Wenn man von Kintyre, also von Norden aus auf Arran blickt, heißt es, die Insel gliche einem schlafenden Krieger – ‚a sleeping warrior‘. Bei dieser Beschreibung muss ich sofort an bĂ€rtige Schotten in bunten Kilts denken. Ich gebe zu, Fernsehbilder – hier z.B. aus „Highlander – es kann nur einen geben“ – sind auch fĂŒr meine Phantasie prĂ€gend gewesen. Sicherlich gibt es einen historischen Hintergrund zu Arrans Metapher, aber mir gefĂ€llt einfach der Blick von Kintyre auf Arran – auch ganz ohne historische Helden. Leider hatten wir bisher nur ein einziges Mal die Gelegenheit, diesen Anblick zu genießen, auf unserer RĂŒckreise von Islay, die uns ĂŒber Kintyre noch fĂŒr ein paar wunderbare Tage nach Arran fĂŒhrte. In diesem SpĂ€tsommer nahmen wir also die kleine FĂ€hre im Norden der Insel, die Kintyre mit Lochranza, dem nördlichsten Ort der Insel, verbindet und nur in den Sommermonaten verkehrt. Das kleine Boot hat faktischen keinen Tiefgang. Anlanden heißt in diesem Fall, dass die FĂ€hre einfach ein StĂŒck auf das Ufer fĂ€hrt. An diesem Tag war der Firth of Clyde recht wild. Schwarze Wellenberg schwappten direkt am Fenster des Aufenthaltsraumes vorbei.

FĂ€hre zwischen Lochranza und Tarbert
FĂ€hre zwischen Lochranza und Tarbert

Lochranza wartet mit einem ganz unvergleichlichen Charme auf, wie ich finde. Eine Reihe von HĂ€uslein ziehen sich an den HĂ€ngen entlang der Bucht, in deren Mitte die Ruine einer alter Festung thront.

Lochranza, Burgruine
Lochranza, Burgruine

Touristisches Highlight ist aber wohl weniger diese malerisch gelegene Ruine, sondern die Distille, die hier ebenfalls verortet ist.

Den Cock of Arran haben wir mehrfach als Wandertour geplant. Zweimal liefen wir von Lochranza aus los, haben aber den Einstieg in den ‚Rock Fall‘, der auf der Karte verzeichnet ist, nicht finden können. Ratlos standen wir am Strand vor einer Wand aus Findlingen. Beide Male drehten wir schließlich wieder um. Das hieß natĂŒrlich nicht, dass wir nicht auch so einen schönen Sparziergang bis zu diesem Strand unternommen hĂ€tten, von dem aus man sehnsuchtsvoll dem einen oder anderen Segelboot im Firth of Clyde hinterherblicken konnte – viele waren es tatsĂ€chlich nie – also genau genommen nie mehr als eines, kein Vergleich also mit einem Sommernachmittag an der Elbe. Allerdings lernten wir spĂ€ter, dass die Segelsaison hier oben nie sehr lange dauerte. Zu schnell kommen mit dem Herbst auch die Atlantik-Tiefs, von denen viele ĂŒber Schottland weiter nach Norden zogen und nur wenige ihren Weg in die Deutsche Bucht oder gar bis zur Elbe fanden.

Segelboot, Firth of Clyde
Segelboot, Firth of Clyde

Um zum Rock Fall zu gelangen, folgt man zunĂ€chst der KĂŒstenlinie, die sich am Loch Ranza, daher der Ortsname, entlang schlĂ€ngelt bis zum Newton Point und steigt schließlich im Fairy Dell wieder zum Strand hinab, der hier aus ganz rund gewaschenen Kieseln in allen möglichen Farben besteht. Ich hĂ€tte Stunden damit verbringen können, mir diese ‚Steine hier zu begucken‘, wie mein Vater einmal so schön gesagt hatte, um das gemeinsame Hobby von Vater und Tochter auf den Punkt zu bringen. Alexander aber gemahnte mich stets zur Vernunft, schließlich wĂŒrden wir den ganzen gesammelten Kies im Flugzeug transportieren mĂŒssen. Die Höchstmenge an Gewicht stand also von Anfang an fest, was allerdings nicht verhinderte, dass der eine oder andere schöne ‚Handschmeichler‘ seinen Weg in die heimische Steinesammlung gefunden hat.

Den Cock of Arran sind wir schließlich von der anderen Seite aus gelaufen. In North Glen Sannox haben wir uns mit dem Bus absetzen lassen. North Glen Sannox ist auch eine ganz hinreißende Ecke mit dichtem Nadelwald und dem North Sannox Burn. Hier habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Leute gesehen, die meine etwas panische und sicherlich verrĂŒckte Idee aus Loch na Davie in die Tat umgesetzt haben. Es gibt tatsĂ€chlich Menschen, die in NeoprenanzĂŒgen die eisigen FlusslĂ€ufe der Insel hochkraxeln. Sie nennen es Sport, aber das sagen jene, die ĂŒber die Klippen in die Tiefe springen von ihrem merkwĂŒrdigen Hobby ebenso. Unbestreitbar bewahrt es den sich so Bewegenden allerdings davor, ‚unfreiwillig‘ Bekanntschaft mit dem Wasser der Insel zu machen. Auch unsere Erkundung der Wanderroute entlang des Burns scheiterte nĂ€mlich daran. Auch hier war auf einer etwas höher gelegenen Ebene so viel Wasser zusammengelaufen, dass ich mich einfach geweigert habe, weiter nach einem Durchkommen durch dieses Sumpfloch zu suchen. Mit einer gewissen Selbstzufriedenheit stellte ich an diesem Tag fest, dass es nicht nur uns so erging. Auch der anfĂ€nglich noch recht enthusiastische junge Mann, der von seinen ‚Waterproofs‘ schwĂ€rmte – ‚The muddier, the better!‘, kehrte schließlich kleinlaut um. Es ist schließlich eine Sache, dafĂŒr zu sorgen, keine nassen FĂŒĂŸe zu bekommen, aber eine andere, wenn man feststellt, dass man plötzlich bis ĂŒber die Knie im Matsch steckt (an dieser Stelle sei an das ‚This can happen‘ unseres Landlords erinnert).

North Glen Sannox
North Glen Sannox

Zum Cock of Arran ging unser Weg von North Glen Sannox aus in östliche Richtung zur KĂŒste. Der Pfad fĂŒhrt vorbei an einer Pferdefarm, einem der wenigen HĂ€user in diesen HĂŒgeln, in denen sonst nur an allen möglichen und auch unmöglichen Stellen Schafe grasen. Sie blitzten als weiße Punkte aus der Gras- und Heidelandschaft hervor. Manchmal standen sie auch einfach so mitten da, z.B. mitten auf der Straße offensichtlich in der festen Überzeugung, dass das hier ihr Land sei. Und wenn der Bus dann wartend vor ihnen parkte, hatten sie mit dieser Ansicht scheinbar auch gar nicht so ganz Unrecht.

Warum der nordöstlich Zipfel der Insel nun ausgerechnet „Cock of Arran“ heißt, ist mir nicht erinnerlich. Sehr wohl erinnere ich mich an die Beschreibung im WanderfĂŒhrer, dass man, wenn die Tide gĂŒnstig stehe, den Rock Fall bei Ebbe auch auf der trockenfallenden KĂŒstenseite umrunden könne. Nun, die Male, zu denen wir uns diese Szenerie anschauten, war die Tide wohl nicht gĂŒnstig genug. Zudem ist Arrans KĂŒste felsig, und die Steine sind dann glitschig vom Tang und anderen Wasserpflanzen. Mehr als einmal habe ich uns in meiner Phantasie schon mit verstauchten Knöcheln oder Schlimmerem zurĂŒck auf dem Weg zum Festland gesehen. Aber Alexander meint auch, nicht ganz zu Unrechte, dass ich wohl eine ausgeprĂ€gte Phantasie fĂŒr Katastrophen hĂ€tte. Allerdings war auch er der Meinung, dass ‚außen rum‘ nun wirklich keine Option darstellte.

Von North Glen Sannox aus stellte sich der Weg aber zunĂ€chst als beinahe schon trivial heraus, und wir rĂ€tselten lange, warum wir es nicht viel frĂŒher auf diese Weise probiert hatten. Linker Hand erhoben sich nun die HĂŒgel, die man sonst von der Ringstraße aus bewundert hatte. Relativ lang fĂŒhrte tatsĂ€chlich ein echter gekiester Weg an der KĂŒste entlang. Ich erinnere mich nicht mehr genau an die Stelle, an der es dann mit der Bequemlichkeit zu Ende ging, aber recht genau weiß ich noch, dass wir irgendwann linker Hand tatsĂ€chlich „Ossian‘s Cave“ erspĂ€hten, welche dem Ganzen einen noch deutlicheren Abenteuercharakter verlieh. Was konnte man sich nicht alles Tolles zu solchen Höhlen ausmalen? Und schwups, war ich wieder bei meinen Schmugglern und SeerĂ€ubern, deren Abenteuer ich als Kind so gerne im Fernsehen verfolgt hatte.

Ossian's Cave
Ossian’s Cave

Auf unserer Wanderroute hatten wir nun freilich ganz andere Probleme als irgendwelche vergrabenen SchĂ€tze, denn uns ging StĂŒck fĂŒr StĂŒck wieder der sichere Boden unter den FĂŒĂŸen verloren. Wir steckten mal wieder im Moor.

Umso grĂ¶ĂŸer war die Freude, als wir endlich wieder auf feste Steine trafen. Dass diese erst den Anfang zu dem noch wesentlich schwieriger zu bewĂ€ltigenden StĂŒck Weg darstellten, ahnten wir an dieser Stelle freilich noch nicht.

Der feste Boden, den wir gefunden hatten, war der Einstieg zum Rock Fall. Eine kleine Gruppe Wanderer, die wir hier trafen, berichtete von einem ‚reasonable path‘ durch das Gestein. Ich hoffte instĂ€ndig, dass ‚reasonable‘ nicht nur nach schottischen MaßstĂ€ben gemeint war und kraxelte weiter. Innerhalb kĂŒrzester Zeit kletterten wir nun ĂŒber Felsblöcke, die kreuz und quer in allen GrĂ¶ĂŸen und Formen ĂŒbereinander lagen. Hier war der Punkt, von dem aus es nur noch vorwĂ€rts ging, denn zurĂŒck hĂ€tten wir es im Hellen nicht mehr geschafft. Also Augen zu – oder besser ganz weit auf – und durch. Wie wir es geschafft haben, weiß ich nicht mehr genau. Nur dass wir es geschafft haben und dass ich danach stolz wie Bolle war. Wir hatten – ich hatte es geschafft! Der Schisshase vor dem Herrn war ĂŒber all die ineinander verkeilten Granitblöcke gekraxelt, zwischen ihnen hindurch gekrochen, um sie herumgelaufen, an ihnen entlang geklettert – mit HĂ€nden und FĂŒĂŸen. Ich konnte es kaum glauben, als sich vor uns schließlich wieder der Strand des Fairy Dell öffnete.

Auch das ist Arran – eine Insel, die Dich bis an Deine Grenzen treibt und noch ein StĂŒck darĂŒber hinaus, um Dich dann mit dieser grandiosen Landschaft und einem unvergesslichen Erlebnis zu belohnen.

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