Es klingt ein wenig lĂ€cherlich, ich weiß. Lustig vielleicht, wenn man es freundlicher ausdrĂŒcken möchte. Andere wĂŒrden eher seltsam wĂ€hlen – was soll‘s. Es ist, wie es ist. Und den schwarzen Mantel erwarb ich eben aus jenem verrĂŒckten Grund. Aus demselben ĂŒbrigens, der mich fĂŒr einige Jahre zur Rothaarigen werden ließ.

‚Wenn man auf diese Weise eine Ähnlichkeit herzustellen vermochte, dann ja vielleicht auch in anderer Hinsicht?‘ So oder so Ă€hnlich muss ich damals wohl gedacht haben, als ich ganz neu an der Uni nun dieses Buch las. NatĂŒrlich nicht nur ich, sondern all die anderen in dem Seminar auch, das im Übrigen – von diesem Buch einmal abgesehen – keine wirkliche akademische Glanzstunde darstellte. Aber darum ging es ja auch gar nicht. Es ging um dieses Buch oder, besser gesagt, um die Figur in diesem Buch. Um eine Frau, die in eben einem solchen schwarzen Mantel allein mit dem Zug nach Venedig reiste.

‚Ach könne ich doch auch…‘ nach Italien reisen, ĂŒberhaupt – reisen. Ging damals nicht. Ging viele Jahre nicht. Kein Geld. Kein Mut. Wahrscheinlich war letzteres das wirklich Störende: kein Mut, alleine aufzubrechen.

Gerade das war es, was ich an dieser Romanfigur, an dieser rothaarigen Frau im schwarzen Wintermantel, so bewunderte: den Mut. Alleine die Wege zu gehen, die sie gehen wollte. Nicht darauf zu warten, dass jemand sie begleiten wĂŒrde. Sich einfach selbst auf die Reise zu begeben, von der alles andere als klar war, was ihr Ergebnis, was ihr Ziel sein wĂŒrde. Ob sie Erfolg haben wĂŒrde oder nicht. Egal, sie ging ganz einfach. Oder, besser, nahm den Zug – den Zug nach Venedig an einem Abend allein, ohne GepĂ€ck in eben jenem schwarzen Mantel.

Den Rest der Geschichte vergaß ich ĂŒber die Zeit, nie aber diesen Anfang, der mich dazu brachte, mir auch ein solches KleidungsstĂŒck zu kaufen und meine Haare rot zu fĂ€rben.

Eine Frau, die einfach ging, war etwas Außergewöhnliches fĂŒr mich. In der Welt, in der ich damals lebte, gingen die Frauen nicht, sie warteten. Manche von ihnen warten noch heute. Ich aber, ich wollte nicht warten. Ich hatte die Nase voll vom Warten, so viel wusste ich schon damals. Immerhin war ich ja auch schon bis hierher gekommen, bis in diesen verranzten Seminarraum, in dem all die fremden Leute dasselbe Buch lasen. Und ich kaufte mir diesen Mantel. Ich habe ihn noch heute. Es war leichter, einen Mantel zu kaufen, als auf Reisen zu gehen. Das ließ – trotz Mantel, trotz roter Haare – noch Jahre auf sich warten.

Auch in diesem Winter trage ich meinen Mantel voller Fernweh wieder. In dem Winter, der seit einem Jahr kein Ende nehmen will. Aber ich will zuversichtlich sein. Ich habe schon einige wunderbare Orte auf dieser Welt besuchen dĂŒrfen. Und ich bin begierig, mehr zu erfahren – auch wenn meine Haare nun nicht mehr rot sind und auch wenn ich den Rest der Geschichte lĂ€ngst vergaß.