‚Du siehst mĂŒde aus.‘ Ich weiß gar nicht mehr, wer das zu mir an diesem Morgen sagte. Recht hatte er auf jeden Fall. Ich saß schon wieder im Salon, war auch schon unter der Dusche gewesen. Wir wollten an diesem Morgen wieder weiter, aber zwei Stunden mehr hĂ€tte ich schon noch schlafen können. Ja, wenn ich denn gekonnt hĂ€tte. Ging aber nicht. So hing ich jetzt wie der sprichwörtlich Schluck Wasser in der Kurve, wĂ€hrend auch der Rest unserer Crew wieder erwachte.

Ein gutes FrĂŒhstĂŒck sollte es geben, denn die Überfahrt nach Helgoland versprach ‚nicht ohne‘ zu werden. Und das Vorsegel musste unbedingt noch dafĂŒr gewechselt werden. Es war viel Wind angesagt. Eine sieben mindestens, da konnten wir die große Genua wirklich nicht gebrauchen. All das spukte mir an diesem Morgen auf der Salonbank durch den Kopf. Dazu die ĂŒbliche Unruhe im Amerikahafen – da war an Schlaf einfach nicht mehr zu denken gewesen.

Kurz nach elf, nachdem alles erledigt war, machten wir uns wieder auf den Weg. Die Sonne strahlte vom Himmel, und der Wind leistete ihr Gesellschaft. Starkwind auf der Nordsee. Bloß gut, dass wir die kleine Fock aufgezogen hatten. Das Groß setzten wir im zweiten Reff. Sollte doch gehen oder?

Ging auch eine Weile. Aber als wir die Alte Liebe, Scharhörn und dann auch Neuwerk hinter uns gelassen hatten, ging’s nicht mehr. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass der Wind geradewegs aus Westen blies. Das war so nicht angekĂŒndigt gewesen. Dass er sich nicht an die Vorhersage hielt, war eine Sache. Dass er dabei jede Menge beachtlicher Wellen produzierte, war die andere. Schnell glich unsere Segelei einer einzigen Berg- und Talfahrt, bei der ich weiterhin das SchlĂŒckchen Wasser in seiner Kurve gab. Ich war so mĂŒde und, nein, mir ging es gar nicht gut. ‚Bloß nicht ansprechen‘, meinte David viel spĂ€ter ĂŒber mich und meinen Zustand, was es gut beschrieb.

Ich hatte den Eindruck, völlig wegzutreten. Kam ich zu mir, war mir speiĂŒbel. Nur sehr sporadisch mischte sich darin irgendeine Art von Weltwahrnehmung. Dazu gehörte die sich stetig weiter dezimierende CrewstĂ€rke. Rainer und Max waren unter Deck verschwunden. Christian dagegen von unten so schnell wieder hochgekommen, wie sonst nur wir, wenn man bei Schlingerfahrt der frischen Luft jeden Vorzug vor der Navigationsecke geben wollte. Alexander und David wechselten sich am Ruder ab.

Jana und Dirk waren die einzigen, die noch halbwegs aufrecht auf den CockpitbĂ€nken saßen. Jana meinte spĂ€ter, sie hĂ€tte die Seefahrerbeine aus der Familie geerbt. Dirk stellte diese Familie als Reisetabletten vor, die beide vorher geschluckt hĂ€tten. So oder so hielten sie sich recht wacker, wĂ€hrend ich darauf wartete, bloß endlich anzukommen.

Der Seegang war tatsĂ€chlich beeindruckend. Gischt flog von den WellenkĂ€mmen. Im Cockpit unserer Gib Sea saßen wir wie in einer Burg, nur dass diese so hundserbĂ€rmlich schaukelte. Wie weit war es denn noch bis Helgoland? Warum noch mal wollten wir da hinfahren?

Ganz klar, weil es bis Spiekeroog noch weiter gewesen wĂ€re. Weil wir dort ĂŒbermorgen eine Regatta mitfahren wollten. Weil die Wettergötter uns dieses Mal einfach nicht hold sein wollten. Die Vorhersage war fĂŒr keinen der kommenden Tage gĂŒnstiger, geschweige denn schön. Also jetzt oder nie.