Von Loch Aline ging es weiter, den Sound auf Mull hochkreuzend mit einer atemberaubenden Landschaft zu beiden Seiten, nach Tobermory. Der Weg fĂŒhrt vorbei am Ărtchen Salen auf der Isle of Mull, der an deren engster Stelle liegt. Von Westen drĂ€ngt hier Loch na Keal weit ins Landesinnere, Berge erheben sich majestĂ€tisch nördlich und sĂŒdlich davon. Die Topographie der Insel hatte hier eine wahre Windschleuse gestaltet, ein Dreher der Windrichtung war zu erwarten gewesen und setzte in der Folge, dankenswerter Weise in gemĂ€chlicher Weise, ein. Wir kreuzten weiter und erreichten im Nachmittagslicht Tobermory.
Leider war uns der Hafen selbst nicht sonderlich wohlgesonnen, denn kaum bahnten wir uns unseren Weg durch das ausgedehnte Mooringfeld, öffnete der Himmel erneut seine Schleusen. Nur gut, dass das Ălzeug â zumindest in Teilen â schon seinen Dienst an Skipper und Crew verrichtete. Allerdings dauerte es dann eine ganze Weile, bis wir das Anlegerbier wieder im Cockpit genieĂen konnten. DafĂŒr prĂ€sentierte sich uns der kleine Hafen, nun sozusagen rein gewaschen, in seinen schönsten Farben und die waren von durchaus krĂ€ftiger Natur: gelbe, rote und blaue HĂ€uschen reihen sich hier am Kai auf.
Wie heiĂt es so schön in Alexanders GĂ€lisch-Lehrbuch? âTha Tobar Mhoire snog agus glĂš bheg! â Tobermory ist hĂŒbsch, aber sehr klein!â Das StĂ€dtchen ist erstaunlich belebt â sind es die vielen Menschen, die hier mit der FĂ€hre ankommen, oder sind die StraĂen einfach so eng?
Die Marina liegt direkt neben dem lokalen âCatch and Release Aquariumâ, nach vier Wochen darf dort alles zurĂŒck in seine atlantische Heimat, was man zuvor zum Anschauen vorbeigebracht hat â ein sehr sympathisches Konzept! Im Hafenbecken, direkt am Ponton, an dem unsere âGoldrushâ lag, habe ich zum ersten Mal Seesterne sozusagen in freier Wildbahn gesehen. Gleich drei StĂŒck auf einmal konnten wir in dem klaren Wasser ausmachen. Scheint die Sonne, kann man dort bis zum Meeresgrund hinabschauen.
Das Ărtchen blieb fĂŒr ein paar Tage unser Basislager. Eigentlich hatten wir vorgehabt, von dort aus weiter zu den Small Isles zu segeln. Besonders Canna hatte es uns angetan, aber das Wetter wollte einfach nicht mitspielen. Wir steckten weiterhin im AuslĂ€ufer eines Tiefdruckgebiets und das nĂ€chste war schon auf schnellem Weg zu uns â inklusive Sturmwarnung. Canna hĂ€tte aber maximal eine Mooring-Boje zum Festmachen geboten und selbst dieser Platz war ungewiss. Alternative Routen, die uns ein sicheres Versteck vor eventuell schnell herannahenden Sturmböen geboten hĂ€tte, waren nicht wirklich vorhanden. Tobermory war damit genau der richtige Ort, den wir fĂŒr diese instabile Wetterlage brauchten.
Es folgten Hafentage und ein Segelnachmittag nach Ardnamurchan Point. Wenigstens einen Blick wollten wir auf die Small Isles werfen, wenn wir schon nicht wĂŒrden hinfahren können. Die Kulisse, die sich uns jenseits des Kaps bot, war atemberaubend. Umlaufende Winde machten uns dort das Leben ein wenig schwer, immer wieder zogen auch Schauerwolken mit reichlich Böen ĂŒber uns hinweg, aber schlieĂlich hatten wir es geschafft und segelten aus dem Sund hinaus. An Steuerbord tauchte der Leuchtturm von Ardnamurchan auf und vor uns prĂ€sentierten sich in der Ferne die Small Isles. Eine herrliche Kulisse, die uns lockte wie der SĂŒden die Schwalben. Schweren Herzens drehten wir schlieĂlich ab â das Wetter, hatte ich es schon erwĂ€hnt?!, es war immer noch ein Sturm angesagt.
Vergeblich hielten wir auf dem RĂŒckweg nach Delfinen Ausschau, die Martin im Jahr zuvor hier entdeckt hatte. Offenbar hatten auch die Tiere beschlossen, dass sie sich unter den aktuellen Bedingungen lieber nicht zeigen, sondern tiefere GewĂ€sser vorziehen wollten. Jedenfalls bekamen wir keine zu Gesicht, dafĂŒr aber immer mal wieder die eine oder andere Robbe, die uns aus einiger Entfernung neugierig beĂ€ugte, nur um sich dann in einer erstaunlichen Geschwindigkeit durchs Wasser zu bewegen â völlig egal, ob mit oder gegen den Strom.
Wie drei Wetterfeen standen die Funkmasten in der Ferne auf ihrem Berg. Sie verschwanden in den Schauerböen und tauchten wieder auf. Wir hielten eine ganze Weile auf sie zu, um den Weg zurĂŒck in den Sund zu finden. Zu diesem Zeitpunkt fuhren wir nur noch mit Hilfe des Vorsegels. Am Kap liefen die Winde aus allen Richtungen und hĂ€tten den GroĂbaum nur unnötig schlagen lassen, so war es ruhiger.
Die beiden Hafentage in Tobermory nutzten wir fĂŒr ausgiebige Wanderungen. Die erste Erkundungstour fĂŒhrte uns auf dem nördlichen KĂŒstenpfad zum Leuchtturm Rubha nan Gall. Ein Schild warnte davor, dass es ein enger Pfad an der teilweise steil abfallenden KĂŒste sei. Kinder und Hunde sollte man also besser achtsam im Blick behalten. Und so kam es dann auch: Der Pfad schlĂ€ngelte sich unmittelbar an der SteilkĂŒste entlang. Er bot maximal zwei Personen nebeneinander Platz â zur Linken ging es den HĂŒgel hinauf, zur Rechten stĂŒrzte die Insel mehr oder weniger steil ins Meer. BĂ€ume und BĂŒsche machten aus dem Ganzen ein kleines Urwalderlebnis. UngefĂ€hr nach dem ersten Drittel des Weges hing von einem der Ăste eines der knorrigen alten BĂ€ume ein dickes Tau mitten auf den Pfad. Wir rĂ€tselten ĂŒber dessen Zweck und mochten uns lieber nicht vorstellen, dass jemand es dazu nutzen wĂŒrde, sich ĂŒber den Abhang zu schwingen.
Rubha nan Gall liegt ungefĂ€hr zwei Kilometer vom Ortsende entfernt. Was fĂŒr ein Anblick, als das Leuchtfeuer zum ersten Mal durch die BĂ€ume schimmerte! Der Pfad fĂŒhrte zum Bauwerk hinunter, sodass wir schlussendlich wieder auf Höhe des Meeresspiegels anlangten. Hier weitet sich die Insel wieder ein wenig und bietet Platz fĂŒr ein idyllisch gelegenes Cottage, das als selfcatering B&B zu mieten ist. Davor fĂŒhrt eine kleine geschĂŒtzte Kaimauer, welche die orstansĂ€ssigen Midges ebenfalls zu schĂ€tzen wussten, bis zum Leuchtturm vor. Weiter nördlich gelangt man ĂŒber eine GrasflĂ€che, die sich mit schwarzen Felsen abwechselt, bis ans Meer. Hier bot sich uns ein atemberaubender Ausblick auf die Bloody Bay und das nördliche Ende des Sounds of Mull. Eingetaucht in das goldene Licht der SpĂ€tnachmittagssonne lag der Sund nun vor uns und lieĂ uns innehalten. Man war versucht, die Luft anzuhalten, um diesen Landschaftszauber nicht zu stören. Hier fĂŒhlte man sich ganz klein und groĂ zugleich, weil man mit dem Wesen der Natur verschmilzt, wĂ€hrend man schaut und schaut. Die Seele saugt sich voll mit diesen Bildern, die einen nicht loslassen wollen, die einen mit jenem etwas zu verbinden scheinen, das so unendlich viel gröĂer und wertvoller ist als man selbst und das wir so oft mit unserem stĂŒmperhaften Dasein so leichtfertig aufs Spiel setzen, dass uns die Kinder von morgen daran erinnern mĂŒssen, was fĂŒr uns alle dabei zu verlieren wĂ€reâŠ
Tobermory selbst weist eine Reihe unterhaltsamer GeschĂ€fte am Hafenrand auf. In einem kann man neben Anglerbedarf auch gleich sein LektĂŒrebedĂŒrfnis stillen. In der Apotheke sind neben Mittelchen gegen alle möglichen Leiden, auch WhiskyglĂ€ser zu haben. Der örtliche Yachtausstatter wartete mit einer ganzen Kollektion der von uns ĂŒberaus geschĂ€tzten Tilley-SeglerhĂŒte aus Kanada auf. Daheim konnten wir diese lediglich online erwerben. In diesem schottischen Nest mit seinen knapp eintausend Einwohnern aber konnte man aus einem breiten Angebot wĂ€hlen â wohlgemerkt der erste Hut, der inklusive Handbuch zu erwerben war. Auch dem Souvenirshop der örtlichen RNLI Lifeboat Station statteten wir einen Besuch ab, die immer noch die Weihnachtskarten des letzten Jahres im Angebot hatten. Ein Seifen- und ein SchokoladengeschĂ€ft rundeten zusammen mit der lokalen Distille am Hafen den Shoppingbummelteil gebĂŒhrend ab. Die Dame dort lud uns direkt zum Tasting ein, als wir ihr unsere UnschlĂŒssigkeit hinsichtlich des zu erwerbenden geistigen GetrĂ€nks gestanden. Allerdings löste die Verkostung unser Problem nicht wirklich, denn sowohl die rauchige als auch die nicht-rauchige Variante des lokalen Whiskys waren, wie schon erwartet, exzellent. So wĂ€hlten wir eine Flasche fĂŒr uns und eine kleiner Ausgabe der zweiten Sorte fĂŒr den weiteren Genuss an Bord.
Ein zweiter Hafentag in Tobermory nach unserem Ausflug nach Ardnamurchan Point fĂŒhrte uns auf den sĂŒdlichen KĂŒstenwanderweg. Dieser startete, wie so oft in Schottland, unspektakulĂ€r hinter einem Bauplatz direkt neben der Marina, wandt sich recht schnell die KĂŒste hoch und, ehe man es sich versah, bot sich von dort die schönste Aussicht auf die bunte HĂ€userzeile am Hafen und die in der Bucht an Moorings und Stegen festgemachten Yachten.
Der Weg fĂŒhrt zum Aros Park, einem der versteckten SchatzkĂ€stchen der Insel, wie ein Wegweiser gleich zu Beginn ankĂŒndigt. Zwar schafften wir bis zum verabredeten RĂŒckkehrzeitpunkt nur einen Teil des Weges, doch öffnete besagtes SchmuckkĂ€stchen schon bereitwillig auf diesem Abschnitt seine Pforten. Nicht nur bot sich uns ein fantastischer Blick auf Tobermory Bay und die dort vorgelagerte Calve Island, welche der Bucht ihren heimeligen Charakter verleiht. Auch konnte man jenseits des Sunds in die Berge von Morvern blicken, wĂ€hrend man durch einen jener verwunschenen WĂ€lder Schottlands streifte, welche das Auftauchen des âkleinen Volkesâ so wenig erstaunlich gemacht hĂ€tten. Wir kamen bis zu einem groĂen Wasserfall, der seine Elemente mal plĂ€tschernd, mal donnernd in die Tiefe stĂŒrzen lieĂ, bis sich die Fluten schlieĂlich mit jenen des Sundes vereinigten. Gebannt betrachteten wir das vom Moor braun gefĂ€rbte Wasser, das sich mit seinen weiĂen Schaumkronen einen Weg durch das zerklĂŒftete Gestein suchte â ein magischer Ort.
In Schottland sind WasserfĂ€lle wahrlich keine Seltenheit. Immer wieder sieht man sie sich an dem einen oder anderen Hang in die Tiefe stĂŒrzen. Ihre Anmut trĂ€gt zweifellos zur Schönheit dieses Landes bei. Ein anderer Faktor sind sicherlich die vielen Tiere und Pflanzen, die bei uns so selten geworden sind. Hier trafen wir auf ein Rotkehlchen â zugegeben keine besonders rare Vogelart, aber dieses Exemplar war doch besonders. Es kam nĂ€mlich recht neugierig auf uns zu, uns genauer zu inspizieren. Schlussendlich saĂ es keine Handbreit mehr von Alexander entfernt auf dem Boden, der dort kniend gerade dabei gewesen war, die bunte Kulisse Tobermorys auf Film zu bannen. Es flog nicht weg, als er sich nach ihm umwandt. Es hĂŒpfte, ganz im Gegenteil, noch weiter auf ihn zu. Wir verfĂŒgen nun ĂŒber einige GroĂaufnahmen des possierlichen Kerlchens mit seinen neugierigen Knopfaugen â ganz ohne Teleobjektiv.