Alles einmal ausprobieren dĂŒrfen, alles einmal machen dĂŒrfen, das hat mir, glaube ich, in dieser Woche mit am besten gefallen. Wie ein Kind spielerisch lernen, z.B. am Plotter einfach mal ein paar Wegpunkte einprogrammieren und dann dem nĂ€chsten erklĂ€ren, wie das geht. Den Wetterbericht am Navtex ablesen, die Genua ab- und die Fock wieder anschlagen, Leinen ĂŒber Klampen werfen â nicht weil es jetzt mal eben schnell klappen muss, sondern solange wie man SpaĂ an der Sache hat. Und, ganz wichtig, alles selber machen, nicht die Dinge aus der Hand genommen bekommen und zack-zack, ‚Haste gesehen?‘ Nein, natĂŒrlich nicht! Etwas, das ich wirklich hasse. Niemand kann auf diese Weise etwas lernen, auch die nicht, die da meinen, gerade etwas demonstriert zu haben. Leider bleibt diese Masche weit verbreitet, leider meist dann, wenn MĂ€nner Frauen etwas erklĂ€ren oder zumindest so tun also ob. Auf meinem Schreibtisch liegt dazu ein schönes Buch von Rebecca Solnit âMen explain things to meâ. Es beginnt mit einem GesprĂ€ch bei einer Party. ER: ‚Ah, Sie arbeiten zu Muybridge, da mĂŒssen Sie unbedingt noch dieses ganz neue wichtige Buch lesen….‘ ER erzĂ€hlt und erzĂ€hlt, ohne zu merken, dass ER mit der Autorin eben jenes Buches spricht, das ER ihr gerade zu lesen so ans Herz zu legen versucht. Zuhören ist in meiner Profession leider als Tugend nicht sehr verbreitet. Wer zuhört, gilt als schwach. Lieber halten sie endlose Monologe, auch wenn sie zur eigentlichen Frage lĂ€ngst nichts mehr zu sagen haben. Das gilt im Ăbrigen fĂŒr MĂ€nnlein und Weiblein gleichermaĂen. Viele kluge Menschen habe ich daran erkannt, dass sie ihrem GesprĂ€chspartner erst mal Zeit gaben, die eigenen Gedanken zu formulieren, bevor sie gemeinsam eine Antwort suchten.
Auf der âHamburg Expressâ war das kein Problem. Wir haben zusammen gelernt, zusammen auf die PrĂŒfung hin gefiebert und zusammen aufgeatmet, als diese endlich vorĂŒber war…
Das einzige, das spieltechnisch viel zu kurz kam in dieser Woche, waren die beiden Gitarren, die Folker und Alex mit an Bord gebracht hatten. Nur am letzten Abend fand sich die Gelegenheit fĂŒr eine Kostprobe, die es dann umso bedauerlicher erscheinen lieĂ, dass wir vorher keine Zeit dafĂŒr gefunden hatten.
Zu den wiederkehrenden Missgeschicken dieser Woche zĂ€hlten natĂŒrlich die vielen schön gefahrenen Patenthalsen, fĂŒr die wir an manchem Tage glatt einen Wettbewerb ausriefen. GlĂŒcklicherweise reduzierte sich ihre Anzahl mit dem NĂ€herrĂŒcken des PrĂŒfungstermins, und niemand von uns sollte schlussendlich an ihnen scheitern.
Weniger offensichtlich fatal, dafĂŒr mit sehr viel mehr Stress verbunden war dagegen die von Christian ersonnene Skipper-of-the-day-Navigationsaufgabe im TidengewĂ€sser der Elbe. Er machte sich einen SpaĂ daraus, uns immer wieder mit der Frage zu triezen, ob man nicht diesen oder jenen Minihafen ansteuern könne. Kommen wir da rein? Wie viel Tiefgang hatten wir noch mal? Herrje, und wie viel Wasser wĂŒrde da bei Niedrigwasser noch ĂŒbrig sein? Und…? Also reinfahren vielleicht, raus â auf keinen Fall! Einmal hieĂ er uns stoisch auf eine winzige Hafenzufahrt zuhalten, RudergĂ€nger und Skipper of the day trat dabei gleichermaĂen der SchweiĂ auf die Stirn. Können wir? Können wir nicht? Quasi in letzter Minute blies Christian das Manöver dann ab, eine Wende und alles entspannte sich wieder sichtlich.
Nichts gegen Alexs und Georgs Neugier, wie es wohl sein mochte, mit einem Schiff trockenzufallen. Mir kamen dazu wieder meine Dominosteinchen-Bilder in den Sinn, die ich mir schon in Spiekeroog ausgemalt hatte. Aber sechs Stunden irgendwo im Schlick zu stecken, hieĂ eben auch, sechs Stunden weniger Training und das wollten wir dann doch alle gerne vermeiden.
Wie viel Wert einige von uns tatsĂ€chlich auf das praktische Ăben legten, wurde besonders am letzten Tag vor der PrĂŒfung deutlich. WĂ€hrend ich schon lange mĂŒde und die ewigen Wiederholungen der immer gleichen Handgriffe auf dem Boot im Köhlfleet irgendwie auch leid war, wollten einige von uns gar nicht aufhören. ‚Noch einmal An-und Ablegen â nur noch einmal.‘ Als wĂ€re es eine besondere Köstlichkeit, von der man einfach nicht die Finger lassen konnte. Schon putzig, was PrĂŒfungsstress aus erwachsenen Menschen machen konnte. Und wie dankbar war ich, als wir es am nĂ€chsten Tag endlich alle hinter uns hatten.
Doch noch lagen alle Herausforderungen vor uns, so zum Beispiel die Frage, ob man eigentlich mit unserem Boot die Schwinge rauf bis Stade fahren könne, um dort eine Nacht festzumachen. Ja, im Prinzip… Auch diese Idee lieĂ Christian uns seelenruhig selbst entwickeln und dann, schon in der Umsetzung begriffen, auch eilig wieder verwerfen. Mehr als eine Schleuse lag fĂŒr uns auf diesem Weg, und es stellte sich erneut die Frage nach unserem Terminplan. Wann war die Schleuse besetzt? Wann war Hochwasser? Wann konnten wir also zurĂŒck in die Elbe? Nein, keine Chance, also umdrehen â aber erst einmal Können vor Lachen, wenn man auf einem FlĂŒsschen unterwegs ist, das so breit war wie unser Schiff lang. Drehen auf engem Raum bekam dort fĂŒr uns sofort eine ganz andere praktische Bedeutung.
Gab es ein GerĂ€usch? Ich kann mich gar nicht darauf besinnen, wenn es so gewesen sein sollte. NatĂŒrlich spielt mir meine Phantasie einen lauten knarzenden Ton vor, wenn ich an das Ereignis denke, aber â ehrlich gesagt â passierte es wohl ganz klammheimlich, ohne dass es von irgendeinem dramatischen GerĂ€usch begleitet gewesen wĂ€re. Wir saĂen fest! Aufgelaufen, festgefahren im Elbschlick an der Spitze von Rhinplatte. Nach einer etwas wirren Diskussion zwischen RudergĂ€nger und Skipper of the day ging es, statt zurĂŒck ins Elbfahrwasser, erst einmal einfach gar nicht weiter. Christian blieb, fĂŒr uns alle erstaunlich genug, völlig entspannt. So war er fĂŒr uns nicht nur Richtfeuer fĂŒr aufziehende Unwetter, sondern auch psychologisches Quermarkenfeuer dafĂŒr, wie tragisch (‚Sehr!‘ hĂ€tten wir ohne ihn einstimmig alle sofort versichert) unsere Lage wohl wirklich war. Unproblematisch unter den folgenden beiden Bedingungen war die Ansage: a) weicher Untergrund â Schlick war fĂŒr solche ZwischenfĂ€lle also super, b) auflaufendes Wasser â denn hey, jede Minute brachte mehr davon unter unseren Kiel zurĂŒck. So hieĂ die Devise also im Wesentlichen: abwarten. Aber vielleicht konnte man das Ganze ja doch kĂŒnstlich ein wenig beschleunigen? Nach dem ersten Schreck hing plötzlich der gröĂte Teil unserer Crew mitschiffs eingepickt an den Steuerbordwanten ĂŒber die Reling. Wenn es uns gelĂ€nge, den Schwerpunkt des Bootes ein wenig zu verlagern, den Kiel nur ein biĂchen schrĂ€ger zu stellen… Nur ein biĂchen… Nur etwas… Gute zehn Minuten hing unser menschlicher Ballast so ĂŒber dem Elbwasser rum. ‚Trimmschweine‘, wie Robert das mal so schön genannt hatte, dann war unser Boot endlich wieder frei, und es konnte weitergehen. Ein sehr eindrĂŒckliches Erlebnis â so mitten im Fluss festzustecken. Wohl keiner von uns hĂ€tte damit gerechnet, dass so etwas passieren könnte. Untiefen, Ebbe und Flut â ja, hatten wir alle von gehört, uns in der TheorieprĂŒfung auch schon damit herumgeschlagen â aber was das fĂŒr ein Boot bedeutete, bedeuten konnte, das haben wir wohl alle erst in diesen zehn Minuten erfasst, die â zumindest mir â wie eine gefĂŒhlte Ewigkeit vorkamen.
‚Das war Mist! Ein Riesenbockmist war das!‘ so ungefĂ€hr lautete meine frustrierte EinschĂ€tzung zu meinem ersten Boje-ĂŒber-Bord-Manöver unter Segeln. TrĂ€nen in den Augen. Das wĂŒrde ich nie schaffen. Sechs Tage, das war die Ansage. Am Sonntag wĂŒrde die PrĂŒfung stattfinden, die Anmeldung war lĂ€ngst abgeschickt. Kein Weg wĂŒrde daran vorbeifĂŒhren. ‚So ein Schei…!‘ Viel zu lange hatte alles gedauert. NatĂŒrlich war ich auch voll in die Halse reingedonnert. Ansagen â auch das noch â können die nicht selber gucken, was sie tun mĂŒssen?!? Nein, können sie natĂŒrlich nicht, wenn du am Ruder stehst. Klare Ansagen. Kommandos immer zuerst mit einem Namen beginnen. Ja, verflucht, aber ich muss doch selbst erst einmal klarkriegen, was ich selbst eigentlich tun muss…
Nein, sonderlich erfreulich war meine erste persönliche Bekanntschaft mit Henriette nicht. Wahrscheinlich habe wir sie alle an diesem Tag mehr als ein Dutzend Mal verflucht â unsere Henriette. GroĂ wie ein Mensch, knallorange Schwimmweste, schwarze Stiefel, 40 Kilo schwer â nur 40 Kilo, also eher ein Kind als ein Erwachsener. Roberts erster Dummy fĂŒrs Boje-ĂŒber-Bord-Manöver wog noch gute 90 Kilo und lag damit deutlich nĂ€her an der ĂŒblichen menschlichen Crew auf Booten wie unserem. 40 Kilo â hatte ich die ĂŒberhaupt mal gewogen?
Das schöne an der eigenen Wohnung ist ja, dass man selbst entscheiden kann, was zur notwendigen Einrichtung gehören soll und was nicht. Eine Waage habe ich folglich nie besessen. FĂŒr so viel Ungemach muss man nicht auch noch Geld ausgeben. Es reicht doch, wenn man beim HosengĂŒrtel immer dasselbe Loch treffen kann oder? Sehr gefallen haben mir dazu die AusfĂŒhrungen der Mitarbeiterin im Botanischen Garten in Hamburg, die uns im FrĂŒhjahr eine FĂŒhrung durch ihren Garten gab. ‚Ich habe ja eine Winter- und eine Sommerfigur.‘ Ja, genau â wer nicht? Unsere Henriette zum Beispiel, die konstant ihr Fliegengewicht behielt, das uns stöhnen lieĂ beim Versuch, sie wieder zurĂŒck an Deck zu hieven. Schon das Ăber-Bord-SchmeiĂen war gar nicht so ganz ohne, aber im Laufe der Woche perfektionierten wir die Methode gezielter FuĂtritte, um sie durch den schmalen Durchgang im Seezaun zu befördern. Zwischendurch durfte sie sich dann festgezurrt auf dem Mitteldeck ausruhen, nur des Nachts wurde es noch einmal etwas spooky mit ihr. Christian merkte irgendwann an, dass er sich irgendwie doch nicht so recht an das Schleifen toter Körper ĂŒber das Vordeck gewöhnen könne. Fred grinste dann wissend, zog er die Ărmste doch regelmĂ€Ăig als Schattenspender ĂŒber die Luke im Vorschiff.
Das Manöver, das Christian uns die Woche ĂŒber mit Henriettes Hilfe einstudieren lieĂ, war dagegen eine wahre Offenbarung. Hatten wir vor dem Törn noch gerĂ€tselt, wie man wohl ein Segelboot von 14 Tonnen punktgenau neben einer in den Wellen treibenden Boje mittels AufschieĂer zum Stehen bringen sollte. Wind, Strom, Ausgangsgeschwindigkeit, Gewicht des Bootes… Viel zu viele Ausgangsparameter fand Alexander. Wie hĂ€tte ich ihm da widersprechen können. Zwar fĂ€ngt meine Profession auch mit âPhâ an, endet aber eben nicht wie bei ihm mit âysikâ.
Statt dieses unĂŒbersichtlichen AufschieĂer-Klassikers der LehrbĂŒcher brachte Christian uns ein wesentlich eleganteres Manöver bei, welches auch noch den charmanten Vorteil hatte, dass es verschiedene Pflichtaufgaben der PrĂŒfung gleich mit abfrĂŒhstĂŒckte: beiliegen z.B. und damit fing auch alles an. Henriette â schon wieder im Wasser. ‚Alles klar zum Beiliegen!‘ Wenden, kurz zurĂŒckkommen, all die Dinge virtuell erledigen, die dann zu tun wĂ€ren. Ohne allen Schnickschnack auf den Punkt gebracht, wie es jene russlanddeutsche MĂ€del bei unserer SBF-PrĂŒfung in so unvergleichlicher Weise getan hatte: ‚Du Rettungsring! Du Ausguck!‘ ‚Aye, aye!‘ Wir perfektionierten die Ansagen im Laufe der Woche ebenso wie die Taktik, nicht gerade denjenigen, der eben noch am Niedergang stand, nach achtern zum Rettungskragen und den Kollegen am Rettungskragen runter zum Funken zu schicken. Na ja, jedenfalls versuchten wir, das irgendwie auch noch im Blick zu behalten… Dann also raumschots weg. Fock bergen, wenden und am Wind zurĂŒck. Durch Fieren und Dichtholen des GroĂ‘ lieĂ sich die Geschwindigkeit regulieren und dann â nur noch, haha â Henriette aus dem Bach ziehen. Wichtig, Fred mit dem Bootshaken nach vorne schicken, seine zwei Meter LebensgröĂe hielten wir schlussendlich alle fĂŒr den entscheidenden Faktor. Leider, leider hatte unsere Henriette genauso wenig wie ein echtes Crewmitglied den schönen Griff der Markierungsboje, an dem man diese so leicht bergen konnte â selbst dann noch, wenn schon Eis daran hĂ€ngen mochte wie bei unserer SBF-PrĂŒfung, die im Februar und damit in einem jahreszeitlich doch etwas spannenden Monat fĂŒr diese Art von BetĂ€tigung auf dem Wasser angesiedelt gewesen war. Leider haben Menschen aber keine Griffe und folglich auch unsere Henriette nicht, nur eine Bergeschlaufe an der Rettungsweste. Mir wird immer noch anders, wenn ich daran denke, ich mĂŒsste einen echten Menschen mit diesem Ding, das sich so euphemistisch als âRettungshakenâ bezeichnen lieĂ und doch von einem Fleischerhaken nicht zu unterscheiden war, zu fassen kriegen. Und selbst, wenn man diese GeschicklichkeitsĂŒbung heil ĂŒberstanden hatte, hing das dumme Ding â Verzeihung, Henriette! – immer noch gut einen halben Meter unter mir im Wasser. Auf dem Bauch liegend, um ĂŒberhaupt so weit runter reichen zu können, war an ein Hochziehen nicht zu denken. Was also dann? Variante 1: der GroĂbaum â wieder so eine Lehrbuchnummer. Ja, wenn man diesen verdammten SchĂ€kel dann auch irgendwie auf und wieder zu bekommen könnte. Keine Chance, keine MĂ€dchenmethode. Also Variante 2: das Gennaker-Fall. Yes! Lasst uns unbenutzte Fallen an Segelbooten anbringen, mehr MĂ€nner werden es ĂŒberleben, versprochen!
Einmal geriet uns eines unserer Manöver zu dicht ans Fahrwasser. Keine Gefahr, aber Henriette sah im Wasser schon verdammt realistisch aus. Prompt traf ein Funkspruch bei uns ein, ob Hilfe nötig wÀre. Sah man Henriette so neben den riesigen Pötten in der Elbe treiben, konnte man schon Sorge bekommen. Gut zu wissen, dass so viele Leute, ihre Augen offen hielten, auch wenn sie in diesem Fall nur einen Dummy schwimmen sahen. Der wesentliche Trick, den wir alle in dieser Woche verinnerlichten, war, gar nicht erst ins Wasser zu fallen!
Als vollwertiges Crewmitglied erhielt Henriette dann irgendwann auch ihr Anlegerbier. Wer es ihr gab, weiĂ ich nicht. Trotzdem, sehr auf Dein Wohl, Henriette, wir haben viel durch Dich gelernt. Sei nicht bös‘, dass wir Dich so oft getreten haben.
Herzlich lachen musste ich, als ich nach unserem Törn die Fotos anschaute, welche die anderen geschickt hatten. Neben vielen wunderbaren Erinnerungen zeigte eines auch insbesondere â nichts. Noch nie war mir ein Foto untergekommen, das den Nebel ĂŒber dem Fluss so schön erscheinen lieĂ wie dieses. Nicht als illuminiertes Wolkenband ĂŒber dem Wasser wie sonst so oft, sondern direkt aus dessen Mitte heraus: ein graues Nichts in alle Richtungen. Folker hatte fĂŒr uns den Nebel fotografiert, in dessen Essenz sozusagen, als Unmöglichmachung der Sicht, als graues Tropfenband, das sich ĂŒber alles und jeden legte, uns die Sinne raubte, wie ein Wattebausch die Ohren zu verstopfen pflegte.
Nur zu gut konnte ich mich an den zugehörigen Morgen erinnern. Abends hatten wir noch bei einem herrlich klaren Sonnenuntergang bei Pagensand geankert. Die Elbinsel empfing uns mit ihrer ganzen unverkennbaren Schönheit im Abendrot und schickte vorsichtig einen Seeadler als SpĂ€her in unsere Richtung aus. Beruhigt feststellend, dass wir mit unserem Boot dort bleiben wĂŒrden, wo wir unseren Anker in den Elbschlick hatten fallen lassen, zog er mit seinen mĂ€chtigen Schwingen ein paar Kreise und war schon wieder verschwunden, bevor wir unser GlĂŒck, ihn ĂŒberhaupt entdeckt zu haben, fassen konnten.
Sternenklar wurde es in dieser Nacht, und das Ankerbier im Cockpit lieĂ uns schon ein wenig frösteln. Keiner von uns erwartet fĂŒr den nĂ€chsten Tag dieses wattierte Nichts, das uns dann am Morgen empfing. In alle Richtung nichts â nicht einmal die Insel war mehr zu sehen, die doch in nur kurzer Entfernung zu uns lag. Und auch das Zollboot, das unser AIS als weiteren Ankerlieger dieser Nacht dort auswies, löste sich erst viele Stunden spĂ€ter mit der krĂ€ftiger werdenden Sonne aus seinem Wattebett.
Sicher, Nebel war nicht gerade eine Seltenheit auf diesem Fluss. Oft zog er in die Stadt hinein und erst als ich mehrere Jahre an Orten gelebt hatte, die keinen Wasserlauf ihr eigenen nennen konnten, stellte ich fest, dass man dieses NaturphĂ€nomen tatsĂ€chlich auch vermissen konnte. In dieser Hinsicht unvergesslich auch eine meiner ersten Autofahrten in Dithmarschen: der Nebel lag dort so dicht ĂŒber der StraĂe, dass man sich mehr vortastete als fuhr. Zu FuĂ wĂ€re ich damals wahrscheinlich schneller gewesen. Mindestens ebenso wie den Nebel wĂŒrde ich spĂ€ter auch den Wind vermissen. In meiner Kindheit heulte er oft um und an einigen Stellen leider auch durch unser Haus. SpĂ€ter, als er dann an anderen Orten fern der KĂŒste völlig ausblieb, war es mir manchmal, als hĂ€tten sie mir die Luft zum Atmen genommen…
Wetter war ein wichtiges Thema fĂŒr uns auf diesem Ausbildungstörn. Artig prĂŒften wir den Himmel ĂŒber uns und riefen die Wolken bei ihren Namen. Nach und nach ordnete sich das ĂŒberirdische Geschehen fĂŒr uns in diesen Tagen wie ein zuvor unbekanntes Experiment auf einem Labortisch und wurde lesbar â Ă€hnlich wie die Analyse- und Prognosekarten, die wir morgens zum FrĂŒhstĂŒck studierten.
Der Logbuch-Eintrag fĂŒr die Stunden, in denen wir den Volvo-Motor der âHamburg Expressâ in allen Einzelheiten unter die Lupe nahmen, lautete âBadespaĂâ. Unser Skipper of the day war da wohl etwas zu optimistisch gewesen. Ja, die Jungs testen auch an diesem Tag den Fluss am neuen Ankerplatz auf seine BadequalitĂ€ten hin â und, hey, wie oft kam es schon vor, dass die Elbe Mittelmeertemperaturen aufwies?! Dennoch erschienen sie alle bald artig unterdecks zur nĂ€chsten Lerneinheit. Ich war erstaunt, sie alle plötzlich bei uns im Salon auftauchen zu sehen, hatten wir zwecks Motorenkunde doch schon vor einer Weile den Niedergang hochgeklappt und damit den Weg vom Cockpit aus versperrt. Durch die Bugluke waren sie alle hereingekrabbelt, der SKS-Törn hielt uns also in jederlei Hinsicht fit. Nun ging es aber erst einmal um die Beweglichkeit unseres Denkvermögens, mit welchem wir den Windungen des Volvos zu folgen versuchten.
Rafael war ganz begeistert davon. Von Berufswegen quasi mit diesen Dingen â wenn auch nicht gerade mit Bootsmotoren, wie er beteuerte â vertraut, inspizierte und erklĂ€rte er uns die Bestandteile und das Zusammenwirken von dem, was sich uns ĂŒbrigen im Wesentlichen als grĂŒner Monolith prĂ€sentierte. Sieben Leute hockten schlussendlich auf dem Boden vor der Maschine und suchten die Teile, die Rafael aufzĂ€hlte. ‚Ah, weiche Rohre, da muss Wasser durchflieĂen. Ja, hier und hier. Da zum WĂ€rmetauscher, dort die Impellerpumpe.‘ Christian hielt uns wohlweislich das passende Ersatzteil vor die Nasen, das namentlich immerhin sogar mir schon aus den TheorieprĂŒfungsfragen bekannt war. Andere Leute machen Urlaub…
‚Feste Rohre, das muss der Dieselzulauf sein.‘ Rafaels Begeisterung fĂŒr die Materie war direkt ansteckend. Schlussendlich machten wir alle Fotos von dem grĂŒnen Ding, als wĂ€re es eine neue Touristenattraktion auf unserem Törn. Flugs waren auch die Seitenverkleidungen in den beiden Achterkabinen entfernt und schon bot sich uns unser Volvo manierlich von allen Seiten dar.
Im Nachhinein erinnerte mich unser Treiben ein wenig an die Physikstunden in der Mittelstufe. Unser Lehrer, den wir alle respektvoll âTĂŒddelâ nannten, hatte einen Faible fĂŒr Versuchsaufbauten. RegelmĂ€Ăig erkor er jemanden aus unseren Reihen, der dann ratlos am groĂen Experimentiertisch vor dem Rest der Klasse stand und irgendwelche ominösen Schaltkreise zusammenbauen sollte. Jetzt hingegen experimentierten wir wissbegierig sozusagen am lebenden Objekt, suchten Seeventile, Einspritzpumpe, Filter…
Wenig spĂ€ter an diesem Tag waren wir alle dann heilfroh, dass im Gegensatz zu vielen ManöverĂŒbungen der vergangenen Tage unser Skipper beschloss, dass eben jener Motor ganz einwandfrei funktionierte. Als wir nach unserer Technik-Bastelstunde wieder an Deck kamen, stellten wir fest, dass sich am Horizont eine beachtliche Wolkenfront aufgebaut hatte, die es ganz eindeutig in unsere Richtung zog. Sehr untypisch fĂŒr Christian blieben die Segel unten, und wir motorten, so schnell es ging, zurĂŒck nach GlĂŒckstadt. Auf diesem StĂŒck lernten wir auch unsere wohl wichtigste Lektion in der Wetterkunde: ‚Merke: Ziehe Ălzeug an, wenn der Skipper mit selbigem im Cockpit auftaucht!
Morgens in Wedel hieĂ es dann erst einmal, Platz machen. Dienstagvormittag hatten wir eigentlich nicht damit gerechnet, dass noch jemand unterwegs sein könnte â noch weniger damit, dass ausgerechnet die Eigner unseres Anlegeplatzes heimkehren wĂŒrden. Noch vor dem FrĂŒhstĂŒck mussten wir so also die Leinen losschmeiĂen und einen anderen Platz suchen. Nicht verkehrt, wĂŒrde es doch genau das sein, was wir in den folgenden Stunden zur Freude der in Wedel versammelten Seniorenschaft ĂŒben wollten: an- und ablegen, drehen auf engem Raum, Leinen schmeiĂen. â Nein, nicht helfen, die mĂŒssen ĂŒben â und der nĂ€chste bitte.
Mit geradezu stoischer Ruhe ertrug die Dame auf dem Motorboot neben unserer Ăbungsklampe die Fahrschule jenseits ihrer Buchseiten. Der Ă€ltere Herr drei Boote weiter hatte da schon lĂ€ngst die Zeitung gegen den Kinosessel im Cockpit getauscht.
Als die Tide uns schlieĂlich einen gröĂeren Aktionsradius zugestand, war es bereits mittags. Wir verlieĂen mit ablaufendem Wasser den Hafen und segelten mit dem Strom flussabwĂ€rts. Sonne satt, aber immer noch kein Wind. DafĂŒr und trotz des beschaulichen Wetters purer Stress fĂŒr unseren âSkipper of the dayâ, den Christian nicht zu ermuntern aufhörte, doch mal zu prĂŒfen, ob man nicht doch dieses oder jenes Schlickloch â von den Einheimischen liebevoll als âHafenâ tituliert â anlaufen könne, schlieĂlich wollten wir doch Anlegemanöver an verschiedenen Orten trainieren. Unbeirrt lieĂ er uns auf engste Hafeneinfahrten zuhalten, um endlich doch dem immer hektischer werdenden Skipper zuzustimmen, dass es wohl keine so grandiose Idee sei, sich dort in den Matsch zu setzen. Auch Nerven können Muskeln sein, die es zu trainieren gilt â heiĂt es nicht auch âWillens-STĂRKEâ?
Am zweiten Abend ankerten wir vor Pagensand. Ein Seeadler begrĂŒĂte uns dort bei unserer Ankunft. Seine krĂ€ftigen Schwingen trugen ihn mĂŒhelos in die NĂ€he unseres Bootes, das er sich interessiert anzuschauen schien, bevor er uns mit unserem StĂŒckchen Fluss und unserem Anker-Spiel wieder alleine lieĂ. Obschon September, war es an diesem SpĂ€tsommertag noch so warm, dass allgemein der Wunsch nach einer AbkĂŒhlung im Wasser aufkam. Gute 23 Grad Wassertemperatur â Badewannenwetter in der Elbe. Christian hatte nichts gegen das Ansinnen der Jungs auf ein Bad im Fluss einzuwenden, ermahnte uns aber, zuerst eine Schwimmleine zu knoten. Also schnell noch ein paar Fender an eine der Festmacherleinen geknotet und ab damit, achteraus ins Wasser. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, diese Aktion diene lediglich fĂŒr uns als Ăbung der verschiedenen Knoten in der praktischen Anwendung. FleiĂig wĂŒrden wir dies in der folgenden Woche auch praktizieren. Waren ja auch praktisch diese Knoten. Wer hĂ€tte gedacht, dass man eine aufgeschossene Leine einfach am Backstag zum Trocknen festknoten konnte? Beeindruckt waren wir auch vom geworfenen Webleinstek und trainierten gerne Christians Methode, den Palstek so vorzubereiten, dass man ihn auch problemlos ĂŒber Kopf am GroĂbaum nutzen konnte oder wo auch immer sonst der Knoten gerade gebraucht und normalerweise nur schwer hingepfriemelt werden konnte. Den doppelten Achtknoten probierten wir wieder und wieder â doch an diesem Tag hinter Pagensand ging es tatsĂ€chlich in keiner Hinsicht um unsere Knoten-Kenntnisse. Das wurde klar, als die ersten vom Heck ins Wasser sprangen und beim Wiederauftauchen mit MĂŒh‘ und Not gerade noch ebenso den letzten der Fender an unserer Schwimmleine erwischten. Die Strömung des Flusses war unglaublich! Obwohl die Jungs nur wenige Meter achteraus schwammen, sah es so aus, als fĂŒhren wir ihnen mit hoher Geschwindigkeit davon. Man musste direkt aufblicken zur Insel neben uns, um sich zu versichern, dass wir in der Tat fest vor Anker lagen, und das Boot sich keineswegs von seiner Position entfernt hatte. SpĂ€testens jetzt waren alle froh, die Schwimmleine im Wasser zu haben, die wir vorher alle mehr oder weniger als Spielerei abgetan hatten.
SpĂ€ter stand dann noch Wetterkunde auf dem Ăbungsplan. Auswertung einer Analysekarte. Schon cool, wenn man solche Karten allmĂ€hlich auch zu lesen lernt wie anfĂ€nglich die Seekarten zur Navigation. Und doppelt schade, dass sie zwischenzeitlich so gĂ€nzlich aus den Abendnachrichten verschwunden sind. Was bliebe ĂŒbrig, wenn wir alles aussonderten, was die Leute angeblich nicht mehr interessiert? Wohl nicht sonderlich viel…
Noch etwas spĂ€ter konnten wir ĂŒber Pagensand dann einen herrlich klaren Sternenhimmel bewundern. Im SĂŒden leuchtete groĂ und rot der Mars. Er tanzte lustig durch mein Fernglas, mit dem ich ihm nĂ€herzutreten gedachte.
Der letzte Tag brach so vielversprechend an, wie der letzte geendet hatte. Die Sonne schob sich ĂŒber den Horizont und wir uns zurĂŒck ins Elbfahrwasser. Immer noch wehte uns der Wind mit mĂ€Ăiger Kraft aus Ost entgegen, immer noch hieĂ es also kreuzen. Von Buhne zu Buhne, das Lot fest im Blick ging es stromaufwĂ€rts. Wir wechselten uns am Ruder ab, und man stellte allgemein erleichtert fest, dass die AusreiĂer am Schiff lagen und nicht am RudergĂ€nger. Es fuhr auf dem Steuerbordbug einfach weniger ruhig, als auf dem Backbordbug. Gewitzelt wurde natĂŒrlich trotzdem ĂŒber die gefahrenen Schlangenlinien. Na ja, vielleicht hatten sie auch einfach recht. Etwas zu viel Steuer gegeben und schon schlingerten wir, abfangen und Wende und ganz easy auf Backbord zur anderen Seite und Wende und im selben Slalomlauf zurĂŒck. Aber war das hier nicht auch ein Ausbildungstörn? Sylke zeigte uns spĂ€ter, wie es richtig geht, als sie in kleinen und kleinsten SchlĂ€gen zwischen dicken Pötten und dem MĂŒhlenberger Loch mit uns kreuzte. Schon klar, warum Christian sie fĂŒr die Regatta ans Ruder gestellt hatte.
Ich wurde derweilen ganz wehmĂŒtig, blickte zurĂŒck auf den Fluss und die vergangenen herrlichen Tage. Nun, da der Strom langsam an Breite verlor, wurde auch das Leben fĂŒr uns wieder stromlinienförmiger. Noch einmal ausschlafen, dann wieder BĂŒro, wieder Alltag wie immer. Wieder ein Montag bis Freitag, ein Wochentags- und Wochenendsleben mit Regeln und mehr oder weniger klaren Zielen, die das Denken bestimmen und beschrĂ€nken. BĂŒromenschendasein, wenn alles in einem nach dem Da-DrauĂen schreit, und man es doch nur hinter der Glasscheibe des eigenen Daseins erleben konnte. Wie schön war es dagegen auf diesem Schiff! VerhieĂ es uns doch, mit uns zu ganz neuen Welten zu segeln â auch wenn diese letztlich klein und beschaulich mitten im Schlick lagen. Aber immerhin, hatten wir nicht alle noch ein bisschen Sand in den Schuhen von Spiekeroog?
Der nĂ€chste Morgen begann viel zu frĂŒh, schon um halbfĂŒnf wurde durchs Schiff geklappert. DrauĂen stritten sich die SpĂ€theimgekehrten immer noch in weinseliger Stimmung auf dem Steg. Doch was zu anderer Zeit sicher eine interessante Charakterstudie gewesen wĂ€re, ging im eigenen Tran der ĂbernĂ€chtigung unter. Auch galt es, den sexistischen und frauenfeindlichen Plan umzusetzen, den ich am Abend zuvor ausgeheckt hatte. Die MĂ€nner machten das Boot klar zum Ablegen und motorten uns aus dem Hafen, wĂ€hrend Sylke und ich unterdecks, noch ein wenig die Ruhe der vergangen Nacht genieĂend, am Salontisch Klappbrote fĂŒr den geplanten langen Schlag des Tages schmierten. Kurz nachdem wir die westliche SĂŒdspitze der Insel passiert hatten, waren wir damit fertig. Als wir nun mit kleinen Augen und HĂ€nden voll FrĂŒhstĂŒcksbroten im Cockpit auftauchten, verschlug uns der Anblick, der sich uns nun bot, glatt die Sprache. Glutrot ging die Sonne gerade ĂŒber den Insel auf. Als dann auch noch ein heimkehrendes Fischerboot mit anhĂ€ngendem Möwenschwarm in dieses Panorama hineinschipperte, war das Postkartenmotiv schon beinahe zu schön, um wahr zu sein. TschĂŒĂ, Spiekeroog â kleine Insel, groĂe Liebe, bis zum nĂ€chsten Mal!
Dann ging es wieder hinaus aufs Meer. Hatte es uns vor noch nicht ganz drei Tagen ordentlich durchgeschĂŒttelt und mit grauen Wellenungeheuern genarrt, zeigte es sich uns heute von seiner wunderbarsten Seite: Sonnenschein, Wind aus Ost drei bis vier und eine fantastische Fernsicht â so schön kann Segeln sein.
Martin steuerte uns sicher durch die Zufahrt zu Weser und Jade â Fahrwasser, die auf unserer Ăbungskarte vorgestellt zu den belebtesten Ecken der Deutschen Bucht zĂ€hlen mussten â doch auch auf der RĂŒckfahrt begegnete uns hier kein einziges Schiff. Auf Verkehr in diesem Sinne sollten wir erst wieder in der Zufahrt zur Elbe treffen, so kann man sich tĂ€uschen. Allerdings hatten wir das Meer mitnichten ganz fĂŒr uns alleine. Auf der Reede der Neuen Weser lagen jede Menge dĂŒmpelnde Pötte. Wir schlĂ€ngelten uns hindurch. Wie öde musste dort der Alltag fĂŒr die Matrosen an Bord sein. Kein Landgang, keine Abwechslung, kein Austausch mit anderen Menschen. Manche Schiffe sahen aus, als wĂ€ren sie dort bereits zum endgĂŒltigen Verrosten vor Anker gegangen. Robert hatte mal erzĂ€hlt, dass man die Lage unserer Wirtschaft am sichersten an der Anzahl der Schiffe auf den Hochseereeden ablesen könne: je mehr von ihnen dort drauĂen vor Anker lagen, desto schlechter liefen die GeschĂ€fte. Im Hafen zu liegen wĂ€re viel zu teuer. Wenn sie also von keinen AuftrĂ€gen, von keinen Warenströmen kreuz und quer ĂŒber die Weltmeere getrieben wurden, ankerten sie da drauĂen, wo nur selten jemand AuĂenstehendes sie zu Gesicht bekam. Einer der KĂ€hne lieĂ die ganze Zeit ĂŒber den Schiffsdiesel laufen. Eine groĂe, gelbe Wolke lag ĂŒber dem Schiff. Es stank nach verbranntem Schweröl â auch so ein Thema, gerade fĂŒr uns Hamburger und unseren Hafen. Nur gut, dass unsere âHelgoland Expressâ mit dem besten aller Kraftstoffe lief â mit frischem Nordseewind, der uns sicher aus diesem Industriefriedhof wieder hinaus wehte.
Wir wechselten uns am Ruder ab und was nun in Sicht kam, gefiel mir deutlich besser. Hatten wir bei unserem ersten Törn im letzten Jahr Helgoland beinahe verpasst, weil die Insel bis zum letzten Augenblick im dicken Hochnebel steckte, zeigte sie sich wie zur Entschuldigung bei diesem Mal grazil von ihrer besten Seite. Erst konnten wir gar nicht glauben, was wir da vor Augen hatten, dass das dort am Horizont tatsĂ€chlich eben jene rote Felseninsel war, doch kamen wir ihr bestĂ€ndig nĂ€her und schlieĂlich war kein Zweifel mehr möglich: An Backbord voraus lag Helgoland. Dort war die Lange Anna, da hinten Helgolands Leuchtturm, sogar ein StĂŒck von der DĂŒne und dem dortigen rot-weiĂ-gestreiften Leuchtfeuer konnten wir erkennen. Was fĂŒr ein Anblick! In Aachen hatte eine Zeitlang eine Familie mit fĂŒnf sehr kleinen Kindern bei uns im Haus gewohnt. Klingelte man an ihrer TĂŒr und öffneten ihre Eltern, quoll alsbald eine ganze Schar von ihnen â neugierig auf die Welt jenseits der elterlichen Wohnung â in den Flur hinaus. Ebenso entlieĂ an diesem Tag Helgoland Segelboot um Segelboot aus seinem Hafen, den diese nach dem Ende der dortigen Nordseewochen nun wieder gen Heimat verlieĂen. Kleine, weiĂe Segel tanzten uns lustig entgegen, doch keines von ihnen wĂŒrde unseren Kurs tatsĂ€chlich kreuzen, waren sie doch so viel spĂ€ter erst aufgebrochen.
Christian wĂŒrde spĂ€ter sagen, dass wir Helgoland an diesem Tag bis auf acht Seemeilen nahe gekommen waren. Kein Wunder, dass uns allen dieselbe Idee durch den Kopf schwirrte. Könnte man diese Segelreise nicht einfach um ein, zwei Tage auf diesem Eiland im Meer verlĂ€ngern? Könnte man nicht? Man könnte doch vielleicht?
Hatte uns unser erster Schlag dieser Kreuz also weit nach Norden gefĂŒhrt, sollte die Wende kurz hinter Helgoland uns nun direkt in die Ansteuerung auf die Elbzufahrt bringen. Die Wende lief gut, aber schon kurze Zeit spĂ€ter triezte Christian mich, ich solle mich nun endlich entscheiden: Elbe oder Weser. Und in der Tat eierte ich schon eine gewisse Zeitlang mit unserem Boot so vor mich hin. Ich hatte den Wind verloren! Eine Sache, die uns sehr bewusst wurde auf diesem Törn, war der Unterschied, der zwischen, etwas theoretisch verstanden zu haben und es praktisch umsetzen zu können, bestand. Sicher hatte auch ich mittlerweile kapiert, was die berĂŒchtigte Windkante denn wohl sein sollte, an der wir segeln wollten. Aber was brachte einem das, wenn der eben noch so lustig pustende Wind plötzlich weg war oder doch mehr von querab kam als eben noch? Anluven, abfallen, anluven â hundert Mal und mehr spielten wir dieses Spiel mit dem Nordseewind an diesem Tag. WindfĂ€den, Verklicker, Kompass, das Vorliek des Vorsegels â alles gab Hinweise, alles sollte man beachten. Irgendwann war die Konzentration dann futsch, und ich dankbar fĂŒr eine Ablösung.
Cuxhaven lieĂ sich dieses Mal bei Tageslicht schon vom Meer aus begutachten. In Sicht kam auch der Campingplatz auf der Betonplatte, ĂŒber den wir unlĂ€ngst eine Dokumentation im Fernsehen gesehen hatten. Ich bedauerte die Leute dort. Sicher, war der Blick auf die Schiffe schön und interessant. Doch um wie vieles besser war es, sich auf einem solchen zu befinden und diese Tristesse weit hinter sich zurĂŒcklassen zu können?!
Unter Vollzeug rauschten wir schlieĂlich in den Amerikahafen. Christian wollte dort noch schnell unsere WasservorrĂ€te nachfĂŒllen, bevor es noch ein StĂŒckchen weiter elbaufwĂ€rts gehen sollte. Was man nicht alles tat der Tide und des richtigen Windes wegen. Also schnell die Leinen los und weiter.
Eine ganze Reihe Segelboote genoss so wie wir die guten Bedingungen an diesem Abend. Mit vier Beaufort griff der Wind in unsere Genua und trieb uns flott voran. Immer wieder mal mussten wir dem einen oder anderen etwas ausguckschwachen Mitsegler und motorisierenden KapitĂ€n ausweichen. Manche schienen es da ganz wie die Autofahrer zu halten: Vorne ist da, wo ich bin, und wo ich bin, herrscht Vorfahrt. Nun jaâŠ
Unsere Route fĂŒhrte uns an diesem Tag noch bis nach Rhinplatte bei GlĂŒckstadt, wo wir ankern wollten. Knapp hundert Seemeilen hatten wir bis dahin achteraus gelassen, unser bis dahin lĂ€ngster Schlag.
Rhinplatte erreichten wir bei Sonnenuntergang. Dasselbe goldene Licht, das uns am Morgen auf Spiekeroog verabschiedet hatte, nahm uns hier nun wieder in Empfang. Neben uns ankerte noch ein Plattbodenschiff, was in ErgĂ€nzung zum Sonnenuntergang, dem Naturschutzgebiet vor und hinter uns sowie unter gewissenhaftem Ignorieren des AKWs im Norden erneut ein herrliches Postkartenmotiv ergab. Aufmerksam verfolgte ich dieses Mal das Ankermanöver, wĂ€hrend unterdecks bereits die andere HĂ€lfte der Crew mit den Vorbereitungen fĂŒrs Abendessen befasst war. Der Kuckuck rief ĂŒber das Wasser, ansonsten war es still.
Nach dem Essen schauten wir an Deck noch einmal nach dem Rechten und nach den Sternen darĂŒber. Zu hell war es hier, als dass man die MilchstraĂe hĂ€tte sehen können, trotzdem war das Meer der fernen Lichter beeindruckend schön. Jedes einzelne von ihnen eine ferne Sonne mit eigenen Welten. Astronomie war ein Fachgebiet, bei welchem man noch zu Lebzeiten quasi echte QuantensprĂŒnge in den Erkenntnissen miterleben konnte. Als Teenager hatte ich angefangen, mich fĂŒr dieses ferne Lichtermeer zu interessieren â sicherlich auch motiviert durch das Dachfenster meines Kinderzimmers. Damals wusste man nicht, was Quasare sind und hatte mitnichten Belege fĂŒr ferne Planetensysteme gefĂŒhrt. Man hatte sich noch in der Ignoranz der einzig belegten Existenz sonnen können. All das war nun mittlerweile erforscht worden ebenso wie die Landung einer Raumsonde auf dem Nukleus eines Kometen, die im nahen Vorbei- bzw. im Anflug aufgenommenen Bilder von Jupiter und spĂ€ter von Pluto, den Verlust desselbigen als Planeten bedingt durch die Erkenntnis, dass noch so viele andere Objekte seiner GröĂe im anschlieĂenden KuipergĂŒrtel um die Erde ihre Bahnen zogen und so vieles mehr. Alles in diesen wenigen Jahren â wie viel mochte noch vor uns liegen, das wir noch lange nicht erforscht, geschweige denn begriffen hatten?
Ein letzter Blick, dann hieĂ es ab in die Kojen, denn hier unten beherrschte weiterhin die profane Tide unseren Lebensrhythmus.
Der Tag der Regatta begann mit spiegelnden GoldflĂŒssen, welche die Morgensonne, vom Meerwasser reflektiert, durch die Achterluke in unsere KajĂŒte sandte. Ich blinzelte ein-, zweimal in diesen vielversprechenden Morgen und schlief dann noch herrliche drei Stunden weiter. Das FrĂŒhstĂŒck nahmen wir dann bei eben dieser FrĂŒhsommersonne im Cockpit zu uns wie fast alle anderen Crews im Hafen auch. LĂ€rm kam allein von den SchwĂ€rmen von Austernfischern und anderen Limikolen, die sich mit schrillen Rufen ĂŒber die QualitĂ€t der frĂŒhen WattwĂŒrmer zu streiten schienen, nach denen sie eifrig stocherten.
Der offizielle Teil der Regatta begann dann zur Mittagszeit mit der Steuermann-Besprechung am Spiekerooger Segelclub. Dutzende von Crews hatten sich hier eingefunden, um Strecken- und StartmodalitĂ€ten in Erfahrung zu bringen. Wir zĂ€hlten zur vierten von insgesamt fĂŒnf Startgruppen. Ein blaues Band am Achterstag wĂŒrde unsere Gruppe kenntlich machen. Rund 75 Boote wĂŒrden an diesem Tag an der 61. Seestern-GedĂ€chtnis-Regatta teilnehmen. SorgfĂ€ltig prĂ€gten wir uns die Regattastrecke ein und zĂ€hlten uns wechselseitig immer wieder die Namen der Konkurrenz aus unserer Klasse auf. Jeder von uns konnte spĂ€ter ganz genau sagen, welche Boote es galt, achteraus zu lassen. Mittlerweile hatte auch mich das Wettkampffieber gepackt, auch wenn ich sonst wenig von solchen Sportereignissen halte. In dieser Hinsicht, ich gebe es zu, nagt immer noch das Trauma des Schulsports an mir. Wenn man zu denjenigen gehört hatte, die der Lehrer beim WĂ€hlen der Mannschaften schlussendlich zuteilen musste, ist die spĂ€tere Begeisterung fĂŒr WettkĂ€mpfe welcher Art auch immer sehr, sehr ĂŒbersichtlich.
Unser Startfenster war 13.50 Uhr. Christian bestimmte einen Zeitbeauftragten, und die Stoppuhr wurde gespitzt. SchlieĂlich liefen wir zusammen mit all den anderen Booten aus. Das Fahrwasser vor Spiekeroog fĂŒllte sich mit mehr und mehr bunten Segeln. Eine Weile lang galt es fĂŒr uns noch hin und her zu kreuzen, die Uhr fest im Blick, dann kam unser Startsignal. Als der Blitzknall sein Rauchwölkchen an den Himmel zeichnete, waren wir mehr als bereit, und ein Pulk von Booten schoss zeitgleich zur Startlinie â und eines von Steuerbord her quer in die gesamte Gruppe hinein. Ein groĂer Tumult brach aus ob dieser rowdiehaften Wildsegelei. GebrĂŒll, hektische Wenden, noch mehr GebrĂŒll. Ich verlor den Ăberblick in all dem Chaos. Jemand hĂ€tte das Startschiff gerammt, hieĂ es. Ich verdrehte mir den Hals danach, konnte aber nichts erkennen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass wir mittlerweile und trotz allem lĂ€ngst auf der Wettkampfstrecke unterwegs waren. Christian, wie immer einen kĂŒhlen Kopf bewahrend, hatte uns sicher ins Rennen geschickt, und unsere erste Regatta konnte beginnen.
âMeine erste Regattaâ, beim Abendessen in Aachen, als ich mir die Sache das erste Mal richtig durch den Kopf gehen lieĂ, klang das noch verdĂ€chtig nach, âmein kleines Ponyâ. Sicher, bereits zu diesem frĂŒhen Zeitpunkt war mir klar, dass das sicher alles andere als ein rosaroter KleinmĂ€dchentraum werden wĂŒrde. Und ein wenig hatte ich unseren Skipper schon im Vorwege bedauert, war ich mir doch sicher, dass eine gute Platzierung, auf die er bestimmt spekulierte, mit uns als Mannschaft â nun, sagen wir es nett â herausfordernd werden wĂŒrde. Und nun waren wir schon mittendrin.
Am Vormittag hatten die Nachbarcrews alles Mögliche von ihren Booten auf den Steg geschafft, um das Gewicht ihrer Schiffe fĂŒr die Regatta zu optimieren. Diverse BierkĂ€sten und Spirituosenflaschen vom Vorabend tauchten dort auf, und wir witzelten spĂ€ter darĂŒber, ob wir nicht doch besser noch den Anker von unserem segelnden Wohnwagen abmontieren und zu PĂŒtt un Pann auf den Steg legen sollten. Doch war unsere âHelgoland Expressâ gar nicht auf solcherlei Spielereien angewiesen. ZuverlĂ€ssig und gewandt segelte sie nun mit uns von Wendeboje zu Wendeboje, sich gut im Feld der Kontrahenten machend.
Spiekeroog, Regatta 2018
Die Crew hielt derweil die Augen offen nach der âGrauen Mausâ und dem âButtpedderâ â der Konkurrenz aus unserer Klasse. Beide erspĂ€hten wir schon nach der ersten Wende weit abgeschlagen achteraus. Juhu, wir lagen vorn! Meine Aufmerksamkeit wurde zunehmend vom bunten Treiben um uns herum in Beschlag genommen. Immer wieder schossen kleinere Boote quer, und Christian nutzte gleich zweimal den Luxus einer Fahrtenyacht â das Schiffshorn â um die Crews entsprechend wildsegelnder Boote an ihre Ausweichpflicht zu erinnern. Die einen merkten es schnell, als sie aufgeschreckt unter ihrem Segel hervorlugten. Die anderen gar nicht. âSind halt keine groĂen Guckisâ, kommentierte unser Skipper die Lage nach erfolgreichem Ausweichmanöver unsererseits.
Insgesamt war ich als völliger Regattaneuling sehr erstaunt, dass uns auf einigen Teilstrecken so viel Zeit blieb, das Geschehen rund ums eigene Boot so genau zu studieren und die Fahrt in der Sonne auch entspannt zu genieĂen. Ich hatte mir das Ganze wesentlich hektischer vorgestellt. Dass es das durchaus auch sein konnte, erfuhren wir spĂ€ter, als unser Bootsnachbar am Steg stolz verkĂŒndete, er hĂ€tte nur sechsmal das Segel wechseln mĂŒssen auf dieser Strecke. Wir dagegen schafften es ohne Wechsel des Segelkleids und vorheriger ZwangsdiĂ€t des Schiffsbauches und freuten uns ĂŒber herrlichstes Segelwetter. Sonne satt. Der Fahrtwind kĂŒhlte auf den Am-Wind-Strecken, raumschots baumten wir die Fock aus, und ich schaute mich an den bunten Spis und Gennakern um uns herum satt. Besonders hĂŒbsch anzuschauen waren auch die Teilnehmer des letzten Startfensters â einige Plattbodenschiffe mit den typisch roten Segeln ĂŒber VollholzrĂŒmpfen. Wieder einmal bedauerte ich zutiefst, dass ich von Papas Tischlerfertigkeiten aber auch so gar nichts geerbte hatte, sonst stĂŒnde die Entscheidung fĂŒr das Traumboot lĂ€ngst fest.
Spiekeroog, Regatta 2018
Der schönste Zuschauer der Seestern-GedĂ€chtnis-Regatta auf Spiekeroog: ein Seehund, der sein Köpfchen neugierig aus dem Wasser reckte und das lustige Treiben der schnellen Boote mit den bunten Segeln zu begutachten schien. HĂ€tte er gekonnt, ich bin mir sicher, er hĂ€tte sicher sein Köpfchen darĂŒber geschĂŒttelt. Wozu die Eile? Es ist doch Wasser genug fĂŒr alle daâŠ
Zwei Runden waren zu absolvieren: von der Startlinie aus nach SĂŒden gen Neuharlingersiel, eine Wende zurĂŒck nach Norden gen Spiekeroog, eine Wende und westwĂ€rts gen Langeoog und zurĂŒck zum Startschiff fĂŒr die nĂ€chste Runde. Es gab so viel zu sehen, dass die Zeit wie im Flug verging. Sylke stand am Ruder und manövrierte uns sicher durch das Geschehen. Eine der besten Gelegenheiten, diverse Ausweichregeln zu repetieren. Als besonderes Schmankerl navigierte auch noch die FĂ€hre zwischen Insel und Festland durch das dichte Feld der Segelboote oder besser, dies um besagte FĂ€hre drum herum.
Und dann wurde es spannend: die Ziellinie kam in Sicht, die Startnummer wurde an Deck geholt und gleich â da drĂ€ngte uns doch glatt das grĂŒne Boot, das uns schon einige Male wĂ€hrend der Regatta frech nahegekommen war, auf den letzten Metern ab, schob sich vor uns und durchs Ziel. Gute Seemannschaft geht anders! âHey, hallo!â das war der Moment fĂŒr echte EntrĂŒstung, aber Christian riet zur Ruhe. Und ja eigentlich war es auch egal, denn sie segelten nicht in unserer Klasse, und von MĂ€usen und Plattfischpiekern hatten wir schon seit gefĂŒhlten Stunden nichts mehr gesehen. Also Startnummer hochgerissen und rein ins Ziel. Das warâs. Juhu! GefĂŒhlt hatten wir auf alle FĂ€lle schon mal gewonnen.
Ich löste Sylke am Ruder ab, nun ging es nach Hause in den Hafen â zusammen mit allen anderen. Wir drehten eine Orientierungsrunde durchs Hafenbecken. Ja, der Liegeplatz war noch frei â gleich neben den BierkĂ€sten und dem anderen Krams vom Nachbarboot. Also Segel bergen, Motor an und rein in die gute Stube. So ging ein weiterer herrlicher Segeltag langsam zu Ende.
Auf dem Plan stand nun als nĂ€chstes das wohlverdiente Abendessen: Kartoffelgratin, GrillkĂ€se, Salat und fĂŒr die Nichtvegetarier ein HĂŒhnerbein. Das Ankerbier wurde an diesem Abend um ein wohlverdientes zweites ergĂ€nzt. Satt und zufrieden harrten wir der Siegerehrung, die im Segelclub am selben Abend noch stattfinden sollte. Das Ereignis war fĂŒr 21 Uhr angesetzt. So wogen wir uns schon vor Beginn in der Gewissheit, dass dies nur ein kurzes Gastspiel unsererseits auf dem Regattaball werden wĂŒrde, denn fĂŒr den nĂ€chsten Tag stand die Heimreise und damit das Auslaufen mit dem Morgenhochwasser schon fest. Das hieĂ, um fĂŒnf Uhr wĂŒrden wir wieder losmachen mĂŒssen. Also wie viele Stunden Schlaf? Es gibt Momente im Leben, da rechnet man lieber nicht so genau⊠Egal, bis dahin war es ja noch etwas Zeit. Grund genug, ein wenig stolz zu sein, hatten wir allemal. Immerhin waren wir keine jahrelang eingespielte Crew, sondern gerade mal drei Tage zusammen auf dem Wasser unterwegs, und unsere âHelgoland Expressâ war sowieso eine KuriositĂ€t fĂŒr sich im flachen Wattfahrwasser. Also: freuen â jetzt!
âDas war Können!â schallte ein bereits deutlich angetrunkener Ruf aus den hinteren Reihen, als die Regattaleitung kritisch das Tohuwabohu ansprach, das unsere Startsequenz so durcheinander gewirbelt hatte. Die Preisrichter hoben ob dieser Uneinsichtigkeit missbilligend die Augenbrauen. Allgemeines KopfschĂŒtteln. Dann ging es endlich an die Preisverleihung.
Spiekeroog, Regatta 2018
FĂŒr uns gab es dann noch eine unerwartete Ăberraschung, wies doch unsere Bootsklasse plötzlich zwei weitere Mitstreiter auf, die bei der Steuermann-Besprechung noch nicht auf dem Plan gestanden hatten. Und auch wenn wir deutlich schneller als MĂ€use und Plattfischpiecker gewesen waren, hatte man uns zu guter Letzt in Gemeinschaftsarbeit doch noch ĂŒberholt. Der Skipper der âTeamworkâ strahlte ins Publikum, und Christian kehrte etwas irritiert mit Silberschiffchen und der aus dem Geschenkeboot geangelten Dose Isolierspray an unseren Tisch zurĂŒck. Wir witzelten darĂŒber, wer letztere wohl als erstes auf seinem Kaminsims wĂŒrde drapieren dĂŒrfen, fotografierten eifrig unser Schiffchen, reichten es von Hand zu Hand und freuten uns ĂŒber unsere Platzierung. Als die Regattaleitung schlieĂlich die TanzflĂ€che freigab und wie aufs Stichwort die Liedzeile âVerstand ĂŒber Herzâ erklang, nahmen wir selbige wörtlich, machten uns auf den Weg zurĂŒck zum Boot und zu einer viel zu kurzen Nacht.
Erst gute zwölf Stunden spĂ€ter kehrte wieder das Leben auf unser Schiff zurĂŒck, das nun leise gluckernd aus seinem Schlammbett wieder aufschwamm. Nie hĂ€tte ich vermutet, dass unser 1,70-Kiel einfach so im Schlick wĂŒrde untergehen können. Vor dem inneren Auge hatte ich beim Gedanken ans Trockenfallen schon der Reihe nach umgekippte Yachten im Hafen vor mir liegen sehen. Allerdings riet mir meine innere Stimme nun auf Grund der jĂŒngsten Beobachtung auch eindringlich vom Wattwandern in diesem Gebiet ab â 1,70 war der Tiefgang unserer Yacht, ich war 1,75 groĂâŠ
Zum Geschrei der Austernfischer nahmen wir ein opulentes FrĂŒhstĂŒck im Cockpit ein. Und wĂ€hrend am Strand die Limikolen auf ihren Stockbeinchen WattwĂŒrmer pickten, verschlangen wir Brötchen um Brötchen. Strahlender Sonnenschein zeigte uns Hafen und Insel von ihrer schönsten Seite. Der Landgang fĂŒhrte uns zuerst zum Supermarkt um die Ecke zwecks Aufstockung unserer VorrĂ€te. Dort trafen wir so ziemlich alle anderen Crews der Nachbarboote wieder. War klar oder?
Zwischenzeitlich hatten wir den Eindruck, durch Nachbars Garten zu schleichen, wurden die FuĂwege durch den Ort doch schmal und schmaler. Eine Katze rĂ€kelte sich faul zu unseren FĂŒĂen. Wohin so eilig, schien sie zu fragen, und man konnte es ihr angesichts der Ruhe in diesem Ort auch nicht verdenken. Unser Zeitplan allerdings war immer noch tidenabhĂ€ngig. Mittags wollten wir zum Regattatraining auslaufen, also flux noch schnell zum Strand. Allerdings mussten wir feststellen, dass mit âfluxâ hier nichts zu reiĂen war. Wir kamen in einen breiten DĂŒnenstreifen. Auf dem höchsten dieser norddeutschen Gipfel angelangt, erspĂ€hten wir den Strand in fĂŒr unseren Zeitplan unerreichbarer Ferne. Erst viel spĂ€ter an diesem Tag wĂŒrden wir ihn dann tatsĂ€chlich zu Gesicht bekommen, wenn unser Weg dem Larimie-Reiter folgen wĂŒrde.
Das Regattatraining war SpaĂ pur. Zwölf Stunden Schlaf hatten uns zu neuem Leben erweckt â und dann die Sonne, ein frischer Wind fĂŒr unsere Segel, was wollten wir mehr? Im Fahrwasser vor Spiekeroog tummelten sich bereits die verschiedensten Boote. Kleine Jollen, Contender, in deren Trapezen die sportliche Jugend hing, Jollenkreuzer und bald auch unser besegelter Wohnwagen. FĂŒr einen Wohnwagen waren wir allerdings ganz schön flott unterwegs.
Wir nutzten die Gelegenheit, verschiedene Segeltypen auszuprobieren. Den Anfang machte der Gennaker, dessen Stoff verheiĂungsvoll wie Geschenkpapier raschelte, als wir ihn hochzogen. Einmal voller Wind zog er uns in rauschender Fahrt ĂŒber das Wasser. Juhu, was fĂŒr ein SpaĂ! Leider erwies er sich letztlich aber doch als zu unhandlich. Unser Kurs wĂŒrde ein stetiges Einholen und Neusetzen erfordern â ja, kann man machen â allerdings wĂŒrden wir dafĂŒr definitiv mehr Ăbung brauchen, als wir derzeit aufweisen konnten. Zumindest fĂŒr Alexander und fĂŒr mich war es schlieĂlich das erste Mal, dass wir mit dieser Art Segel arbeiteten, vielleicht nicht die beste Voraussetzung fĂŒr die Nutzung desselben bei der Regatta am nĂ€chsten Tag. Christian seufzte bei derselben Erkenntnis in sich hinein. Doch glaube ich, hatte er seiner Crew diese SchwĂ€che bald wieder verziehen â spĂ€testens als wir alle ganz entspannt am nĂ€chsten Tag beobachten konnten, wie andere Crews mit ihren Segeln kĂ€mpften. Da wurde gebrĂŒllt und wie wild an den Fallen gezerrt. Wild schlagende Segel, hinter der Fock verkeilte Gennaker â wir bekamen alles zu Gesicht â am schönsten war der Knoten in einem knallroten Gennaker am Nachbarboot â klarer Fall von Schadenfreude. Alle lieĂen wir hinter uns.
Auch die Genua probierten wir aus und verstauten sie dann wieder wohlweislich in der Backskiste. Mit der simplen Fock wĂŒrden wir im Wortsinn am besten fahren. Mag langweilig klingen, aber manchmal sind die einfachsten Dinge auch die besten.
Viel zu frĂŒh drĂ€ngte uns die Tide an diesem Tag wieder zur Heimfahrt in den Spiekerooger Hafen. Ohne sie wĂ€ren wir sicher einfach immer weiter gesegelt, aus purem SpaĂ an der Freude. Auf dem RĂŒckweg lernte ich dann auch zum ersten Mal kennen, was die Leute als Hafenkino bei anderen genieĂen und bei sich selbst so zu fĂŒrchten scheinen. Hafenmanöver stehen bei Roberts Skippertrainings immer ganz oben auf der Wunschliste der verschiedenen Teilnehmer. Noch kaum einer, der oder die mit uns zu diesen abendlichen Lektionen in den Köhlfleet gesegelt war, hatte nicht schon gleich beim An-Bord-Kommen verkĂŒndet, er oder sie wolle Hafenmanöver fahren ĂŒben. Gut, haben wir gedacht, kann man machen, ist wichtig, aber Segelmanöver sind trotzdem viel spannender und lustiger. Warum nur wollten all diese Leute die wenigen schönen Stunden auf dem Wasser motorend direkt am Steg verbringen?!
Klar, um das Folgende spĂ€ter dann möglichst zu vermeiden. Tags zuvor hatten wir es mit noch ausreichend Platz gut rĂŒckwĂ€rts in unsere Box geschafft. Der Plan sah vor, das an diesem Nachmittag zu wiederholen. Leider wurde daraus nichts â weder das mit dem gut noch das mit der Wiederholung ĂŒberhaupt. Frustriert stellte Martin am Ruder fest, dass unsere âHelgoland Expressâ doch eher der Wohnwagen unter den Segelbooten war. Zu trĂ€ge, um den Bewegungen des Steuers unmittelbar zu folgen, schafften wir den notwendigen Bogen in die Box nicht â zur groĂen Freude und Belustigung der Crews in den Cockpits der Nachbarboote. Wie war das noch mal gleich mit der Schadenfreude?! Christian blieb cool, bot die SpottmĂ€ulern Popcorn an und dirigierte Martin dann mit geĂ€nderter Taktik sicher und problemlos vorwĂ€rts in die Box hinein. Geschafft! Das Anlegerbier hatten wir uns heute wirklich verdient!
Nachdem wir etwas spĂ€ter dann mit segelertypischem HeiĂhunger das Abendessen auf dem Boot vertilgt und das Töpfe-Tetris nach dem Abwasch beim Klarschiffmachen schlieĂlich gewonnenen hatten, wartete an diesem Abend noch eine schöne Ăberraschung an Land auf uns. Die Sonne ging glutrot ĂŒber der Insel unter und voller Glut sollte es danach noch etwas weitergehen. Zu FuĂ machten wir uns auf zum letzten Haus am Westende der Insel â last homely house, sozusagen â immer entlang der Schienen der alten Pferdebahn. Christian erklĂ€rte, dass der FĂ€hranleger noch gar nicht sehr lange so nah am Dorf lag, sondern frĂŒher die Touristen notwendig auf eben jene Pferdebahn angewiesen waren, um vom westlichen FĂ€hranleger zu ihren Ferienwohnungen im Dorf zu gelangen.
Blaue Stunde
Es dĂ€mmerte bereits, als wir nach diesem Spaziergang immer zwischen Salzwiesen und Deich entlang endlich unser Ziel erreichten. Eine Schlange Wartender am Eingang verriet uns, dass wir aber keineswegs zu spĂ€t gekommen waren. Das âOld Larimieâ lud erst ab 21 Uhr zum Konzert, von welchem wir bis dato noch gar keine Ahnung hatten. Kurzentschlossen bogen wir an dieser Stelle noch einmal ab, nutzten die Gelegenheit und Christians Ortskundigkeit, um doch wenigstens noch einmal den Strand zu sehen. Wir kamen, sahen und â waren baff. Vor uns lag ein endloser weiĂer Sandstrand, dahinter das Watt, auf dem einige Kurzkieler trockengefallen waren. Deren Crews saĂen nun gemĂŒtlich bei kalten GetrĂ€nken in vereinzelten GrĂŒppchen verteilt und plauderten sich in die beginnende Nacht. Wie gemalt lag diese Szenerie nun vor uns zur schönsten blauen Stunde. Die Ankerlichter der Yachten erschienen als lockende Irrlichterchen im Watt, und wir folgten ihnen willig. Fast schon magisch erschien die Landschaft um uns herum. Wir sogen diese Bilder tief in uns auf. Freiheit â hatte ich das schon erwĂ€hnt? Was konnte es Besseres gebenâŠ
Wir witzelten ĂŒber die MĂ€delscrew, die ein neues Trinkspiel auf dem Watt erfunden hatte â sehr zur Freude des mitreisenden Schiffshundes, der hechelnd von einer zur anderen wetzte. AngefĂŒllt mit den schönsten Seebildern kehrten wir schlieĂlich zu unserer Verabredung im âOld Larimieâ zurĂŒck. Dort war es mittlerweile richtig voll. Jeder Quadratzentimeter â man mag es in Norddeutschland ja gar nicht sagen, aber â des Biergartens war voller feiernder Menschen. Alle Altersstufen waren vertreten und, wie unschwer an den Klamotten festzustellen, nicht wenige davon Segler. Wie alle bestellten auch wir Bier, gesellten uns dazu und nur wenig spĂ€ter sang ich mit wachsender Begeisterung die eingĂ€ngigen Refrains der Lieder von Jonny Glut mit, der sich an diesem Abend mit seiner Band die Ehre auf der BĂŒhne der Kneipe gab und von dessen Musik Christian so schön gesagt hatte: â Entweder man hasst es, oder man liebt es, aber es ist nur schwer zu ignorieren.â Wie passend nach den Erfahrungen des Vortrages erschien mir dort nun die Mal um Mal intonierte âOdyseeâ. Alexander witzelt seitdem ĂŒber einen neuen Fankult meinerseits, aber was sollâs, ich fandâs toll!
Um elf wurde dann eine Pause angekĂŒndigt, die wir ungern, aber doch fĂŒr den Aufbruch nutzten. SchlieĂlich wollte unser Skipper am nĂ€chsten Tag mit uns eine Regatta segeln. Schweren Herzens, aber doch auch beschwingt, verlieĂen wir also diese urige StĂ€tte, die mehr wie ein Strandgut wirkte, denn wie eine echte feste Behausung. Sylke lichtete noch eben den am Dachbalken vor sich hin vegetierenden Scheinwerfer ab, wĂ€hrend sich die helfenden HĂ€nde am Bierausschank selbst zuprosteten. Wer sagte, dass Arbeiten nicht auch SpaĂ machen durfte? Mit dem einen oder anderen Ohrwurm auf den Lippen machten wir uns also auf den Weg zurĂŒck zu unserem Schiff. Auch wenn ich dort keine einzige MĂŒnze in irgendwelches Wasser geworfen hatte, wie man in Rom und anderswo ganze Brunnen fĂŒrs StadtsĂ€ckel fĂŒllte â so hatte ich doch lĂ€ngst fest beschlossen, dass ich hier unbedingt noch einmal wieder wĂŒrde herkommen mĂŒssen. SchlieĂlich hatten wir alle spĂ€testens seit diesem Abend ânoch Sand in den Schuhen von SpiekeroogâŠâ