz darauf am Hafen. Dort spielte immerhin eine kleine Band von Straßenmusikern ein paar Oldies. Es klang gut, wir gingen hin. Aber es währte gerade mal eine Eislänge, das wir noch schnell ergattert hatten. Um halbneun packten auch sie ihre Instrumente ein. Wären wir noch etwas länger stehen geblieben, hätten wir wahrscheinlich Fuchs und Hase zum Gute-Nacht-Sagen getroffen. Dem beugten wir mit der Rückkehr zum Boot vor, dort konnte man ja eh viel gemütlicher einen Abend verbringen.