Mull 2019: Loch Aline

Loch Aline

Von der Oban Marina fĂŒhrte uns der nĂ€chste Schlag nach Loch Aline, das auf der Movern Peninsula gelegen ist und nach gut einem Drittel des Sounds of Mull erreicht war. Letzteren kreuzten wir in einigen langen SchlĂ€gen recht gemĂŒtlich hoch.

Maiden Island, Oban
Maiden Island, Oban

Noch am Morgen hatte sich Mull mit Nebel in den Bergen prĂ€sentiert. In der Oban Marina war die Sonne gerade aufgegangen, die Welt erwachte langsam aus dem sanften Schlaf der vergangenen Nacht. Kaninchen hatten zu dieser Tageszeit die Marina fest im Griff. Ihre weißen Blumen bildeten einen ansehnlichen Kontrast zum satten GrĂŒn der umgebenden Landschaft. Ein Schwarm silberner Fischlein spielte in der Marina und ließ das Wasser aussehen, als fielen Tautropfen darauf nieder. Nach dem Sturm des vergangenen Tages lag das Wasser nun wieder spiegelglatt vor uns und lud zum Aufbruch ein.

Lady’s Rock am Eingang zum Sund zog uns wie magisch an. Mit einer Wende entgingen wir schließlich ihrem Bann. Duart’s Castle, der Sitz des ungnĂ€digen Gatten der Lady, sah von Weitem wie ein Geisterschloss aus. TatsĂ€chlich war es gerade in ein Spinnennetz aus GerĂŒsttrĂ€gern eingesponnen. ‚Under construction.‘ Zwischen Lady’s Rock und Lismore Point waren in unserer Karte schon erwĂ€hnte ‚Eddies‘ verzeichnet – Mahlströme. Hier waren sie nicht sehr stark und bei Stillwasser merkte man freilich nichts von ihnen. Aber allein die Tatsache, dass sie in realita existierten, war erstaunlich genug. FĂŒr mich hatten Mahlströme bisher in dasselbe Reich der Mythen und ErzĂ€hlungen gehört wie Seeungeheuer und andere Phantasiegespinste.

Im Sund galt es dann, auf den regen FĂ€hrverkehr zu achten. Besagte Caledonian MacBrayne Flottille ist hier mit einer Vielzahl unterschiedlicher Schiffe vertreten. Sie sind groß und schnell, wobei letzteres sicher auch eine Frage der Relation ist. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit lag meist bei knapp unter fĂŒnf Knoten, zu Spitzenzeiten etwas ĂŒber sieben. FĂŒr ein Segelboot seiner GrĂ¶ĂŸe kam die „Goldrush“ also leidlich voran, fĂŒr die Kraftmaschinen der FĂ€hrgesellschaft waren wir dagegen nicht schneller als eine Schnecke.

Eigentlich wĂ€re dieser Segeltag so gewesen, dass wir ohne Probleme bis Tobermory hĂ€tten weiterfahren können – vielleicht auch hĂ€tten sollen, hĂ€tten wir noch Ziele anlaufen wollen, die weiter draußen gelegen waren – aber ich wollte zu gerne Loch Aline sehen. Auch war wieder jede Menge Wind fĂŒr den Abend und die Nacht angesagt und das Loch gilt als perfekter Unterschlupf.

Eine FĂ€hre verbindet Lochaline mit dem gegenĂŒberliegenden KĂŒstenabschnitt der Isle of Mull. Sie warteten wir zwei Mal ab, bevor wir uns einen rechten Überblick ĂŒber die schmale Zufahrt zum Loch verschafft hatten. Auf der Seekarte sah der Zugang lang gezogen aus, nun erblickten wir schon vom Sund aus die Marina mit ihren zwei Stegen. Waren wir hier richtig?

Bereits am frĂŒhen Nachmittag kehrten wir in Loch Aline ein und das, wie wir bald meinten, keine Stunde zu frĂŒh, denn die wenigen StegplĂ€tze der Marina waren schnell gefĂŒllt. Nicht wenige der Boote hatten ein lustig buntes Flaggenalphabet gesetzt. Wie wir spĂ€ter herausfanden, traf sich dort an diesem Abend einer der lokalen Segelclubs zum Stelldichein. Das Barbecue an der gemĂŒtlichen HolzhĂŒtte der Marina lief lang in dieser Nacht.

Letztere ziert ein langes Gedicht von Alexander McCall Smith, jenem Autor, der in so unvergleichlicher Weise ĂŒber das deutsche UniversitĂ€tswesen zu schreiben wusste. Jedem seien an dieser Stelle die Abenteuer des Herrn Prof. von Igelfeld, seines Zeichens Experte fĂŒr portugiesische irregulĂ€re Verben, ans Herz gelegt. Neben Nabokovs „Pnin“ gibt es wohl kein zweites Buch wie McCall Smiths „The 2 1/2 pillars of wisdom“, welches die schrullige VerrĂŒcktheit des Uni-Alltags mit derartigem Wortwitz auf den Punkt zu bringen vermag. Entsprechend freute es mich sehr, nun gerade an diesem verwunschenen Ort in Schottland auf die Spuren dieses Autors zu stoßen, der sich offenbar fĂŒr die Einrichtung der dortigen Marina eingesetzt hatte. Besten Dank dafĂŒr!

Vom Steg aus bot sich uns ein fantastischer Ausblick ĂŒber das Loch. Eine Reihe von Yachten lag noch weiter landeinwĂ€rts an einigen Moorings. Ganz im Osten zeigten sich versteckt zwischen den BĂ€umen die vielen kleinen Schornsteine und TĂŒrmchen von Ardtornish House. Wie ein Geisterhaus wirkt es auf uns und zog uns geradezu magisch an.

Ardtornish House, Loch Aline
Ardtornish House, Loch Aline

Der erste Abend, der sich ĂŒber das Loch legte, verbreitete eine ganz eigene Stimmung. Wie viele kleine Irrlichter tanzten die Ankerlichter das Yachten an ihren Moorings ĂŒber dem Wasser. In der Zufahrt zum Loch blinkten einsam die Tonnen.

Am frĂŒhen Morgen zog wieder ein TiefauslĂ€ufer ĂŒber uns hinweg. „Depression“, wie die Briten sagen, irgendwie passend, wenn es stĂŒrmt und schĂŒttet. Das ganze Boot bebte am Steg, die Wellen liefen von achtern unter unsere „Goldrush“ und ließen sie auf das Wasser hĂ€mmern. Wir nahmen uns einen weiteren Hafentag.

Wasserfall, Loch Aline
Wasserfall, Loch Aline

Den Tag nutzten wir, die Umgebung zu erkunden. Lochaline Dorf ist genau das, ein Dorf am Ende der Welt wie es scheint – wohlgemerkt mit Marina und Sandmine. Sie sprengen den Quarzsand tief unter der Erde aus seinem Ruhelager. An die OberflĂ€che geholt, sieht er in seinen LagerstĂ€tten aus wie Tropfstein. Aus dem Stollen schlĂ€gt einem der eisige Atem der Unterwelt entgegen. Besser, man verweilt nicht allzu lang


Der Ort wartet auf mit einem All-in-one-store: Post, GemĂŒseladen, BĂ€cker, Tankstelle – alles im selben HĂ€uslein. GegenĂŒber der Briefkasten, der einmal tĂ€glich geleert wird und vollmundig verkĂŒndet, dass man sich fĂŒr weitere AuslieferungswĂŒnsche an das nĂ€chste Postamt – in Oban wenden könne. Gut fĂŒr alle, die hier ein Boot ihr eigen nennen können.

Loch Aline
Loch Aline

Wir liefen bis Ardtornish House, welches ganz am Ende des Lochs liegt und von fern anmutet wie das Schloss von Graf Dracula oder, besser noch, wie der Wohnsitz von Nosferatu mit seinen ganzen TĂŒrmchen und Schornsteinen, die aus dem dichten Wald hervorlugen. Auf dem Weg dorthin fanden wir eine große Ansammlung des „kleinen schönen Weißen“ (Fionnan Geal) – des Sumpf-Herzblatts, das uns eine sehr nette Dame auf Arran erstmals zeigte und das wir seitdem stets mit diesem Land verbinden. Auch einen Adler bekamen wir zu Gesicht. Er flog unmittelbar vor uns auf und verschwand ebenso schnell und gerĂ€uschlos, wie er aufgetaucht war, wieder zwischen den bemoosten Ästen der alten BĂ€ume. Wir streiften weiter durch einen echten MĂ€rchenwald samt WasserfĂ€llen, Feenleiter und Moosungeheuern. Unser Geisterhaus fiel dagegen weit weniger spannend aus, als gedacht. Es entpuppte sich als Hotelanlage nebst weitlĂ€ufigem ParkgelĂ€nde. Trotzdem belohnte es uns mit einem wunderbaren Blick auf das gesamte Loch und den Sound of Mull.

Waldfrosch, Loch Aline
Waldfrosch, Loch Aline

Von all den Orten, die wir wĂ€hrend dieses Törns ansteuerten, war Loch Aline zweifelsohne der abgeschiedenste und ursprĂŒnglichste und in seinem Zauber einzigartig.