Uisge-beatha

Islay / August 2016

Inhalt

  • Rumkommen
  • Strandgut
  • Wasser des Lebens

Rumkommen

Anreise: Spannend. Über den Busverkehr vor Ort heißt es im ReisefĂŒhrer, er weise „byzantinische Permutationen“ auf. Nun ja, es gibt den Fahrplan an Wochentagen wĂ€hrend der Schulzeit, jenen an Wochentagen, an denen keine Schule stattfindet, und am Wochenende fĂ€hrt man dort wohl besser nicht. Wochentags bietet es sich an, dass man sich vorher einen Überblick ĂŒber die Lage der Schulen und abgelegenen Gehöfte verschafft hat, dann wird alles klarer. Aber eigentlich fĂ€hrt hier niemand Bus. Erstaunlich genug, wĂŒrde man doch zumindest gern all jene Touristen in selbigen verbannen, die zu den ĂŒblichen Destillen-Touren gekommen waren.

Auf Arran sind die Schafe das einzige Problem auf der Straße, die sich chronisch eng um die Insel windet. Jene Schafe, die von links nach rechts und wieder zurĂŒck ĂŒber die Straße zu ihren Weiden laufen und dann und wann auch mal meinen, auf selbiger ihr Nickerchen halten zu mĂŒssen. Auch sind es oft die Schafe, die zuschauen, wenn die mit der FĂ€hre von Adrossan aus ankommenden Touristen irgendwann mit ihren Autos feststecken, nicht mehr vor und nicht zurĂŒck können und darauf angewiesen sind, dass die hier ewig freundlichen Busfahrer ihre GefĂ€hrte rĂŒckwĂ€rts um enge Kurven lenken, um den Fremden Platz zum Rangieren ihrer meist viel zu großen GefĂ€hrte zu verschaffen.

Auch auf Islay waren es vor allem die Touristen, die mit der StraßenfĂŒhrung ĂŒberfordert schienen, doch war hier wohl eher der zuvor getankte Inhalt das Problem, weniger die Ă€ußeren Begebenheiten. Wie viele Destillen gab es noch einmal auf dieser Insel? Acht? Zu viele, wie manche uns versicherten, und andere bauten derweilen fleißig, freudig an der nĂ€chsten.

Zehn Jahre war eigentlich das Minimum. Zehn Jahre Ruhe fĂŒr das Wasser des Lebens. Zehn Jahre, in denen lediglich die Engel ihren Anteil erhielten. Zehn Jahre warten – wer konnte sich das heutzutage schon noch leisten? Und wer schmeckte den Unterschied? Deutlich steht mir noch der Gesichtsausdruck des Mitarbeiters bei der lokalen Destille vor Augen, als ihn ein Tourist fragte, welche Sorte er wohl fĂŒr MixgetrĂ€nke empfehlen wĂŒrde. ‚Bourbon‘ war, glaube ich, die lakonische Antwort.

‚Guck mal,‘ wir stießen uns an, ‚die haben den SchlĂŒssel stecken gelassen.‘ ‚Nee, die haben nicht nur den SchlĂŒssel stecken lassen, die haben auch gar nicht erst abgeschlossen!‘ Diese Entdeckung ĂŒber die Autos der Inselbewohner machte uns fĂŒr einen Augenblick sprachlos. Erst kĂŒrzlich hatten sie uns in unserer damaligen Heimatstadt Aachen die FahrrĂ€der aus dem abgeschlossenen Keller geklaut und hier… Unser Host in Bowmore nickte lĂ€chelnd, als wir ihm unsere Entdeckung beim nĂ€chsten FrĂŒhstĂŒck erzĂ€hlten. Wohin sollten die Diebe hier auch kommen? Wir befanden uns schließlich auf einer Insel! Das leuchtete ein. Nachdenklich fĂŒgte er hinzu, dass Ehrlichkeit keine spezifische Eigenschaft seiner schottischen Landsleute sei, denn auch bei ihm in Glasgow sei erst kĂŒrzlich eingebrochen worden. Sie hatten ihm das Auto aus der Garage entwendet. Sein Blick verfinsterte sich, als er hinzufĂŒgte: ‚Richtig böse bin ich geworden, als sie zwei Wochen spĂ€ter wiederkamen und mir auch noch das Fahrrad geklaut haben.‘

Doch zwischen Islay und Glasgow lag nicht nur das Meer, sondern offenbar auch eine ganze Menschheitsgeschichte. Und hier standen die TĂŒren offen, und die Autos behielten ihre SchlĂŒssel.

Außerdem wĂ€re es hier absolut sicher, sich per Anhalter ĂŒber die Insel fahren zu lassen, erzĂ€hlt uns unser Landlord, offensichtlich von Mitleid geplagt, als er uns ĂŒber den dortigen Busfahrplan grĂŒbeln sah. Denn die, die einen mitnĂ€hmen, wĂ€ren sowieso nur die Einheimischen und gegen diese könnte nun wirklich niemand etwas Nachteiliges vorbringen. Noch ehe die Urlaubswoche auf Islay zu Ende ging, konnten wir diese Ansicht unseres Hosts mehr als bestĂ€tigen.

North Islay
North Islay

Es war uns etwas peinlich, abends mit den matschigen Schuhen heimzukehren. Leider hatten unsere Landlords auf Islay nicht jene kommoden BĂŒrstchen vor der TĂŒr stehen, die unser Lieblings-B&B auf Arran sein Eigen nannte. So zogen wir noch vor der HaustĂŒr die schweren Wanderstiefel aus, nahmen sie in die Hand und liefen auf StrĂŒmpfen durch das fremde Haus. Islay war eben keine typische schottische Walker-Insel, und dennoch hatten wir den Eindruck, dass wir, gerade weil wir der Insel wegen und nicht wie so viele hier nur wegen ihrer Produkte gekommen waren, höchst willkommen waren. So reichte die freundliche Aufnahme bis zum privaten Auto-Shuttle zur FĂ€hre, als fĂŒr uns schließlich der Abreisetag gekommen war.

South Islay
South Islay

Mehr als einmal kam uns in den Sinn, welch seltsames Gespann wir hier abgeben mussten, wenn wir morgens beim FrĂŒhstĂŒck in unserer groben Wanderkluft von feinem weißblauem Porzellan in diesem B&B speisten. Irgendwie passten wir nicht recht ins Bild und waren andererseits auch wieder gerade richtig, denn man ĂŒberhĂ€ufte uns geradezu mit wohlgemeinten RatschlĂ€gen fĂŒr lohnenswerte Wandertouren. Zu diesen Tipps zĂ€hlte auch besagter Hinweis darauf, dass wir per Anhalter ganz sicher besser an unsere Ziele kĂ€men, an deren Erreichbarkeit uns der hiesige Busfahrplan (ver-)zweifeln ließen. Und in der Tat, einmal fĂŒhrte uns unser Weg eine ganze Weile lang eine nicht sonderlich reizvolle Landstraße entlang, und es hielten mehr als zwei Wagen von ganz allein neben uns mit der berĂŒhrend fĂŒrsorglichen Frage: ‚Are you enjoying your walk or do you just want to reach the end of this road?‘

The Oa
The Oa

TatsĂ€chlich wartet Islay mit unglaublich schönen Landschaften, aber leider ebenso mit öden und langen Straßen dazwischen auf. Die Insel ist eher flach. Felder und Wiesen wechseln sich ab, in welche hier und da ein HĂ€uslein hineingesprenkelt steht. Es ist eine Insel fĂŒr ausdauernde Wanderer. Wahrscheinlich wĂŒrde Alexander hier wieder ergĂ€nzen, wie sehr doch ein Zelt unsere FlexibilitĂ€t erhöhen wĂŒrde. Aber mit der Zeltsache habe ich definitiv vor mehr als einem Vierteljahrhundert endgĂŒltig abgeschlossen!

Strandgut

The Big Strand: ein endloser weißer Sandstrand, leider auf unserer Wanderroute nur ĂŒber eine HĂ€ngebrĂŒcke zu erreichen. Alexander lief zweimal hinĂŒber – hin und wieder zurĂŒck – weil ich mich nicht traute, das blöde Ding zu ĂŒberqueren. Jeder Schritt ließ sie erbeben und sie erinnerte mich an die „Galloping Gertie“ in Miniatur, deren Kollaps ich in Filmaufnahmen im Internet bestaunt hatte. „Gertie“ riss erbarmungslos die ihr anvertrauten mit in die Tiefe.

Allerdings muss ich gestehen, dass die Tiefe auf Islay wohl aus weniger als zwei Metern bestand. Einfacher wĂ€re es wohl gewesen, Schuhe und StrĂŒmpfe in die Hand zu nehmen und das FlĂŒsschen zu durchwaten. So blieb der goldene Strand jedoch vorerst unentdeckt, dafĂŒr aber auch weniger crowded fĂŒr alle, die ihn derweilen genossen.

Die Jakobsmuschelhalde: Wie stolz war ich gewesen, auch nur BruchstĂŒcke dieser schönen Schalen am Strand aufgelesen zu haben. Kein Exemplar, das ich bisher gefunden hatte, war grĂ¶ĂŸer als ein FĂŒnfmarkstĂŒck gewesen. Wegweiser war sie fĂŒr den heiligen Pfad durch all die fremden LĂ€nder. Mal um Mal waren auch wir auf ihr strahlendes Symbol gestoßen.

Nun standen wir sprachlos vor mannshohen Halden, auf denen sich die Muschelreste tĂŒrmten wie andernorts der PlastikmĂŒll. Eine Delikatesse am Ort, hier nun eine Sammelstelle der Überreste aus Restaurants und anderen KĂŒchen.

Zugegeben, seit dieser Entdeckung haben die Jakobsmuscheln fĂŒr mich deutlich an Zauber verloren…

Loch Indaal
Loch Indaal

Loch Indaal: Seehunde und Robben gaben kehlige Laute von sich. Eine Weile lang glitten unsere Blicke suchend ĂŒber die Bucht auf unserem Weg von Bowmore nach Laggan Point, bis wir gewahr wurden, dass die kleinen SandbĂ€nke – keine 50 Meter entfernt – voll waren von diesen Tieren. Man sieht nur, was man zu sehen bereit ist. Eine solche Menge dieser Tiere ĂŒberforderte unsere Wahrnehmung. Eines ja, zwei vielleicht, aber dutzende in dieser kurzen Distanz – war das möglich?

Loch Finlaggan
Loch Finlaggan

Loch Finnlaggan: Inseln der Könige, Inseln der Ratsuchenden, Sitz der Lords of the Isles. In wilder Schönheit lagen die beiden Inselchen, eine zum Wohnen, eine zum Beraten, vor uns. Der Wind erzĂ€hlte ihre Geschichte. FĂŒhlst Du den Stein? Er verbindet Jahrhunderte. Der See, vom Sturm zerzaust, hĂ€lt Ausschau nach den Wanderern zwischen den Zeiten. Kann man ihnen vertrauen? Werden sie die Geschichten bewahren? Meine Hand berĂŒhrte den Stein, der Geist streifte die Ewigkeit in ihm. Inseln der Könige. Inseln der Ratsuchenden – im weisen Versteck der Zukunft.

Finlaggan
Finlaggan

Nur schwer konnte man sich vorstellen, dass in dieser einsamen Landschaft viele Menschen unterwegs gewesen waren. Der Mitarbeiter im Visitor Center war jedenfalls ganz offenbar dankbar fĂŒr jede Seele, die ihren Weg zu ihm fand und plauderte gern und viel mit allen. Uns berichtete er von einem Fischadler, der in der NĂ€he seinen Horst und eine entschiedene Vorliebe fĂŒr kleine LĂ€mmer zum Mittag habe. Auch dessen Jagdmethode schilderte er uns eindringlich, und es tat mir leid um die LĂ€mmchen, die von dem Greifvogel erst emporgerissen und dann aus großer Höhe fallengelassen wĂŒrden.

Wasser des Lebens

Das Whisky-MenĂŒ: 250 Pfund – das Dram wohlgemerkt. In diesem Pub konnte man sich arm trinken, problemlos allein in einer einzigen Nacht. Es musste einem nur in zunehmend umnebelten Zustand der Finger auf der Karte ein wenig verrutschen und schon hĂ€tte man ganze Monatsmieten in goldgelben SchlĂŒckchen zu sich genommen.

Einen ganzen Leitz-Ordner mit Angeboten kredenzten sie uns Laien dort. Völlig ĂŒberfordert von dieser schier unerschöpflichen Auswahl, fragten wir schlussendlich die Einheimischen nach Empfehlungen. ‚Ich mag gerne Whisky, der so und so schmeckt.‘ ‚Well, this one you’d try.‘

Besonders schön die Geschichte von den WhiskyfĂ€ssern, die sie fanden, als die zugehörige Destille schon seit hundert Jahren pleite war. Welch‘ rare Kostbarkeit – nur in Gold aufzuwiegen. Whisky ist geduldig. Die Kehlen, die ihn verkosten eher selten.

Das Wasser war braun, beinahe schon rötlich, dabei aber klar wie Glas wie ĂŒberall in Schottland. Wasser aus den Hochmooren, gefiltert durch den Torf, den sie stachen, um ihn fĂŒr die Veredelung zu nutzen. Jene Veredelung, die es manchmal schier unmöglich machte, ihr NationalgetrĂ€nk unter der Nase durch zum Mund zu fĂŒhren – gerade hier, gerade auf dieser Insel, die so berĂŒhmt war fĂŒr jenes rauchige Aroma ihres Whiskys. Manche halten es fĂŒr dessen ganzes Wesen, doch griffe das entschieden zu kurz. Hatte man sich erst einmal durch eine Anzahl durchprobiert, und jede Destille bot schließlich die Möglichkeit zu einem entsprechenden Tasting an, gewann man zumindest einen Eindruck von der Vielfalt, die an Geschmack in gebranntem Bier stecken konnte. Ja, trivialerweise war es genau das: gebranntes Bier, in FĂ€sser gefĂŒllt, mit Engeln geteilt, beinahe vergessen in all der Zeit des Wartens, dann auf Flaschen gezogen und an Feinschmecker in aller Welt verschifft, die wie magisch angezogen, wie Pilger die heiligen Schreine besuchend, hierher strömten.

Bunnahabhain Distillery
Bunnahabhain Distillery

‚Wegen welcher Destille seid ihr hier?‘ war wohl die hĂ€ufigste Frage, die wir hier hörten. UnverstĂ€ndnis traf uns von Seiten der Pilger ob unseres Ansatzes, diese Insel wie so viele Ort in Schottland einfach wegen ihrer grandiosen Landschaft besuchen und erwandern zu wollen. War Schottland sonst fraglos das Gefilde der „Walker“, wie man hier so schön sagte, stach Islay in dieser Hinsicht als Kuriosum in diesem Landstrich hervor.

Bunnahabhain Distillery and other places
Bunnahabhain Distillery and other places

‚Ihr habt nicht zufĂ€llig bemerkt, dass euer GepĂ€ck draußen im Flur stand?!‘ ‚Unser GepĂ€ck?‘ sie wechselten einige ratlose, betretene Blicke. Dann wurde einer der beiden Jungs plötzlich sehr hektisch und tippte sich durch sein Smartphone. Der andere schaute immer noch unglĂ€ubig und zerknautscht von der vergangenen Nacht in die Runde. ‚Ja, euer GepĂ€ck! Ihr seid, glaube ich, heute Nacht darĂŒber gestolpert, als ihr heimkamt.‘ Man sah, wie eine flĂŒchtige Erinnerung ĂŒber sein Gesicht zog. Heute Nacht. ‚Goodness!‘ entfuhr es dem anderen, und das Schmunzeln am FrĂŒhstĂŒckstisch wurde allgemein breiter. Eigentlich hĂ€tten diese beiden verschlafenen Helden schon gestern auschecken sollen. Und eigentlich hĂ€tte ihr Zimmer in der vergangenen Nacht Trever zugestanden, mit dem wir bereits munter seit einer guten halben Stunde plauderten und der, der UmstĂ€nde halber, in dieser Nacht im GĂ€stezimmer des örtlichen Dorfpolizisten ĂŒbernachtet hatte.

Zwischenzeitlich kam ein erleichterter Seufzer vom Smartphone-Besitzer. Nein, weder FĂ€hre noch Flug waren verpasst worden, aber ganz offensichtlich die gesamte Reiseplanung durcheinander geraten.

Man war, wie sich herausstellte, quasi-beruflich unterwegs. Der eine war in irgendeiner Weise im Whisky-GeschĂ€ft involviert und nun mit einem Freund auf der Insel und nach dem letzten Tasting dann irgendwie doch nicht mehr so richtig beieinander gewesen. So waren sie erst spĂ€t und mehr oder weniger planlos ins B&B zurĂŒckgekehrt, ĂŒber die Koffer gefallen, die unser Host ihnen gepackt in den Flur gestellt hatte – denn, wie gesagt, der Tag der Abreise war ja schon gekommen -, in ihr altes, nun eigentlich Trever dem Handelsreisenden zugedachten Zimmer getorkelt und dort in einen komatösen Schlaf gefallen, der sie erst jĂŒngst zum FrĂŒhstĂŒck wieder freigegeben hatte. Nun sah man bei beiden eine sachte Erinnerung an die letzte Nacht heimkehren, und es war ihnen sichtlich peinlich, was sie da angestellt hatten. Man einigte sich schließlich auf eine Entschuldigungsflasche vom letzten Tasting, die sie postwendend fĂŒr Trever aus dem ansonsten leeren Zimmer holten. Dieser grinste gemĂŒtlich vor sich hin, sodass man den Eindruck hĂ€tte gewinnen können, er wĂ€re nicht zum ersten Mal in eine solch absurde Situation auf dieser Insel mit ihren acht Destillen und der neunten im Bau geraten.