Der nächste Tag war ein Sonntag. Wir würden einen langen Tag auf der Insel verbringen, wollten erst abends weiter nach Amrum. Nur ein kurzer Schlag zu einer weiteren hübschen Insel, so war der Plan. Tagsüber konnten wir uns also Föhr anschauen. Christian wollte gern zum Museum Kunst der Westküste . Dort vermutete er eine Ausstellung zu Jochen Hein. Hein hatte das Meer gemalt – „Kochende See“ hieß eines davon: die ganze Gewalt des Meeres in einem Bild.
Ben und Silke, Alexander und ich fanden die Idee, Räder zu mieten und zum Museum zu radeln, perfekt. So würden wir nicht nur eine interessante Ausstellung sehen, sondern gleich auch noch einiges von der Insel zu Gesicht bekommen. Das Museum lag ungefähr in der Mitte von Föhr. Ein Ausflug dorthin ließ sich also wunderbar mit einer Rundtour um den Südteil des Eilands verbinden, zumal sich das Spätsommerwetter immer noch von seiner feinsten Seite zeigte. Nur im Meer baden wäre noch schöner gewesen, aber das konnten wir ja vielleicht anschließend noch machen.
Die Hein-Bilder haben wir dort dann tatsächlich nicht bewundern können. Ausgerechnet zu dieser Zeit waren sie für eine Wanderausstellung abgehängt. Schade. Alternativ gab es eine Foto-Ausstellung von Per Bak Jensen, die nicht minder beeindruckend war. Der Künstler zeigte, was der genaue Blick auf die Natur zu offenbaren vermochte: Fantastisches, Gespenstisches, Skurriles, Seltsames. Ohne die Dinge zu verfremden, nur eben sehr genau ins Bild gesetzt – herangezoomt und schon war das Moos auf den Ästen zwischen den Bäumen zu etwas Besonderem geworden ebenso der Schnee auf einem Reetdach oder der in Folie verpackte Silageballen. Alltägliches zeigte sich neu und ließ uns staunen. Die Welt zu sehen ist wahrlich eine Kunst. Alltag und Routine lassen so vieles so schnell verblassen, obwohl doch allem dieser ganz besondere Augenblick inne sein kann, den Cartier-Bresson so gekonnt festzuhalten wusste. Es ist nicht leicht, die Welt neu zu sehen. Himmel, Licht und Wasser finden sich als Zutaten, wenn man sich auf große Fahrt begibt – sie helfen zu finden, was man vor so vielen Jahr verloren hat…
Mit den Rädern ging es danach weiter über die Insel. Kleine Orte mit reetgedeckten Häusern und Blumengärten wechselten sich mit Wiesen und Weiden ab. „Im Apfelgarten“ kehrten wir für eine Stärkung ein. Es gab selbstgemachten Kuchen und Limonade. Man speiste – wie der Name versprach – im Apfelgarten und bald schon war dort jeder Platz besetzt.
Wenig später führte uns unsere Rad-Runde an einer kunstvoll gestalteten Vogelscheuche aus Stroh vorüber, dann am Schild ‚Frische Himbeeren‘. Würden sich die nicht ganz wunderbar zur nächsten, schon geplanten Mousse au Chocolate machen? Ich hielt an. Es folgte ein kurzes Für und Wider – immerhin mussten die Beeren ja irgendwie noch zum Schiff und schwups hatte ich in meiner Kunsttasche keine Bücher mehr, dafür eine Schale Himbeeren, die – bitte schön – nicht zerquetscht oder ausgekippt werden sollten – Kopfsteinpflaster hin oder her. Von nun an war ich also in besonderer Mission unterwegs und machte mich wohl auch ganz leidlich.
Unsere Radtour führte uns schließlich nach Wyk zurück und zum Strand. Wir schlossen die Räder ab. Alle waren wir durstig von der Sonne, also fix einen selbstgemachten Eistee in der „Sydbar“ genommen. Wir saßen auf der Promenade am Strand, ließen die Kaltgetränke die durstigen Kehlen hinunterrinnen und hörten dem Wasser zu, das auf den Sand leckte. Es war schon Nachmittag geworden. Bald wollten wir wieder ablegen, aber ohne am Strand gewesen zu sein – also wenigstens die Füße ins Wasser gestreckt zu haben? Völlig unmöglich, fand ich. Mit Macht zog es mich zum Meer. Alle anderen folgten notgedrungen. Dann stand ich auch schon bis zu den Knien im Nordseewasser, in meinen Händen immer noch die Papiertüte des Museums mit der Schale Himbeeren darin – was für eine Show!
Dann mussten wir aber wirklich weiter, also zurück zu den Rädern und weiter in den Ort hinein. Jetzt schnell noch ein Eis für diesen Sonnentag. Dort hinten der Bäcker, der hatte doch ein Eisschild draußen hängen.
Drinnen trafen wir auf ein echtes Original. Das Eis war nicht besonders gut, der Verkäufer dafür eine echte Marke. Die drei Sorten, die er zu verkaufen hatte, pries er mit Hingabe an: ‚Zitrone? Das ist gut für die Potenz – da geht heute noch was.‘ ‚ Stracciatella? Gute Wahl, hätte ich auch genommen.‘
Wir hatten unser Eis und schoben langsam mit den Rädern zurück zur Promenade. Ben und Christian schwangen sich als erste wieder in die Sättel und waren kurz darauf in der Menge verschwunden. Wir trafen sie erst später beim Fahrradverleih wieder. Sie hatten noch schnell eine zweite Eisprobe machen wollen.