SKS 2018: Spielen II

Wegepunkte

Alles einmal ausprobieren dürfen, alles einmal machen dürfen, das hat mir, glaube ich, in dieser Woche mit am besten gefallen. Wie ein Kind spielerisch lernen, z.B. am Plotter einfach mal ein paar Wegpunkte einprogrammieren und dann dem nächsten erklären, wie das geht. Den Wetterbericht am Navtex ablesen, die Genua ab- und die Fock wieder anschlagen, Leinen über Klampen werfen – nicht weil es jetzt mal eben schnell klappen muss, sondern solange wie man Spaß an der Sache hat. Und, ganz wichtig, alles selber machen, nicht die Dinge aus der Hand genommen bekommen und zack-zack, ‚Haste gesehen?‘ Nein, natürlich nicht! Etwas, das ich wirklich hasse. Niemand kann auf diese Weise etwas lernen, auch die nicht, die da meinen, gerade etwas demonstriert zu haben. Leider bleibt diese Masche weit verbreitet, leider meist dann, wenn Männer Frauen etwas erklären oder zumindest so tun also ob. Auf meinem Schreibtisch liegt dazu ein schönes Buch von Rebecca Solnit „Men explain things to me“. Es beginnt mit einem Gespräch bei einer Party. ER: ‚Ah, Sie arbeiten zu Muybridge, da müssen Sie unbedingt noch dieses ganz neue wichtige Buch lesen….‘ ER erzählt und erzählt, ohne zu merken, dass ER mit der Autorin eben jenes Buches spricht, das ER ihr gerade zu lesen so ans Herz zu legen versucht. Zuhören ist in meiner Profession leider als Tugend nicht sehr verbreitet. Wer zuhört, gilt als schwach. Lieber halten sie endlose Monologe, auch wenn sie zur eigentlichen Frage längst nichts mehr zu sagen haben. Das gilt im Übrigen für Männlein und Weiblein gleichermaßen. Viele kluge Menschen habe ich daran erkannt, dass sie ihrem Gesprächspartner erst mal Zeit gaben, die eigenen Gedanken zu formulieren, bevor sie gemeinsam eine Antwort suchten.

Auf der „Hamburg Express“ war das kein Problem. Wir haben zusammen gelernt, zusammen auf die Prüfung hin gefiebert und zusammen aufgeatmet, als diese endlich vorüber war…

Das einzige, das spieltechnisch viel zu kurz kam in dieser Woche, waren die beiden Gitarren, die Folker und Alex mit an Bord gebracht hatten. Nur am letzten Abend fand sich die Gelegenheit für eine Kostprobe, die es dann umso bedauerlicher erscheinen ließ, dass wir vorher keine Zeit dafür gefunden hatten.

SKS 2018: Von Schlicklöchern und anderen Fettnäpfchen

Kardinaltonne West

Zu den wiederkehrenden Missgeschicken dieser Woche zählten natürlich die vielen schön gefahrenen Patenthalsen, für die wir an manchem Tage glatt einen Wettbewerb ausriefen. Glücklicherweise reduzierte sich ihre Anzahl mit dem Näherrücken des Prüfungstermins, und niemand von uns sollte schlussendlich an ihnen scheitern.

Weniger offensichtlich fatal, dafür mit sehr viel mehr Stress verbunden war dagegen die von Christian ersonnene Skipper-of-the-day-Navigationsaufgabe im Tidengewässer der Elbe. Er machte sich einen Spaß daraus, uns immer wieder mit der Frage zu triezen, ob man nicht diesen oder jenen Minihafen ansteuern könne. Kommen wir da rein? Wie viel Tiefgang hatten wir noch mal? Herrje, und wie viel Wasser würde da bei Niedrigwasser noch übrig sein? Und…? Also reinfahren vielleicht, raus – auf keinen Fall! Einmal hieß er uns stoisch auf eine winzige Hafenzufahrt zuhalten, Rudergänger und Skipper of the day trat dabei gleichermaßen der Schweiß auf die Stirn. Können wir? Können wir nicht? Quasi in letzter Minute blies Christian das Manöver dann ab, eine Wende und alles entspannte sich wieder sichtlich.

Nichts gegen Alexs und Georgs Neugier, wie es wohl sein mochte, mit einem Schiff trockenzufallen. Mir kamen dazu wieder meine Dominosteinchen-Bilder in den Sinn, die ich mir schon in Spiekeroog ausgemalt hatte. Aber sechs Stunden irgendwo im Schlick zu stecken, hieß eben auch, sechs Stunden weniger Training und das wollten wir dann doch alle gerne vermeiden.

Wie viel Wert einige von uns tatsächlich auf das praktische Üben legten, wurde besonders am letzten Tag vor der Prüfung deutlich. Während ich schon lange müde und die ewigen Wiederholungen der immer gleichen Handgriffe auf dem Boot im Köhlfleet irgendwie auch leid war, wollten einige von uns gar nicht aufhören. ‚Noch einmal An-und Ablegen – nur noch einmal.‘ Als wäre es eine besondere Köstlichkeit, von der man einfach nicht die Finger lassen konnte. Schon putzig, was Prüfungsstress aus erwachsenen Menschen machen konnte. Und wie dankbar war ich, als wir es am nächsten Tag endlich alle hinter uns hatten.

Doch noch lagen alle Herausforderungen vor uns, so zum Beispiel die Frage, ob man eigentlich mit unserem Boot die Schwinge rauf bis Stade fahren könne, um dort eine Nacht festzumachen. Ja, im Prinzip… Auch diese Idee ließ Christian uns seelenruhig selbst entwickeln und dann, schon in der Umsetzung begriffen, auch eilig wieder verwerfen. Mehr als eine Schleuse lag für uns auf diesem Weg, und es stellte sich erneut die Frage nach unserem Terminplan. Wann war die Schleuse besetzt? Wann war Hochwasser? Wann konnten wir also zurück in die Elbe? Nein, keine Chance, also umdrehen – aber erst einmal Können vor Lachen, wenn man auf einem Flüsschen unterwegs ist, das so breit war wie unser Schiff lang. Drehen auf engem Raum bekam dort für uns sofort eine ganz andere praktische Bedeutung.

Auf Grund
Auf Grund

Gab es ein Geräusch? Ich kann mich gar nicht darauf besinnen, wenn es so gewesen sein sollte. Natürlich spielt mir meine Phantasie einen lauten knarzenden Ton vor, wenn ich an das Ereignis denke, aber – ehrlich gesagt – passierte es wohl ganz klammheimlich, ohne dass es von irgendeinem dramatischen Geräusch begleitet gewesen wäre. Wir saßen fest! Aufgelaufen, festgefahren im Elbschlick an der Spitze von Rhinplatte. Nach einer etwas wirren Diskussion zwischen Rudergänger und Skipper of the day ging es, statt zurück ins Elbfahrwasser, erst einmal einfach gar nicht weiter. Christian blieb, für uns alle erstaunlich genug, völlig entspannt. So war er für uns nicht nur Richtfeuer für aufziehende Unwetter, sondern auch psychologisches Quermarkenfeuer dafür, wie tragisch (‚Sehr!‘ hätten wir ohne ihn einstimmig alle sofort versichert) unsere Lage wohl wirklich war. Unproblematisch unter den folgenden beiden Bedingungen war die Ansage: a) weicher Untergrund – Schlick war für solche Zwischenfälle also super, b) auflaufendes Wasser – denn hey, jede Minute brachte mehr davon unter unseren Kiel zurück. So hieß die Devise also im Wesentlichen: abwarten. Aber vielleicht konnte man das Ganze ja doch künstlich ein wenig beschleunigen? Nach dem ersten Schreck hing plötzlich der größte Teil unserer Crew mitschiffs eingepickt an den Steuerbordwanten über die Reling. Wenn es uns gelänge, den Schwerpunkt des Bootes ein wenig zu verlagern, den Kiel nur ein bißchen schräger zu stellen… Nur ein bißchen… Nur etwas… Gute zehn Minuten hing unser menschlicher Ballast so über dem Elbwasser rum. ‚Trimmschweine‘, wie Robert das mal so schön genannt hatte, dann war unser Boot endlich wieder frei, und es konnte weitergehen. Ein sehr eindrückliches Erlebnis – so mitten im Fluss festzustecken. Wohl keiner von uns hätte damit gerechnet, dass so etwas passieren könnte. Untiefen, Ebbe und Flut – ja, hatten wir alle von gehört, uns in der Theorieprüfung auch schon damit herumgeschlagen – aber was das für ein Boot bedeutete, bedeuten konnte, das haben wir wohl alle erst in diesen zehn Minuten erfasst, die – zumindest mir – wie eine gefühlte Ewigkeit vorkamen.

SKS 2018: Henriette

Henriette

‚Das war Mist! Ein Riesenbockmist war das!‘ so ungefähr lautete meine frustrierte Einschätzung zu meinem ersten Boje-über-Bord-Manöver unter Segeln. Tränen in den Augen. Das würde ich nie schaffen. Sechs Tage, das war die Ansage. Am Sonntag würde die Prüfung stattfinden, die Anmeldung war längst abgeschickt. Kein Weg würde daran vorbeiführen. ‚So ein Schei…!‘ Viel zu lange hatte alles gedauert. Natürlich war ich auch voll in die Halse reingedonnert. Ansagen – auch das noch – können die nicht selber gucken, was sie tun müssen?!? Nein, können sie natürlich nicht, wenn du am Ruder stehst. Klare Ansagen. Kommandos immer zuerst mit einem Namen beginnen. Ja, verflucht, aber ich muss doch selbst erst einmal klarkriegen, was ich selbst eigentlich tun muss…

Nein, sonderlich erfreulich war meine erste persönliche Bekanntschaft mit Henriette nicht. Wahrscheinlich habe wir sie alle an diesem Tag mehr als ein Dutzend Mal verflucht – unsere Henriette. Groß wie ein Mensch, knallorange Schwimmweste, schwarze Stiefel, 40 Kilo schwer – nur 40 Kilo, also eher ein Kind als ein Erwachsener. Roberts erster Dummy fürs Boje-über-Bord-Manöver wog noch gute 90 Kilo und lag damit deutlich näher an der üblichen menschlichen Crew auf Booten wie unserem. 40 Kilo – hatte ich die überhaupt mal gewogen?

Das schöne an der eigenen Wohnung ist ja, dass man selbst entscheiden kann, was zur notwendigen Einrichtung gehören soll und was nicht. Eine Waage habe ich folglich nie besessen. Für so viel Ungemach muss man nicht auch noch Geld ausgeben. Es reicht doch, wenn man beim Hosengürtel immer dasselbe Loch treffen kann oder? Sehr gefallen haben mir dazu die Ausführungen der Mitarbeiterin im Botanischen Garten in Hamburg, die uns im Frühjahr eine Führung durch ihren Garten gab. ‚Ich habe ja eine Winter- und eine Sommerfigur.‘ Ja, genau – wer nicht? Unsere Henriette zum Beispiel, die konstant ihr Fliegengewicht behielt, das uns stöhnen ließ beim Versuch, sie wieder zurück an Deck zu hieven. Schon das Über-Bord-Schmeißen war gar nicht so ganz ohne, aber im Laufe der Woche perfektionierten wir die Methode gezielter Fußtritte, um sie durch den schmalen Durchgang im Seezaun zu befördern. Zwischendurch durfte sie sich dann festgezurrt auf dem Mitteldeck ausruhen, nur des Nachts wurde es noch einmal etwas spooky mit ihr. Christian merkte irgendwann an, dass er sich irgendwie doch nicht so recht an das Schleifen toter Körper über das Vordeck gewöhnen könne. Fred grinste dann wissend, zog er die Ärmste doch regelmäßig als Schattenspender über die Luke im Vorschiff.

Henriette mittschiffs
Henriette mittschiffs

Das Manöver, das Christian uns die Woche über mit Henriettes Hilfe einstudieren ließ, war dagegen eine wahre Offenbarung. Hatten wir vor dem Törn noch gerätselt, wie man wohl ein Segelboot von 14 Tonnen punktgenau neben einer in den Wellen treibenden Boje mittels Aufschießer zum Stehen bringen sollte. Wind, Strom, Ausgangsgeschwindigkeit, Gewicht des Bootes… Viel zu viele Ausgangsparameter fand Alexander. Wie hätte ich ihm da widersprechen können. Zwar fängt meine Profession auch mit „Ph“ an, endet aber eben nicht wie bei ihm mit „ysik“.

Statt dieses unübersichtlichen Aufschießer-Klassikers der Lehrbücher brachte Christian uns ein wesentlich eleganteres Manöver bei, welches auch noch den charmanten Vorteil hatte, dass es verschiedene Pflichtaufgaben der Prüfung gleich mit abfrühstückte: beiliegen z.B. und damit fing auch alles an. Henriette – schon wieder im Wasser. ‚Alles klar zum Beiliegen!‘ Wenden, kurz zurückkommen, all die Dinge virtuell erledigen, die dann zu tun wären. Ohne allen Schnickschnack auf den Punkt gebracht, wie es jene russlanddeutsche Mädel bei unserer SBF-Prüfung in so unvergleichlicher Weise getan hatte: ‚Du Rettungsring! Du Ausguck!‘ ‚Aye, aye!‘ Wir perfektionierten die Ansagen im Laufe der Woche ebenso wie die Taktik, nicht gerade denjenigen, der eben noch am Niedergang stand, nach achtern zum Rettungskragen und den Kollegen am Rettungskragen runter zum Funken zu schicken. Na ja, jedenfalls versuchten wir, das irgendwie auch noch im Blick zu behalten… Dann also raumschots weg. Fock bergen, wenden und am Wind zurück. Durch Fieren und Dichtholen des Groß‘ ließ sich die Geschwindigkeit regulieren und dann – nur noch, haha – Henriette aus dem Bach ziehen. Wichtig, Fred mit dem Bootshaken nach vorne schicken, seine zwei Meter Lebensgröße hielten wir schlussendlich alle für den entscheidenden Faktor. Leider, leider hatte unsere Henriette genauso wenig wie ein echtes Crewmitglied den schönen Griff der Markierungsboje, an dem man diese so leicht bergen konnte – selbst dann noch, wenn schon Eis daran hängen mochte wie bei unserer SBF-Prüfung, die im Februar und damit in einem jahreszeitlich doch etwas spannenden Monat für diese Art von Betätigung auf dem Wasser angesiedelt gewesen war. Leider haben Menschen aber keine Griffe und folglich auch unsere Henriette nicht, nur eine Bergeschlaufe an der Rettungsweste. Mir wird immer noch anders, wenn ich daran denke, ich müsste einen echten Menschen mit diesem Ding, das sich so euphemistisch als „Rettungshaken“ bezeichnen ließ und doch von einem Fleischerhaken nicht zu unterscheiden war, zu fassen kriegen. Und selbst, wenn man diese Geschicklichkeitsübung heil überstanden hatte, hing das dumme Ding – Verzeihung, Henriette! – immer noch gut einen halben Meter unter mir im Wasser. Auf dem Bauch liegend, um überhaupt so weit runter reichen zu können, war an ein Hochziehen nicht zu denken. Was also dann? Variante 1: der Großbaum – wieder so eine Lehrbuchnummer. Ja, wenn man diesen verdammten Schäkel dann auch irgendwie auf und wieder zu bekommen könnte. Keine Chance, keine Mädchenmethode. Also Variante 2: das Gennaker-Fall. Yes! Lasst uns unbenutzte Fallen an Segelbooten anbringen, mehr Männer werden es überleben, versprochen!

Einmal geriet uns eines unserer Manöver zu dicht ans Fahrwasser. Keine Gefahr, aber Henriette sah im Wasser schon verdammt realistisch aus. Prompt traf ein Funkspruch bei uns ein, ob Hilfe nötig wäre. Sah man Henriette so neben den riesigen Pötten in der Elbe treiben, konnte man schon Sorge bekommen. Gut zu wissen, dass so viele Leute, ihre Augen offen hielten, auch wenn sie in diesem Fall nur einen Dummy schwimmen sahen. Der wesentliche Trick, den wir alle in dieser Woche verinnerlichten, war, gar nicht erst ins Wasser zu fallen!

Henriettes Ankerbier
Henriettes Ankerbier

Als vollwertiges Crewmitglied erhielt Henriette dann irgendwann auch ihr Anlegerbier. Wer es ihr gab, weiß ich nicht. Trotzdem, sehr auf Dein Wohl, Henriette, wir haben viel durch Dich gelernt. Sei nicht bös‘, dass wir Dich so oft getreten haben.

SKS 2018: Stratocumulus

Stratocumulus, Finkenwerder

Herzlich lachen musste ich, als ich nach unserem Törn die Fotos anschaute, welche die anderen geschickt hatten. Neben vielen wunderbaren Erinnerungen zeigte eines auch insbesondere – nichts. Noch nie war mir ein Foto untergekommen, das den Nebel über dem Fluss so schön erscheinen ließ wie dieses. Nicht als illuminiertes Wolkenband über dem Wasser wie sonst so oft, sondern direkt aus dessen Mitte heraus: ein graues Nichts in alle Richtungen. Folker hatte für uns den Nebel fotografiert, in dessen Essenz sozusagen, als Unmöglichmachung der Sicht, als graues Tropfenband, das sich über alles und jeden legte, uns die Sinne raubte, wie ein Wattebausch die Ohren zu verstopfen pflegte.

Nur zu gut konnte ich mich an den zugehörigen Morgen erinnern. Abends hatten wir noch bei einem herrlich klaren Sonnenuntergang bei Pagensand geankert. Die Elbinsel empfing uns mit ihrer ganzen unverkennbaren Schönheit im Abendrot und schickte vorsichtig einen Seeadler als Späher in unsere Richtung aus. Beruhigt feststellend, dass wir mit unserem Boot dort bleiben würden, wo wir unseren Anker in den Elbschlick hatten fallen lassen, zog er mit seinen mächtigen Schwingen ein paar Kreise und war schon wieder verschwunden, bevor wir unser Glück, ihn überhaupt entdeckt zu haben, fassen konnten.

Sternenklar wurde es in dieser Nacht, und das Ankerbier im Cockpit ließ uns schon ein wenig frösteln. Keiner von uns erwartet für den nächsten Tag dieses wattierte Nichts, das uns dann am Morgen empfing. In alle Richtung nichts – nicht einmal die Insel war mehr zu sehen, die doch in nur kurzer Entfernung zu uns lag. Und auch das Zollboot, das unser AIS als weiteren Ankerlieger dieser Nacht dort auswies, löste sich erst viele Stunden später mit der kräftiger werdenden Sonne aus seinem Wattebett.

Sicher, Nebel war nicht gerade eine Seltenheit auf diesem Fluss. Oft zog er in die Stadt hinein und erst als ich mehrere Jahre an Orten gelebt hatte, die keinen Wasserlauf ihr eigenen nennen konnten, stellte ich fest, dass man dieses Naturphänomen tatsächlich auch vermissen konnte. In dieser Hinsicht unvergesslich auch eine meiner ersten Autofahrten in Dithmarschen: der Nebel lag dort so dicht über der Straße, dass man sich mehr vortastete als fuhr. Zu Fuß wäre ich damals wahrscheinlich schneller gewesen. Mindestens ebenso wie den Nebel würde ich später auch den Wind vermissen. In meiner Kindheit heulte er oft um und an einigen Stellen leider auch durch unser Haus. Später, als er dann an anderen Orten fern der Küste völlig ausblieb, war es mir manchmal, als hätten sie mir die Luft zum Atmen genommen…

Wetter: Analysekarten-Studium
Wetter: Analysekarten-Studium

Wetter war ein wichtiges Thema für uns auf diesem Ausbildungstörn. Artig prüften wir den Himmel über uns und riefen die Wolken bei ihren Namen. Nach und nach ordnete sich das überirdische Geschehen für uns in diesen Tagen wie ein zuvor unbekanntes Experiment auf einem Labortisch und wurde lesbar – ähnlich wie die Analyse- und Prognosekarten, die wir morgens zum Frühstück studierten.

SKS 2018: Spielen I

Unterelbe

Der Logbuch-Eintrag für die Stunden, in denen wir den Volvo-Motor der „Hamburg Express“ in allen Einzelheiten unter die Lupe nahmen, lautete „Badespaß“. Unser Skipper of the day war da wohl etwas zu optimistisch gewesen. Ja, die Jungs testen auch an diesem Tag den Fluss am neuen Ankerplatz auf seine Badequalitäten hin – und, hey, wie oft kam es schon vor, dass die Elbe Mittelmeertemperaturen aufwies?! Dennoch erschienen sie alle bald artig unterdecks zur nächsten Lerneinheit. Ich war erstaunt, sie alle plötzlich bei uns im Salon auftauchen zu sehen, hatten wir zwecks Motorenkunde doch schon vor einer Weile den Niedergang hochgeklappt und damit den Weg vom Cockpit aus versperrt. Durch die Bugluke waren sie alle hereingekrabbelt, der SKS-Törn hielt uns also in jederlei Hinsicht fit. Nun ging es aber erst einmal um die Beweglichkeit unseres Denkvermögens, mit welchem wir den Windungen des Volvos zu folgen versuchten.

Motorenkunde
Motorenkunde

Rafael war ganz begeistert davon. Von Berufswegen quasi mit diesen Dingen – wenn auch nicht gerade mit Bootsmotoren, wie er beteuerte – vertraut, inspizierte und erklärte er uns die Bestandteile und das Zusammenwirken von dem, was sich uns übrigen im Wesentlichen als grüner Monolith präsentierte. Sieben Leute hockten schlussendlich auf dem Boden vor der Maschine und suchten die Teile, die Rafael aufzählte. ‚Ah, weiche Rohre, da muss Wasser durchfließen. Ja, hier und hier. Da zum Wärmetauscher, dort die Impellerpumpe.‘ Christian hielt uns wohlweislich das passende Ersatzteil vor die Nasen, das namentlich immerhin sogar mir schon aus den Theorieprüfungsfragen bekannt war. Andere Leute machen Urlaub…

‚Feste Rohre, das muss der Dieselzulauf sein.‘ Rafaels Begeisterung für die Materie war direkt ansteckend. Schlussendlich machten wir alle Fotos von dem grünen Ding, als wäre es eine neue Touristenattraktion auf unserem Törn. Flugs waren auch die Seitenverkleidungen in den beiden Achterkabinen entfernt und schon bot sich uns unser Volvo manierlich von allen Seiten dar.

Im Nachhinein erinnerte mich unser Treiben ein wenig an die Physikstunden in der Mittelstufe. Unser Lehrer, den wir alle respektvoll „Tüddel“ nannten, hatte einen Faible für Versuchsaufbauten. Regelmäßig erkor er jemanden aus unseren Reihen, der dann ratlos am großen Experimentiertisch vor dem Rest der Klasse stand und irgendwelche ominösen Schaltkreise zusammenbauen sollte. Jetzt hingegen experimentierten wir wissbegierig sozusagen am lebenden Objekt, suchten Seeventile, Einspritzpumpe, Filter…

Wenig später an diesem Tag waren wir alle dann heilfroh, dass im Gegensatz zu vielen Manöverübungen der vergangenen Tage unser Skipper beschloss, dass eben jener Motor ganz einwandfrei funktionierte. Als wir nach unserer Technik-Bastelstunde wieder an Deck kamen, stellten wir fest, dass sich am Horizont eine beachtliche Wolkenfront aufgebaut hatte, die es ganz eindeutig in unsere Richtung zog. Sehr untypisch für Christian blieben die Segel unten, und wir motorten, so schnell es ging, zurück nach Glückstadt. Auf diesem Stück lernten wir auch unsere wohl wichtigste Lektion in der Wetterkunde: ‚Merke: Ziehe Ölzeug an, wenn der Skipper mit selbigem im Cockpit auftaucht!

SKS 2018: Wir bremsen nicht mit dem Steg…

Pagensand

Morgens in Wedel hieß es dann erst einmal, Platz machen. Dienstagvormittag hatten wir eigentlich nicht damit gerechnet, dass noch jemand unterwegs sein könnte – noch weniger damit, dass ausgerechnet die Eigner unseres Anlegeplatzes heimkehren würden. Noch vor dem Frühstück mussten wir so also die Leinen losschmeißen und einen anderen Platz suchen. Nicht verkehrt, würde es doch genau das sein, was wir in den folgenden Stunden zur Freude der in Wedel versammelten Seniorenschaft üben wollten: an- und ablegen, drehen auf engem Raum, Leinen schmeißen. – Nein, nicht helfen, die müssen üben – und der nächste bitte.

Mit geradezu stoischer Ruhe ertrug die Dame auf dem Motorboot neben unserer Übungsklampe die Fahrschule jenseits ihrer Buchseiten. Der ältere Herr drei Boote weiter hatte da schon längst die Zeitung gegen den Kinosessel im Cockpit getauscht.

Als die Tide uns schließlich einen größeren Aktionsradius zugestand, war es bereits mittags. Wir verließen mit ablaufendem Wasser den Hafen und segelten mit dem Strom flussabwärts. Sonne satt, aber immer noch kein Wind. Dafür und trotz des beschaulichen Wetters purer Stress für unseren „Skipper of the day“, den Christian nicht zu ermuntern aufhörte, doch mal zu prüfen, ob man nicht doch dieses oder jenes Schlickloch – von den Einheimischen liebevoll als „Hafen“ tituliert – anlaufen könne, schließlich wollten wir doch Anlegemanöver an verschiedenen Orten trainieren. Unbeirrt ließ er uns auf engste Hafeneinfahrten zuhalten, um endlich doch dem immer hektischer werdenden Skipper zuzustimmen, dass es wohl keine so grandiose Idee sei, sich dort in den Matsch zu setzen. Auch Nerven können Muskeln sein, die es zu trainieren gilt – heißt es nicht auch „Willens-STÄRKE“?

Am zweiten Abend ankerten wir vor Pagensand. Ein Seeadler begrüßte uns dort bei unserer Ankunft. Seine kräftigen Schwingen trugen ihn mühelos in die Nähe unseres Bootes, das er sich interessiert anzuschauen schien, bevor er uns mit unserem Stückchen Fluss und unserem Anker-Spiel wieder alleine ließ. Obschon September, war es an diesem Spätsommertag noch so warm, dass allgemein der Wunsch nach einer Abkühlung im Wasser aufkam. Gute 23 Grad Wassertemperatur – Badewannenwetter in der Elbe. Christian hatte nichts gegen das Ansinnen der Jungs auf ein Bad im Fluss einzuwenden, ermahnte uns aber, zuerst eine Schwimmleine zu knoten. Also schnell noch ein paar Fender an eine der Festmacherleinen geknotet und ab damit, achteraus ins Wasser. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, diese Aktion diene lediglich für uns als Übung der verschiedenen Knoten in der praktischen Anwendung. Fleißig würden wir dies in der folgenden Woche auch praktizieren. Waren ja auch praktisch diese Knoten. Wer hätte gedacht, dass man eine aufgeschossene Leine einfach am Backstag zum Trocknen festknoten konnte? Beeindruckt waren wir auch vom geworfenen Webleinstek und trainierten gerne Christians Methode, den Palstek so vorzubereiten, dass man ihn auch problemlos über Kopf am Großbaum nutzen konnte oder wo auch immer sonst der Knoten gerade gebraucht und normalerweise nur schwer hingepfriemelt werden konnte. Den doppelten Achtknoten probierten wir wieder und wieder – doch an diesem Tag hinter Pagensand ging es tatsächlich in keiner Hinsicht um unsere Knoten-Kenntnisse. Das wurde klar, als die ersten vom Heck ins Wasser sprangen und beim Wiederauftauchen mit Müh‘ und Not gerade noch ebenso den letzten der Fender an unserer Schwimmleine erwischten. Die Strömung des Flusses war unglaublich! Obwohl die Jungs nur wenige Meter achteraus schwammen, sah es so aus, als führen wir ihnen mit hoher Geschwindigkeit davon. Man musste direkt aufblicken zur Insel neben uns, um sich zu versichern, dass wir in der Tat fest vor Anker lagen, und das Boot sich keineswegs von seiner Position entfernt hatte. Spätestens jetzt waren alle froh, die Schwimmleine im Wasser zu haben, die wir vorher alle mehr oder weniger als Spielerei abgetan hatten.

Später stand dann noch Wetterkunde auf dem Übungsplan. Auswertung einer Analysekarte. Schon cool, wenn man solche Karten allmählich auch zu lesen lernt wie anfänglich die Seekarten zur Navigation. Und doppelt schade, dass sie zwischenzeitlich so gänzlich aus den Abendnachrichten verschwunden sind. Was bliebe übrig, wenn wir alles aussonderten, was die Leute angeblich nicht mehr interessiert? Wohl nicht sonderlich viel…

Noch etwas später konnten wir über Pagensand dann einen herrlich klaren Sternenhimmel bewundern. Im Süden leuchtete groß und rot der Mars. Er tanzte lustig durch mein Fernglas, mit dem ich ihm näherzutreten gedachte.

Norderhever NNW

Pellworm Leuchtturm 2018

Beim Abschied weinte sie beinahe, und sie dauerte mich sehr. Gerne hätte ich ihr ein Wort des Trostes gespendet – allein mein Leben der vergangenen Monate war nicht von dieser Art. So blieben meine Lippen verschlossen, und ich verließ sie schweigend.

Pellworm Leuchtturm
Pellworm Leuchtturm

Hinter mir, in meinem Rücken, strahlte ihr Leuchtfeuer. Es rief seine Wünsche hinaus in die Nacht und jeder auf See oder gestrandet im Leben konnte sie mühelos verstehen. Fern – fern ab – Fernweh – Weh‘ – Wehmut.

Ich ging ohne Schwere, aber unwiderruflich. Eine schöne Zeit lag hinter uns, erneut galt es, das Wasser zu queren – ein letztes Mal noch nach dieser vom Sturm zerzausten Nacht.

Wattenmeer
Wattenmeer

Lange saß ich über meinem dampfenden Kaffee und sann über diese Insel und ihr Versprechen, das in dieser Weite gelegen hatte. Das mich rief und dem ich so leicht gefolgt war bis zu dieser magischen Grenze, vor der mein Schritt zauderte und nur mein Blick mich in die ersehnte Ferne trug.

Eine Ewigkeit lag voraus, noch mehr bereits zurück und was würde morgen geschehen?

Wolken

Wolken
Über dem Rand
blaues Glas
blau-grün
wie ein Abgrund
wie der Himmel
ausgegossen in einer
Tasse schalen Lichts

Ich trinke

Zwischen Wolken und
anderen Federwesen
schmecke ich salzig
Deine Sehnsucht
Feder
Feder

SP 2018 – Tag 6: Rhinplatte – Wedel – Finkenwerder

Der letzte Tag brach so vielversprechend an, wie der letzte geendet hatte. Die Sonne schob sich über den Horizont und wir uns zurück ins Elbfahrwasser. Immer noch wehte uns der Wind mit mäßiger Kraft aus Ost entgegen, immer noch hieß es also kreuzen. Von Buhne zu Buhne, das Lot fest im Blick ging es stromaufwärts. Wir wechselten uns am Ruder ab, und man stellte allgemein erleichtert fest, dass die Ausreißer am Schiff lagen und nicht am Rudergänger. Es fuhr auf dem Steuerbordbug einfach weniger ruhig, als auf dem Backbordbug. Gewitzelt wurde natürlich trotzdem über die gefahrenen Schlangenlinien. Na ja, vielleicht hatten sie auch einfach recht. Etwas zu viel Steuer gegeben und schon schlingerten wir, abfangen und Wende und ganz easy auf Backbord zur anderen Seite und Wende und im selben Slalomlauf zurück. Aber war das hier nicht auch ein Ausbildungstörn? Sylke zeigte uns später, wie es richtig geht, als sie in kleinen und kleinsten Schlägen zwischen dicken Pötten und dem Mühlenberger Loch mit uns kreuzte. Schon klar, warum Christian sie für die Regatta ans Ruder gestellt hatte.

Rhinplatte am Morgen
Rhinplatte am Morgen

Ich wurde derweilen ganz wehmütig, blickte zurück auf den Fluss und die vergangenen herrlichen Tage. Nun, da der Strom langsam an Breite verlor, wurde auch das Leben für uns wieder stromlinienförmiger. Noch einmal ausschlafen, dann wieder Büro, wieder Alltag wie immer. Wieder ein Montag bis Freitag, ein Wochentags- und Wochenendsleben mit Regeln und mehr oder weniger klaren Zielen, die das Denken bestimmen und beschränken. Büromenschendasein, wenn alles in einem nach dem Da-Draußen schreit, und man es doch nur hinter der Glasscheibe des eigenen Daseins erleben konnte. Wie schön war es dagegen auf diesem Schiff! Verhieß es uns doch, mit uns zu ganz neuen Welten zu segeln – auch wenn diese letztlich klein und beschaulich mitten im Schlick lagen. Aber immerhin, hatten wir nicht alle noch ein bisschen Sand in den Schuhen von Spiekeroog?

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SP 2018 – Tag 5: Spiekeroog – Cuxhaven – Rhinplatte

Der nächste Morgen begann viel zu früh, schon um halbfünf wurde durchs Schiff geklappert. Draußen stritten sich die Spätheimgekehrten immer noch in weinseliger Stimmung auf dem Steg. Doch was zu anderer Zeit sicher eine interessante Charakterstudie gewesen wäre, ging im eigenen Tran der Übernächtigung unter. Auch galt es, den sexistischen und frauenfeindlichen Plan umzusetzen, den ich am Abend zuvor ausgeheckt hatte. Die Männer machten das Boot klar zum Ablegen und motorten uns aus dem Hafen, während Sylke und ich unterdecks, noch ein wenig die Ruhe der vergangen Nacht genießend, am Salontisch Klappbrote für den geplanten langen Schlag des Tages schmierten. Kurz nachdem wir die westliche Südspitze der Insel passiert hatten, waren wir damit fertig. Als wir nun mit kleinen Augen und Händen voll Frühstücksbroten im Cockpit auftauchten, verschlug uns der Anblick, der sich uns nun bot, glatt die Sprache. Glutrot ging die Sonne gerade über den Insel auf. Als dann auch noch ein heimkehrendes Fischerboot mit anhängendem Möwenschwarm in dieses Panorama hineinschipperte, war das Postkartenmotiv schon beinahe zu schön, um wahr zu sein. Tschüß, Spiekeroog – kleine Insel, große Liebe, bis zum nächsten Mal!

Morgen auf Spiekeroog 2018
Morgen auf Spiekeroog 2018

Dann ging es wieder hinaus aufs Meer. Hatte es uns vor noch nicht ganz drei Tagen ordentlich durchgeschüttelt und mit grauen Wellenungeheuern genarrt, zeigte es sich uns heute von seiner wunderbarsten Seite: Sonnenschein, Wind aus Ost drei bis vier und eine fantastische Fernsicht – so schön kann Segeln sein.

Martin steuerte uns sicher durch die Zufahrt zu Weser und Jade – Fahrwasser, die auf unserer Übungskarte vorgestellt zu den belebtesten Ecken der Deutschen Bucht zählen mussten – doch auch auf der Rückfahrt begegnete uns hier kein einziges Schiff. Auf Verkehr in diesem Sinne sollten wir erst wieder in der Zufahrt zur Elbe treffen, so kann man sich täuschen. Allerdings hatten wir das Meer mitnichten ganz für uns alleine. Auf der Reede der Neuen Weser lagen jede Menge dümpelnde Pötte. Wir schlängelten uns hindurch. Wie öde musste dort der Alltag für die Matrosen an Bord sein. Kein Landgang, keine Abwechslung, kein Austausch mit anderen Menschen. Manche Schiffe sahen aus, als wären sie dort bereits zum endgültigen Verrosten vor Anker gegangen. Robert hatte mal erzählt, dass man die Lage unserer Wirtschaft am sichersten an der Anzahl der Schiffe auf den Hochseereeden ablesen könne: je mehr von ihnen dort draußen vor Anker lagen, desto schlechter liefen die Geschäfte. Im Hafen zu liegen wäre viel zu teuer. Wenn sie also von keinen Aufträgen, von keinen Warenströmen kreuz und quer über die Weltmeere getrieben wurden, ankerten sie da draußen, wo nur selten jemand Außenstehendes sie zu Gesicht bekam. Einer der Kähne ließ die ganze Zeit über den Schiffsdiesel laufen. Eine große, gelbe Wolke lag über dem Schiff. Es stank nach verbranntem Schweröl – auch so ein Thema, gerade für uns Hamburger und unseren Hafen. Nur gut, dass unsere „Helgoland Express“ mit dem besten aller Kraftstoffe lief – mit frischem Nordseewind, der uns sicher aus diesem Industriefriedhof wieder hinaus wehte.

Wir wechselten uns am Ruder ab und was nun in Sicht kam, gefiel mir deutlich besser. Hatten wir bei unserem ersten Törn im letzten Jahr Helgoland beinahe verpasst, weil die Insel bis zum letzten Augenblick im dicken Hochnebel steckte, zeigte sie sich wie zur Entschuldigung bei diesem Mal grazil von ihrer besten Seite. Erst konnten wir gar nicht glauben, was wir da vor Augen hatten, dass das dort am Horizont tatsächlich eben jene rote Felseninsel war, doch kamen wir ihr beständig näher und schließlich war kein Zweifel mehr möglich: An Backbord voraus lag Helgoland. Dort war die Lange Anna, da hinten Helgolands Leuchtturm, sogar ein Stück von der Düne und dem dortigen rot-weiß-gestreiften Leuchtfeuer konnten wir erkennen. Was für ein Anblick! In Aachen hatte eine Zeitlang eine Familie mit fünf sehr kleinen Kindern bei uns im Haus gewohnt. Klingelte man an ihrer Tür und öffneten ihre Eltern, quoll alsbald eine ganze Schar von ihnen – neugierig auf die Welt jenseits der elterlichen Wohnung – in den Flur hinaus. Ebenso entließ an diesem Tag Helgoland Segelboot um Segelboot aus seinem Hafen, den diese nach dem Ende der dortigen Nordseewochen nun wieder gen Heimat verließen. Kleine, weiße Segel tanzten uns lustig entgegen, doch keines von ihnen würde unseren Kurs tatsächlich kreuzen, waren sie doch so viel später erst aufgebrochen.

Helgoland 2018
Helgoland 2018

Christian würde später sagen, dass wir Helgoland an diesem Tag bis auf acht Seemeilen nahe gekommen waren. Kein Wunder, dass uns allen dieselbe Idee durch den Kopf schwirrte. Könnte man diese Segelreise nicht einfach um ein, zwei Tage auf diesem Eiland im Meer verlängern? Könnte man nicht? Man könnte doch vielleicht?

Hatte uns unser erster Schlag dieser Kreuz also weit nach Norden geführt, sollte die Wende kurz hinter Helgoland uns nun direkt in die Ansteuerung auf die Elbzufahrt bringen. Die Wende lief gut, aber schon kurze Zeit später triezte Christian mich, ich solle mich nun endlich entscheiden: Elbe oder Weser. Und in der Tat eierte ich schon eine gewisse Zeitlang mit unserem Boot so vor mich hin. Ich hatte den Wind verloren! Eine Sache, die uns sehr bewusst wurde auf diesem Törn, war der Unterschied, der zwischen, etwas theoretisch verstanden zu haben und es praktisch umsetzen zu können, bestand. Sicher hatte auch ich mittlerweile kapiert, was die berüchtigte Windkante denn wohl sein sollte, an der wir segeln wollten. Aber was brachte einem das, wenn der eben noch so lustig pustende Wind plötzlich weg war oder doch mehr von querab kam als eben noch? Anluven, abfallen, anluven – hundert Mal und mehr spielten wir dieses Spiel mit dem Nordseewind an diesem Tag. Windfäden, Verklicker, Kompass, das Vorliek des Vorsegels – alles gab Hinweise, alles sollte man beachten. Irgendwann war die Konzentration dann futsch, und ich dankbar für eine Ablösung.

Cuxhaven ließ sich dieses Mal bei Tageslicht schon vom Meer aus begutachten. In Sicht kam auch der Campingplatz auf der Betonplatte, über den wir unlängst eine Dokumentation im Fernsehen gesehen hatten. Ich bedauerte die Leute dort. Sicher, war der Blick auf die Schiffe schön und interessant. Doch um wie vieles besser war es, sich auf einem solchen zu befinden und diese Tristesse weit hinter sich zurücklassen zu können?!

Unter Vollzeug rauschten wir schließlich in den Amerikahafen. Christian wollte dort noch schnell unsere Wasservorräte nachfüllen, bevor es noch ein Stückchen weiter elbaufwärts gehen sollte. Was man nicht alles tat der Tide und des richtigen Windes wegen. Also schnell die Leinen los und weiter.

Eine ganze Reihe Segelboote genoss so wie wir die guten Bedingungen an diesem Abend. Mit vier Beaufort griff der Wind in unsere Genua und trieb uns flott voran. Immer wieder mal mussten wir dem einen oder anderen etwas ausguckschwachen Mitsegler und motorisierenden Kapitän ausweichen. Manche schienen es da ganz wie die Autofahrer zu halten: Vorne ist da, wo ich bin, und wo ich bin, herrscht Vorfahrt. Nun ja…

Unsere Route führte uns an diesem Tag noch bis nach Rhinplatte bei Glückstadt, wo wir ankern wollten. Knapp hundert Seemeilen hatten wir bis dahin achteraus gelassen, unser bis dahin längster Schlag.

Rhinplatte 2018
Rhinplatte 2018

Rhinplatte erreichten wir bei Sonnenuntergang. Dasselbe goldene Licht, das uns am Morgen auf Spiekeroog verabschiedet hatte, nahm uns hier nun wieder in Empfang. Neben uns ankerte noch ein Plattbodenschiff, was in Ergänzung zum Sonnenuntergang, dem Naturschutzgebiet vor und hinter uns sowie unter gewissenhaftem Ignorieren des AKWs im Norden erneut ein herrliches Postkartenmotiv ergab. Aufmerksam verfolgte ich dieses Mal das Ankermanöver, während unterdecks bereits die andere Hälfte der Crew mit den Vorbereitungen fürs Abendessen befasst war. Der Kuckuck rief über das Wasser, ansonsten war es still.

Nach dem Essen schauten wir an Deck noch einmal nach dem Rechten und nach den Sternen darüber. Zu hell war es hier, als dass man die Milchstraße hätte sehen können, trotzdem war das Meer der fernen Lichter beeindruckend schön. Jedes einzelne von ihnen eine ferne Sonne mit eigenen Welten. Astronomie war ein Fachgebiet, bei welchem man noch zu Lebzeiten quasi echte Quantensprünge in den Erkenntnissen miterleben konnte. Als Teenager hatte ich angefangen, mich für dieses ferne Lichtermeer zu interessieren – sicherlich auch motiviert durch das Dachfenster meines Kinderzimmers. Damals wusste man nicht, was Quasare sind und hatte mitnichten Belege für ferne Planetensysteme geführt. Man hatte sich noch in der Ignoranz der einzig belegten Existenz sonnen können. All das war nun mittlerweile erforscht worden ebenso wie die Landung einer Raumsonde auf dem Nukleus eines Kometen, die im nahen Vorbei- bzw. im Anflug aufgenommenen Bilder von Jupiter und später von Pluto, den Verlust desselbigen als Planeten bedingt durch die Erkenntnis, dass noch so viele andere Objekte seiner Größe im anschließenden Kuipergürtel um die Erde ihre Bahnen zogen und so vieles mehr. Alles in diesen wenigen Jahren – wie viel mochte noch vor uns liegen, das wir noch lange nicht erforscht, geschweige denn begriffen hatten?

Ein letzter Blick, dann hieß es ab in die Kojen, denn hier unten beherrschte weiterhin die profane Tide unseren Lebensrhythmus.

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