Der erste kurze Schlag fĂŒhrte uns von Dunstaffnage nach Kerrera. Einmal die Marina verlassen, verschlug uns die Landschaft den Atem. Das Spiel von Licht und Schatten verwandelte die umliegenden KĂŒstenlinien derart, dass man den Eindruck hatte, durch die Kulisse eines Fantasy-Films zu segeln. Diese Empfindung ĂŒberkam mich Mal um Mal, als wir dort auf dem Wasser unterwegs waren. Jede Lichtstimmung rief neue, ganz eigene EindrĂŒcke hervor, und das Licht wechselte mit den rasch ziehenden Wolken in schneller Abfolge. Die fernen Berge zeigten sich so mal als blaue Schatten, dann wieder in ein milchiges Licht getaucht in zarten GrĂŒntönen, dann nebelverhangen abweisend grau.

Loch Linnhe
Loch Linnhe

Wie soll man die Schattierungen von Silber, Blau, GrĂŒn und Schwarz beschreiben, die hier das Wasser anzunehmen vermochte? Wie die geradezu ĂŒbernatĂŒrliche Schönheit der sich sanft in den Himmel schwingenden HĂŒgel und Berge, durch die gelegentlich die Wolken zogen und immer wieder einzelne Burgruinen in ihren versteckten Falten zum Vorschein kommen ließen? Wer Tolkiens BĂŒcher (und die zugehörigen Verfilmungen) kennt, mag sich eine vage Vorstellung von der grandiosen Landschaft machen, die in allen GrĂŒntönen zu leuchten im Stande ist, in der BĂ€ume nicht einfach BĂ€ume, sondern eigene kleine UrwĂ€lder mit Flechten, Moosen und Farnbewuchs waren. In der Felsblöcke die Form von Urzeitechsen und knorrige Baumwurzeln jene von WichtelmĂ€nnchen aufwiesen. In der Wurzeltreppen zu ElfenhĂ€usern hinauf fĂŒhrten und WasserfĂ€lle aus allen Poren des Landes hervor zu sprudeln schienen. Ja, ich mag dieses Land mit seiner UrsprĂŒnglichkeit, seiner Verwunschen- und Abgeschiedenheit. Und es nun vom Wasser aus betrachten zu können, fĂŒgte dem Ganzen eine ganz neue, ungeahnt eindrĂŒckliche Perspektive hinzu.

Feenleiter, Loch Aline
Feenleiter, Loch Aline

Zum Mittagessen ankerten wir in einer kleinen Bucht auf der Westseite der Isle of Kerrera. Eine Kolonie Seehunde und Robben lag unweit auf einem der Felsen und bildete den Anlaufpunkt fĂŒr ein Ausflugsboot, dem wir in den folgenden Tagen noch einige Male begegnen wĂŒrden. Es war unverwechselbar an seiner fein sĂ€uberlich nach Form und Farbe aufgereihten Fenderparade erkennbar.

"Fender-Parade", Oban
„Fender-Parade“, Oban

Unsere Westerly war hĂŒbsch und urgemĂŒtlich, wenn auch nicht mehr ganz die jĂŒngste. Etwas erschreckend fand ich, dass das Lot ausgerechnet in der Einfahrt zur Oban Bay zu spinnen anfing. Wegen des hĂ€ufigen FĂ€hrverkehrs war man angewiesen, sich am Ă€ußeren Tonnenstrich zu halten, dort wurde es dann aber auch recht schnell ziemlich flach. In dem Moment also, als es wirklich darauf ankam festzustellen, wie viel Wasser wir wohl unter dem Kiel haben mochten, konnte das blöde Ding sich plötzlich nicht zwischen fĂŒnfzehn und null Metern entscheiden. Gut, null Meter war extrem unwahrscheinlich – wir haben den Weg trotzdem gefunden.

Wir machten in der Oban Marina auf Kerrera fest. Im Vergleich zur Transit Marina in Oban bot diese den unschlagbaren Vorteil, durch die ganze Bucht von dieser doch recht lauten Stadt getrennt zu sein und dazu das hĂŒbsche Panorama derselben zu offerieren. Im „Waypoint“, dem Pub der Marina, konnte man auch spĂ€tabends noch diese wunderbare Aussicht in völliger Ruhe genießen. Hier ließ sich auch das sonderbare Schauspiel der Fahrwassertonnen zur Hafeneinfahrt studieren. Seltsamerweise blinkten sie alle (d.h. die grĂŒnen und die wenigen roten) im gleichen Takt mit derselben Kennung. Das ganze sah eher aus wie eine Landepiste fĂŒr Flugzeuge denn wie die Markierungen eines Fahrwassers.

Oban Marina, Kerrera
Oban Marina, Kerrera

TagsĂŒber und bei der richtigen Tide konnte man vom „Waypoint“ aus auch einen guten Blick auf die Überreste des Wracks werfen, das am sĂŒdlichen Ende der Ardantrive Bay sein Dasein fristet und uns gleich zu Beginn daran erinnerte, dass die schottischen GewĂ€sser noch zu keiner Zeit ein Pappenstiel gewesen waren.

Kerrera selbst ist ein dĂŒnn besiedeltes Eiland, das auf seiner Nordwestseite einen grandiosen Ausblick auf die Silhouette der Isle of Mull bietet. Von der Marina aus fĂŒhrt eine Landstraße nach SĂŒden, vorbei an einigen sich offensichtlich sauwohl fĂŒhlenden, im Freien gehaltenen Schweinen, zum lokalen Farm-Shop. Sehr bald schon wurde dieser Weg von den ĂŒberall frei auf der Insel umherstreifenden Schafen und Highland-Rindern mit beachtlicher MĂ€hnen und Hörnern in Beschlag genommen. In nördlicher Richtung fĂŒhrt ein typisch schottischer Zwei-Fuß-Wanderweg durch mannshohen Farn und ĂŒber weite Heidefelder hinweg zum Denkmal fĂŒr David Hutcheson, den GrĂŒnder des Caledonian MacBrayne FĂ€hrservices. Von dort oben hat man einen wunderbaren Ausblick auf Maiden Island, die Insel in der Zufahrt zur Bay, sowie auf Dunollie Castle, eine Burgruine auf einer Anhöhe auf der anderen Seite der Bucht in Oban.

Hutcheson-Denkmal, Kerrera
Hutcheson-Denkmal, Kerrera

Von der Marina aus gibt es einen FĂ€hrservice mit einem kleinen Boot hinĂŒber nach Oben, den nicht nur wir fĂŒr einige Shopping-Touren nutzten.

In einer spĂ€teren Etappe wĂŒrden wir Kerrera auch runden. Besonders eindrĂŒcklich erwies sich dabei die SĂŒdkĂŒste, die sich dem offenen Atlantik hin zuwendet und von entsprechender DĂŒnung des Meeres umspĂŒlt wird. Wiederum war dies ein Platz, den die Schotten fĂŒr den Bau einer kleinen Festung (Gylen Castle) genutzt hatten. Nun erhob sich dessen Ruine malerisch zwischen saftig grĂŒnen HĂŒgeln. Fast schon kitschig wurde es, als durch diese Kulisse dann auch noch ein Dreimaster segelte, der zuvor in Oban seine Crew gewechselt hatte. In welcher Zeit waren wir noch mal unterwegs? In jener der drei Strommasten dort drĂŒben oder doch eher in jener der Elfen und Hexenmeister, die doch ganz gewiss das alte GemĂ€uer dort auf der Klippe bewohnen mussten?!

Sund, Kerrera
Sund, Kerrera

In der folgenden Nacht zog ein wahrer Sturm ĂŒber uns hinweg. Der Wind fauchte, brĂŒllte, schnaufte und klapperte mit allem laufendem und stehendem Gut, das er zufassen kriegen konnte. Ganz langsam hatte er sich angepirscht. Erst streifte er ein wenig ĂŒber den Steg, schlenderte ein wenig hierhin und dorthin zu schauen, ob auch angemessenes Publikum fĂŒr seine Vorstellung zugegen wĂ€re. Gegen halbelf in der Nacht legte er dann richtig los. Wir lagen in den Kojen und lauschten dem Spektakel. Zuerst versuchte ich noch, einzelne GerĂ€usche zu bestimmen und Dingen an Deck zuzuordnen. Aber je weiter die Nacht voranschritt, desto mehr verschwand alles in ihrem Gewand. Es hatte keinen Anfang und kein Ende mehr, alles passierte irgendwie gleichzeitig. Das letzte Mal hatte ich als Kind dem Wind so intensiv zugehört, wie ich es hier nun wieder in Schottland tat. Ich war in einem Dachzimmer groß geworden, und der Wind strich mit schöner RegelmĂ€ĂŸigkeit ĂŒber das Land, von dem ein Bekannter mal meinte, man könnte am Samstag schon sehen, wer am Sonntag wohl zum Kaffee kommen wĂŒrde. Damals vermittelte es mir ein GefĂŒhl von Geborgenheit, den um das Haus wĂŒtenden Elementen zu lauschen, wohl wissend, dass ich in meinem Zimmer vor ihnen sicher war. Sie nun wieder zu erleben und zwar nicht bloß zu hören, sondern in allen Bewegungen des Schiffes, das an seinen Leinen zog und zerrte, auch körperlich zu spĂŒren, war eine ganz neue Dimension dieser Erfahrung.

Gegen Morgen beruhigte sich das schottische Wetter dann allmĂ€hlich und ersetzte den Wind durch einen beharrlich fallenden Regen. Bei dieser Gelegenheit stellten wir fest, dass die Decksluke in unserer KajĂŒte in der hinteren linken Ecke ein winziges Loch haben musste, denn es bildete sich eine beharrliche Kaskade an Wassertropfen, die nach und nach einen kleinen See auf Alexanders Schlafsack bildeten. Wir improvisierten und legten erst mal ein Handtuch auf die fragliche Stelle.