In Glen Iorsa habe ich die erste Kreuzotter meines Lebens gesehen. Alexander meinte, ich solle mich glĂŒcklich schĂ€tzen, weil sie so selten wĂ€ren. Ich bin mir nicht so sicher. Es gibt Sachen, die muss man nicht unbedingt erleben. Auf-Schlangen-treffen gehört in diese Kategorie.
Bewusst erinnere ich mich nur an zwei Begegnungen dieser Art davor. Die erste ereignete sich in Kirchberg am Wechsel. Kirchberg wo? Ja, genau dort, mitten in der Walachei in Ăsterreich. Das verschlafene Dörflein hat das GlĂŒck oder Pech gehabt â wie manâs nimmt -, dass Ludwig Wittgenstein dort vor einer halben Ewigkeit einmal Volksschullehrer war. Diese historische Begebenheit fĂŒhrt nun, etliche Jahre nach Wittgensteins Tod, dazu, dass alljĂ€hrlich Kirchberg von mehreren tausend Philosophen heimgesucht wird, die dort das Wittgenstein Symposium zelebrieren. Weil das Dort aber so klein und die Fremdenzimmer so wenige sind, gibt es jĂ€hrlich den Hinweis der Organisatoren, dass man auch gerne hier und da vor Ort zelten könne. Das örtliche Schwimmbad wĂŒrde auch gerne seine Duschen zur VerfĂŒgung stellen. Ich gebe zu, Zelten war sowieso noch nie eine Option fĂŒr mich. Zelten und ich sind zwei divergente Mengen. Aber ich wurde noch mehr von diesem wechselseitigen Sich-AusschlieĂen ĂŒberzeugt, als wir bei einer unserer dortigen Wanderungen in den Bergen eine â in meinen Augen â riesige, braune Schlange antrafen. So etwas kriecht dort herum, und ich soll in einem Zelt schlafen? Never ever! So viel stand fĂŒr mich fest.
Die zweite Begegnung mit dererlei Kriechvieh ereignete sich in Greifswald am Ryck. Hier waren es winzige Blindschleichen, die meinen Weg zu kreuzen wĂŒnschten. Ich beĂ€ugte sie interessiert, boten sie in ihrem Dasein doch einen eher ungewöhnlichen Anblick. All das stand aber in keinem VerhĂ€ltnis zur Kreuzotter in Glen Iorsa.
Wir waren dem Flusslauf schon eine ganze Weile lang gefolgt. Eigentlich waren wir auf der Suche nach einer Möglichkeit, diesen zu furten, wollten wir doch ĂŒber den gegenĂŒberliegenden HĂŒgel zurĂŒck nach Brodick laufen, die Insel also von West nach Ost ĂŒberqueren. Allerdings stellte sich dieses Vorhaben als weit komplexer heraus, als ursprĂŒnglich geplant. Der Fluss fĂŒhrte schlicht zu viel Wasser, und das war eiskalt â kein Gedanke daran, es einfach zu durchwaten.
Also befanden wir uns nach einer gefĂŒhlten Ewigkeit immer noch auf dem diesseitigen Ufer, hatten Wege und Pfade lĂ€ngst hinter uns gelassen und steckten â nach meinem DafĂŒrhalten zumindest â mal wieder mitten im Sumpf. Der einzige Vorteil hier waren relativ feste BĂŒschel aus SchilfgrĂ€sern, die wie Pilze aus dem Boden hervorwuchsen. Auf diesen konnte man sich relativ kommod fortbewegen. Trat man jedoch aus Versehen dazwischen, verschwand man schnell bis zum Knie oder tiefer im âUnterholzâ, ohne ausmachen zu können, wohin man trat.
Alexander war nun schon eine ganze Strecke vor mir, wĂ€hrend ich mit meinen Wanderstöckern den Weg vor mir erstocherte, um herauszufinden, wohin ich meinen nĂ€chsten FuĂtritt sicher setzen könnte. Hatte ich schon erwĂ€hnt, dass ich zur Kategorie âSchisshaseâ zĂ€hle? Nun ja, noch wĂ€hrend ich also so vor mich hin stocherte, zischelte es plötzlich wenig freundlich unmittelbar vor mir. Ich blickte auf und fand eben jene erste Kreuzotter meines Lebens zusammengeringelt auf dem GrasbĂŒschel liegend, das ich fĂŒr meinen nĂ€chsten Schritt auserkoren hatte. Das Tier war einigermaĂen erbost ĂŒber mein rĂŒpelhaftes Benehmen, das sein NachmittagsschlĂ€fchen so abrupt unterbrochen hatte. Zu allem Ăberfluss verschwand sie unmittelbar darauf im Untergrund vor mir. Jetzt bloĂ nicht in Panik verfallen! Ganz ruhig!
Es passierte nichts weiter, aber das war definitiv der Punkt, an dem ich den RĂŒckzug antrat. Dann doch lieber den Bus nehmen, sagte ich mir, wĂ€hrend Alexander einigermaĂen verdattert hinter mir her schaute, als ich plötzlich zielstrebig in die entgegengesetzte Richtung davonstob. âMan soll sich halt nicht beiĂen lassenâ, war spĂ€ter sein Kommentar dazu. Ja, besser ist dasâŠ